Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2017 Seite 11 von 12

Taglied 9.2.2017

Get Lucky, in ein­er sehr schö­nen a‑cap­pel­la-Ver­sion von OnAir:

[Offi­cial Video] Get Lucky — ONAIR (Daft Punk Cov­er)

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
Berliner Fernsehtum hinterm Netz

Ins Netz gegangen (9.2.)

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  • Ger­man­is­tik in der Krise? Der eier­legende Wollmilchger­man­ist wird drin­gend gesucht | FAZ → ste­fan mar­tus über die gegen­wär­tige lage der ger­man­is­tik, anlässlich eines spiegel-artikels

    Mit der Ger­man­is­tik ist es ein wenig wie mit Berlin: Wem die Stadt nicht gefällt, war im falschen Stadt­teil. Oder er mag ein­fach keine Metropolen, in denen man vor der Qual der Wahl ste­ht. Ein Prob­lem für die Rede über „die“ Ger­man­is­tik beste­ht mithin darin, dass es keinen Stadt­plan gibt, der für Überblick sorgt.

  • Australia’s Faulty Wel­fare Pro­gram Shows the Per­ils of Big Data | Vice → in aus­tralien scheit­ert ein big-data-pro­jekt, dass arbeit­slosen­bezieher und ihr ver­s­teuertes einkom­men automa­tisch über­prüft und bei fehlern strafzahlun­gen fordert, mas­siv — und nie­mand küm­mert es …

    “The data match­ing errors mean up to 20 per­cent of the ‘debts’ are just plain wrong,” Dr. Suelette Drey­fus, a lec­tur­er in com­put­ing and infor­ma­tion sys­tems at the Uni­ver­si­ty of Mel­bourne, tells VICE.
    […] An auto­mat­ed debt-recov­ery sys­tem, it turns out, is about as Orwellian as it sounds. Drey­fus explains that rely­ing on sim­plis­tic meth­ods to crunch extreme­ly com­plex sets of data will always mean high fail­ure rates. To a com­put­er algo­rithm, your per­son­al circumstances—those that forced you to apply for wel­fare ben­e­fits in the first place—mean absolute­ly noth­ing. The num­bers are all that mat­ter. Unfor­tu­nate­ly, espe­cial­ly when devoid of con­text, num­bers can be wrong.
    […] “This is a polit­i­cal fail­ure dressed up as an an IT fail­ure,” Drey­fus says. “Big Data com­bined with data ana­lyt­ics and pre­dic­tive ana­lyt­ics has the poten­tial to give us bet­ter answers on many things. View it as a pow­er­ful tool. How that tool is used—for good or evil—depends on how account­able the peo­ple are who wield it.”

  • Das blanke Entset­zen| Störungsmelder → michael bergmann berichtet aus sach­sen bzw. dres­den, wo die polizei immer noch mit zweier­lei maß arbeit­et, je nach­dem, ob die “störer”/protestanten/… von rechts oder von links kom­men
  • Sicher­heit in Deutsch­land: “Je fremder, desto schlim­mer unsere Fan­tasien” | Zeit → sehr gutes, unaufgeregtes inter­view mit dem sozi­olo­gen ortwin renn über sicher­heit, gefüh­le und krim­i­nal­ität (nur die kom­mentare darf man wieder mal nicht lesen, die haben näm­lich von dem, was der wis­senschaftler sagt, wenig bis nix kapiert …)
  • Die Lust ver­langt Opfer |FR → arno wid­mann würdigt klaus theweleit zu dessen 75. geburt­stag

