Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2017 Seite 4 von 12

bücherstapel

Aus-Lese #50

Ger­hard Falkn­er: Romeo oder Julia. München: Berlin 2017. 269 Seit­en. ISBN 978–3‑8270–1358‑3.

falkner, romeo oder julia (cover)Ich kann nicht sagen, dass ich von Romeo oder Julia wirk­lich begeis­tert gewe­sen wäre. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht so recht kapiert habe, was der Text eigentlich (sein) möchte. Dabei hat er unbe­stre­it­bar aus­geze­ich­nete Momente und Seit­en, neben eini­gen Län­gen. Einige der aus­geze­ich­neten Momente find­en auf der Ebene der Sprache statt: Es gibt funkel­nde einzelne Sätze in einem Meer von stilis­tis­chem und gedanklichem Chaos. So habe ich mir das zunächst notiert — aber das stimmt so nicht ganz: chao­tisch (also real­is­tisch) erscheint der Text zunächst nur, er entwick­elt dann aber schon seine Form. Die zumin­d­est stel­len­weise hyper­tro­phe Stilis­tik in der Über­steigerung auf allen Ebe­nen ist dann auch tat­säch­lich lustig.

Uner­müdlich arbeit­eten hin­ter den Din­gen, an denen ich vor­beikam, die Grund­maschi­nen der Exis­tenz, die seit Jahrtausenden mit Men­schen­leben gefüt­tert wer­den, und die Stadt stützte ihre taube und orna­men­tale Masse auf dieses unterirdis­che Mag­ma von Lebens­gi­er, Kampf, Wille, Lust und Bewe­gung. 227

Was wird in Romeo oder Julia erzählt? Das ist eben die Frage. Irgend­wie geht es um einen Schrift­steller, Kurt Prinzhorn (über dessen lit­er­arische Werke nichts zu erfahren ist), der bei einem Hote­laufen­thalt in Inns­bruck von ein­er benutzten Bade­wanne und ver­schwun­de­nen Schlüs­seln etwas erschreckt wird. Rat­los bleibt er zurück und denkt immer wieder über die Rät­sel­haftigkeit des Geschehens nach, während das Autoren­leben mit Sta­tio­nen in Moskau und Madrid weit­erge­ht. Dort nähert sich dann auch die antik­li­mak­tis­che Auflö­sung, die in einem Nach­spiel in Berlin noch ein­mal aus­ge­bre­it­et wird: Der Erzäh­ler wird von ein­er sehr viel früheren kurzzeit­i­gen Fre­undin ver­fol­gt und bedro­ht, die dann beim Ver­such, zu ihm zu gelan­gen (um ihn zu töten), selb­st stirbt … Trotz des Plots, der nach Kri­mi oder Thriller klingt, bleibt Romeo oder Julia bei ein­er unbeschw­erten Rät­sel­haftigkeit, ein Spiel mit Span­nungse­le­menten, sex­is­tis­chem und völk­erpsy­chol­o­gis­chem Unsinn und anderen Pein­lichkeit­en. Immer­hin sind der knappe Umfang und die eher kurzen Kapi­tel (übri­gens genau 42 — wobei ich bei Falkn­er in diesem Fall keine Absicht unter­stelle) sehr leser­fre­undlich. Durch die zumin­d­est eingestreuten stilis­tis­chen Höhen­flüge war das für mich eine dur­chaus unter­halt­same Lek­türe, bei der ich keine Ahnung habe, was das eigentlich sein soll, was der Text eigentlich will. Wed­er die Kri­mi-Ele­mente noch die Poplit­er­aturkom­po­nente oder die mas­siv­en Inter­tex­tu­al­itätssig­nale (die ich nicht alle in vernün­ftige Beziehung zum Text bringe, aber sicher­lich habe ich auch eine Menge schlicht überse­hen) for­men sich bei mein­er Lek­türe zu einem Konzept: Ein schlüs­siges Sinnkon­strukt kann ich nicht so recht erken­nen, nicht lesen und lei­der auch nicht basteln.

