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Schlagwort: weimarer republik

Die Weimarer Literatur als Zeitschrift

Ein inter­es­santes Unternehmen startet Jörg Miel­czarek ger­ade: Die Lit­er­atur der Weimar­er Repub­lik als Zeitschrift. Fünf. Zwei. Vier. Neun. Zeitschrift für Gesellschaft, Kul­tur und Lit­er­atur in den 5.249 Tagen der Weimar­er Repub­lik soll die heißen und führt damit die Dauer der Weimar­er Repub­lik im Titel (ich hab’s nicht nachgerech­net …). Miel­czarek hat dafür auf Start­next eine Crowd­fund­ing-Kam­pagne ges­tartet, in der das Pro­jekt der monatlich erscheinen­den Zeitschrift mit beglei­t­en­der Buchrei­he natür­lich auch aus­führlich vorgestellt wird. Starten soll das ganze passend am 9. Novem­ber.

Die Vorstel­lung liest sich ein biss­chen wie “Buch als Mag­a­zin” meets Lit­er­aturzeitschrift meets lit­er­aturhis­torische Arbeit:

Die Weimar­er Repub­lik ist nicht nur aus his­torisch­er Sicht eine der bedeu­tend­sten Epochen der deutschen Geschichte. Es war auch die Zeit großer Schrift­steller und großer Lit­er­atur. Die Ereignisse zwis­chen 1918 und 1933 – Ende des 1. Weltkrieges, Ver­sailler Ver­trag, Weltwirtschaft­skrise, Auf­stieg des Nation­al­sozial­is­mus – bilden dabei den Hin­ter­grund für außergewöhn­liche Romane, her­aus­ra­gende Erzäh­lun­gen und für The­ater­stücke, die für Furore sorgten. Welt­bekan­nte Autoren wie Thomas und Hein­rich Mann, Hans Fal­la­da, Bertolt Brecht, Her­mann Hesse oder Franz Kaf­ka sind untrennbar mit dieser Epoche ver­bun­den. Aber auch weniger bekan­nte Lit­er­at­en wie zum Beispiel Marieluise Fleißer, Leon­hard Frank, Irm­gard Keun oder Edlef Köp­pen, deren Werke heute oft ver­grif­f­en sind, haben die beson­dere Atmo­sphäre dieser Zeit in ihren Stück­en, Roma­nen und Gedicht­en einge­fan­gen und zu Papi­er gebracht. Es ist daher an der Zeit, dass die Lit­er­atur der Weimar­er Repub­lik endlich ein angemessenes Forum bekommt.

Dieses Forum soll die monatlich erscheinende Zeitschrift „Fünf. Zwei. Vier. Neun.“ sein, eine Zeitschrift für Gesellschaft, Kul­tur und Lit­er­atur in den 5.249 Tagen der Weimar­er Repub­lik. Jede Aus­gabe wid­met sich dabei einem Schw­er­punk­t­the­ma. Bei der Null­num­mer wird dies die Weltwirtschaft­skrise sein, und nicht von unge­fähr ist Hans Fal­ladas Roman „Klein­er Mann, was nun?“ die Titelgeschichte dieser Aus­gabe. Kein ander­er Roman macht die Angst und die Verun­sicherung der Angestell­ten und Arbeit­er zu dieser Zeit so spür­bar wie dieses Meis­ter­w­erk. Auf cir­ca 100 Seit­en wer­den zusät­zlich weit­ere Stücke, Reporta­gen, Erzäh­lun­gen und Gedichte zu diesem Schw­er­punk­t­the­ma veröf­fentlicht – diese wer­den zudem durch den orig­i­nal­ge­treuen Abdruck von Zeitungsar­tikeln aus dieser Zeit in einen his­torischen Kon­text gebracht. Herzstück der Null­num­mer ist das kom­plette The­ater­stück „Die Berg­bahn“ von Ödön von Horváth in der Mitte des Heftes, das sep­a­rat her­aus­trennbar ist. Ein solch­es „Heft im Heft“ mit einem kom­plet­ten Orig­inal­text wird jede Aus­gabe haben.

„Fünf. Zwei. Vier. Neun.“ ist aber mehr als nur eine Zeitschrift. Zu jed­er Aus­gabe erscheint daher ein Taschen­buch mit weit­eren Tex­ten zum Schw­er­punk­t­the­ma des Monats. Der Fokus liegt dabei auf Erzäh­lun­gen und Werken von Autoren, die heute lei­der kaum jemand mehr ken­nt. Eine echte Fund­grube für Lit­er­aturlieb­haber, in der es viel Neues zu ent­deck­en gibt!

Wenn ich ehrlich bin: Ich bin etwas skep­tisch, ob das wirk­lich — und über mehrere Num­mern, dauer­haft und dann auch noch jeden Monat — funk­tion­ieren wird. Aber das war ich bei anderen Zeitschriften, ger­ade beim “Buch als Mag­a­zin”, auch — und wurde des Gegen­teils belehrt … Das darf hier gerne auch passieren, der Gegen­stand und das Engage­ment von Miel­czarek, der sich schon länger mit der Lit­er­atur der Weimar­er Repub­lik beschäftigt, wären es auf jeden Fall wert.

Also: Span­nend und inter­es­sant ist das sich­er und auch eine kleine finanzielle Unter­stützung wert (zumal das beim Crowd­fund­ing ja keine Spende ist, man bekommt ja einiges dafür). Ich bin jeden­falls ges­pan­nt, was daraus wird — die Zwis­chenkriegszeit bietet ja eine sehr reich­haltige und reich dif­feren­zierte Lit­er­atur, die heute kaum noch in ihrer Bre­ite und Tiefe bekan­nt ist. Wenn Fünf. Zwei. Vier. Neun. daran etwas ändern kann, wäre ja schon viel erre­icht … Und wenn noch eine inter­es­sante, lesenswerte Zeitschrift bei her­auskommt, die unsere Gegen­wart bere­ichert — umso bess­er!

