Do We Write Differently on a Screen? | The New Yorker → tim parks eher pessimistische sicht auf die gewandelte art und weise des schreibens und seiner begleitumstände durch die technologische entwicklung der letzten jahrzehnte
Just as you once learned not to drink everything in the hotel minibar, not to eat too much at free buffets, now you have to cut down on communication. You have learned how compulsive you are, how fragile your identity, how important it is to cultivate a little distance. And your only hope is that others have learned the same lesson. Otherwise, your profession, as least as you thought of it, is finished.
Das Spiel mit der Exzellenz | Forschung & Lehre → michael hartmann mit einer zurückhaltenden, aber nicht überschwänglich positiven einschätzung der exzellenzstrategie für die deutschen universitäten
Provozieren und Warten | Van → sehr schönes, angenehm freundliches interview mit dem großen frederic rzewski:
Ich habe nichts Originelles komponiert. Alles, was ich gemacht habe, ist von anderen zu klauen. Aber auch Mozart hat links und rechts geklaut und Bach natürlich genauso. Du nimmst etwas, machst es auf deine Art.
We found that Philosophy for Children has some promising effects in improving children’s social and communication skills, team work, resilience and ability to empathise with others. Interestingly, these positive effects are more profound in children from disadvantaged groups.
Wer also eine Delle in den Zahlen hat, wird sofort mit zusätzlicher Arbeit überhäuft, die Delle zu logisch zu erklären. Das gelingt im Prinzip leicht, weil der Nachfragende die Feinheiten ja nicht in den Zahlen stehen hat.
Die Tendenz zur Vereinheitlichung, wie wir sie in den letzten fünfzehn Jahren beobachten konnten, ist gefährlich, weil sie Uniformität fördert. Das haben wir in manchen Bereichen der Exzellenzinitiative beobachten können. Ich wünsche mir mehr Mut zur Unterscheidung und auch mehr Unterstützung dabei durch die Politik. […] Ich halte ein einjähriges Studium Generale vor dem Bachelor für ein gutes Mittel. Es zeigt sich immer stärker, dass zahlreiche Abiturienten auf die Universität nicht vorbereitet sind.
Absurde Elektrifizierung | SZ → sebastian herrmann hat ziemlich recht, wenn er sich über die elektrifizierung der fahrränder sanft lustig macht. mir fehlt ja noch ein weiteres argument: “klassische” fahrradtechnik kann man (mit etwas geschick) weitgehend komplett selbst warten und vor allem reparieren — die neuen elektronischen teile oft überhaupt nicht mehr .…
Dennoch steckt Absurdität im Konzept, Mechanik am Rad durch Elektronik zu ersetzen: Der unschlagbare Vorteil des Fahrrads besteht schließlich darin, dass es seinem Fahrer Freiheit schenkt — die Freiheit, aus eigener Kraft jedes erwünschte Ziel zu erreichen und unabhängig von Ladekabeln oder Updates zu sein.
Aufklärung ist riskantes Denken. Wir, die Erben, wollen dieses Risiko nicht mehr eingehen. Wir wollen eigentlich keine Zukunft, wir wollen nur, dass unsere privilegierte Gegenwart nie aufhört, obwohl sie zusehends um uns herum bröckelt und gespalten wird.
Um das, was kommt, nicht zu erleiden, sondern zu gestalten, bedarf es nicht nur neuer Technologien und Effizienzsteigerungen, keiner hohen Mauern und keiner Abschreckung, sondern einer Transformation des westlichen Lebensmodells, denn erst wenn Menschen wieder einen realistischen Grund zur Hoffnung haben, wird die Angst verschwinden.
Dafür brauchen wir den Mut, wieder etwas zu riskieren beim Nachdenken über die Welt und über die eigene Position in ihr. Die Aufklärung ist nötiger denn je, aber nicht in ihrer rationalistischen Verengung oder ihrer ökonomischen Parodie.
Langfristig wäre es gut, die Kategorie Geschlecht aufzulösen, statt sie zu dramatisieren. Das funktioniert neben dem Streuen auch mit neutralisierenden Pronomen im Plural wie “alle”, “viele” oder “manche”. Außerdem kann man auch anstelle von Personenbezeichnungen abstraktere Begriffe verwenden, zum Beispiel: “Das Institut hat entschieden” anstelle von “Der Institutsleiter hat entschieden” und so weiter. Allerdings kommt das immer auf den Kontext an. Feste Rezepte gibt es nicht, Kreativität ist gefragt. Dazu gehören auch die zunehmenden Präsenspartizipien im Plural wie “Studierende”. Singulare wie “der Studierende” taugen dagegen nicht, da Singulare immer mit Genus aufgeladen sind. Meine Erfahrung ist, dass es weniger eine Frage der Möglichkeiten als des Willens ist.
Ich glaube, momentan ist eher das Problem nicht so sehr, dass die Leute nicht lesen wollen oder nicht lesen können, sondern dass es ein bisschen demi mode ist, und ich habe aber den Eindruck, dass es sich ändert und dass das Lesen wieder zurückkommt,
“Gewonnen hat die deutsche Nation” | Zeit → noch ein älteres interview, das schon lange in meiner leseliste schlummert: georg schmidt spricht über den dreißigjährigen krieg (die leserkommentare ignoriert man aber besser …)
Selbst in Überwachungspraktiken begabte Lehrende werden feststellen, dass sie trotz einzelner Siege über besonders auffällige Drückeberger am Ende diese Kontrollkämpfe verlieren werden. Die Kreativität von Studierenden beim Erfinden von Wegen, diese Kontrollen zu unterlaufen, wird immer größer sein als die Kreativität von Lehrenden im Erfinden neuer Wege der Kontrolle. Anwesenheitslisten sind deswegen ein stumpfes Schwert, um das Leistungsniveau von Studierenden anzuheben. […] Das Problem der Abwesenheit von Studierenden ist also nicht vorrangig ein Problem der Qualität der Lehrenden, sondern liegt vielmehr in der Gestaltung der Studiengänge selbst […]
Statt auf das Problem der Abwesenheit mit dem eher brachialen Mittel der Anwesenheitsliste zu reagieren, gäbe es eine Alternative. Man könnte chronische Abwesenheiten – oder Anwesenheiten, die nur über Anwesenheitslisten durchgesetzt werden können – als ein Zeichen dafür sehen, dass irgendetwas in dem Studiengang nicht stimmt.