    Wer heute einen Text von Klaus Theweleit liest, der – das macht Theweleits Qual­ität aus – spürt auch noch in den neueren Arbeit­en den Schreck­en darüber, dass „Das Lachen der Täter“, die „Män­ner­phan­tasien“ nicht nur bei anderen, son­dern auch an sich selb­st zu beobacht­en sind. Die Hun­derte von Seit­en umfassenden Stu­di­en, in denen Theweleit – zum Beispiel im noch immer nicht abgeschlosse­nen „Buch der Könige“ (Stroem­feld Ver­lag) – sich und dem Leser deut­lich macht, wie sehr in unser­er Kul­tur – und wom­öglich nicht nur in ihr – männliche Pro­duk­tiv­ität angewiesen ist auf ihr sich opfer­nde Frauen. Diese Opfer wer­den nicht nur gefordert. Sie wer­den auch gebracht. Bei­de Geschlechter wer­den geprägt von dem Ver­hält­nis, das zwis­chen bei­den herrscht. Dem Wahn­haften, der ganz und gar irra­tionalen Ökonomie unser­er Emo­tio­nen ist kaum ein­er so akribisch nachge­gan­gen wie Theweleit. Seine Büch­er kön­nen kein Ende find­en, weil wir alle noch mit­ten drin sind in den Ver­hält­nis­sen, die sie zu fassen ver­suchen.

netz mit fisch (unsplash.com)

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  • Wind­parks schaf­fen neuen Leben­sraum| enorm → ergeb­nisse ein­er dis­ser­ta­tion: off-shore-wind­parks in der deutschen nord­see ziehen höhere arten­vielfalt nach sich. die biotope wer­den also sehr deut­lich verän­dert — was man aber in diesem fall dur­chaus pos­i­tiv sehen kann/darf

    In der deutschen Nord­see find­en sich haupt­säch­lich Sand­biotope und damit ver­gle­ich­sweise aus­geräumte Meeres­land­schaften. Das Ein­brin­gen von Tur­binen in diese Biotope führt dazu, dass sich neue Tier­welt ansiedelt, die es bis dato in der Menge dort nicht gegeben hat. Die Win­dräder sind wie neue geschaf­fene Riffe, wodurch sich die Diver­sität in den Off-Shore-Wind­parks enorm erhöht. Zuerst siedeln sich Muscheln und Ben­thosle­be­we­sen – also Meeres­bo­den­be­wohn­er wie Krus­ten­tiere und Würmer – an den Tur­binen an. Diese lock­en Fis­che an und die Fis­che wiederum ziehen, möglicher­weise, Schwein­swale und Vögel an. Ins­ge­samt führt das dazu, dass sich in den Wind­parks mehr Lebe­we­sen wiederfind­en als vorher in der Region waren.

  • Tele­fon­num­mer als UID? Die sind doch gehasht!| Ben­jamin @ Dias­po­ra → ben­jamin erk­lärt, warum tele­fon­num­mern als unique iden­ti­fiers auch dann unsich­er sind, wenn sie gehasht gespe­ichert wer­den: weil die rechen­leis­tung mod­ern­er chips die hash-umkehr viel zu schnell schafft, als dass man da noch von sicherheit/schutz sprechen kön­nte …
  • Sprach­forscherin Elis­a­beth Wehling: „Wir gehen Trump immer noch auf den Leim“| Tagesspiegel → langes, inter­es­santes inter­view mit elis­a­beth wehling über sprache, poli­tik, medi­en und fram­ing
  • Open-Access-Tran­si­tion von Lin­gua zu Glos­sa: Wider „die gnaden­losen Geschäft­sprak­tiken Else­viers“| Netzpolitik.org → leon­hard dobusch spricht mit wal­traud paul über die umwand­lung der else­vi­er-zeitschrift “lin­gua” in die open-access-zeitschrift “glos­sa”