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  • Fleu­ron → coole sache: eine daten­bank von orna­menten des buch­drucks des 18. jahrhun­derts

    Fleu­ron is a data­base of eigh­teenth-cen­tu­ry print­ers’ orna­ments. Eigh­teenth-cen­tu­ry books were high­ly dec­o­rat­ed and dec­o­ra­tive. Their pages were adorned with orna­ments that ranged from small flo­ral embell­ish­ments to large and intri­cate head- and tail­pieces, depict­ing all man­ner of peo­ple, places, and things. Fleu­ron includes orna­ments cut by hand in blocks of wood or met­al, as well as cast orna­ments, engrav­ings, and fleu­rons (orna­men­tal typog­ra­phy).

    Print­ers’ orna­ments are of inter­est to his­to­ri­ans from many dis­ci­plines (learn more here), not least for their impor­tance as exam­ples of ear­ly graph­ic design and crafts­man­ship. These minia­ture works of art can help solve the mys­ter­ies of the book trade, and they can be used to detect pira­cy and fraud.

  • We Need to Save the Inter­net from the Inter­net of Things | Moth­er­board → bruce schneier über die sicher­heit­sprob­leme, die — schon jet­zt abseh- und spür­bar, in naher zukun­ft aber um ein vielfach­es poten­ziert — das “inter­net of things” darstellt

    What this all means is that the IoT will remain inse­cure unless gov­ern­ment steps in and fix­es the prob­lem. When we have mar­ket fail­ures, gov­ern­ment is the only solu­tion. The gov­ern­ment could impose secu­ri­ty reg­u­la­tions on IoT man­u­fac­tur­ers, forc­ing them to make their devices secure even though their cus­tomers don’t care. They could impose lia­bil­i­ties on man­u­fac­tur­ers

    we need to build an inter­net that is resilient against attacks like this. But that’s a long time com­ing.

  • „vor­wärts“ und nicht vergessen? | car­ta → klaus vater über den “vor­wärts”, mit inter­es­san­ten anek­doten
  • Was läuft: Musik war immer wichtig | der Fre­itag → über die musik, die serien für die end-cred­its benutzen …
  • Weimar­er Repub­lik: Hat­te Weimar eine Chance? | ZEIT ONLINE → die “zeit” stellt zwei bew­er­tun­gen der weimar­er repub­lik gegenüber — von tim b. müller und andreas wirsching. inter­es­sant die unter­schiede (müller wieder­holt, was er seit zwei jahren auf allen kanälen mit­teilt …), aber auch die gemein­samkeit­en. und vielle­icht sollte man die bei­den ansätze/bewertungen über­haupt gar nicht so sehr als gegen­sätze, son­dern als ergänzun­gen betra­cht­en …

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  • Elke Hei­den­re­ich im Lit­er­atur­club: Die Ver­luderung der Kri­tik | NZZ → der lit­er­aturkri­tik­er der nzz, roman buche­li, hält wenig von der momen­ta­nen fernseh-lit­er­atur-kri­tik:

    Dort die Brüll-Kri­tik, hier die Schleim-Kri­tik, bei­des müsste man nicht ernst nehmen, wäre die Wirkung nicht so ver­heerend, denn die Kri­tik selb­st wird damit beschädigt. Das alles ist umso beden­klich­er, als es aus­gerech­net öffentlich-rechtliche Rund­funkanstal­ten sind, die unter dem Vor­wand, Lit­er­aturkri­tik zu betreiben, sie kor­rumpieren und der Ver­luderung preis­geben. Das ist kein Ser­vice pub­lic, son­dern öffentliche Selb­st­de­mon­tage.

  • Rad fahren in Gronin­gen: Was passiert wenn alle Rad­fahrer ein­er Kreuzung gle­ichzeit­ig grün haben? | RBNSHT → schöne idee/versuch in gronin­gen: an ein­er kreuzung gibt es eine phase, in der alle rad­fahrer aus allen/in alle rich­tun­gen gle­ichzeit­ig grün haben. und es funk­tion­iert …
  • Schuld ist nicht die Dig­i­tal­isierung — Fre­i­t­ext → ein etwas wehmütiger “nachruf” auf die bib­lio­theken, der lei­der in sehr vie­len punk­ten recht hat

    „Tre­ff­punk­te des Aus­tausches, Orte der Begeg­nung“ – so, heißt es auf der Web­site der Zen­tral­bib­lio­thek Berlin, sollen Bib­lio­theken heute sein. Habe ich irgend­was falsch ver­standen? Ich will in der Bib­lio­thek nie­man­dem begeg­nen. Ich will mich auch nicht aus­tauschen, wenn ich in die Bib­lio­thek gehe. Ich will mich an einen stillen Ort begeben, an dem jemand sich ein kluges Sys­tem aus­gedacht hat, in dem Büch­er und andere Medi­en geord­net beieinan­der ste­hen.

