Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2014 Seite 16 von 18

Ins Netz gegangen (11.2.)

Ins Netz gegan­gen am 11.2.:

  • Lah­n­tal: Wie die Ger­ma­nen lebten und arbeit­eten — FAZ -

    Am Rande des Lah­n­tals nahe Mar­burg soll ein Muse­ums­dorf mit Rekon­struk­tio­nen aus ver­schiede­nen Epochen entste­hen.

    — mal sehen, ob das bess­er gelingt als das Kleinkastell in Pohl

  • Psy­cholo­gie: Homo­phob? Muss nicht sein | ZEIT ONLINE — Die “Zeit” veröf­fentlicht einen sehr unaufgeregten und sach­lich gegen Homo­pho­bie argu­men­tieren­den Beitrag des Psy­cholo­gen Ulrich Klocke (der sich auch dadurch ausze­ich­net, dass er seine Quellen offen­legt und ver­linkt):

    Sex­uelle Ori­en­tierung ist keine Entschei­dung. Den­noch fühlen sich manche von Schwulen und Les­ben bedro­ht. Das lässt sich ändern

  • Ver­leger : Peter Gente, der Lei­den­schaft­sa­vant­gardist — DIE WELT — Ulf Poschardts Nachruf auf den Merve-Ver­leger Peter Gente:

    Das Merve-Uni­ver­sum fol­gte der rhi­zoma­tis­chen Struk­tur seines Best­sellers und wucherte in jene Eck­en, in denen sich orig­inelles, von Kom­pro­mis­sen und Selb­st­wieder­hol­un­gen freies Denken rück­sicht­s­los aus­to­bte. Der Ver­lag mutierte ent­lang der aus­greifend­en Neugi­er sein­er Mach­er Gente – und später Hei­di Paris, die Gentes Lebens­men­sch war.
    […] Gente war Begeis­terungsstratege.

Aus-Lese #27

Tino Hanekamp: So was von da. Köln: Kiepen­heuer & Witsch 2011. 302 Seit­en.

Der Klap­pen­text ver­heißt großes: “Ham­burg, St. Pauli, 31.12. Auf dem Kiez begin­nt die irrste Nacht des Jahres. Nur Oskar Wro­bel würde lieber liegen bleiben. Geht aber nicht. Weil ihm gle­ich sein Leben um die Ohren fliegt.” Hanekamps sprach­lich und for­mal nicht weit­er bemerkenswert­er Roman ist eine schnelle Lek­türe, die mit dur­chaus pack­en­dem Dri­ve die Geschichte der let­zten Par­ty eines Clubs in Ham­burg erzählt. Ganz schön die Deck­ung von erzählter Zeit und Tem­po der Erzäh­lung, die sich in der Steigerung bis zum Kol­laps im Rausch (der Ver­nich­tung) nieder­schlägt — dann fol­gen einige leere/blanke Seit­en, bevor der Erzäh­ler in ein­erresümieren­den Abschluss­be­merkung, die lei­der total schwach und banal ist, noch ein­mal das Wort ergreift. Viel bleibt davon nicht, aber eine nette Zeit kann man mit dem Buch schon ver­brin­gen.

Hen­ning Ahrens: Kein Schlaf in Sicht. Frank­furt am Main: S. Fis­ch­er 2008. 92 Seit­en.

Die ersten Seit­en emp­fan­gen mich mit lauter Plattheit­en in banaler Sprache — eigentlich ist das (im Kern) Prosa, noch dazu prä­ten­tioös und leer. Und so geht es lei­der weit­er: Man schleppt sich als Leser fort durch den Band, ein paar (sehr) wenige ordentlich Gedichte sind dabei, aber viel als Mit­tel­maß noch gelobtes prägt den Leseein­druck. “Stille satt”, aus dem die Titelzeile kommt, gehört noch zu den besten Gedicht­en hier. Und Kein Schlaf in Sicht stimmt lei­der über­haupt nicht — ein­er der lang­weilig­sten und ein­schläfer­nd­sten Lyrik­bände, die ich las: Nichts zün­det, alles bleibt irgend­wie reine Deskrip­tion, die auch sprach­lich über­haupt nicht imag­i­na­tiv scheint, keine neuen (Denk-/Vorstellungs-)Räume öffnet, son­dern nur „Welt“ ohne Poet­isierung bietet. Das hat mich über­rascht, den als Erzäh­ler habe ich Hen­ning Ahrens dur­chaus schätzen gel­ernt.