    Dafür gibt es zwei Gründe. Ein­er­seits eine klare Ver­schlechterung der Arbeits­be­din­gun­gen für den Her­aus­ge­ber von Lin­gua, Johan Rooryck, und sein Team von 5 Mither­aus­ge­bern. Deren ver­tragliche Bindung an Else­vi­er mutierte von ein­er Art “gentleman’s agree­ment” Ende der 1990er Jahre zu einem extrem detail­lierten und umfan­gre­ichen Ver­trag, der dem Her­aus­ge­berteam immer zahlre­ichere Zwänge aufer­legte. Gle­ichzeit­ig hat­te das Her­aus­ge­berteam immer weniger Hand­lungs­frei­heit und musste sich mehr und mehr gegen die Ein­mis­chung des Else­vi­er-Man­age­ments (zulet­zt in der Per­son von Chris Tan­cock, Else­viers “Linguist-Portfolio”-Zuständigem) in die wis­senschaftlichen Aspek­te der Zeitschrift wehren, wie z.B. bei der Wahl neuer Mither­aus­ge­ber. Ander­er­seits führte die extreme Prof­it­gi­er Else­viers zu einem wach­senden Unbe­ha­gen sowohl beim Her­aus­ge­berteam als auch bei den Lin­guis­ten, die – umson­st! – für Lin­gua als Review­er arbeit­eten. Da diesel­ben Lin­guis­ten oft in Bib­lio­theks­gremien sozusagen „live“ die gnaden­losen Geschäft­sprak­tiken Else­viers miter­lebten, waren sie immer weniger dazu bere­it, ihre Zeit und Exper­tise Else­vi­er kosten­los zur Ver­fü­gung zu stellen.

Musik

DIe Music mein ich hier / die Sinn und Muht durch­dringet /
und mit der Liebligkeit biß in das Mar­ck erklinget.
wo nicht­es anders son­st des Men­schen Muht bewegt /
da ist sie offters / die den Geist in ihm erregt;
und der vor lange Zeit betrü­bet hat gesessen /
der kan durch die Music bald wer­den so ver­messen /
daß er mit gra­dem Fuß lest sehen was er kan /
und stelt sich / als wolt er den hohen Him­mel an.
[…]

Sibyl­la Schwarz, Auß dem Lob ein­er Nacht­mu­sic

vögel im winter im gebirge

Twitterlieblinge Januar 2017


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spinnweben zwischen holz, schwarz-weiß

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  • Talk­show-Ter­ror mit Trump-Effekt| Deutsch­landra­dio Kul­tur → bodo mor­shäuser über die unsäglichen talk­shows des deutschen fernse­hens:

    Ihr Kri­teri­um ist der Erre­gungspegel, den es zu hal­ten gilt. Ist es Absicht oder ist es Ungeschick, dass diese Art von soge­nan­nter Diskus­sion eine der besten Wahlkampfhil­fen für unsere neue, auf Erre­gungspegel spezial­isierte Rechtspartei ist? Abge­se­hen davon, dass Migra­tions­the­men sowieso ihr Spielfeld sind.

    Ganz sich­er wer­den Ter­ror und Sicher­heit die Wahlkampfthe­men des Jahres wer­den. Wirtschafts- oder sozialpoli­tis­che The­men dage­gen – wie unter­bezahlte Jobs, sieben Mil­lio­nen Empfänger von Trans­fer­leis­tun­gen, Armut bei jedem sech­sten Kind, die absurd ungerechte Ver­mö­gensverteilung, die per­ma­nente Euro-Krise oder der unglaubliche Abgas­be­trug – sind offen­bar nicht erre­gend genug.

  • Men­schen erster Klasse, Men­schen zweit­er Klasse | law blog → udo vet­ter hält aus guten grün­den wenig davon, (weit­ere) son­der­rechte für polizistin­nen etc. zu schaf­fen
  • Berlin­er Städte­bau — lang­weilig und fan­tasie­los | SZ → der franzö­sis­che deutsch­land-kor­re­spon­dent christophe bour­doiseau rech­net mit der städte­bau-poli­tik berlins ziem­lich gnaden­los ab:

    Seit der Wiedervere­ini­gung ori­en­tiert sich die Berlin­er Poli­tik nicht an der Sub­stanz dieser Stadt — an deren Energie und Kreativ­ität -, son­dern an den alten und staubi­gen preußis­chen Zeit­en mit deren Men­tor Karl Friedrich Schinkel.