  • The myth of the well-admin­is­tered Ger­man city – Homo Lud­di­tus → schön­er blog­post, der am beispiel der baden-würt­tem­ber­gis­chen stadt leon­berg zeigt, wie mis­er­abel es um das öffentliche bauwe­sen in deutsch­land ste­ht (vor allem was die aufsicht/kontrolle von baustellen ange­ht — da muss ich vol­lends zus­tim­men), und wie wenig die städtis­che ver­wal­tung dort (und wieder: das ist ein typ­is­ches phänomen) dem ruf der deutschen effizienz und ord­nung entspricht
  • Auto: Voll outo!? | Zeit → der großar­tige burkhard straß­mann über die mobil­ität von jun­gen leuten und ihre (ange­bliche) abkehr vom auto(besitz)

    Der Mul­ti­modal-Surfer gleit­et in Out­doorhose und Trekkingschuhen durch den urba­nen Dschun­gel, schnell, flex­i­bel und ele­gant, und ist dabei stets mit Leuten über sein Smart­phone ver­net­zt. Alles, was sich bewegt, kann seinem Fortkom­men dienen, U‑Bahn, Taxi, Fahrrad oder Miet­fahrrad, Mut­ters Polo, Mit­fahrgele­gen­heit­en, der Flixbus oder das Long­board.

  • Wahlplakate in der Weimar­er Repub­lik (1919 — 1933) → eine samm­lung von wahlplakat­en, gut auf­bere­it­et und zugänglich
  • „Spitzen­man­ag­er sind da nur arme Schluck­er“ | der Fre­itag → gutes inter­view mit dem elitenforscher=soziologe michael hart­mann über eliten, reich­tum, macht und auf­stiegsmöglichkeit­en
  • Haenchen: Par­si­fal „nochmal richtig machen“ | fest­spiele­blog → ein span­nen­des inter­view mit hart­mut haenchen, dem diri­gen­ten des diesjähri­gen “par­si­fal” bei den bayreuther fest­spie­len, unter anderem über tex­tkri­tis­che fra­gen der wag­n­er-par­ti­tur und das arbeit­en in bayreuth

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  • Buch­markt : Zwis­chen Müt­teraskese und Flat­ter­haftigkeit | ZEIT ONLINE — erhard schütz geht der frage nach, warum sich “wieder­ent­deck­un­gen” und neuau­fla­gen ger­ade von roma­nen aus der weimar­er repub­lik so großer (und meist sehr kur­zlebiger) beliebtheit freuen

    Den­noch sind ger­ade kleinere Ver­lage uner­müdlich damit beschäftigt, Ver­gan­ge­nes, Ver­drängtes, Vergessenes auszu­graben. Inzwis­chen sind es auch die fün­fziger bis siebziger Jahre des ver­gan­genen Jahrhun­derts, die vor allem auf damals Unver­standenes, Skan­dalös­es oder ver­meintlich zu Schwieriges, Anspruchsvolles durch­sucht wer­den. Aber noch immer ist es die Weimar­er Repub­lik, die die meis­ten Neuau­fla­gen liefert. Zum einen mag die Fasz­i­na­tion an der frechen Leichtigkeit der Liebes- und All­t­agsver­hält­nisse, an der ver­queren Lust am Kon­sum und am Unglück­lich­sein der Grund hier­für sein. Häu­fig sind es Romane von Frauen, in deren Tra­di­tion all die heuti­gen Stern­schnup­pen ste­hen, die eine Sai­son lang best­sellern. Zum anderen ist es die scharfe Kri­tik, die noch immer reizt, sei es in den Antikrieg­s­tex­ten, die aus gegeben­em Anlass ger­ade wieder neuaufgelegt wer­den – der apokryphe Elek­trische Ver­lag z.B. bietet da eine ganze Rei­he auf –, sei es in der Kri­tik poli­tis­ch­er und sozialer Ver­hält­nisse.

  • Armut: “Wer unten ist, bleibt unten” | ZEIT — inter­view mit dem ökonom mar­cel fratzsch­er über gesellschaftliche & ökonomis­che ungle­ich­heit, umverteilung und auf­stiegsmöglichkeit­en in deutsch­land
  • Lek­toren: Der gute Geist | Tagesspiegel -

    Der Gärt­ner ist immer der Mörder, und der Lek­tor ist immer schuld. Ein falsch­er Name, ein schiefes Bild, his­torische Irrtümer, Stil­blüten, Lan­gat­migkeit und Rechtschreibfehler – was immer an einem Buch nicht stimmt: Der Lek­tor ist’s gewe­sen. Wird er in Rezen­sio­nen erwäh­nt, ist „schlampig“ das Attrib­ut, das man ihm am lieb­sten anklebt. Nie wird man in ein­er Besprechung lesen: Das hat er aber fein gemacht. Denn was der Lek­tor getan hat, weiß der Kri­tik­er nicht.

  • E‑Book-Kolumne „E‑Lektüren“: Ein Lyrik-Code als Anreiz | FAZ — elke heine­mann über neue lyrik als/fürs ebook — offen­bar nicht so wahnsin­ng überzeu­gend, was da bish­er vor­liegt — allerd­ings aus ästhetis­chen, nicht aus tech­nis­chen grün­den
  • I stayed in a hotel with Android lightswitch­es and it was just as bad as you’d imag­ine — warum es nicht immer eine gute idee ist, ein­fache (mech­a­nis­che) funk­tio­nen durch com­put­er­s­teuerun­gen zu erset­zen — hier am beispiel ein­er hotelz­im­mer­licht­s­teuerung ohne zugriff­s­sicherun­gen … – via wirres.net
  • Autor Michael Scha­rang lehnt Ehrung des Lan­des Wien ab | DiePresse.com — ein mann mit hal­tung …

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  • Zeit­genös­sis­che Oper: “Aua, aua – Schme-e-erzen!” | ZEIT ONLINE — christi­nen lemke-matwey reka­pit­uliert die opern-urauf­führun­gen der let­zten monate — und die sit­u­a­tion des zeit­genös­sis­chen musik­the­aters über­haupt:

    Die Oper bleibt, was sie immer war, träge, kuli­nar­isch, teuer, selb­stver­liebt – und die Kom­pon­is­ten, auch die, die ihr abgeschworen haben, ver­sam­meln sich halb reumütig, halb blauäugig in ihrem war­men Schoß.