Rein­hard Jir­gl: Nichts von euch auf Erden. München: Hanser 2012. 510 Seit­en.

Hm, irgend­wie ver­lässt er mich hier: Selb­st als Jir­gl-Fan kann ich damit wenig anfan­gen. Klar, das ist dur­chaus handw­erk­lich geschickt. Aber auch reich­lich lang­weilig. Das liegt unter anderem daran, dass es in wesentlichen Teilen furcht­bar lan­gat­mig und weitschweifig ist. Auch seine orthografis­che Stilis­tik (oder stilis­tis­che Orthografie) hil­ft hier nur beschränkt — irgend­wie passt sie in ihrer Ver­langsamungs- und Inten­sivierung­s­ten­denz nicht zum Stoff, der eher nach Tem­po und Geschwindigkeit ver­langt. Zu durch­schaubar erscheint mir auch die Pro­jek­tion heutiger Prob­leme (ökol­o­gis­che, gesellschaftliche, poli­tis­che) gle­ich ins 25. Jahrhun­dert. Anderes miss­fällt ein­fach — so bleiben die Geschlechter­rollen etwa total im Klis­chee: Frauen­fig­uren gibt es eh‘ nur wenige, dazu noch totale alt­modis­che Rol­len­klis­chees, wie “die-eine” oder auch die begeg­nung mit der Mar­sianer­in IO, die Erfül­lung dann nur im „weib­lichen“ find­et und sich dem Mann/Sohn opfert ..

Der ganze Text scheint mir durch­zo­gen von einem (kultur-)pessimistischen Men­schen­bild, vor allem eine deut­liche Ver­ach­tung der Menge & Masse, die hier eher als Art Pöbel auf­taucht — und Objekt der Manip­u­la­tion der Herrschen­den (auf allen Ebe­nen) ist, bricht sich immer wieder Bahn. Das gipfelt dann in ein­er Endzeit, der total­en Hybris der Men­schen: Die Flucht ins All vor den Prob­le­men der Men­schheit (die vor allem aus ihren Massen resul­tieren …) schlägt fehlt, kippt in eine Art Apoka­lypse. Über­lebt wer­den Unter­gang von Mars & Erde nur von den sich selb­st (fort-)schreibenden “mor­fol­o­gis­chen Büch­ern” im “Roman der Zukun­ft”.

Hans-Ulrich Thamer: Die Völk­er­schlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon. München: Beck 2013 (C.H.Beck Wis­sen). 126 Seit­en.

Thamer begin­nt seine kleine Geschichte der Völk­er­schlacht mit ein­er sehr umfassenden und präzisen Schilderung der Hin­ter­gründe, alsoe die Entwick­lun­gen und Stel­lun­gen Europas am Beginn des 19. Jahrhun­derts. So beschreibt er die Völk­er­schlacht im Rah­men der Befreiungskriege, die Thamer vor allem als Kabi­netts- und Koali­tion­skriege wertet und dabei insofern „neue“ Kriege darstellen, als sie Massenkriege sind, die neue Bru­tal­ität freiset­zen und in der Folge eine neue Erin­nerungskul­tur, worauf Thamer eben­falls Wert legt: Der “Wan­del der Kriegs­deu­tung und Kriegser­fahrung” (115) zu ein­er “Ide­ol­o­gisierung des Krieges” im vater­ländis­chen Inter­esse ist ein zen­traler Punkt sein­er Darstel­lung.

Die eigentliche Schlacht wird dabei sehr gedrängt geschildert, ein oder zwei Karten hät­ten dem noch ganz gut getan. Zum Glück bleibt er aber nicht dabei ste­hen, son­dern fügt ein kurzes Kapi­tel zu den “Kul­turen der Gewalt” an und schließt eben mit einem großen Überblick über die Entwick­lung “vom Schlacht­feld zum Erin­nerun­gort”, das sich vor allem mit der zeit­enös­sis­chen und späteren Sin­nge­bung und Mythi­fizierung, der Ein­bet­tung in und Nutzung der Völk­er­schlacht für poli­tisch-religiöse nation­al­is­tis­che und lib­erale Diskurse beschäftigt.

außer­dem gele­sen:

  • Zeit Geschichte #3–2013 mit dem The­ma “Faschis­mus”
  • Text+Kritik 201: Ulrike Draes­ner

Taglied 10.2.2014

William Byrd, Fan­ta­sia in G:

Ins Netz gegangen (4.2.)