Trump ist der Geburtshelfer von “Me Too” | SZ → eine gute — und wie mir scheint, sehr treffende — einordnung von hedwig richter der #MeToo-bewegung in den wandel von männer-/männlichkeitsbildern und die geschichte der gleichberechtigung
Die Empörung über die Gewaltigen, die sich der Leiber der anderen bedienen, ist mehr als ein Hashtag und etwas anderes als eine Hetzjagd. Sie ist das Ende der letzten Selbstverständlichkeit: Das Zweifel- und Bedenkenlose einer männlichen Herrschaft, das in die Körper eingeschrieben war, scheint endgültig außer Kraft gesetzt zu sein.
The Horizon of Desire | Longreads → ein hervorragender essay von laurie penny über konsens, rape culture, männlich- und weiblichkeit und die damit einhergehenden (stereotypen) erwartungen an das verhalten beim sex
Rape culture is not about demonizing men. It is about controlling female sexuality. It is anti-sex and anti-pleasure. It teaches us to deny our own desire as an adaptive strategy for surviving a sexist world. […] But unless we talk about desire, about agency, about consent, then we’ll only ever be fighting this culture war in retreat. It’s a real war, one that impacts our bodily autonomy and our economic and political power. The battle for female desire and agency goes way beyond the bedroom, and it’s a battle that right now everyone is losing.
Seit der Veröffentlichung der historisch-kritischen Ausgabe von Adolf Hitlers “Mein Kampf” wird das Buch immer öfter an bayerischen Schulen behandelt. Besonders in Mittel- und Berufsschulen werden jetzt mehr Ausschnitte der Hetzschrift auf unterschiedlichstes Weise in den Unterricht eingebunden.
Alles online? | digithek blog → von wegen alles ist digital — die zentralbibliothek zürich hat in ihrem bestand mal nachgeschaut und ‑gezählt:
Es ist noch längst nicht alles online verfügbar, was in unseren Magazinen steht. Und wenn es digital vorhanden ist, dann lohnt sich ein Blick in die Bibliotheksangebote. Google hat zwar vieles digitalisiert, aufgrund von Urheberrechten sind die Werke aber nicht vollständig verfügbar. Und manche Titel findet man wirklich nur in den Bibliotheken.“
Die Mediatheken von ARD und ZDF: ein Horrortrip | Übermedien → stefan stuckmann hat sich (in einem recht langen text) die mediatheken der öffentlich-rechtlichen sender in deutschland angeschaut — und ist recht unterwältigt. da bin ich ja fast froh, dass ich dank mediathekview die seiten nur selten aufsuchen muss …
Universitäten sind Reflexionsinstanzen der Gesellschaft. Die Atemlosigkeit des wissenschaftlichen Betriebs existiert und betrifft Studierende und Lehrende. Ich denke, eine Gesellschaft, die glaubt, sich so eine Reflexionsinstanz nicht mehr leisten zu müssen, ist dem Untergang geweiht. Menschliche Lebensformen kennzeichnen sich auch dadurch, dass sie sich reflexiv weiterentwickeln, durch die Art und Weise, wie sie sich selbst interpretieren und verstehen. Und das erfordert eine gewisse Distanz zum operativen Geschehen. Wenn man die Universität als reine Ausbildungsinstitution betrachtet, verliert sie ihre Reflexions‑, Korrektur- und Reparaturfunktion. […] Die Realität ist vielleicht, dass die Universität zu einer Entfremdungszone wird. Ziel müsste es sein, die Universität zu einem Resonanzraum zu machen. Es ist ganz schwer, unter den gegenwärtigen Bedingungen, Resonanzoasen zu schaffen.
Es scheint, dass die Digitalisierung nicht so entspannt ressourcenschonend ist, sondern den gesellschaftlichen Stoffwechsel in einer Weise neu anregt, die die globale Energie- und Ressourcennachfrage belastet: Die Effizienzgewinne werden mehr als wettgemacht durch den gestiegenen Konsum den die digitalen Services und damit gesunkenen Preise anregen.
Hans Jürgen von der Wense: Über das Stehen. Hrsg. von Reiner Niehoff. Berlin: blauwerke 2014 (splitter 02). 76 Seiten. ISBN 978–3‑945002–01‑8. Hans Jürgen von der Wense: Die Schaukel. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Reiner Niehoff. Mit einer Lektüre von Valeska Bertoncini. Berlin: blauwerke 2016 (splitter 08). 52 Seiten. ISBN 9783945002087.
Das sind zwei (sehr) kleine Texte — Essays wohl am besten zu nennen — die sich auf den ersten Blick ganz unterschiedlichen Themen widmen: Über das Stehen widmet sich der Statik (des Menschen), Die Schaukel dagegen einem Ding, das wie kaum ein anderes Bewegung vergegenständlicht.
Natürlich stimmt der Gegensatz bei Hans Jürgen von der Wense so eigentlich gar nicht. Das merkt man schon, wenn man den ersten Satz in Über das Stehen liest:
Stehen ist eine bewegung; es ist schwanken und wanken, um sich im gleichgewichte zu halten, aufrecht.. Stehen ist eine lage. (13)
Dem folgt ein manchmal meines Erachtens etwas ausfasernder Essay über das Stehen, der mich vor allem in seinen weltetymologischen Abschnitten nicht immer gleichermaßen faszinieren konnte. Trotzdem ein schönes “Groschenheft des Weltgeistes” — so nennt der kleine, rührige blauwerke-Verlag seine splitter-Reihe, die im kleinen Notizheftformat kleine Texte mit viel zusätzlichem (Archiv-)Material vorbildlich ediert und zu wohlfeilen Preisen (nämlich jeweils 1 Euro) zugänglich macht. Auch diese beiden Wense-Essays haben jeweils ein einführendes Vorwort von Reiner Niehoff, das unter anderem über Entstehungszusammenhänge und Publikations- bzw. Überlieferungsgeschichte berichtet, und ein einordnendes, erklärendes “Nachwort” von Valeska Bertoncini, das als “Lektüre” fungiert.