    nicht ohne hoff­nung, aber so richtig begeis­tert scheint sie auch nicht zu sein — und auch keine idee zu haben, was eine (neue) begeis­terung aus­lösen kön­nte:

    Man mag es schlimm find­en oder nicht, wenn die Men­schen nicht mehr in Mozarts Zauber­flöte oder Bizets Car­men gin­gen; richtig schlimm, ja ver­heerend wäre es, wenn es keine rit­uellen Orte mehr gäbe, an denen sich eine Gemein­schaft über ihre Emo­tio­nen und Affek­te ver­ständigte, ohne immer gle­ich darüber reden zu müssen, ein­er Sek­te beizutreten oder ins näch­ste Fußball­sta­dion zu ren­nen. Orte für Musik, Orte für Augen, Ohren und Sinne, Opern­häuser eben.

    (ich wüsste ja nur gern ein­mal, ob das wirk­lich stimmt, dass “derzeit so viele [neue Stücke] wie noch nie” entste­hen — zahlen und ver­gle­iche nen­nt sie lei­der keine …)

  • Uwe John­son: Daheim in der Par­al­lel­welt | ZEIT ONLINE — jan brandt schießt in sein­er begeis­terung für uwe john­son, der gestern 80 jahre alt gewor­den wäre, ein wenig übers ziel hin­aus:

    Dabei war John­son der inno­v­a­tivste, radikalste, man­is­chste deutsche Nachkriegsautor.

    trotz­dem aber eine gelun­gene und richtige und notwendi­ge hom­mage an einen großen autor

  • Klas­sen­ge­sellschaft: Standes­gemäß | Kar­riere | ZEIT ONLINE — die “Zeit” zeigt schöne und inter­es­sante (porträt-)fotos aus der weimar­er repub­lik:

    Der Fotograf August Sander hat die Stän­dege­sellschaft der Weimar­er Repub­lik porträtiert. Er fotografierte die Men­schen in ihrer typ­is­chen Umge­bung, mit charak­ter­is­tis­ch­er Klei­dung oder in typ­is­ch­er Hal­tung.

    (von “Stän­dege­sellschaft” würde ich zwar nicht sprechen, aber seis drum …)

  • IASLon­line NetArt: Geschichte der Com­put­erkun­st Inhaltsverze­ich­nis — thomas dreher hat eine “Geschichte der Com­put­erkun­st” geschrieben und passend im netz veröf­fentlicht:

    Nach fünf Jahrzehn­ten Com­put­erkun­st sind aus­führlichere Rekon­struk­tio­nen der his­torischen Entwick­lungslin­ien des Ein­satzes von Rech­n­ern und Rechen­prozessen in kün­st­lerischen Pro­jek­ten fäl­lig, um Com­put­erkun­st als eigen­ständi­gen Bere­ich der Medi­enkun­st erken­nen zu kön­nen.

  • Kolumne Luft und Liebe: So crazy wie gold­ene Leg­gins — taz.de -

    Nein, ver­mut­lich hil­ft die „x“-Endung nicht im Nahostkon­flikt. Vielle­icht löst sie über­haupt ganz wenig und wird schon bald durch irgend­was mit „y“ abgelöst. Men­schen, die sich an Babyspinat-Man­gold-Smooth­ies gewöh­nen, wer­den sich mit der Zeit auch an neue Sprach­for­men gewöh­nen. Men­schen, die ver­suchen, ein­er Wis­senschaft­lerin zu erk­lären, was sie vor geschätzten 37 Jahren in der Schule gel­ernt haben, von jeman­dem, der 20 Jahre vorher Biolo­gie auf Lehramt studiert hat: schwierig.

  • Sym­bol­ge­halt ǀ Wir sind wieder wer anders — der Fre­itag — georg seeßlen über fußball, poli­tik, nation, sym­bol und ver­w­er­tungszusam­men­hänge:

    Ein Fußball­spiel hat keine poli­tis­che Botschaft, so wenig wie die Frisur eines Bun­de­strain­ers einen kul­turgeschichtlichen Wen­depunkt markiert. Die poli­tis­che Metaphorik wird erst danach pro­duziert. Je nach Bedarf. Je nach Inter­esse. Je nach Ein­fluss. Wie schön wäre es, wieder ein­mal sagen zu kön­nen, gewon­nen hät­ten ein­fach diejeni­gen, die an dem ein oder anderen Tag am besten Fußball gespielt haben. Ein schönes Spiel sei ein schönes Spiel. Und son­st nichts. Aber das ist eben das Kreuz mit den Real­itätsmod­ellen. Sie ver­lieren ihre eigene Real­ität. Wie viel Wahrheit ist noch auf dem Platz, wenn die Macht der Inszena­toren und Prof­i­teure ins Uner­messliche geht?