  • Stop Prob­lema­tiz­ing Aca­d­e­m­ic Jar­gon | Slate → rebec­ca schu­man schreibt gegen die ver­ach­tung, die akademis­chem jar­gon (eigentlich ja: fach­sprache) beson­ders der geis­teswis­senschaften ent­ge­gen­schlägt. keine beson­ders orig­inelle argu­men­ta­tion, aber nett zu lesen und schließlich nie falsch …

    Per­haps the answer mov­ing for­ward, then, is not to join in the mock­ery of jar­gon, but to dou­ble down on it. Schol­ars of Yid­dish stud­ies are hap­py to tell you the thou­sand-year-old lan­guage devel­oped as a kind of secret code so that its speak­ers could talk freely under the noses of their oppres­sors (and, yes, some­times mock them). Per­haps aca­d­e­m­ic jar­gon could serve a sim­i­lar pur­pose. Yes, per­haps the last hope to prob­lema­tize fas­cis­toid non­pro­gres­sive edges, so to speak, is to reter­ri­to­ri­al­ize the oppo­si­tion­al ver­nac­u­lars. But per­haps that was the point all along, and jar­gon has been lying patient­ly and use­ful­ly in wait for all this time, a secret code in search of a fool­ish tyrant.

Emeritus

emeritus ist ein schöner beruf ...

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  • Knaus­gård ist gut, aber Hand­ke ist bess­er | FAZ → ein kluger beitrag von jan wiele zur “authen­tiz­itäts­de­bat­te”, die vor allem die “welt” (vol­lkom­men unsin­niger weise …) los­ge­treten hat

    enn man irgen­det­was aus den Debat­ten über real­is­tis­ches Erzählen der let­zten Jahrzehnte mitgenom­men hätte, müsste man eigentlich mis­strauisch wer­den angesichts ein­er solchen Schein­wirk­lichkeit­sprosa, die so tut, also könne man ein­fach „erzählen, wie es gewe­sen ist“ — und das gilt eben nicht nur für Knaus­gård, son­dern all­ge­mein.
    […] Es wirkt — nicht nur aus ein­er his­torisch-kri­tis­chen Hal­tung her­aus, son­dern auch für das per­sön­liche Empfind­en von lit­er­arischen Tex­ten — befremdlich, wenn nun hin­ter all die ästhetis­chen Über­legun­gen zum real­is­tis­chen Erzählen, vor allem aber hin­ter die Werke, die aus ihnen her­aus ent­standen sind, wieder zurück­ge­gan­gen wer­den soll und man so tut, als gäbe es irgen­dein unschuldiges, authen­tisch-nicht­fik­tionales Erzählen.

  • Gemein­nützigkeit als Türöffn­er | Bil­dungsRadar → der “bil­dungsradar” ver­sucht her­auszubekom­men, wie das ganze pro­jekt “cal­liope” funk­tion­iert bzw. funk­tion­ieren soll — und stößt auf viele mauern und einige selt­same mauscheleien …
  • Die Mode der Philosophen — Wie sich große Denker klei­den | Deutsch­landra­dio Kul­tur → nette kleine geschichte über die typgemäße klei­dung für philosophen (frauen gibt’s zum schluss auch kurz)
  • Don­ald Trump: Pop­ulis­mus als Poli­tik | Tele­po­lis → der wie meist kluge georg seeßlen im inter­view mit dominik irtenkauf über trump, demokratie/postdemokratie und medi­al insze­nierun­gen:

    Gegen ein Bünd­nis aus mehr oder weniger authen­tisch Recht­sex­tremen, Neo-Nation­al­is­ten und Exzep­tion­al­is­ten, fun­da­men­tal­is­tis­chen Markt-Anar­chis­ten, mafiös ver­net­zten Klep­tokrat­en und einem Mit­tel­stand in real­er und manip­uliert­er Abstiegsangst kann eine demokratis­che Zivilge­sellschaft nur beste­hen, wenn sie neue Ideen und neuen Zusam­men­halt find­et. Der Zusam­men­schluss der post­demokratis­chen Kräfte hinge­gen find­et seine Schubkraft dage­gen vor allem im Oppor­tunis­mus und in der poli­tis­chen und medi­alen Kor­rup­tion.
    […] Schon jet­zt gibt es irre­versible Fol­gen des Trump­is­mus, eben jene Ver­mis­chung von poli­tis­chem Amt und ökonomis­chen Inter­essen, die einst den Berlus­con­is­mus prägte, den Wan­del der poli­tis­chen Sprache, eine Spal­tung der Gesellschaft, die über alle gewöhn­lichen “poli­tis­chen Mei­n­ungsver­schieden­heit­en” hin­aus geht, eine Patron­age, Clan­wirtschaft, Abhängigkeit­snet­ze: Wir sehen einem Macht­sys­tem bei der Entste­hung zu, das viel tiefer geht als die Beset­zung eines Amtes. Und wie bei Berlus­coni lässt sich nach dem Ende der Amt­szeit nur ein Teil davon demokratisch rück­gewin­nen.