Das gerade erst erschienen Heft Die Schaukel bietet einen recht kurzen Wense-Text von wenigen Seiten, der sich — quasi kulturgeschichtlich avant la lettre — mit dem Gegenstand, dem Ding “Schaukel” und vor allem seinen Bedeutungen und Implikationen für den Menschen (ob er nun schaukelt, anstößt oder zuschaut …) befasst. Auch eine sehr vergnügliche, kluge und bereichernde Lektüre. Denn an der Schaukel fasziniert Wense offenbar die Gleichzeitigkeit bzw. dingliche Identität von Bewegung und Ruhe, von der Möglichkeit, bei sich selbst zu sein und zugleich über sich hinaus zu gelangen:
Schaukeln ist Mut-Wille. Es ist Entfernen, Abweichen von der Mitte, dem Ruhe-Punkte, Ab-Fall. (23)
Das Meer ist ein alter Bekannter, der warten kann ist ein interessanter Gedichtband. Nicht nur des schönen Titels wegen. Und auch nicht nur der graphischen Ausstattung wegen. Sondern vor allem wegen der schöpferischen Kraft, die Starcke aus letztlich einem Theman, einem Gegenstand entwickelt: Dem Meer. Denn darum geht es in fast allen Gedichten. Und trotz der monothematischen Anlage des Bandes — neben dem Meer spielen Sand, Wolken und der hohe Baum vor dem Haus noch eine gewisse Rolle –, der erstaunlich engen Fixierung auf einen Ort und eine Position des Betrachters und Schreibenden ist das alles andere als langweilig. Eine Rolle spielt dabei sicherlich die vergehende Zeit, deren Lauf man beim Lesen des Bandes gewissermaßen nachvollziehend miterleben kann.
Man ist dabei, sozusagen, alleine mit dem Meer. Menschen kommen nämlich recht selten (wenn überhaupt vor). Das Meer selbst ist in diesen Gedichten vor allem als instabile Stabilität, als dauerhafter Wandel, als vergehende/bewegte/bewegende/fortschreitende Zeit präsent. Auch wenn oft ein recht prosaischer Duktus vorherrscht, kaum Sprachspiele oder ausgefallene, gesuchte Bilder zu entdecken und entschlüsseln sind, ist das dennoch gerade in den Details oft sehr spannend, in den kleinen Abweichungen, den minimalen Störungen und poetischen Signalen (etwa bei der Wortstellung, der Kommasetzung, der (unterbrochenen) Reihung). Fast jedes Gedicht hat einen Moment, einen (Teil-)Satz, der besonders berührt, der besonders die Intensität (des Erlebens vor allem) ausstrahlt. Als „wegzehrung der erinnerung“ (56) sind die Gedichte aber immer auch ein Versuch, die Vergänglichkeit festzuhalten.
Viele dieser Meer-Gedichte funktionieren dabei wie ein „inneres fernglas“ (56): der Blick auf die Landschaft der Küste (ich glaube, das Wort “Küste” kommt dabei gar nicht vor, nur Meer, Sand, Wolken und Himmel als Elemente des Übergangsraums) ermöglicht und fördert den Blick nach innen, mit dem gleichen Instrumentarium, das zugleich das große, weite Panorama erfasst und das kleine, maßgebliche Detail. Und obwohl es oft um Vergänglichkeit und Abschied geht, um Ort- und Heimatlosigkeit, bleibt den Gedichten eine auffällige Leichtigkeit eigen: Die Sprache bleibt locker, die Bilder beweglich, das Syntaxgefüge flexibel, die Begriffe immer konkret: „sie [d.i. die geschichten vom meer] lieben das offene / im verborgenen.“ (47) heißt es einmal — und damit ist Methode Starckes in Das Meer ist ein alter Bekannter, der warten kann als Motto ziemlich genau beschrieben.
vielleicht, dass sich unterm meer ein weiteres meer versteckt wie erinnerungen im sand der gedanken, die, für geheimnisse offen, momente von stille verkörpern. an seinen geräuschen, schlussverse (72)
Juli Zeh: Unterleuten. München: Luchterhand 2016. 508 Seiten.
Juli Zehs Unterleuten hält sich zwar hartnächkig auf der Bestseller-Liste, ist aber eigentlich ein eher langweiliges, unbemerkenswertes Buch. Das ist routiniert erzählt und kann entsprechend mit unbeteiligter Neugier ohne nachhaltigen Eindrcuk gelesen werden. Vieles in dem Plot — den ich jetzt nicht nacherzähle — ist einfach zu absehbar. Dazu kommt noch ein erzählerisches Problem: Der Text wird mir permanent erhobenem Zeigefinger erzählt, bei jeder Figur ist immer (und meist sofort) klar, was von ihr zu denken ist — das wird erzählerich überdeutlich gemacht. Dazu eignet sich der wechselnde erzählerischere Fokus der auktorialen Erzählerin natürlich besonders gut. Das Schlusskapitel, in dem sie (bzw. eine ihrer Instanzen) als Journalistin, die Unterleuten recherchiert hat, auftritt und die Fäden sehr unelegant zum Ende führt, zeigt sehr schön die fehlende künstlerische/poetische Imagination der Autorin: Das ist so ziemlich die billigste Lösung, einen Schluss zu finden — und zugleich auch so überaus unnötig … Andererseits hat mich die erzählerische Anlage schnell genervt, weil das so deutlich als die einfachste Möglichkeit erkennbar wir, alle Seiten, Positionen und Beteiligten des Konflikts in der Pseudo-Tiefe darzustellen.