Ins Netz gegan­gen am 4.2.:

  • Serien­fig­uren wer­den real — Mein Leben als Men­sch — Medi­en — Süddeutsche.de — die @SZ über reale Serien­fig­uren, ver­gisst aber die schön­sten Beispiele wie @Pres_Bartlet oder “God hates us all”
  • Group Fit­ness mit Fun | Draußen nur Kän­nchen — Die liebe Nessy über den neuesten heißen Scheiß im Fit­nessstu­dio:

    Gestern war ich das erste Mal an einem Son­ntag im Fit­ti, und was sich dort abspielte, schlägt die Morn­ing Show um Län­gen. Neuester Trend in meinem Fit­ti ist Group Fit­ness mit Fun, tur­nen auf ein­er Frei­fläche – let­z­tendlich nichts anderes als Zirkel­train­ing, man ken­nt es aus staubi­gen Turn­hallen. Nur, dass die Medi­z­in­bälle nicht mehr aufge­platzt sind und nach ver­schwitztem Led­er riechen; das Ambi­ente ist ein biss­chen bunter, hip­per und pep­piger. Am Ende machen trotz­dem alle Liegestütze und Kniebeu­gen und Streck­sprünge; am Ende ist die Qual. Pfiff, näch­ste Übung.

    Es scheint aber, als merk­ten die Group-Fit­tis nicht, was ihnen ange­dreht wird.

  • Fefes Blog — “Seit­dem der Guardian ihre Fest­plat­ten zer­stört hat” — da kräuseln sich meine sämtlichen Zehen­nägel … >
  • The Art Song Project » Gus­tav Lewin Ich will meine Seele tauchen / I want to immerse my soul
  • Clau­dio Abba­do — an orches­tral violinist’s per­son­al trib­ute | Lat­est | The Strad — Stan­ley Dodds, Vio­lin­ist der Berlin­er Phil­har­moniker, erin­nert sich an das Musizieren mit Clau­dia Abba­do:

    Off the podi­um Clau­dio came across as shy, gen­tle, soft­ly spo­ken, a lit­tle mys­te­ri­ous and quite enig­mat­ic. In per­for­mance, he became a con­duit between the forces assem­bled on stage and the emo­tion­al nar­ra­tive that resides in the music, com­plete­ly trans­par­ent and with­out an inter­fer­ing ego. Rehearsals seemed to be very much part of an ongo­ing cre­ative process for Clau­dio, a process not always with a clear objec­tive and where doubts still have a place. In con­cert all doubt would be cast aside as he would draw upon the rehearsals and chan­nel the ten­sion present on stage into per­for­mances of great inten­si­ty, where the mag­i­cal qual­i­ty of music to break free of all phys­i­cal bound­aries became appar­ent.

  • Euro­peana 1914–1918 — Ihre Fam­i­liengeschichte zum Ersten Weltkrieg — Dig­i­tal­isate von Quellen, per­sön­liche Geschicht­en, Filme und vieles mehr: große europäis­che Samm­lung von Mate­ri­alien und Pro­jek­ten zum Ersten Weltkrieg
  • Mod­ewel­ten in Wies­baden: Ehrfurcht oder volle Tüten — Rhein-Main — FAZ — »Bei H&M trifft man in ein­er hal­ben Stunde mehr Per­son­al als in einem ganzen Jahr im Bau­markt.« >
  • Are there ben­e­fits to sin­gle-sex edu­ca­tion? | junq.info — Are there ben­e­fits to sin­gle-sex edu­ca­tion?
  • — kurze Antwort: nein. Aber ver­mut­liche Nachteile

Aus-Lese #26

Wolf­gang Her­rn­dorf: Arbeit und Struk­tur. Berlin: Rowohlt 2013. 447 Seit­en.