Augentrost aus fernen Zeiten

Augen­trost — das ist mal ein Buchti­tel! Dabei ist es gar keine Neuschöp­fung, denn Con­stan­ti­jn Huy­gens schrieb seine Euphra­sia schon 1647. Der Titel ist übri­gens schnell erk­lärt: Der Augen­trost (Euphra­sia offic­i­nalis) ist eine Wiesenpflanze, seinen Namen hat er auf­grund sein­er angenomme­nen Heil­wirkung. Das muss uns aber nicht weit­er beschäfti­gen, denn hier geht es ja um Lit­er­atur. Um ein Trostgedicht, das aus eher pri­vatem Anlass ent­stand (und zunächst auch noch nicht über 1000 Verse umfasste): Huy­gens, der selb­st (manch­mal) eine Brille trug, schrieb es als Trost für eine Fre­undin (die im Text als “Parthe­nine” auf­taucht) und offen­bar den Ver­lust eines Auges zu bekla­gen hat­te. Aber, wie das Nach­wort wiederum ganz richtig bemerkt, es ist mehr als ein Trostgedicht (ich würde sog­ar sagen: Es ist gar kein Trostgedicht mehr …), es ist ein richtiger Nar­ren­spiegel, der die ganze Gesellschaft — die Dichter übri­gens aus­drück­lich eingeschlossen — auf­spießt.

huygens, augentrost (cover)Huy­gens, ver­rät mir das Nach­wort des Über­set­zers Ard Posthu­ma, ist “ein Klas­sik­er der nieder­ländis­chen Lit­er­atur” (und auch ein recht pro­duk­tiv­er Kom­pon­ist, neben seinen zahlre­ichen anderen Tätigkeit­en und Berufen), in Deutsch­land aber wohl eher unbekan­nt. “Huy­gens’ Sprachvir­tu­osität war gren­zen­los”. Und das merkt man. Wobei ich das gle­ich wieder ein­schränken muss: Denn ich kenne nur die Über­set­zung. Die ist aber sehr pfif­fig. Inwieweit Posthu­ma damit der Sprache und dem Text Huy­gens’ gerecht wird, entzieht sich mein­er Beurteilung. Als deutsch­er Text, der 2016 erschien, ist er aber auf jeden Fall lesenswert. Denn Posthu­ma liefert einen Text, der nicht nur erstaunlich flüs­sig zu lesen ist, son­dern sich — und das macht das Lesev­ergnü­gen deut­lich größer — genau an das metrische Vor­bild des Orig­i­nals, die sechshe­bi­gen Jam­ben mit wech­sel­nden Kaden­zen und den Paar­reim hält. Manch­mal wird das sog­ar richtigge­hend salopp und fast flap­sig (auch der “Lah­marsch” hat einen Auftritt …).