„[E]ine weitreichende Weltbetrachtung, einen Gesellschaftsroman mit einer bestechenden Vielfalt literarischer Tonlagen, voller Esprit und Tragik, Ironie und Drastik“, die Klaus Zeyringer im „Standard“ beobachtet hat, kann ich da beim besten Willen nicht erkennen. (Jörg Magenau hat die „Qualitäten“ des Romans in der “Süddeutschen Zeitung” besser und deutlicher gesehen.) Letztlich bleibt Unterleuten ein eher unspannender Dorfkrimi, der sich flott wegliest, (mich) aber weder inhaltlich noch künstlerisch besonders bereichern konnte. Schade eigentlich.
Auch :nachkommen nacktkommen ist wieder so ein Zufallsfund, bei dem ich dem Verlag — hochroth — vertraut habe … Sophie Reyers Gedichte sind knapp konzentrierte Kurzzeiler, die oft abgründig leicht sind, aber immer sehr auf den Punkt gedacht und formuliert sind — beziehungsweise auf den Doppelpunkt als Grenze und Übergang, der den Beginn aller Gedichte zeichenhaft markiert. Immer wieder fallen mir die kühnen, wilden, ja geradezu überbordenden und überschießenden Bilder auf, die jeglicher sprachlicher Ökonomie Hohne sprechen und die, so scheint es mir, manchmal auch einfach nur um ihrer selbst willen da sind. Außerdem scheint Reyer eine große Freude am Spiel mit Assonanzen und Alliterationen zu haben. Überhaupt ist vielleicht das Spiel, der spielerische Umgang mit Sprache und Einfällen trotz der Themen, die einen gewissen Hang zum Dunkeln aufweisen, besonders bezeichnend für ihre Lyrik.
Manches wirkt in :nachkommen nacktkommen auch eher wie das spontane Notat einer Idee, wie eine Einfallsskizze im Notizbuch der Autorin und noch nicht wie ein fertiges Gedicht. Zweizeiler wie der auf S. 27 zum Beispiel:
die kursivschrift des kornfelds sonnen strahlen stenographie
Interessant fand ich bei der Lektüre auch, dass Takt und Rhythmus der Lyrik wiederholt (im Text selbst) anzitiert werden, durch die Texte aber nur sehr bedingt (wenn überhaupt) umgesetzt werden. Vielleicht kommt daher auch der Eindruck der Spontanität, des augenblicklichen Einfalls …
:nachkommen nacktkommen ist dabei ein typisches kleines hochroth-Bändchen — ich mag das ja, ich brauche nicht immer gleich 80–100 Seiten Lyrik von einer Autorin, es reichen oft auch 20, 30 (kleinere) Texte. Und die Kaufhürde ist auch nicht so hoch, wenn das nur 8 Euro statt 25 sind … Zudem sind die hochroth-Publikationen eigentlich immer schön gemacht, liebevoll und umsichtig gestaltet. Die hier ist die erste, bei der mir typographische Fehler aufgefallen sind — ein nach unten „fallendes“ l, das ich auf sechs Seiten ziemlich wahllos verstreut gefunden habe (aber wer weiß, vielleicht ist das ja auch ein geheimes feature der Texte, das sie auch ganz geschickt mit dem Paratext verbindet?).
Wolf von Kalckreuth: schlummerschwarze Nächte. Gedichte. Leipzig: hochroth 2015. 26 Seiten. ISBN 978–3‑902871–67‑1. Wolf Graf von Kalckreuth: Gedichte und Übertragungen. Herausgegeben von Hellmut Kruse. Heidelberg: Lambert Schneider 1962. 190 Seiten.
Über die schmale Auswahl beim feinen hochroth-Verlag bin ich eher zufällig auf die Lyrik Wolf von Kalckreuths gestoßen. Kalckreuth ist gewissermaßen eine tragische Figur: 1887 in eine Militär- und Künstlerfamilie geboren, setzt er seinem Leben bereits 1906 ein Ende. Bis dahin war er in der Schule, hat sein Abitur gemacht, ist etwas gereist und dann — trotz eigentlicher Nicht-Eignung — im Oktober 1906 auf eigenen Wunsch ins Militär eingetreten, wo er es keine zehn Tage bis zu seinem Freitod aushielt. In dieser kurzen Lebenszeit entstanden aber nicht nur eigene Gedichte, sondern auch diverse (wichtige) Übersetzungen der Lyrik Verlaines und Baudelaires.
Erstaunlich ist in seinen Gedichten immer wieder die ausgesprochen sichere (handwerkliche) Sprach- und Formbeherrschung trotz des jungen Alters. Nicht immer und nicht alles ist wahnsinnig originell, vieles ist sehr deutlich einer späten Spätromantik verhaftet, die aber durch die mal mehr, mal weniger zaghaften Einflüsse des Expressionismus interessant wird. Viele seiner Gedichte pendeln sich gewissermaßen in der Dialektik von Verfall und Sehnsucht ein. Und aus ihnen spricht auch immer wieder das Bewusstsein um die eigene (Ver-)Spätung, um Endzeit, Untergang, vor allem aber Sterbenswunsch und Todessehnsucht etc. — nicht ohne Grund spielen die Dämmerung (und natürlich die Nacht), der Abend und der Herbst eine große Rolle in diesen Gedichten.
Aber was mich wirklich am meisten fasziniert hat, war doch die sorgsame Fügung der Gedichte, gerade der Sonette, die nahe an perfekte Gedichte heranreichen. Die hochroth-typisch sehr kleine Auswahl — 26 Seiten inkl. Nachwort! — hat mich dann immerhin neugierig gemacht und mich zu der deutlich umfangreicheren Auswahl von 1962 greifen lassen. Da finden sich natürlich auch wieder viele faszinierende Sonette, aber auch interessante und anregende Gedichte, eigentlich ja Elogen, auf Napoleon, den Kalckreuth wohl sehr bewunderte. Und schließlich enthält der Band auch noch eine umfangreiche Abteilung mit Übersetzungen der Lyrik Verlaines und Baudelaires, beide auch wesentliche Vorbilder und Einflüsse Kalckreuths.