Das Blog von Wolf­gang Her­rn­dorf, eben “Arbeit und Struk­tur”, habe ich erst recht spät wahrgenom­men und dann auch immer etwas gefremdelt. Hier, in sein­er Ganzheit, wirkt das sehr anders. Und jet­zt ist Her­rn­dorfs Weblog “Arbeit und Struk­tur” wirk­lich so großar­tig, wie es viele Rezensen­ten beschreiben. Aber nicht, weil es so beson­ders direkt und “authen­tisch” ist (das ist es nicht, es ist Lit­er­atur und sorgfältig bear­beit­et), son­dern weil es den Ein­druck von Ehrlichkeit und skruti­nös­er Selb­st­be­fra­gung ver­mit­teln kann — ger­ade in den schwieri­gen Sit­u­a­tio­nen, z.B. dem Emp­fang der Diag­nose, den Berech­nun­gen der verbleiben­den Leben­szeit. Und weil es scho­nungs­los die Schwierigkeit­en recht unmit­tel­bar darstellt. Etwa auch die Verzwei­flung, dass es in Deutsch­land kaum möglich ist, als tod­kranker Men­sch sein Lebensende wirk­lich selb­st zu bes­tim­men. Schon früh tauchen die Über­legun­gen zu ein­er “Exit­strate­gie” (79) auf. Deut­lich merkt man aber auch einen Wan­del in den drei Jahren: vom lock­eren (beina­he …) Anfang, als Her­rn­dorf sich vor allem in die Arbeit (an Tschick und Sand) flüchtet, hin zum bit­teren, harten Ende. Das man­i­festiert sich auch in der Sprache, die dichter und härter, ja kantiger wird. Natür­lich geht es hier oft um die Krankheit, den Hirn­tu­mor (die “Raum­forderung”), aber nicht nur — er beschreibt auch die kleinen Siege des All­t­ags und die Seg­nun­gen der Arbeit, die poet­is­chen Gedanken: “Arbeit und Struk­tur” dient auch als Form der Ther­a­pie, die manch­mal selb­st etwas man­isch wird, manch­mal aber auch nur Pflicht ist; ist aber zugle­ich auch eine poet­is­che Arbeit mit den entsprechen­den Fol­gen.

Ich erfinde nichts, ist alles, was ich sagen kann. Ich samm­le, ich ordne, ich lasse aus. Im Über­schwang spon­tan­er Selb­st­drama­tisierung erkennbar falsch und unge­nau Beschriebenes wird oft erst im Nach­hinein neu beschrieben. (292)

Ein großer Spaß, dieses Ster­ben. Nur das Warten nervt. (401)

Michel Fou­cault: Der Wille zum Wis­sen. Sex­u­al­ität und Wahnsinn I. Frank­furt am Main: Suhrkamp 2012 (1983). 153 Seit­en.

Den Klas­sik­er der Diskurs­the­o­rie habe ich jet­zt endlich auch mal gele­sen — nicht so sehr um des The­mas, also der Unter­suchung der Erzäh­lung der Befreiung der Sex­u­al­ität, willen, son­dern der Meth­ode willen. Fou­cault zeigt ja hier, wie Macht­struk­turen in Diskursen und Dis­pos­i­tiv­en sich real­isieren, hier am Beispiel der Sex­u­al­ität und der Entwick­lung des Sprechens über sie, also der Reg­ulierung von Sex­u­al­ität in der Neuzeit Europas. Ins­beson­dere die Ubiq­ui­tät von Macht(strukturen) ist entschei­dene, die auch nicht irgend­wie zen­tral ges­teuert sind (und gegen­teilige Ergeb­nisse haben kön­nen: “Ironie dieses Dis­pos­i­tivs: es macht uns glauben, daß es darin um unsere ‚Befreiung‘ geht.” (153)).

Entschei­dend ist hier ja Fou­caults neuer Begriff von Macht, der über den Diskurs & nicht­diskur­sive For­ma­tio­nen geprägt ist. Dazu noch die Idee der Dis­pos­i­tive als Samm­lung von Umset­zungsstrate­gien, die über Diskurse hin­aus gehen und z.B. hier auch päd­a­gogis­che oder architek­tonis­che Pro­gramme umfasst — das ergibt die Beobach­tung der Macht von “unten”, die im Geständ­nis der Sex­u­al­ität Ver­hal­tensweisen und Ord­nun­gen der Gesellschaft aushan­delt.