Nun ist aber immer noch unklar, was dieser Augen­trost denn nun eigentlich ist. Kurz gesagt: Ein Langgedicht in 1002 Versen (Alexan­drinern) über die Blind­heit oder vielle­icht bess­er: über die vielfälti­gen For­men, in denen Men­schen blind sein kön­nen. Das organ­isiert Huy­gens nach ein­er kleinen Ein­führung als einen Kat­a­log von Men­schen­grup­pen, die er als blind kat­e­gorisiert. Meis­tens sind sind sie es nicht in wörtlich­er Hin­sicht, son­dern in über­tra­gen­er, weil sie das Eigentliche des Lebens — und des Glaubens, des christlichen Gottes (da bleibt Huy­gens ganz und gar ein Kind sein­er Zeit) — nicht sehen, d.h. nicht erken­nen, son­dern gierig, geizig, hastig, müßig­gän­gerisch sind. So haben sie alle einen Auftritt, die Gesun­den und Kranken, die Gelehrten und die Eifer­süchti­gen, die jun­gen Leute, die Jäger, die Schnat­ter­er, der ganze Hof — man merkt, das ist wirk­lich eine Art sozi­ol­o­gis­ches Gesellschaftspanora­ma, das Huy­gens hier entwirft. Und natür­lich sind, darum geht es ja schließlich, alle blind, ihr Sehen der Welt, ihre Sichtweise auf Men­schen, Hand­lun­gen und Dinge ist eingeschränkt — meis­tens, weil sie das große Ganze des christlichen Heil­s­planes nicht (er)kennen oder nicht im Sinn behal­ten. Auch das eigene Leid und das Leid der anderen und der Umgang mit dem Leid über­haupt spie­len immer wieder eines beson­dere Rolle. Schließlich ist das ins­beson­dere für Chris­ten ein Punkt der Prü­fung (eine Art pri­vates Theodizee-Prob­lem): Warum lässt Gott mich/die Men­schen lei­den?

Wer klagte da nicht gern, würd’s nach­her bess­er gehn! / Wer aber brächte je des Him­mels Lauf zum Stehn? Vers 49–50

Erstaunlich fand ich dabei oft den fast krassen Real­is­mus der Beschrei­bun­gen, die er benutzt. Beson­ders deut­lich wird das, wenn er die Liebeslyrik-Kon­ven­tio­nen sein­er Zeit mit der banalen (und im Ver­gle­ich zum Ide­al hässlichen) Real­ität kon­fron­tiert (Verse 360ff.). Und neben­bei find­et man auch eine inter­es­sante Abw­er­tung der (real­is­tis­chen) Malerei (460ff.), weil sie doch immer bloß ein unvol­lkommenes, unfer­tiges, unvoll­ständi­ges Abbild der Welt — dieser vol­lkomme­nen göt­tlichen Schöp­fung — darstellt. Die Liste ließe sich noch weit­er fort­set­zen — so ziem­lich jed­er Leser, jede Leserin dürfte hier auf inter­es­sante Beobach­tun­gen und Schilderun­gen stoßen.

Zum Augen­trost gehört auch noch eine kurze Vorrede (im Orig­i­nal lateinisch), voll gestopft mit Topoi der Beschei­den­heit. Das fängt schon mit ein­er War­nung — dieser Text sei nichts für Leser, die die Größe antik­er Autoren zu schätzen wis­sen — an und gipfelt in dem Hin­weis: “Sollte das Hauptwerk miss­fall­en / genieße das Bei­w­erk.” Und natür­lich funk­tion­iert es, man möchte dann erst recht weit­er­lesen. Der Rest der Para­texte (des “Bei­w­erks”) fehlt in dieser Edi­tion der Über­set­zung bei Rei­necke & Voß lei­der zum größten Teil, so dass man Huy­gens’ Empfehlung gar nicht fol­gen kön­nte. Durch Anmerkun­gen des Über­set­zers — die sich aber nur auf die Bibel­stel­len­ver­weise/-anspielun­gen beziehen, die wiederum zum großen Teil recht klar & ein­deutig sind, wird das wenig­stens zum Teil wieder wett gemacht. Die Aus­gabe ist sowieso eine, die ihr Licht unter den Schef­fel stellt (um auch ein bib­lis­ches Bild zu bemühen): das Äußere ist eher zweck­mäßig als schön, was etwa das Druck­bild (und die recht häu­fi­gen Fehler) ange­ht. Dafür ist sie aber auch recht wohlfeil zu erwer­ben.