  • Berlin­er Phil­har­moniker Record­ings: Im Leinen-Schmuck­pack samt Blu-ray | Musik — Berlin­er Zeitung — Inter­es­sant, wie tiefge­hend man Klas­sikkri­tik­er mit ein­er außergewöhn­lichen CD-Ver­pack­ung irri­tieren & ver­stören kann

Aus-Lese #33

Es wird mal wieder höch­ste Zeit für die näch­ste Aus-Lese …

Ben­jamin Stein: Das Alpha­bet des Rab­bi Löw. Berlin: Ver­brech­er 2014. 286 Seit­en.

stein, alphabetDas Alpha­bet, ganz frisch vom Ver­lag, ist den­noch schon einige Jahre alt: Denn Stein legt hier ein Über­ar­beitung seines Erstlings vor. Das ist eine sehr aufwändig kon­stru­ierte, ver­track­te Geschichte, die ich jet­zt gar nicht rekon­stru­ieren (oder gar nacherzählen) möchte — und wohl auch kaum noch kön­nte. Was mich wieder ein­mal überzeugt und beein­druckt hat, ist das Erzählen des Erzäh­lens als The­ma selb­st, mit dem fast schon oblig­a­torischen Ver­wis­chen von Erzähltem und Real­ität, bei dem die Gren­zen zwis­chen erzäh­len­dem und erzählten Ich schnell über­wun­den (bzw. unken­ntnlich gemacht) wer­den. Wo das Wirk­liche unwirk­lich wird (zu wer­den scheint) — und die Phan­tasie auf ein­mal real: Da ist man in einem Text von Bejamin Stein. Seraphin mit See­len aus Feuer tauchen hier auf, Selb­stentzün­dun­gen der untreuen Lieb­haber — über­haupt bren­nt hier ziem­lich viel -: Engel, Golem und Rab­bis, Worte und Namen und ähn­lich­es bevölk­eren dieses amüsante Ver­wirspiel auf vie­len Ebe­nen der Erzäh­lung und der Wirk­lichkeit (aber ist eine Wirk­lichkeit, in der es Engel gibt, Men­schen, die selb­st entzün­den, Wiederge­burt/-erscheinen nach mehreren hun­dert Jahren als iden­tis­che Per­son, ist so eine Wirk­lichkeit über­haupt „wirk­lich“?), angere­ichert mit religiösen The­men (und eini­gen Kuriosa, zumin­d­est für mich, der ich mich in der jüdis­chen Reli­gion so gar nicht auskenne). Und wie in Agen­ten­thrillern/-fil­men/-serien wird sozusagen im nach­hinein immer noch eine Ebene der Täuschung/Illusion/Erzählung/Fiktion einge­baut, die jew­eils erst sicht­bar wird, in dem sie zer­stört wird, aufgelöst wird — und entsprechend rück­wirk­end den ganzen Text auflöst, entk­ernt, … Das ist ein alter Erzäh­ler­trick, gewiss, den Stein hier aber dur­chaus nett umset­zt. Manche Pas­sagen sind für meinen Geschmack etwas krim­i­haft, manch­mal auch etwas argl plaud­erend erzählt, zu sehr darauf angelegt, gemein­same sache mit dem Leser machen. Mit Ratio­nal­ität allein wird man diesem Buch über Engel, das zugle­ich ein ver­track­ter Mehrgenerationen-Familiengeschichte(n) im 20. Jahrhun­dert ist, in der alle mit allen zusam­men­hän­gen, kaum gerecht. Und sehr schön ist es übri­gens auch, mal wieder ein in Leinen gebun­denes Buch in der Hand zu haben — das liegt da gle­ich ganz anders …

Was weißt du schon? erwiderte die Stimme. Und das war der Satz, den er von nun an immer wieder hören sollte: Was weißt du schon? Sei nicht dumm. Es gibt ein Bild hin­ter dem Spiegel und eine Stadt tief unter dir. Es gibt Engel, die wer­den als Men­schen geboren, und Men­schen, die gehen in Flam­men auf, weil die Buch­staben keck ihre Plätze tauschen und die Welt auf den Kopf stellen, nicht mehr als ein Spiel. (201f.)

Fried­helm Rath­jen: Arno Schmidt lesen! Ori­en­tierung­shil­fe für Erstleser und Weg­weis­er im Lit­er­aturd­schun­gel. Süd­west­hörn: Edi­tion ReJOYCE 2014. 168 Seit­en.

rathjen, schmidt lesenEin schön­er, kurz­er und knack­iger Überblick aus der Rath­jen-Werk­statt: Zugle­ich eine ganz kurze Ein­führung in die Biogra­phie Schmidts und ein Überblick über sein Schaf­fen. Das geschieht vor allem im Modus der Kurzcharak­ter­is­tik aller Werke, die Rath­jen chro­nol­o­gisch abhan­delt und so zugle­ich auch ein biss­chen Rezep­tion­s­geschichte — vor allem für die nachge­lasse­nen Pub­lika­tio­nen und Edi­tion — bietet. Dazu gehört, den jew­eili­gen Werken zuge­ord­net, ein doch recht aus­führlich­es Verze­ich­nis der (wichti­gen?) Sekundär­lit­er­atur — lei­der ohne Kom­men­tar und deshalb also ein doch nicht ganz so poten­ter „Weg­weis­er“. Als Hil­f­s­mit­tel und Anre­gung für den (noch) nicht voll­ständi­gen Schmid­tian­er ist Arno Schmdit lesen! aber trotz­dem nüt­zlich, auch wenn für meinen Geschmack die Textlein zu den Werken manch­mal doch arg kurz ger­at­en sind. Doch weil Rath­jen ein guter Ken­ner des Schmidtschen-Kos­mos ist, hat das Büch­lein dur­chaus seinen Wert, der naturgemäß für Schmidt-Ken­ner geringer ist als für Novizen.