Es war Son­ntagvor­mit­tag, und es gab kaum Leute auf der Straße. Straßen auf den Leuten gab es erst recht nicht. es gab auch keine Busse, die man sich auf der Zunge hätte zerge­hen lassen kön­nen, oder Friseure, die auf­grund ein­er ungestü­men Blümer­anz der Ohn­macht nahe gewe­sen wären. Auch nicht die Helden­fried­höfe, die in wilden und ausufer­n­den Vor­früh­lingsnächt­en von den Such­maschi­nen auf die Bild­schirme geza­ubert wer­den, um mit ihren schneeweißen und chris­tus­losen Kreuzen die Surfer in ihre leere Erde zu lock­en. Es gab nicht ein­mal die feuchte, warme Hand der katholis­chen Kirche oder das tröstliche Röcheln des Drachens, dem sein beliebtester Geg­n­er, der heilige Georg, ger­ade die eis­erne Lanze in den Rachen gestoßen hat. Es gab ein­fach wirk­lich nur das, was da war, was wir unmit­tel­bar vor Augen hat­ten, und die Tat­sache, dass ich in Kürze los­musste. 78

Ali­na Herb­ing: Nie­mand ist bei den Käl­bern. Zürich, Ham­burg: Arche 2017. 256 Seit­en. ISBN 9783716027622.

herbing, niemand ist bei den kälbern (cover)Das ist mal ein ziem­lich trost­los­es Buch über eine junge Bäuerin aus Alter­na­tivlosigkeit, die auch in den ange­blich so fes­ten Werten und sozialen Net­zen des Landlebens (der „Heimat“) keinen Halt find­et, keinen Sinn für ihr Leben. Stattdessen herrscht über­all Gewalt — gegen Dinge, Tiere und Men­schen. Ein­er­seits ist da also die Banal­ität des Landlebens, der Ödnis, der „Nor­mal­ität“, dem nicht-beson­deren, nicht-indi­vidu­ellen Leben. Ander­er­seits brodelt es darunter so stark, dass auch die Ober­fläche in Bewe­gung gerät und Risse bekommt. Natür­lich gibt es die Schön­heit des Lan­des, auch in der beschreiben­den Sprache (die freilich nicht so recht zur eigentlichen Erzählhal­tung passt und mit ihren angedeuteten pseu­do-umgangssprach­lichen Wen­dunge („nich“, “glaub ich”) auch viele schwache Seit­en hat und ner­ven kann). Aber genau­so natür­lich gibt es auch die Ver­let­zun­gen, die die Men­schen sich gegen­seit­ig und der “natür­lichen” Umwelt gle­icher­maßen zufü­gen.

Die Absicht von Nie­mand ist bei den Käl­bern ist schnell klar (schon mit dem Umschlag, son­st spätestens auf der ersten Seite, wenn das Rehkitz beim Mähen getötet wird): Heimat, v.a. aber das Landleben entza­ubern — denn es ist auch nur eine Rei­he von Banal­itäten und Ein­samkeit­en (auch & ger­ade zu zweit) und suche nach Liebe, Nähe, Emo­tio­nen. Die Natur bleibt von all dem unbeteiligt und eigentlich unberührt. Mich ner­ven aber so Haupt­fig­uren wie diese Christin, die — obwohl vielle­icht nicht direkt defätis­tisch — alles (!) ein­fach so hin­nehmen, ohne Gefühlsre­gung, ohne Gestal­tungswillen, ja fast ohne Willen über­haupt, denen alles nur passiert, die alles mit sich geschehen lassen. Dass da dann kein erfüll­ter Lebensen­twurf her­auskommt, ist abzuse­hen. Mir war das unter anderem deshalb zu ein­seit­ig, zu eindi­men­sion­al.

Manch­mal glaub ich, jedes Flugzeug, das ich sehe, existiert über­haupt nur, um mich daran zu erin­nern, dass ich ein­er der unbe­deu­tend­sten Men­schen der Welt bin. Wieso sollte ich son­st in diesem Moment auf einem halb abgemäht­en Feld ste­hen? Nicht mal in ein­er Nazi-Hochburg, nicht mal an der Ost­see oder auf der Seen­plat­te, nicht mal auf dem Todesstreifen, son­dern kurz davor, daneben, irgend­wo zwis­chen all­dem. Genau da, wo es eigentlich nichts gibt außer Gras und Lehm­bo­den und ein paar Plätze, die gut genug sind, um da Win­dräder hinzustellen. 11

Lau­rent Binet: Die siebte Sprach­funk­tion. Rein­bek: Rowohlt 2017. 524 Seit­en. ISBN 9783498006761.