Nur eine Sorte noch: Autoren sind auch Blinde, / beson­ders die von dir geliebten Dichter­fre­unde. / Die sind so dicht wie blind; sie sehen nur den Reim / und gehen in der Kun­st den Wörtern auf den Leim / … / Das ist Poet­en-Art, denn die zu dicht­en pfle­gen / sehen kein schöneres Ei als was sie sel­ber leg­en. / Ver­prügeln kannst du ihn, doch sagt er unen­twegt, / dass kein Poet so schön wie er die Laute schlägt. Verse 913ff., 941ff.

Soll man den Augen­trost also lesen? Wenn es nach Huy­gens selb­st geht, gar nicht unbe­d­ingt. Er begin­nt näm­lich gle­ich in der Vorrede — also direkt mit den allerersten Versen — mit ein­er War­nung:

Lies mich bitte nicht, / wenn besseres Salz dir zuste­ht / und dir keine Speise schmeckt, / die fad­er ist als die der Alten. / Lies mich bitte nicht. Wozu deine Augen / (oder ein Auge nur) peini­gen?

Aber wer lässt sich von so etwas denn schon abhal­ten? Die Lesezeit-Schätzung, die Huy­gens in seinen Text ein­flicht (Vers 137: “zum Lesen sind gut zwei, drei Stun­den vorge­se­hen”), stimmt übri­gens ziem­lich genau: Mehr als zwei, drei Stun­den benötigt man dafür nicht. Aber das sind dann doch zwei, drei sehr vergnügliche, unter­halt­same und auch belehrende Stun­den.

Con­stan­ti­jn Huy­gens: Euphra­sia. Augen­trost. Über­set­zt und her­aus­gegeben von Ard Posthu­ma. Leipzig: Rei­necke & Voß 2016. [ohne Seiten­zäh­lung]. ISBN 9783942901222
netzgebilde (unsplash.com)

Ins Netz gegangen (19.1.)

Ins Netz gegan­gen am 19.1.:

  • Worüber ich rede, wenn ich über Sex rede | Read on, my dear, read on → ein bericht aus der sex­u­alaufk­lärung für geflüchtete in deutsch­land — sehr inter­es­sant zu lesen …
  • Falk-Pos­tille | Mein Jahr mit Luther → achim landwehr über falks “pop-ora­to­ri­um” “luther”

    Man kann aus Mar­tin Luther einen Frei­heit­shelden machen. Muss man aber nicht. Man kann die ‚Botschaft‘ der Ref­or­ma­tion (wie lautete sie gle­ich noch?) in das Korsett stan­dar­d­isiert­er Musi­calmelo­di­en pack­en. Man muss sich das aber nicht anhören. Man kann die geistliche Musik des 16. bis 18. Jahrhun­derts in ein fahrstuhltauglich­es Funk­tion­s­musikgeriesel ver­wan­deln. Man muss dafür aber kein Geld aus­geben.

  • „Fake News“ und der blinde Fleck der Medi­en | Über­me­di­en → ste­fan nigge­meier über die (unehrliche) empörung über “fake news”:

    Man hat das damals nicht „Fake News“ genan­nt, weil es den Begriff noch nicht gab. Vor allem aber haben die meis­ten anderen Medi­en diese „Fake News“ nicht bekämpft, son­dern fröh­lich weit­er ver­bre­it­et.
    […] Jet­zt, auf ein­mal, ent­deck­en die Medi­en die Gefahr der „Fake News“ und wollen mit großem Ein­satz dage­gen kämpfen. Was für eine Heuchelei.

  • „Das 20. Jahrhun­dert fällt uns ger­ade auf den Kopf“ | Welt → intere­santes inter­view mit dem his­torik­er tim­o­thy sny­der — über die “lehren” aus der geschichte udn die poli­tik der gegen­wart

    Die Geschichte wieder­holt sich nicht. Sie reimt sich nicht ein­mal. Aber die Geschichtswis­senschaft zeigt uns, wie gewisse Dinge zusam­men­hän­gen. Sie weist uns auf gewisse Muster hin.
    […] aber das Beispiel Deutsch­lands lehrt uns: Das muss man gle­ich am Anfang begreifen, nicht erst am Ende. Wenn man eine „Gle­ich­schal­tung“ stop­pen will, muss man sagen: Es gefällt mir, dass wir ein föderales Sys­tem haben

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