Das Leben eilt zum Ziele wie eines Weltstroms Flut Die uns ins Meer entführt mit dunklen Wogenmassen, In schwindelhafter Hast, die nie entschlummernd ruht, Bis wir das eigne Herz erkennen und erfassen. (72)
Annette Pehnt: Hier kommt Michelle. Ein Campusroman. München: Piper 2012. 140 Seiten. ISBN 9783492300827.
Eine nette kleine Satire — das heißt, ein scharfer und bissiger Text, der das deutsche Universitätssystem und ‑leben, insbesondere aber die zeitgenössische Studierendengeneration gekonnt aufspießt. Nur notdürftig fiktionalisiert, bekommen so ziemlich alle ihr Fett weg: Die Studierenden, die Lehrenden vom akademischen “Unterbau” über den Mittelbau bis zu den vertrottelten Emeriti, von der Verwaltung bis zur Presse und Politik. Selbst die Hauptfigur, Michelle, ist so überhaupt nicht liebenswert, sondern — natürlich als Zerrbild — eher ein abschreckendes Beispiel der Ziel- und Vernunftlosigkeit als ein Identifikationsangebot für den Lesen. Sehr schön fand ich den erzählerischen Kunstgriff, dass sich die Erzählerin selbst mit ihrer eigenen Stimme wiederholt einmischt und sich und ihren (?) Text im Text selbst gleich mitkommentiert (auf die eher unwitzige Herausgeberfiktion hätte ich dafür gerne verzichten können).
Hier ist die Erzählerin. Sie reibt sich die Hände, weil sie dieses harmlose Mädchen mit groben Strichen entworfen hat und sich jetzt schon, wo die Erfindung doch gerade erst zu leben begonnen hat, darauf freut, ihr Knüppel zwischen die Beine zu werfen. (13)
Trotz einiger handwerklicher Mängel wie etwa einem schlecht gearbeiteten Zeitsprung oder einer etwas ungefügen Makrostruktur ist Hier kommt Michelle einfach nett zu lesen, aber halt auch — der Umfang verrät es ja schon — recht dünn. Der Witz ist eben schnell verbraucht, die Unterhaltung trägt auch nicht viel länger. Zum Glück hat Annette Pehnt das nicht übermäßig ausgewalzt, denn viel mehr als diesen kleinen Text gibt die Grundidee alleine wohl nicht her.
Das war auch eine wichtige Lektion: Nicht alles geht sie etwas an, es ist gut, allzu fremden oder schwierigen Zusammenhängen nicht auf den Grund zu gehen, man muss sich zurückhalten und sich auf das beschränken, was man kennt und kann, und das gilt auf jeden Fall auch für das Studium in Sommerstadt, das Michelle nun mit neuem Elan, aber auch einer Reife angeht, die sie schon am zweiten Tag befähigt, zum Junganglisten zu gehen und zu fragen, ob er sie brauchen kann. (120)
außerdem gelesen:
Philipp Tingler: Juwelen des Schicksals. Kurze Prosa. Zürich: Kein und Aber 2005.
Georges Bataille: Der große Zeh. Hrsg. & übers. von Valeska Bertoncini. Berlin: blauwerke 2015 (splitter 01). 80 Seiten.
Kleist-Edition: Ein trauriges Ende | Süddeutsche → kleist-experte und ‑herausgeber klaus müller-salget berichtet vom sehr unrühmlichen umgang des hanser-verlages mit der offenbar grottenschlechten, aber als ultimativen angepriesenen kleist-leseausgabe von roland reuß und peter staengle — nachdem der verlag eine revision versprach, die fehlerhafte ausgabe aber munter weiter verkaufte, stellt er sie nun gänzlich ein (das sind übrigens die verlage, die über die vg wort geld von den urhebern haben wollen — für ihre unersetzlichen leistungen …)
Museen sind eigentlich so angelegt, dass sie die wissenschaftlich fachliche Deutungshoheit für ihre Inhalte haben. Wir versuchen, neben diesem kuratorischen Strang einen zweiten Strang zu entwickeln, bei dem wir selber nicht mehr deuten, sondern die Nutzer und Nutzerinnen des Museums das tun.
Krise des Liberalismus: Ein autoritäres Angebot | Zeit → thomas assheuser versucht sich in der “zeit” an einer analyse der situation des liberalismus — und so viel er richtig beobachtet, frage ich mich doch, ob sein ausgangspunkt — dass nämlich “unsere” moderne liberale gesellschaft so eng mit dem liberalismus zusammenhängt, wirklich richtig ist. ich tendiere ja eher zur annahme, dass die politik der letzten jahre/jahrzehnte genau das — nämlich den liberalismus — verloren hat, auch ohne in das autoritäre gehampel der rechten zu verfallen.
Man kann sich leicht ausmalen, welch klebrige Attraktivität eine solche Apartheidgesellschaft entwickelt, wenn Bürger das Gefühl haben, sie seien Modernisierungsverlierer und könnten sich für ihre liberale Freiheit nichts kaufen. Die rechte Alternative verspricht dagegen die Befreiung von der Befreiung und den Abschied von Europa sowieso. Sie malt die Nation als gute Stube mit Hirschgeweih und kugelsicheren Butzenscheiben, als Trutzburg gegen Terror, Klimakatastrophe und Flüchtlinge, kurz: als wetterfesten Herrgottswinkel für Menschen mit apokalyptischen Vorgefühlen, die nicht zu Unrecht fürchten, die “Welt draußen” könne über ihren Köpfen zusammenbrechen. Das autoritäre Angebot verfängt.
Man muss kein approbierter Medien- und Kommunikationswissenschaftler sein, um die alltägliche Kommunikation an den Universitäten über die alte wie die neu aufgelegte Exzellenzinitiative auffallend und analysebedürftig zu finden. Denn immer wieder macht sich ein profanes Dilemma bemerkbar. Im ältesten Medium, der face-to-face-communication, wird noch sehr viel stärker als sonst gänzlich anders über die Exzellenzinitiative gesprochen als in der publizierten Schriftform. Antragsprosa oder Verlautbarungen von offiziösen Universitätszeitschriften begrüßen die Erneuerung der Exzellenzinitiative, ansonsten aber hört man zumeist lästerliche Reden.