laurent binet, die siebte sprachfunktion (cover)Das ist tat­säch­lich ein ziem­lich lustiger Roman über Roland Barthes, die post­mod­erne Philoso­phie, Sprach­wis­senschaft und Psy­cholo­gie in Frankre­ich, auch wenn der Text einige Län­gen hat. Vielle­icht ist das aber wirk­lich nur für Leser lustig, die sich zumin­d­est ein biss­chen in der Geschichte der franzö­sis­chen Post­mod­erne, ihrem Per­son­al und ihren Ideen (und deren Rezep­tion in den USA und Europa) ausken­nen. Und es ist auch ein etwas grotesker Humor, der so ziem­lich alle Geis­tesheroen des 20. Jahrhun­derts kör­per­lich und seel­isch beschädigt zurück­lässt.

Aus­gangspunkt der mehr als 500 Seit­en, die aber schnell gele­sen sind, ist der Tod des Struk­tu­ral­is­ten und Semi­otik­ers Roland Barthes, der im Feb­ru­ar 1980 bei einen Unfall über­fahren wurde. Für die Ermit­tlun­gen, die schnell ein­er­seits in das philosophisch geprägte Milieu der Post­mod­erne führen, ander­er­seits voller Absur­ditäten und grotesker Geschehnisse sind, verpflichtet der etwas hemd­särmelige Kom­mis­sar einen Dok­torand, der sich in diesem Gebi­et gut auszuken­nen scheint. Ihre Ermit­tlun­gen führt das Duo dann in fünf Sta­tio­nen von Paris über Bologna nach Ithaca/USA und zurück zu Umber­to Eco (der einzige, der einiger­maßen unversehrt davonkommt), wom­it die Reise, die Ermit­tlung und der Text das Net­zw­erk europäis­chen Denkens (mit seinen amerikanis­chen Satel­liten der Ostküste) in der zweit­en Hälfte des ver­gan­genen Jahrhun­derts nachze­ich­nen. Das ist so etwas wie ein Pop-Philoso­phie-Thriller, der für mich doch recht zügig seinen Reiz ver­lor, weil das als Roman­text eher banal und kon­ven­tionell bleibt. Inter­es­sant sind höch­stens die Metaebe­nen der Erzäh­lung (die es reich­lich gibt) und die Anachro­nis­men (die auch gerne und mit Absicht ver­wen­det wer­den), zumal die The­o­rie und ihr Per­son­al immer mehr aus dem Blick ger­at­en

Die im Titel ver­hießene siebte Sprach­funk­tion bleibt natür­lich Leer­stelle und wird nur in Andeu­tun­gen — als unwider­stehliche, poli­tisch nutzbare Überzeu­gungskraft der Rede — kon­turi­ert. Dafür gibt es genü­gend andere Sta­tio­nen, bei denen Binet sein Wis­sen der europäis­chen und amerikanis­chen Post­mod­erne großzügig aus­bre­it­en kann.

Während er rück­wärts­ge­ht, über­legt Simon: Angenom­men, er wäre wirk­lich eine Romangestalt (eine Annahme, die weit­ere Nahrung erhält durch das Set­ting, die Masken, die mächti­gen malerischen Gegen­stände: in einem Roman, der sich nicht zu gut dafür wäre, alle Klis­chees zu bedi­enen, denkt er), welch­er Gefahr wäre er im Ernst aus­ge­set­zt? Ein Roman ist kein Traum: In einem Roman kann man umkom­men. Hin­wiederum kommt nor­maler­weise die Haupt­fig­ur nicht ums Leben, außer vielle­icht gegen Ende der Hand­lung. / Aber wenn es das Ende der Hand­lung wäre, wie würde er das erfahren? Wie erfährt man, wann man auf der let­zten Seite angekom­men ist? / Und wenn er gar nicht die Haupt­fig­ur wäre? Hält sich nicht jed­er für den Helden sein­er eige­nen Exis­tenz? 420

Dieter Grimm: “Ich bin ein Fre­und der Ver­fas­sung”. Wis­senschafts­bi­ographis­ches Inter­view von Oliv­er Lep­sius, Chris­t­ian Wald­hoff(span> und Matthias Roßbach mit Dieter Grimm. Tübin­gen: Mohr Siebeck 2017. 325 Seit­en. ISBN 9783161554490.