Ilma Rakusa: Ein­samkeit mit rol­len­dem »r«. Erzäh­lun­gen. Graz: Droschl 2014. 158 Seit­en.

rakusa, einsamkeitIn Kürze: Ganz tolle Erzäh­lun­gen sind hier zu find­en, unbe­d­ingt empfehlenswert — wenn man kleine Geschicht­en zwis­chen Reportage und Momen­tauf­nahme aus der Fremde Europas mit einem Hang zu leichter Melan­cholie und Trau­rigkeit mag. Meist geben sie kurze Ein­blicke in Leben und Charak­ter ein­er Per­son (die den Titel der jew­eili­gen Geschichte bildet), oft durch eine nah­es­tende Erzäh­lerin, einen Fre­und etwa. Das hat oft etwas von ein­er Pseu­do-Reportage, wie es etwa eingear­beit­ete Zitate der Pro­tag­o­nis­ten ein­er Erzäh­lung zur Darstel­lung ihres Hin­ter­grunds, ihrer Geschichte nutzt, als stammten sie aus einem Gespräch. Dazu passt auch die Schlichtheit der Sätze — zumin­d­est syn­tak­tisch, lexikalisch ist das dur­chaus kun­stvoll: Daher kommt auch der lyrische, oft leicht schwebende Ton der Erzäh­lerin­nen aus der Fed­er Rakusas.

Immer wieder wer­den beschädigte Leben erzählen: Heimatver­lust oder über­haupt Heimat­losigkeit, das (ewige) Weit­erziehen, die Suche nach einem Platz/Ort (nicht nur, aber auch geo­graphisch) im Leben bes­tim­men den Weg der Pro­tag­o­nis­ten, die ganz über­wiegend suchend sind, sich auf dem Weg bein­den, immer unter­wegs — nach Leben, Sinn etc., auch nach Erleuch­tung (mehrmals suchen sie die ganz plaka­tiv in Indi­en): entwurzelte Men­schen der Mod­erne zeigt Rakusa uns. Momen­tan oder zeitweise, vorüberge­hend kann die Ein­samkeit aufge­hoben oder sus­pendiert wer­den — in Freundschaft(en) und Liebe etwa, wobei die Enthe­bung aus der Ein­samkeit immer als solche, als nicht dauernde Erle­ichterung, auch wahrgenom­men und erkan­nt wird: Das Bewusst­sein der Endlichkeit der „Gesel­ligkeit“ ist immer vorhan­den, ihre Fragilität gewusst. So spie­len sich in den Fig­uren Dra­ma und Trau­ma der Gegen­wart ab: Kap­i­tal­is­mus, Krieg und Krankheit­en als Verur­sach­er der „Störung“. Und: Europa außer­halb Deutschlands/Mitteleuropa wird gezeigt, mit Krieg und Kriegs­fol­gen, Armut, Leere, Verzwei­flung, Leid, Trauer und Trau­rigkeit — ohne deshalb total schwarz zu sein, grundiert diese dun­kle Erfahrung doch nicht nur das Leben der Pro­tag­o­nistin­nen, son­dern auch den Ton der meis­ten Erzäh­lun­gen: dunkel, aber nicht depres­siv; hart, aber nicht verzweifelt. Auch die Orte sind keineswegs alles Idyllen: Kol­jan­sk etwa wird als rein­er Höl­lenort erzählt: Trost­los, aus­sicht­s­los, ret­tungs­los: „Ein Punkt, der bald ver­schwun­den sein wird. Dort.“ (158) — das sind zugle­ich die let­zten Worte des Buch­es — die dem Ganzen noch eine­mal einen etwas über­raschend düster­nen, trost­los-grauen Dreh geben

Wie geht das: im Leben eine Seite umwen­den? Aussteigen, wegge­hen, auf nichts hof­fen als auf die Richtigkeit der Entschei­dung. (73)

Wir waren kurz sehr lange weg gewe­sen. (79)

Tim B. Müller: Nach dem Ersten Weltkrieg. Lebensver­suche mod­ern­er Demokra­tien. Ham­burg: Ham­burg­er Edi­tion 2014. 174 Seit­en.

müller, demokratienDemokra­tien sind labile Gebilde, Dauer­haftigkeit gibt es nicht, die Demokratie muss immer neu hergestellt wer­den. Deswe­gen benöti­gen sie Entschei­dun­gen, Reagieren — und Entwick­lung, sie verzei­hen aber auch Fehler. Ganz beson­ders gilt das für Momente der Krise. Müller zeigt das anhand “der” Krise der mod­er­nen Demokra­tien nach dem Ersten Weltkrieg am Ende der 1920er Jahre, im Umfeld der Wirtschaft­skrise. Dabei zeigt Müller auch, wie eng soziale Demokratie (mit ihrer Umverteilung (die aus dem Gle­ich­heit­spos­tu­lat resul­tiert), also der „Wohlfahrtsstaat“ und demokratis­che Organ­i­sa­tion sowie Gesin­nung (der Bevölkerung) im 20. Jahrhun­dert in Europa (und den USA) zusam­men­hän­gen.

Demokratie will Müller ver­standen wis­sen als Prozess, ständi­ge Diskus­sion, Vergewis­serung und Anpas­sung sind notwendig und wesen­haft. Das geschieht nicht in allen Län­dern und Gesellschaften gle­ichzeit­ig und auf gle­iche Weise. Für Deutsch­land stellt er etwa fest:

Demokratie als Kul­tur und Lebensweise musste in Deutsch­land mit beson­derem Nach­druck ver­ankert wer­den, weil Kriegsver­lauf und Nieder­lage eine schwierige Aus­gangslage geschaf­fen hat­ten: Die Kriegsnieder­lage führte zur Demokratie, was die Demokratie belastete. (81)

Und später heißt es:

Es bedurfte ein­er gewalti­gen Erschüt­terung, um dieses Gefüge ins Wanken zu brin­gen. Die Weltwirtschaft­skrise ließ die Entwick­lung, die den Zeitgenossen seit dem Ersten Weltkrieg unaufhalt­sam erschienen war, still­ste­hen. Das war nicht der Unter­gang. Aber die Rou­ti­nen und Kon­ven­tio­nen der Demokra­tien, die auch unter großem Druck so lange so gut funk­tion­iert hat­ten, geri­eten ins Stot­tern. Jet­zt kam es auf kluges Regieren an, jet­zt kon­nte jed­er falsche Schritt in den Abgrund führen, jet­zt waren anti­demokratis­che Kräfte und Tra­di­tio­nen imstande, zur Bedro­hung zu wer­den. Die lib­erale und soziale Demokratie war nicht am Ende. Sie ging sog­ar gestärkt aus der großen Krise her­vor. Nur nicht in Deutsch­land. (112f.)

Das ist genau der Punkt, um den dieser Essay kreist: Die Entwick­lung der Geschichte war — auch in Deutsch­land — keine zwangsläu­fige, der Weg aus der Krise hätte auch anders ausse­hen kön­nen. Ver­sagen sieht Müller hier vor allem bei Brün­ing, dem er bescheinigt:

Vom Blick­winkel der Geschichte der Demokratie aus war es nicht diese oder jene Maß­nahme der Brün­ing-Regierung, die den Unter­gang der Demokratie ein­leit­ete, nicht das Sparen selb­st, son­dern ein fun­da­men­tales intellek­tuelles Ver­sagen, die Unfähigkeit, Poli­tik in ein­er der Demokratie angemesse­nen Kom­plex­ität zu denken. (120)

Die Modi, Lösun­gen oder Strate­gien zur Bewäl­ti­gung der Krise der Demokratie, darauf weist Müller aus­drück­lich hin, hät­ten aber ger­ade das zur Bedin­gung gehabt: Die Beherrschung des „The­aters der Demokratie“ (127) — das scheint für Müller nicht nur der/ein wesentlich­er Unter­scheid zwis­chen Brün­ing und Roo­sevelt zu sein, son­dern ein wesentlich­es Ele­ment erfol­gre­ich­er Krisen­be­wäl­ti­gung. Zumin­d­est kann man sein Lob von Roo­sevelts „demokratische[m] Exper­i­men­tieren“ (129), das Müller wohl als angemessen­stes Ver­fahren, die Krise zu be-/über­wälti­gen, ansieht, so sehen.

Im Grunde ist das auch schon ein wesentlich­er Teil des Haup­tar­gu­ments: „Wirtschaftswach­s­tum, Wohlfahrtsstaat und Demokratie waren unau­flös­lich miteinan­der ver­woben.“ (138f.). Und da sind, ger­ade in Krisen­zeit­en, für Müller han­del­nde Per­so­n­en gefragt, Indi­viduen (hier eben Poli­tik­er (& Keynes ;-))), die diese Kom­plex­ität erken­nen und zugle­ich im demokratis­chen Diskurs (dem “The­ater”) angemessen argu­men­tieren kön­nen. In allen seinen Beispie­len macht Müller Aktive aus, die die Demokratie „ret­ten“ (oder im falle Brün­ings, eben nicht). Angelegt ist das dabei dur­chaus in Struk­turen, aber die Notwendigkeit der/einer Entschei­dung und — das ist im demokratis­chen Han­deln eben immer genau­so wichtig — des Überzeu­gens bleibt (als vornehm­lich indi­vidu­elle Leis­tung!).

Als konkrete Über­lebensstrate­gien von Demokra­tien iden­ti­fiziert Müller dann vor allem drei Momente: Erstens die „soziale Sta­bil­isierung durch Sozialpoli­tik“ (das heißt auch, in wirtschaftlichen Krisen­zeit­en die staatlichen Investi­tio­nen auszuweit­en statt blind zu sparen), zweit­ens die „poli­tis­che Inte­gra­tion durch demokratis­ches Pathos, durch Par­tizipa­tion und Mobil­isierung der Bürg­er“ und drit­tens eine Wirtschaft­spoli­tik mit inten­sivem ein­greifen in ökonomis­che Struk­turen, „ohne Rück­sicht auf ökonomis­che Effizienz“, d.h. hier v.a. Arbeits­beschaf­fungs­maß­nah­men (152). Das kann man übri­gens, so deutet Müller sehr vor­sichtig an, dur­chaus auch für die gegen­wär­tige Krise als Lösungs­fak­toren annehmen … Über alle Krisen hin­aus aber gilt:

Demokra­tien mussten sich ihrer ständi­gen Gefährdung auch in guten Zeit­en bewusst bleiben. Unter allen Umstän­den galt es, ihr zivil­isatorischen Min­i­mum zu bewahren. (152)

Alexan­der Gumz: aus­rück­en mit mod­ellen. Berlin: kook­books 2011. 88 Seit­en.

gumz, modelleSelt­sam: das fes­selt oder berührt mich so gar nicht — ohne dass ich sagen kön­nte, warum. Irgend­wie zün­den die Bilder nicht, die Sprache (Stil und Form) set­zt sich nicht fest, die Inhalte inter­essieren mich nicht. Die Form­losigkeit (gerne in lan­gen Zweizeil­er) ist zwar irgend­wie gefühlt kook­books-typ­isch, aber ich erkenne nichts, was die Texte für mich inter­es­sant machte. Vielle­icht braucht’s nochmal eine Re-Lek­türe in ein paar Wochen — wer weiß, möglicher­weise sieht der Leseein­druck dann schon ganz anders aus …

Nette Momente hat das näm­lich schon — zum Beispiel im ersten Zyk­lus, „zer­beultes gelände“: Der Wald, der wie auf Dro­gen scheint. Über­haupt spie­len Zeichen (in) der Natur eine Rolle: das heißt nicht zufäl­lig „zer­beultes gelände“, geht es doch immer wieder um die Ein­wirkung und die Ein­griffe der Men­schen in die Natur bzw. den Wald. Aber dann lese ich eben auch vieles, was mir nur selt­sam und gewollt erscheint: wie gesagt, die Res­o­nanz fehlt bei mir (was dur­chaus an diesem spez­i­fis­chen Leser liegen kann): das sind nur lose gerei­hte gewollte Bilder für mich, nach den ersten Seit­en ist aber auch dieser Reiz weg.

wir lehnen an der gren­ze zum gewit­ter,
schüt­teln die köpfe.

unter unseren füßen
dehnt sich der steg. (11, zer­beultes gelände)

Christoph Bangert: War Porn. Hei­del­berg, Berlin: Kehrer 2014. 189 Seit­en.

bangert, war pornEin hartes, sehr hartes und grausames Buch. War Porn sam­melt Kriegs­fo­tografie aus Irak und Afghanistan vor allem, die in Zeitun­gen und Zeitschriften nicht gedruckt wird. Sie zeigt näm­lich vor allem die Opfer, die Reste, die von Men­schen manch­mal nur noch übrig bleiben, nach dem der Krieg über sie hin­weg gegan­gen ist. Aber das ist eben auch emi­nent wichtig, so etwas zu sehen, sich selb­st zuzu­muten — Krieg, Gewalt passiert ja nicht ein­fach, son­dern wird gemacht. Von Men­schen. Über­all und immer wieder. Daran muss man erin­nern: wie das aussieht — abseits der schick­en Kampf­jets oder der harm­los verniedlicht­en “Drohnen”. Klug ist das insofern, als Bangert sehr wohl um die „Nor­mal­ität“ sein­er Bilder weiß: Die sind — und das gilt eben lei­der auch für das dargestellte — keineswegs außergewöhn­lich. Ungewöhn­lich ist nur, dass sie gezeigt wer­den. Das — als Buch — zu loben, hat einen bit­teren Beigeschmack: Denn das ist zwar dur­chaus ein schönes Buch, schön­er wäre es aber, wenn es War Porn gar nicht gäbe.

What you see in this book is my per­son­al expe­ri­ence. And in a way it’s yours, too, because these things hap­pened in your life­time. You as a view­er are com­plic­it. (3)

außer­dem:

  • Peter Weiss, Ästhetik des Wider­stands — großar­tig und erschla­gend, fes­sel­nd und lang­weilend ohne Ende (je nach dem, wo man ger­ade ist — im 2. Buch hat­te ich ganz schöne Durch­hänger …)
  • Johann Beer (das “Tage­buch”, Jucun­di Jucundis­si­mi wun­der­liche Lebens-Beschrei­bung u.a.)
  • Chris­t­ian Reuter, Schmel­muff­skys wahrhafftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschrei­bung zu Wass­er und Lande
  • Joseph Roth, Das falsche Gewicht. Die Geschichte eines Eich­meis­ters
  • Max Frisch, Tage­buch 1966–1971

Die Eisler-Familie

Via Adress­comp­toir bin ich ger­ade auf dieses gut gemachte, inter­es­sante Fea­ture über die Eisler-Fam­i­lie (d.h. Hanns Eisler, Ger­hart Eisler & Ruth Fis­ch­er) beim Ö1 gestoßen, das noch 7 Tage online gehört wer­den kann: Unbe­d­ingt zu empfehlen, für alle, die sich auch nur etwas für die Geschichte des 20. Jahrhun­derts inter­essieren. Viel typ­is­ches passiert mit den drei Geschwis­tern Hanns Eisler als Musik­er, Ger­hart Eisler & Ruth Fis­ch­er vor allem als Poli­tik­er des linken Spek­trums, in Deutsch­land, Öster­re­ich, den USA, der Sow­je­tu­nion und ander­swo. Immer wieder berühren mich die Eisler­schen Musiken, der unbe­d­ingte Ernst und der feste Glaube an die his­torische Mis­sion des Kom­mu­nis­mus, die aus sein­er Musik immer wieder spricht — ob es nun um Märsche geht, um Lieder, Musik­the­ater oder Orch­ester­w­erke. Das Fea­ture von Hen­ry Bern­hard erzählt die ganzen Verknüp­fun­gen, die Ver­suche und Fehler und natür­lich auch ganz stark die Tragik dieser Leben:

Der Karl Marx der Musik, die Denun­zianten-Lady und der gefährlich­ste Ter­ror­ist der Welt. Die Eislers — eine Aus­nah­me­fam­i­lie. Wie poli­tis­che Gesin­nung die Geschwis­ter Ger­hart Eisler, Hanns Eisler und Ruth Fis­ch­er entzweit.

“In der Fam­i­lie Eisler herrschen ver­wandtschaftliche Beziehun­gen wie in den Shakespeare’schen Königs­dra­men”, hat­te Char­lie Chap­lin über die Geschwis­ter Eisler gesagt. Er hat­te allen Grund dazu. Stand der ältere Ger­hart Eisler 1947 in New York als Angeklagter vor Gericht, so trat­en sein jün­ger­er Brud­er Hanns als Zeuge der Vertei­di­gung und die Schwest­er Ruth Fis­ch­er als Zeu­g­in der Anklage auf.

Ger­hart gilt zeitweise als “Staats­feind Nr. 1” in den USA; der Kom­mu­nist soll ein Aufwiegler, Ter­ror­ist und Agent der Kom­intern gewe­sen sein — dies meinte auch und ger­ade seine Schwest­er. Und wenn sich die Geschwis­ter auch nicht gegen­seit­ig umbracht­en, so kamen ihre Ver­leum­dun­gen doch Ruf­mor­den gle­ich. […]

Die Rev­o­lu­tion hat ihre Kinder gefressen — außeror­dentlich begabte Kinder, die an ihren ver­rate­nen Hoff­nun­gen zer­brochen sind.

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