Mara Gen­schel: Ref­eren­zfläche #3.

Dieses kleine, nur bei der Autorin selb­st in lim­i­tiert­er Auflage zu bek­om­mende Heft ist ein einzi­gar­tiges, großes, umfassendes Spiel mit Worten und Tex­ten und Bedeu­tun­gen und Lit­er­atur oder “Lit­er­atur”: Zwis­chen Cut-Up, Mon­tage, exper­i­mentell-avant­gardis­tis­ch­er Lyrik, Ready-Mades und wahrschein­lich noch einem Dutzend ander­er Kün­ste vagabundieren die sprach­spielerischen Text‑, Sprach‑, und Wort­fet­zen, die sich gegen­seit­ig ergänzen, per­mu­tieren und vari­ieren. Einige davon sind wirk­lich im wahrsten Sinne des Wortes Fet­zen: Aus­risse aus anderen Texte, aus jour­nal­is­tis­chen oder hand­schriftlich-pri­vat­en Erzeug­nis­sen, die hier mon­tiert und gek­lebt sind. Manch­es hin­ter­lässt ein­fach Rat­losigkeit, manch­es ruft ein amüsantes Augen­brauen­heben her­vor — und manche Seite begeis­tert ein­fach. Ob das Schar­la­taner­ie oder Genial­ität ist — keine Ahnung, ehrlich gesagt. Lang­weilig ist es aber auf jeden Fall nicht.

Peter Hand­ke: Die schö­nen Tage von Aran­juez. Ein Som­mer­dia­log. Berlin: Suhrkamp 2012. 70 Seit­en.

Ich habe oft solch eine Lust, zu erzählen, vor allem diese Erfahrung — diese Geschichte. Aber sowie ich bedrängt werde mit ‚Erzähl!‘: Vor­bei der Schwung. (9)

Ein karges Stück, das allein von sein­er Sprache lebt: “Ein Mann” und “Eine Frau” sitzen sich gegenüber und führen einen Dia­log. Nun ja, sie reden bei­de, aber nicht immer miteinan­der. Offen­bar gibt es vorher vere­in­barte Regeln und Fra­gen, deren Ver­stöße manch­mal moniert wer­den. Es geht um viel — um die Geschichte und Geschicht­en, ums Erzählen und die Erin­nerung. Aber auch um Licht und Schat­ten, Anziehung, Gebor­gen­heit und Ent­frem­dung oder Ernüchterung, um Begehren und Liebe. Dahin­ter ste­ht ein spielerisch-erzäh­lerisch-tas­ten­des Aus­loten der Beziehung(smöglichkeiten) zwis­chen Mann und Frau. Das Ganze — es sind ja nur wenige Seit­en — ist poet­isiert bis zum geht nicht mehr. Genau darin aber ist es schön!

Zum Glück ist das hier zwis­chen uns bei­den kein Dra­ma. Nichts als ein Som­mer­dia­log. (43)

Laß uns hier schweigen von Liebe. Höch­sten vielle­icht ein bißchen Melan­cholie im November.(49)

The Day the Music Died

Heute vor 55 Jahren starb die Musik: Bud­dy Hol­ly, Ritchie Valens und The Big Bop­per star­ben bei einem Flugzeu­gab­sturz. Don McLean hat ihnen mit Amer­i­can Pie ein unvergesslich­es Denkmal geset­zt. Auch Wolf­gang Welts Bud­dy Hol­ly auf der Wil­helmshöhe mit den drei Roma­nen Peg­gy Sue (der Welts Ruhm begrün­dete), Der Tick und Der Tun­nel am Ende des Lichts erin­nert an diese Zeit.