grimm, freund der verfassung (cover)Ein feines, kleines Büch­lein. Mit “Inter­view” ist es viel zu pro­saisch umschrieben, denn ein­er­seits ist das ein vernün­ftiges Gespräch, ander­er­seits aber auch so etwas wie ein Auskun­fts­buch: Dieter Grimm gibt Auskun­ft über sich, sein Leben und sein Werk. Dabei lernt man auch als Nicht-Jurist eine Menge — zumin­d­est ging es mir so: Viel span­nen­des zur Entwick­lung von recht und Ver­fas­sung kon­nte ich hier lesen — span­nend vor allem durch das Inter­esse Grimms an Nach­bardiszi­plinen des Rechts, ins­beson­dere der Sozi­olo­gie. Deshalb tauchen dann auch ein paar nette Luh­mann-Anek­doten auf. Außer­dem gewin­nt man als Leser auch ein biss­chen Ein­blick in Ver­fahren, Organ­i­sa­tion und Beratung am Bun­desver­fas­sungs­gericht, an dem Grimm für 12 Jahre als Richter tätig war. Schön ist schon die nüchterne Schilderung der der nüchter­nen Wahl zum Richter — ein poli­tis­ch­er Auswahl­prozess, den Grimm für “erfreulich unpro­fes­sionell” (126) hält. Natür­lich gewin­nt das Buch nicht nur durch Grimms Ein­blick in grundle­gende Wesens­merk­male des Rechts und der Jurispru­denz, son­dern auch durch seine dur­chaus span­nende Biogra­phie mit ihren vie­len Sta­tio­nen — von Kas­sel über Frank­furt und Freiburg nach Paris und Har­vard wieder zurück nach Frank­furt und Biele­feld, dann natür­lich Karl­sruhe und zum Schluss noch Berlin — also qua­si die gesamte Geschichte der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land — Grimm ist 1937 geboren — in einem Leben kon­den­siert.

Das Buch hat immer­hin auch seine Selt­samkeit­en — in einem solchen Text in zwei Stich­wörtern in der Fußnote zu erk­lären, wer Kon­rad Ade­nauer war, hat schon seine komis­che Seite. Bei so manch anderem Namen war ich aber froh über zumin­d­est die grobe Aufk­lärung, um wen es sich han­delt. Die andere Selt­samkeit bet­rifft den Satz. Dabei hat jemand näm­lich geschlampt, es kom­men immer wieder Pas­sagen vor, die ein Schrift­grad klein­er geset­zt wur­den, ohne dass das inhaltlich motiviert zu sein scheint — offen­sichtlich ein unschön­er Fehler, der bei einem renom­mierten und tra­di­tion­sre­ichen Ver­lag wie Mohr Siebeck ziem­lich pein­lich ist.

Adorno ver­stand ich nicht. Streck­en­weise unter­hielt ich mich ein­fach damit zu prüfen, ober er seine Schach­tel­sätze kor­rekt zu Ende brachte. Er tat es. 41

Con­stan­ti­jn Huy­gens: Euphra­sia. Augen­trost. Über­setzt und her­aus­ge­ge­ben von Ard Post­hu­ma. Leip­zig: Rei­ne­cke & Voß 2016. [ohne Sei­ten­zäh­lung]. ISBN 9783942901222.

Zu diesem schö­nen, wenn auch recht kurzen Vergnü­gen habe ich vor einiger Zeit schon etwas geson­dert geschrieben: klick.

außer­dem gele­sen:

  • Dirk von Peters­dorff: In der Bar zum Krokodil. Lieder und Songs als Gedichte. Göt­tin­gen: Wall­stein 2017 (Kleine Schriften zur lit­er­arischen Ästhetik und Hermeneu­tik, 9). 113 Seit­en. ISBN 978–3‑8353–3022‑1.
  • Hans-Rudolf Vaget: “Wehvolles Erbe”. Richard Wag­n­er in Deutsch­land. Hitler, Knap­perts­busch, Mann. Frank­furt am Main: Fis­ch­er 2017. 560 Seit­en. ISBN 9783103972443.

Denken

Am schwierig­sten ist es, beim Denken nicht immer nur die eige­nen Gedanken zu denken. Ger­hard Falkn­er, Romeo oder Julia, 137

Berliner Fernsehtum hinterm Netz

Ins Netz gegangen (22.9.)