Corporate’s Child | textdump → zur lage der politik einige scharfe beobachtungen und anmerkungen in guenter hacks textdump:
Der Staat gibt vor, alles sehen zu können (siehe Punkt 2), wenn er aber handeln soll, tut er so, als seien ihm die Hände gebunden, von der bösen EU, durch internationale Verträge, durch Ressourcenmangel, durch die allgemeine Wirtschaftslogik, die halt nun mal so ist. Wenn der Staat agiert, dann nur mit noch mehr Repression nach unten, weil das halt einfacher ist, als Steuern von Amazon zu verlangen. Diese Diskrepanz führt zu einer Art Theodizeegefühl, die schon ziemlich massive Weltreligionen hat abschmelzen lassen.
Die neonationalistischen Parteien sind nicht deswegen so erfolgreich, weil sie disruptiv wären, sondern weil sie bestehende Leitlinien der Mainstream-Politik der letzten 30 Jahre konsequenter und skrupelloser weiterdenken als die Corporate-Politiker selbst.
Es dient nicht der Entschuldigung der derzeit im Namen Allahs ausgeübten Verbrechen, mögliche historische Parallelen sichtbar und auf die Gewaltpotentiale in allen Religionen aufmerksam zu machen. Aber es verhindert eine falsche, essentialistische Sicht auf den Islam, den es so wenig wie das Christentum gibt. Die muslimischen Religionskulturen in Europa sind in sich höchst vielfältig und durch ganz unterschiedliche kollektive Erfahrungen geprägt. Muslime in Kreuzberg, deren Eltern oder Großeltern einst aus der Türkei kamen, teilen nicht die traumatisierenden Erinnerungen an koloniale Fremdherrschaft, die für viele französische, noch vom Algerien-Krieg geprägte Muslime kennzeichnend sind.
Nach den Anschlägen von Paris und nun auch Brüssel ließ sich im politischen Betrieb eine Reaktion beobachten, die nur als falsches semantisches Investment bezeichnet werden kann: Staatspräsidenten, Regierungschefs und Parteivorsitzende beschworen einhellig „die Werte Europas“ oder „des Westens“, die man gegen alle terroristischen Angriffe verteidigen werde. […]
Aber mit Werte-Rhetorik ist niemandem geholfen.
„Wert“ war ursprünglich ein Begriff der ökonomischen Sprache, und seine Einwanderung in ethische Debatten und juristische Diskurse hat nur dazu geführt, die freiheitsdienliche Unterscheidung von gesetzlich kodifizierten Rechtsnormen und moralischen Verbindlichkeiten zu unterlaufen. Deshalb ist es fatal, wenn Vertreter des Rechtsstaates diesen im Kampf gegen den Terrorismus nun als eine „Wertegemeinschaft“ deuten.
für einen theologen auch fast überraschend, aber natürlich absolut richtig und ein punkt, der immer wieder gestärkt und verdeutlicht werden muss (weil er so gerne vergessen wird):
Für wirklich alle gilt allein das Recht, und deshalb sind Rechtsbrecher zu verfolgen und zu bestrafen.
My Heroic and Lazy Stand Against IFTTT | Pinboard Blog — der pinboard-gründer/betreiber maciej cegłowski erklärt, warum es seinen (übrigens sehr empfehlenswerten) service nicht mehr bei ifttt gibt. die kurzfassung: deren unverschämten, erpresserischen bedingungen für entwickler
Das Thema der „Vogue“ ist: „Langeweile“. Sowohl in den Anzeigen als auch in der Fotostrecke. „Komm Baby, stell Dich mal so hin und schau so pikiert, als würdest Du an einen völlig verkochten Grünkohl denken.“ Die Mädchen sind dünn, die Gesichter leer, die Klamotten teuer. In den Sechzigern gab es einen Dr. Oetker-Spot, in dem eine Frau am Herd steht, ein Fertiggericht zaubert und ein Sprecher sagt: „Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?“ Die Frauen der „Vogue“ haben sogar nur eine Lebensfrage, und selbst die macht ihnen offensichtlich keinen Spaß.
Ingeborg Bachmann: “In mir ist die Hölle los” | ZEIT ONLINE — der germanist Joseph McVeigh durfte frühe briefe von ingeborg bachmann benutzen und zitieren und ist nun sicher, dass man das werk der autorin nur biographisch verstehen kann. zum glück ist die “zeit” gegenüber solchem methodischen unsinn etwas skeptischer …
“Ich habe keine Matratzenschnüffelei betreiben wollen”, sagt Biograf McVeigh, “aber wenn man die zerstörerische Wirkung der beiden katastrophal gescheiterten Beziehungen auf das Leben von Ingeborg Bachmann nicht berücksichtigt, kann man ihr späteres Werk kaum verstehen.”
Vigiles et studeas atque legas, ut ex hoc buio tibi remanente, exciteris ad studendum et legendum, cum vivere sine litteris mors sit et vilis hominis sepultura — Wache und studiere und lies, damit du, wenn dir dabei ein Zweifel bleibt, dadurch (erst recht) angespornt wirst zum Studieren und Lesen, da ohne Wissenschaft zu leben der Tod ist und ein elendes Grab für den Menschen.Siger von Brabant, Questiones de anima intellectiva
Einerseits hat es ein gewaltiges Umverteilungsprogramm gegeben, bei dem private Schuldner – also vor allem die hoch verschuldeten Großbanken – mithilfe öffentlicher Gelder saniert wurden. Andererseits hat man mit der Restauration des Finanzsystems auch das alte Schlamassel der Zeit vor 2008 wieder herbeifinanziert: Es herrschen heute wieder die gleichen Risikolagen, die gleiche Instabilität an den Finanzmärkten. Paradoxerweise entsteht diese neue Unsicherheit eben genau durch die Maßnahmen, also das Ausschütten von viel Geld, mit denen die Krise bekämpft werden sollte. Was sich in dieser Zeit hingegen tatsächlich verändert hat, ist die Art und Weise, wie wir regiert werden. […]
Wir erleben also gerade ein finanzpolitisches Doublebind: Einerseits gibt die herrschende Dogmatik vor, dass das Wirtschaftswachstum nur mit Investitionen und neuem billigem Geld zu erreichen ist. Andererseits erhöht das gleiche billige Geld die Risikoanfälligkeit auf den Märkten. Dieses Dilemma kennzeichnet also an einem Punkt ihre Macht und gleichzeitig ihre strukturelle Ohnmacht.