Don McLean — The mean­ing of Amer­i­can Pie (UPDATE)

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
BUDDY HOLLY — Peg­gy sue — Vidéo clip

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

Fortschritt

Über­haupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer auss­chaut, als er wirk­lich ist.
Lud­wig Wittgen­stein, Philosophis­che Unter­suchun­gen

Tafel und Staat

Der “Spiegel” schreibt über die “Tafel”-Bewegung und ihre Prob­leme. Und er schafft es, das zen­tral­ste aller Prob­leme mit dieser Organ­i­sa­tion vol­lkom­men auszublenden: Ihre Notwendigkeit. Denn sollte es in einem der reich­sten Län­der der Welt nicht selb­stver­ständlich sein, dass der Staat, der dafür man­nig­faltige Instru­mente (die aus Abgaben der Bevölkerung bezahlt wer­den) zur Ver­fü­gung hat, eine grund­sät­zliche Lebenssicherung sein­er gesamten Bevölkerung und nicht nur der arbei­t­en­den gewährleis­ten? Das ist auch genau der Grund, warum ich die “Tafeln” — so ehren­wert sie im Einzel­nen sind — für die falsche Aktion halte: Die gnaden­volle und barmherzig Abgabe von “Rest”-Lebensmitteln an Bedürfti­gen — das ist ein Rück­fall ins katholis­che 19. Jahrhun­dert. Die richtige Lösung ist natür­lich der Anspruch auf entsprechende Ver­sorgungsleis­tun­gen, z.B. eben über aus­re­ichende Hartz-IV-Sätze. Dass der “Spiegel” das nicht merkt, halte ich für ziem­lich schwach — und typ­isch, denn dieser Punkt geht in der Diskus­sion immer wieder ver­loren.

Mancherorts über­nah­men die Wohltätigkeitsvere­ine Auf­gaben des Sozial­staats.

So heißt es dann auch noch — fast wie im Hohn — im “Spiegel”-Artikel, wenn es um Zusat­zleis­tun­gen der “Tafeln” wie Kur­sange­bote etc. geht. Mir bleibt fast die Sprache weg, wenn ich so etwas lese.

Twitterlieblinge Januar 2014


http://twitter.com/UteWeber/status/421322356259581952
http://twitter.com/guenterhack/status/422623984979419136


https://twitter.com/alios/status/424267641663258624

Aus-Lese #25

Marc Augé: Die For­men des Vergessens. Berlin: Matthes & Seitz 2013. 106 Seit­en.

Augé plädiert in diesem Essay dafür, Vergessen als Teil der Erin­nerung vom Ruch des Makels zu befreien: Vergessen ist für ihn insofern unau­flös­lich mit dem Erin­nern ver­bun­den, weil über­haupt nur durch das Vergessen von manchem manch­es erin­nert wer­den kann und als Erin­nerung ver­füg­bar sein kann. Die Sicht ist die des Eth­nolo­gen (und die Reflek­tion sein­er Methode(n) nimmt erhe­blichen Raum ein): Die zeitliche Gebun­den­heit der Fik­tion (bzw. der Nar­ra­tion) des Lebens, aus der der Eth­nologe (bei Augé gibt es keine Frauen ;-)) seine Erzäh­lun­gen formt, sind ein wiederkehren­des Motiv. Und diese Erzäh­lun­gen sind für ihn auf allen Ebe­nen immer Pro­duk­te des Gedächt­niss­es, wom­it das Vergessen wieder ins Spiel kommt. Fast neben­bei liefert er dazu viel Mate­r­i­al und Anek­doten aus dem Schatz des Eth­nolo­gen zu Erin­nern und Vergessen, aber eigentlich vor allem zu Fik­tion und Erzäh­lung (in die Vergessen und Erin­nern hier immer einge­bun­den sind).

Vergessen ist für Augé nicht nur als Ele­ment der Erin­nerung zu ver­ste­hen, son­dern als pro­duk­tiv­er Vor­gang der Erzäh­lung (und damit Gestal­tung) der Wirk­lichkeit — denn Vergessen, so Augé, öffnet Möglichkeit­en, Poten­tial­itäten der Ver­gan­gen­heit, der Gegen­wart oder der Zukun­ft. Also genau das, was Indi­viduen und Gemein­schaften brauchen:

Gedächt­nis und Vergessen bedin­gen sich gegen­seit­ig, bei­de sind notwendig zum umfassenden Gebrauch der Zeit. […] Das Vergessen führt uns zur Gegen­wart zurück […]. Man muss vergessen, um anwe­send zu bleiben, vergessen, um nicht zu ster­ben, vergessen, um treu zu bleiben. (102f.)/

Alexan­der Losse: Stro­phen. Berlin: Karin Kramer 2010. 65 Seit­en.