Ins Netz gegan­gen am 22.9.:

  • Wahlwer­bung über access.log | heise → kreative, aber nicht son­der­lich effek­tive idee für die wahlwer­bung: access.logs zu nutzen …
  • Frag­ment ein­er Bibel von Guten­berg gefun­den | VÖB-Blog → der augs­burg­er bib­lio­thekar fand in sein­er bib­lio­thek ein frag­ment ein­er guten­berg-bibel — eine seite, die als ein­band fü rein anderes buch genutzt wurde
  • The pow­er of the com­ma| The Econ­o­mist → über das kom­ma und seine optionale notwendigkeit, am beispiel des englis­chen und amerikanis­chen gebrauchs

    As much as peo­ple want the rules for com­mas to be iron­clad, no mech­a­nis­tic rules can sub­sti­tute for slow proof­read­ing and redraft­ing, or even bet­ter, a good edi­tor. And hav­ing some flex­i­bil­i­ty in punc­tu­a­tion is one of the things that gives an author a style.

  • Nur Gutes aus der Region? Die Krux mit den Lebens­mit­teln von nebe­nan | Geschichte der Gegen­wart → nils wyssmann über den trend zu regionalen lebens­mit­teln — und seine aus­ge­blende­ten schat­ten­seit­en

    Doch diese Sehn­suchts­be­wirtschaf­tung im Dien­ste des Regionalen funk­tion­iert nur, weil sie die glob­ale Dimen­sion der bewor­be­nen Pro­duk­te aktiv aus­blendet. […] Als Real­fik­tion geis­tert die Region­al­itäts-Illu­sion durch die Pro­duk­tion­sstät­ten und Verkauf­s­lä­den der Grossverteil­er und ist dort zu einem verkauf­strächti­gen Teil unseres Kon­sumall­t­ags gewor­den.

  • Alle sind betrof­fen | Zeit → ein gar nicht schlechter text zum “prob­lem” der “identitäts”-politik (ich mag den begriff nicht beson­ders, weil er meines eracht­ens die gesellschaftliche dimen­sion von ungle­ich­heit­en zu sehr ver­nach­läs­sigt bzw. als indi­vidu­elles prob­lem (noch dazu als nachrangiges) impliziert … trotz­dem: cather­ine newark schafft es, auswüchse abwä­gend als solche darzustellen, ohne — wie so oft — das kind mit dem bade auszuschüt­ten

Ins Netz gegangen (21.9.)

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  • Who’s the world’s lead­ing eco-van­dal? It’s Angela Merkel | The Guardian → george mon­biot schreibt im “guardian”, was ich in deutschen medi­en auch gerne öfters lesen würde — eigentlich ver­gle­icht er nur worte und tat­en, anspruch und wirk­lichkeit — und kommt eben fast zwangsläu­fig zu einem desas­trösen ergeb­nis:

    Merkel has a fatal weak­ness: a weak­ness for the lob­by­ing pow­er of Ger­man indus­try. When­ev­er a cru­cial issue needs to be resolved, she weighs her ethics against polit­i­cal advan­tage, and choos­es the advan­tage. This, in large part, is why Europe now chokes in a fug of diesel fumes.

  • Wikipedia baut ab, oder: Was von „open“ übrig bleibt | alba­tros → jür­gen fenn über den langsamen nieder­gang der wikipedia, verdeut­licht am zunehmenden man­gel an autorin­nen
  • Impro­vi­sa­tion – ein Rant aus enger Kom­pon­is­ten­sicht | Bad Blog of Musick → ich bin nicht ganz so pes­simistisch wie alexan­der strauch, aber lei­der hat er viel zu oft recht …

    Die Flucht in die Per­for­mance ist für mich das Haupt­prob­lem freier, impro­visiert­er Neuer Musik. Gle­ich gefol­gt von der Ten­denz, ja nicht mal konkret, gar eksta­tisch zu wer­den, das gefühlte Dauer-Mez­zo­forte für alle Para­me­ter.

  • Die Macht der Behar­rung | futurzwei → georg diez:

    Manch­mal muss man sprin­gen, um zu ver­ste­hen, wo man stand.