— er sagt noch einiges mehr, was das interview sehr lesenswert macht. und sehr bezeichnend ist, dass solche eigentlich eminent ökonomischen (und politischen) beobachtungen gerade ein kulturwissenschaftler machen muss — die “fachleute” scheinen da (zumindest in der deutschen öffentlichkeit) keine position und/oder stimme zu finden …
Das Urheberrecht denkt auch in den sozialen Netzwerken viel zu sehr vom klassischen Werkbegriff her und nicht vom Ort, an dem etwas stattfindet. Und da sehe ich die Parallelen zur Problematik in der Kunst. Wer etwas in die Social Media platziert, gibt es frei – und die Welt kann damit machen, was sie will. Aber in den meisten Fällen macht die Welt gar nichts damit. Ab und zu passiert dann doch etwas, es entsteht gar ein Mem.[…]
Meiner Meinung nach hinkt bei etlichen Urteilen die Rechtsprechung der Kunstpraxis um zwei bis drei Jahrzehnte hinterher. Und das ist auch beim Technoviking der Fall.
Nicht nur in der populären Erinnerung wurde das Ausmaß der militärischen Kriegsunterstützung von Frauen lange vergessen, selbst in der umfangreichen Geschichtsschreibung zum Zweiten Weltkrieg werden Frauen zumeist nur als Arbeiterinnen in der Kriegsindustrie oder Krankenschwestern porträtiert. Dies ist um so bemerkenswerter, als wir heute auf fast dreißig Jahre Forschung zum Thema Geschlecht, Militär und Krieg zurückblicken können und die Ära der Weltkriege zu den am besten erforschten Perioden überhaupt gehört. Dieser Befund gilt nicht nur für die deutsche, sondern ähnlich auch für die internationale Geschichtswissenschaft. Wie ist die Verdrängung zu erklären? Warum fällt es vielen offenbar noch heute so schwer, sich Frauen als Soldatinnen vorzustellen? Ein Grund hierfür dürfte die Bedeutung sein, die dem Recht, im Dienste des Staates oder einer anderen höheren Macht Waffen tragen und töten zu dürfen – oder im Kriegsfall zu müssen – für die Markierung der Geschlechterdifferenzen zukommt. Seit der Antike ist dieses Recht männlich konnotiert. Die komplementäre Rolle der Frauen bestand bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein vor allem darin, Männer zum Kampf zu motivieren, Verwundete zu pflegen und Gefallene zu betrauern. […]Teil der Demobilisierung in der Nachkriegszeit war in allen kriegsbeteiligten Staaten eine Politik, die die Vorkriegsgeschlechterordnung und damit die soziale Stabilität wiederherstellen sollte. Frauen wurden aus den Armeen entlassen und mussten ihre während des Krieges eingenommenen Arbeitsplätze in Industrie, Handel und Verwaltung für die heimkehrenden Veteranen frei machen, die wieder alleinige Familienernährer werden sollten. Die 1950er Jahren mit ihrem Wirtschaftswunder wurden in Westdeutschland und anderen Ländern Westeuropas dank einer entsprechenden Familienpolitik zum “goldenen Zeitalter” des Modells der “Alleinverdiener-Hausfrau”-Familie.
Stradivaris Cello: Oh, Mara! | ZEIT ONLINE — carolin pirich über eines der berühmtesten cellos aus der stradivari-werkstatt und seinen momentanten besitzer, christian poltéra:
“Das Mara zu spielen ist wie mit der Stimme eines anderen zu sprechen”, sagt der neue Partner des Mara. “Das dauert ein, zwei Jahre, bis es nach mir klingt.”
Social Media: Das Netz bist du! | ZEIT ONLINE — kilian trotier porträtiert den britischen anthropologen daniel miller (und seine forschung), der weltweit die nutzung sozialer netzwerke erforscht und schon mal eines festgestellt hat: die regionalen nutzungsunterschiede sind gewaltig.
Heikel für Münkler ist, dass einige der ihm zugeschriebenen Einlassungen, die ihn in keinem guten Licht dastehen lassen, für Leute, die ihn kennen, einen nur allzu glaubwürdigen Sound haben.
Nachruf auf Odo Marquard — Mit Witz zum Denken anregen — ein Nachruf auf den Philosophen Odo Marquard beim deutschlandradio
Gewalt | Schmalenstroer.net — michael schmalenstroer bringt auf den punkt, warum man bei der darstellung von gewalttätigen momenten der geschichte manchmal sich einer sehr krassen sprache (und/oder bilder) bedienen muss:
Wenn DigitalPast also brutal ist, dann beschwert euch bei euren Großeltern. Weil die brutal waren.
Streik: Hurra, Deutschland liegt lahm | ZEIT ONLINE — sehr guter kommentar zum streiken in deutschlnd, unter anderem mit diesem schönen und leider so absolut zutreffenden satz: »Die SPD agiert momentan also ungefähr so sozialdemokratisch wie Ayn Rand beim Restpostenverkauf.«
Die Opernplattform ist eine Partnerschaft zwischen Opera Europa, einem 155 Opern und Festspiele umfassenden Netzwerk, dem Kultursender ARTE und 15 Opernhäusern aus ganz Europa. Sie wird vom Programm Kreatives Europa der Europäischen Kommission unterstützt und ist für alle Beiträge offen, die Oper einem breiteren Publikum zugänglich machen wollen.
Fahrradboom und Fahrradindustrie — Vom Drahtesel zum “Bike” — ein sehr schöner, langer, vielfältiger, breiter und intensiver text von günter breyer zur situation des fahrrads als produkt in deutschland: herstellung, vertrieb, verkauf in deutschland, europa und asien — mit allem, was (ökonomisch) dazu gehört …
Gesetzgebung: Unsinn im Strafgesetzbuch | ZEIT ONLINE — thomas fischer legt in seiner zeit-kolumne unter dem titel “Unsinn im Strafgesetzbuch” sehr ausführlich dar, warum es im deutschen recht einfach schlechte, d.h. handwerklich verpfuschte, paragraphen gibt und fordert, in dieser hinsicht auch mal aufzuräumen
Ein Beispiel für missglückte Gesetzgebung und institutionalisierte Verantwortungslosigkeit – und ein Aufruf zur Reparatur
Antisemitismus: Was heißt “N.soz”? | ZEIT ONLINE — adam soboczynski über den verdacht (der sich bislang nicht erhärten oder widerlegen lässt), dass die heidegger-ausgabe möglicherweise philologisch nicht sauber erstellt wurde (was insofern problematisch ist, als der zugang zum nachlass nur eingeschränkt möglich ist und die heidegger-ausgabe eh’ schon keine kritische ist — was bei einem philosophen dieses ranges & einflusses eigentlich notwendig wäre)
Hätte der massive Antisemitismus des Philosophen Martin Heidegger früher belegt werden können? Das fragt sich mittlerweile auch der Verlag der umstrittenen Gesamtausgabe und verlangt jetzt den Herausgebern Rechenschaft ab.
Boulez, der an diesem Donnerstag seinen 90.Geburtstag feiert, ist der vollkommene Musiker. Er ist Komponist, Dirigent, Forscher, Intellektueller, Provokateur, Pädagoge, Ensemble- und Institutsgründer in Personalunion. Und das alles nicht nur im Neben‑, sondern im Hauptberuf. Damit steht er heute zwar allein da, er knüpft aber an ein bis in die Romantik durchaus gängiges Berufsbild an, das Musiker nur gelten lässt, wenn sie möglichst all diese Tätigkeiten gleicherweise ausüben. Boulez ist von Anfang an ein Praktiker gewesen. Aber einer, der sich nie seine Träume durch die Einschränkungen und faulen Kompromisse der Praxis korrumpieren ließ.
Boulez hat dem Musikbetrieb einen gewaltigen Stoß versetzt und ihm viel von seiner Gedankenleere ausgetrieben. Die Langzeitfolgen sind unüberhörbar.
Illegale Downloads machen dem E‑Book-Markt Sorgen — ein etwas seltsamer artikel von clemens voigt zur piraterie bei ebooks: eigentlich will er gerne etwas panik verbreiten (und piraterie mit dem diebstahl physicher gegenstände gleichsetzen) und lässt deshalb ausführlich die abmahnanwälte waldorf-frommer zu wort kommen und anbieter von piraterie-bekämpfungs-software. andererseits wollen die verleger diese panikmache wohl nicht so ganz mitmachen … — deswegen bleibt das etwas einseitig …
Selbstbild einer Universität « erlebt — françois bry über das problematische verständnis von wissenschaft & universität, dass “kinderunis” vermitteln können:
Die Familienvorlesung war unterhaltsam. Lehrreich war sie insofern, dass sie ein paar Vorstellungen auf den Punkt brachte: Ein Professor ist ein Star. Eine Vorlesung ist eine eindrucksvolle Schau. Verstehen, worum es bei einer Vorlesung geht, tut man wenn überhaupt außerhalb des Hörsaals.
Auf allen Kanälen wurden Schriftsteller wieder über ihr Schriftstellertum befragt, und sie gaben mit schiefgelegtem Kopf Auskunft. Warum Leute, die schreiben, auch noch reden müssen, ist unklar. Aber sie tun es. Es wird erwartet. Da muss irgendein Anspruch befriedigt werden, von wem auch immer. Da muss es wabern, tief und kapriziös sein. Das muss sein, denn das Schreiben ist so ein ungemein tiefer Beruf, dass jeder gerne ein wenig von der leidenden tiefen Tiefe spüren mag.
(das beste kann ich nicht zitieren, das muss man selbst lesen …)
Russland: Was Putin treibt | ZEIT ONLINE — gerd koenen als (zeit-)historiker über ukraine, russland und was putin so umtreibt … (und die kommentare explodieren …)
Häuser werden streng rasiert geliefert, oben alles ab. Das alte Spiel mit Trapez- und Treppengiebeln, mit Walm‑, Sattel- oder Mansarddächern, ein Spiel, das Häusern etwas Gemütvolles verleiht, auch etwas Behütendes, scheint die meisten Architekten kaum zu interessieren. Es regiert die kalte Logik des Funktionalismus, sie macht aus dem Wohnen eine Ware. Und da kann ma…
Jenen “Fragebogen”, auf dessen Beantwortung die Bundesregierung angeblich so gedrungen hat, erachteten die Amerikaner jedenfalls “als beantwortet”, teilte das Auswärtige Amt jüngst auf Fragen der Linkspartei-Abgeordneten Andrej Hunko und Niema Movassat mit. Man sehe die Angelegenheit damit als “geklärt” an, schrieb eine Staatssekretärin. Die Fragen bleiben also weitgehend unbeantwortet. Und die Bundesregierung nimmt das einfach so hin. “Das Auswärtige Amt will keine Aufklärung, inwiefern US-Standorte in Deutschland am tödlichen Drohnenkrieg der US-Armee in Afrika und Asien beteiligt sind”, kritisieren die Parlamentarier Hunko und Movassat. “Das ist nicht nur undemokratisch, sondern es erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung.”
Das Abendland ist ein deutscher Sonderweg von Kultur, Geist, Stolz, Volk und Weinerlichkeit. Warum dieses Geisterreich der Gefühle nicht totzukriegen ist. Eine Polemik