Stro­phen ist ein extrem deskrip­tiv­er Titel, denn das Lyrikde­büt Loss­es enthält genau das: Stro­phen. Genauer: 62 einzelne Stro­phen, alles Vierzeil­er (eine sechsver­sige Stro­phe ist auch dabei) mit dem sehr auf­fal­l­en­de­nen Ele­ment des Kreuz- bzw. umar­mende Reims organ­isiert. Getra­gen wer­den die kurzen Gedichte Loss­es durch ihre Lied­haftigkeit. Auch eine gewisse, schwebende Leichtigkeit ist ihrer Sprache eigen. Vor allem spricht aus ihnen (fast) allen aber ein großer, exis­ten­tieller Ernst: “Ver­wüs­tung eine Seele schuf” heißt es zum Beispiel gle­ich in der ersten Stro­phe. Fra­gende Meta­phern, offen für Antworten oder Ein­würfe bes­tim­men die meis­ten Stro­phen. Sie kön­nen sich auch recht gut ver­lieren — in der Kürze, der Klein­heit und der (fes­ten, vorgebe­nen, unange­tasteten) Form. Und manch­mal bleiben sie auch ein­fach in der Banal­ität des Reims und der religiös-christlich-kirch­lichen Meta­phern steck­en, so dass ich nicht so recht weiß, ob ich — bei eini­gen sicher­lich sehr guten „Stro­phen“ — den ganzen Band wirk­lich richtig gut finde …

XLVI
Gehst so leise in die Kirche,
fliehst so spät zum untern Grund.
Wessen Hand hat nur berühret,
wessen Weg dich herge­führet,
wessen Opfer schweigt dein Mund.
Gehst so leise in die Kirche.

Paulus Böh­mer: Kad­dish I‑X. Frank­furt am Main: Schöf­fling 2002. 345 Seit­en.

großar­tig: Die Form des Kad­dish, des jüdis­chen Trauerge­betes, nutzt Böh­mer, um den Leser mit so ziem­lich allem zu kon­fron­tieren, was sich denken lässt: Im Modus der Vergänglichkeit tauchen Sex­u­al­ität und Phan­tasie, Bil­dung und Erleben, Hochkul­tur und Under­ground neben‑, über- und hin­tere­inan­der auf. Das ist in sein­er Dichte und vor allem der per­ma­nen­ten Anspan­nung kaum am Stück zu lesen. Zehn Kad­dishs ver­sam­melt Böh­mer in diesem Band (inzwis­chen ist ja noch ein zweit­er erschienen), als eine Art Langgedichte mit 12 bis 50 Druck­seit­en Länge — also ganz schöne Brock­en. Und da Böh­mer immer mit ein­er kun­stvoll gesucht­en, unge­heuer vielfälti­gen, reichen Sprache auf höch­stem Niveau arbeit­et, ver­langt das auch dem Lesen viel Konzen­tra­tion, Aufmerk­samkeit und Durch­hal­tewil­len ab — Anstren­gun­gen, die sich aber lohnen, denn in sein­er konzen­tri­erten Erschöp­fung der Vergänglichkeit der Welt und des Lebens ist Böh­mer ein großar­tiger Lyrik­er.

Johannes Fried: Karl der Große. Gewalt und Glaube. Eine Biogra­phie. München: Beck 2013. 736 Seit­en.