Taglied 17.9.2017

Manch­mal, aber nur manch­mal, höre ich tat­säch­lich min­i­mal music im weitesten Sinne. Zum Beispiel so etwas hier, die Phry­gian Gates von John Adams, sehr drama­tisch gespielt von Ralph van Raat:

Adams — Phry­gian gates (1978)

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
spinnennetz mit tau

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  • Literature’s Great­est Open­ing Lines, as Writ­ten By Math­e­mati­cians | Math with Bad Draw­ings → wun­der­bar: eine phan­tasie, wie math­e­matik­er die eröff­nungssätze berühmter lit­er­arisch­er werke for­mulierten, mit schö­nen ideen auch in den kom­mentaren
  • Solo gegen den Strom | FAZ → ein loblied auf gün­ther schuh, dem gehirn hin­ter e‑scooter, der mit neuem unternehmen in kürze einen gün­sti­gen elek­trischen klein­wa­gen, eine weit­ge­hende eige­nen­twick­lung, anbi­etet
  • Al Gore’s New Movie Expos­es The Big Flaw In Online Movie Rat­ings | FiveThir­tyEight → walt hick­ey und dhru­mil mehta über die gefährlichen effek­te, bew­er­tun­gen — wie ama­zons imdb-score — in ein­er einzi­gen zahl zusam­men­z­u­fassen:

    The democ­ra­ti­za­tion of film reviews has been one of the most sub­stan­tial struc­tur­al changes in the movie busi­ness in some time, but there are dan­ger­ous side effects. The peo­ple who make movies are ter­ri­fied. IMDb scores rep­re­sent a few thou­sand most­ly male review­ers who might have seen the film but maybe didn’t, and they’re influ­enc­ing the scor­ing sys­tem of one of the most pop­u­lar enter­tain­ment sites on the plan­et.

  • Eine Kri­tik am Lit­er­aturbe­trieb: Schafft die Jurys ab!| NZZ → felix philipp ingold fordert, die buch­preise (und ihre jurys) abzuschaf­fen und schlägt lit­er­atin­nen vor preise zwar anzunehmen, in der dankesrede aber ihre unsin­nigkeit zu demon­stri­eren. eigentlich eine schöne idee, die er selb­st freilich auch ein­fach hätte umset­zen kön­nen, bei der ent­ge­ge­nahme ein­er sein­er zahlre­ichen preise ;-)

    Lit­er­atur als Kun­st − man muss es deut­lich sagen − ist beim verbliebe­nen Lesepub­likum eben­so wenig gefragt wie bei der pro­fes­sionellen Kri­tik, mit eingeschlossen all die anderen Lit­er­aturver­mit­tler, die als Präsen­ta­toren, Mod­er­a­toren oder Juroren, oft auch als Ver­anstal­ter von Fes­ti­vals und immer öfter als beamtete Kul­tur­funk­tionäre am Betrieb beteiligt sind. Grund­sät­zlich gilt kün­st­lerisch­er Anspruch in Bezug auf Stil, Kom­po­si­tion, Exper­i­ment als elitär, und dies wiederum wird gle­ichge­set­zt mit Langeweile und dreis­ter Zumu­tung − ein ver­nich­t­en­des Urteil, das jegliche Mark­t­tauglichkeit infrage stellt. Ein Text soll dem­nach in erster Lin­ie unter­halt­sam, kon­sens­fähig und in irgen­dein­er Weise anrührend sein, der­weil schwierige, fordernde, also im eigentlichen Wortsinn inter­es­sante Lek­türen kaum noch gefragt sind.

  • The Adork­able Misog­y­ny of The Big Bang The­o­ry | Pop Cul­ture Detec­tive → aus­nahm­sweise eine video-empfehlung, die schön aus­führlich zeigt, wie misog­yn “the big bang the­o­ry” ist (nicht, dass das beson­ders über­raschend wäre …)

lichtung

Kür­zlich in Erbach im Oden­wald:

lechts und rinks

Da ist mir natür­lich sofort Ernst Jan­dl einge­fall­en:

lich­tung

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht vel­wech­sern
werch ein ill­tum
Ernst Jan­dl

Orte

[Kall] ist ein lit­er­arisch­er Ort gewor­den. Aber was spielt der reale Ort schon für eine Rolle? Die Men­schen ster­ben, die Häuser wer­den abgeris­sen, die Flüsse umgeleit­et, das einzige, was bleibt, ist die Geschichte. Nor­bert Scheuer
schreibmaschine

Amerikanisierung

Unsere Auf­gabe ist, uns seel­isch vor der Amerikanisierung zu bewahren, indem wir uns gle­ich­wohl tech­nisch amerikanisieren. Ob uns das gelingt, ist zweifel­haft; daß es uns gelingt, davon hängt Sein und Nicht­sein in äußerem und innerem Sinne dur­chaus ab.Gertrud Bäumer, Das neue Lebens­ge­fühl und seine Ein­wirkung auf das deutsche Bil­dungsgut, 1927

fischernetz

Ins Netz gegangen (4.9.)

Ins Netz gegan­gen am 4.9.:

  • I used to lead tours at a plan­ta­tion. You won’t believe the ques­tions I got about slav­ery. | Vox → inter­es­san­ter bericht über ras­sis­mus und fehlen­des wis­sen über das wesen der sklaverei von ein­er führerin auf ein­er plan­tage

    Regard­less of why they were espoused, all the mis­con­cep­tions dis­cussed here lead to the same result: the asser­tion that slav­ery was­n’t real­ly all that bad (“as long as you had a god­ly mas­ter,” as one guest put it). And if slav­ery itself was benign — slav­ery, a word which in most par­lances is a short­hand for unjust hard­ship and suf­fer­ing — if even slav­ery itself was all right, then how bad can the strug­gles faced by mod­ern-day African Amer­i­cans real­ly be? Why feel bad for those who com­plain about racist sys­tems today? The min­i­miza­tion of the unjust­ness and hor­ror of slav­ery does more than sim­ply keep the bad feel­ings of guilt, jeal­ousy, or anger away: It lib­er­ates the denier from social respon­si­bil­i­ty to slaves’ descen­dants.

  • Renegat­en, Ver­räter, Kon­ver­titen, Über­läufer oder Überzeu­gungstäter | Geti­dan → georg seeßlen macht sich (ein biss­chen weitschweifig) gedanken, warum men­schen (meis­tens män­ner) vom linken zum recht­en wer­den
  • Tourist: Hau ab! | NZZ → got­tlieb höpli über die auswüchse des (massen-)tourismus und die sich formieren­den proteste dage­gen:

    In den Strassen von Barcelona und am Strand von Benidorm wird offenkundig, was Prospek­te und Reise­plat­tfor­men im Inter­net nie zeigen: die Zer­störung des Touris­mus durch den Touris­mus, vor der der Bern­er Touris­tikpro­fes­sor Jost Krip­pen­dorf schon vor Jahrzehn­ten gewarnt hat.

    Der Touris­mus ist sei­ther eine Ein­bahn­strasse geblieben, die sich vom Panora­maweg längst zur wenig attrak­tiv­en viel­spuri­gen Auto­bahn aus­geweit­et hat. Will man nicht irgend­wann gegen eine schwarze Wand don­nern, täte man gut daran, sich nach ein­er Aus­fahrt zu erkundi­gen.

  • Mob­bing durch Design | NZZ → wolf­gang ulrich meint, manche klei­dungsstücke sind absichtlich hässlich und geschmack­los:

    Vielle­icht ist es lang­weilig oder sog­ar demor­al­isierend, fortwährend Zeug für Leute unter­priv­i­legiert­er Milieus herzustellen, die wenig Geld und noch weniger Gespür besitzen? Vielle­icht kommt deshalb der Wun­sch auf, mal alle Sorgfalt fahrenzu­lassen und echt­en Trash zu pro­duzieren? Und diejeni­gen, die solche Tops tra­gen, der Lächer­lichkeit preiszugeben?

    Man braucht keine Ver­schwörungs­the­o­rien in die Welt zu set­zen, wonach eine Unter­schicht aus­drück­lich als solche ken­ntlich gemacht wer­den soll. Aber man darf zu dem Schluss gelan­gen, dass es den Pro­duzen­ten hier nicht um das Wohl ihrer Kun­den geht. Statt sich ver­ant­wortlich dafür zu fühlen, dass nie­mand auf­grund seines Ausse­hens diskri­m­iniert wird, betreiben sie Mob­bing durch Design.

  • Hohe Kul­tur (8) | Pop-Zeitschrift → thomas heck­en klopft die parteipro­gramme der wichtig­sten deutschen parteien auf ihren kul­turbe­griff (und dessen unbes­timmtheit­en und wider­sprüch­lichkeit­en) ab

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