Der Ver­lag — und auch einige Rezensen­ten — kön­nen sich ja vor Begeis­terung über diesen Wälz­er kaum einkriegen. Ganz so ging es mir nicht. Das liegt aber nur zum Teil an Fried selb­st, son­dern auch am Ver­lag. Nervig fand ich die — für einen Ver­lag wie Beck! — extrem niedrige Lek­torak­ts- und Pro­duk­tion­squal­ität. Ein paar Beispiele: die Kapitälchen ohne Klein­buch­staben, Flüchtigkeits­fehler (wie die falsche Veror­tung Ingel­heims auf der Karte oder falsche, nicht erk­lärte Abkürzun­gen im Text) und der auf Dauer etwas steife Stil, der etwas lek­to­ri­erende Glät­tung dur­chaus ver­tra­gen hätte, falsche Anmerkun­gen, die ver­wirrende Num­merierung der Abbil­dun­gen und Farbtafeln, das fehlende Abbil­dungsverze­ich­nis, der falsche Kolum­nen­ti­tel im Appen­dix, der bil­lige Umschlag …

Aber es geht ja um den Text selb­st. Der bietet sehr, sehr viel — aber nicht unbe­d­ingt das, was der Unter­ti­tel ver­spricht. “Eine Biogra­phie” ist das näm­lich aller­höch­stens periph­er, eigentlich über­haupt nicht. Das Leben eines karolingis­chen Herrsch­ers ist ja nicht mehr auszu­loten, worauf Fried selb­st natür­lich hin­weist — also bre­it­et ein Mit­te­lal­ter-His­torik­er alles aus, was er aus und über diese Zeit weiß. Das ist manch­mal sehr all­ge­mein und manch­mal sehr speziell (wie sich über­haupt mir manch­mal der Ein­druck auf­drängte, dass Fried nicht so genau wusste, für wen er eigentlich schreiben will: für den inter­essierten Laien? — Dafür set­zt er ziem­lich oft sehr gründliche Vorken­nt­nisse voraus. Für die Fachkol­le­gen? Dafür ist manch­es etwas all­ge­mein bis über­flüs­sig (und die Anmerkun­gen bzw. das Lit­er­aturverze­ich­nis etwas unge­nau …). Ger­ade das Panora­ma der früh­mit­te­lal­ter­lichen Welt macht diesen Karl aber so wertvoll.

Und Frieds Ansatz, Karls Leben und Hand­lun­gen mit zwei Moti­va­tion­ssträn­gen — den im Unter­ti­tel genan­nten Kom­plex­en “Gewalt” und “Glaube” — zu erk­lären, ist dur­chaus nachvol­lziehbar und richtig. Auch wenn, wie er es selb­st entwick­elt, die “Gewalt” — ins­beson­dere eben die Kriege wie die gegen die Sach­sen — (fast) immer aus dem “Glauben” erwächst. Das gelingt Fried übri­gens sehr schön, der Ver­such, Karl und seine Moti­va­tion aus dem Wis­sen und den Überzeu­gun­gen sein­er Zeit zu erk­lären. Fast bestechend wird das etwa bei der Frage nach der Kaiserkro­ne — ein Unternehmen, dass Fried dur­chaus schlüs­sig mit dem Ver­weis auf die ver­bre­it­ete und wahrgenommene Endzeit­stim­mung um 800 erk­lären kann.

Ann Cot­ten: Der schauernde Fäch­er. Erzäh­lun­gen. Berlin: Suhrkamp 2013. 253 Seit­en.

Obwohl ich Ann Cot­ten als Lyrik­erin dur­chaus mit Wertschätzung und Inter­esse wahrgenom­men habe, kann ich mit ihrem ersten Erzäh­lungs­band eher wenig anfan­gen. Das ist sehr wild, ungezähmt, unge­formt scheint es oft — wuch­ernd in Phan­tasie und Stil. Meistens/immer geht es um Liebes­beziehun­gen, um den Beginn ein­er Ver­trautheit und Zunei­gung und Liebe — aber in sehr selt­samen Kon­fig­u­ra­tio­nen und Beschrei­bun­gen. Schön und klug sind die eingear­beit­eten (oft eher unauf­fäl­li­gen, sel­ten expliziten) Gen­der-The­ma­tisierun­gen. Manch­es hat dur­chaus poet­is­ches Poten­tial, das sich auch beim ersten Lesen zeigt. Anderes erschien mir eher fahrig und ausufer­nd, mehr Ein­fall als Form, mehr Idee als Ausar­beitung, mehr Prä­ten­tion als Ein­lö­sung. Aber vielle­icht bin ich da etwas ungerecht — jeden­falls ver­spürte ich öfters ein­fach keine Lust, micht auf diese Tex­twel­ten wirk­lich einzu­lassen (warum auch immer).

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén