Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: richard wagner

bücherstapel

Aus-Lese #50

Ger­hard Falkn­er: Romeo oder Julia. München: Berlin 2017. 269 Seit­en. ISBN 978–3‑8270–1358‑3.

falkner, romeo oder julia (cover)Ich kann nicht sagen, dass ich von Romeo oder Julia wirk­lich begeis­tert gewe­sen wäre. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht so recht kapiert habe, was der Text eigentlich (sein) möchte. Dabei hat er unbe­stre­it­bar aus­geze­ich­nete Momente und Seit­en, neben eini­gen Län­gen. Einige der aus­geze­ich­neten Momente find­en auf der Ebene der Sprache statt: Es gibt funkel­nde einzelne Sätze in einem Meer von stilis­tis­chem und gedanklichem Chaos. So habe ich mir das zunächst notiert — aber das stimmt so nicht ganz: chao­tisch (also real­is­tisch) erscheint der Text zunächst nur, er entwick­elt dann aber schon seine Form. Die zumin­d­est stel­len­weise hyper­tro­phe Stilis­tik in der Über­steigerung auf allen Ebe­nen ist dann auch tat­säch­lich lustig.

Uner­müdlich arbeit­eten hin­ter den Din­gen, an denen ich vor­beikam, die Grund­maschi­nen der Exis­tenz, die seit Jahrtausenden mit Men­schen­leben gefüt­tert wer­den, und die Stadt stützte ihre taube und orna­men­tale Masse auf dieses unterirdis­che Mag­ma von Lebens­gi­er, Kampf, Wille, Lust und Bewe­gung. 227

Was wird in Romeo oder Julia erzählt? Das ist eben die Frage. Irgend­wie geht es um einen Schrift­steller, Kurt Prinzhorn (über dessen lit­er­arische Werke nichts zu erfahren ist), der bei einem Hote­laufen­thalt in Inns­bruck von ein­er benutzten Bade­wanne und ver­schwun­de­nen Schlüs­seln etwas erschreckt wird. Rat­los bleibt er zurück und denkt immer wieder über die Rät­sel­haftigkeit des Geschehens nach, während das Autoren­leben mit Sta­tio­nen in Moskau und Madrid weit­erge­ht. Dort nähert sich dann auch die antik­li­mak­tis­che Auflö­sung, die in einem Nach­spiel in Berlin noch ein­mal aus­ge­bre­it­et wird: Der Erzäh­ler wird von ein­er sehr viel früheren kurzzeit­i­gen Fre­undin ver­fol­gt und bedro­ht, die dann beim Ver­such, zu ihm zu gelan­gen (um ihn zu töten), selb­st stirbt … Trotz des Plots, der nach Kri­mi oder Thriller klingt, bleibt Romeo oder Julia bei ein­er unbeschw­erten Rät­sel­haftigkeit, ein Spiel mit Span­nungse­le­menten, sex­is­tis­chem und völk­erpsy­chol­o­gis­chem Unsinn und anderen Pein­lichkeit­en. Immer­hin sind der knappe Umfang und die eher kurzen Kapi­tel (übri­gens genau 42 — wobei ich bei Falkn­er in diesem Fall keine Absicht unter­stelle) sehr leser­fre­undlich. Durch die zumin­d­est eingestreuten stilis­tis­chen Höhen­flüge war das für mich eine dur­chaus unter­halt­same Lek­türe, bei der ich keine Ahnung habe, was das eigentlich sein soll, was der Text eigentlich will. Wed­er die Kri­mi-Ele­mente noch die Poplit­er­aturkom­po­nente oder die mas­siv­en Inter­tex­tu­al­itätssig­nale (die ich nicht alle in vernün­ftige Beziehung zum Text bringe, aber sicher­lich habe ich auch eine Menge schlicht überse­hen) for­men sich bei mein­er Lek­türe zu einem Konzept: Ein schlüs­siges Sinnkon­strukt kann ich nicht so recht erken­nen, nicht lesen und lei­der auch nicht basteln.

Es war Son­ntagvor­mit­tag, und es gab kaum Leute auf der Straße. Straßen auf den Leuten gab es erst recht nicht. es gab auch keine Busse, die man sich auf der Zunge hätte zerge­hen lassen kön­nen, oder Friseure, die auf­grund ein­er ungestü­men Blümer­anz der Ohn­macht nahe gewe­sen wären. Auch nicht die Helden­fried­höfe, die in wilden und ausufer­n­den Vor­früh­lingsnächt­en von den Such­maschi­nen auf die Bild­schirme geza­ubert wer­den, um mit ihren schneeweißen und chris­tus­losen Kreuzen die Surfer in ihre leere Erde zu lock­en. Es gab nicht ein­mal die feuchte, warme Hand der katholis­chen Kirche oder das tröstliche Röcheln des Drachens, dem sein beliebtester Geg­n­er, der heilige Georg, ger­ade die eis­erne Lanze in den Rachen gestoßen hat. Es gab ein­fach wirk­lich nur das, was da war, was wir unmit­tel­bar vor Augen hat­ten, und die Tat­sache, dass ich in Kürze los­musste. 78

Ali­na Herb­ing: Nie­mand ist bei den Käl­bern. Zürich, Ham­burg: Arche 2017. 256 Seit­en. ISBN 9783716027622.

herbing, niemand ist bei den kälbern (cover)Das ist mal ein ziem­lich trost­los­es Buch über eine junge Bäuerin aus Alter­na­tivlosigkeit, die auch in den ange­blich so fes­ten Werten und sozialen Net­zen des Landlebens (der „Heimat“) keinen Halt find­et, keinen Sinn für ihr Leben. Stattdessen herrscht über­all Gewalt — gegen Dinge, Tiere und Men­schen. Ein­er­seits ist da also die Banal­ität des Landlebens, der Ödnis, der „Nor­mal­ität“, dem nicht-beson­deren, nicht-indi­vidu­ellen Leben. Ander­er­seits brodelt es darunter so stark, dass auch die Ober­fläche in Bewe­gung gerät und Risse bekommt. Natür­lich gibt es die Schön­heit des Lan­des, auch in der beschreiben­den Sprache (die freilich nicht so recht zur eigentlichen Erzählhal­tung passt und mit ihren angedeuteten pseu­do-umgangssprach­lichen Wen­dunge („nich“, “glaub ich”) auch viele schwache Seit­en hat und ner­ven kann). Aber genau­so natür­lich gibt es auch die Ver­let­zun­gen, die die Men­schen sich gegen­seit­ig und der “natür­lichen” Umwelt gle­icher­maßen zufü­gen.

Die Absicht von Nie­mand ist bei den Käl­bern ist schnell klar (schon mit dem Umschlag, son­st spätestens auf der ersten Seite, wenn das Rehkitz beim Mähen getötet wird): Heimat, v.a. aber das Landleben entza­ubern — denn es ist auch nur eine Rei­he von Banal­itäten und Ein­samkeit­en (auch & ger­ade zu zweit) und suche nach Liebe, Nähe, Emo­tio­nen. Die Natur bleibt von all dem unbeteiligt und eigentlich unberührt. Mich ner­ven aber so Haupt­fig­uren wie diese Christin, die — obwohl vielle­icht nicht direkt defätis­tisch — alles (!) ein­fach so hin­nehmen, ohne Gefühlsre­gung, ohne Gestal­tungswillen, ja fast ohne Willen über­haupt, denen alles nur passiert, die alles mit sich geschehen lassen. Dass da dann kein erfüll­ter Lebensen­twurf her­auskommt, ist abzuse­hen. Mir war das unter anderem deshalb zu ein­seit­ig, zu eindi­men­sion­al.

Manch­mal glaub ich, jedes Flugzeug, das ich sehe, existiert über­haupt nur, um mich daran zu erin­nern, dass ich ein­er der unbe­deu­tend­sten Men­schen der Welt bin. Wieso sollte ich son­st in diesem Moment auf einem halb abgemäht­en Feld ste­hen? Nicht mal in ein­er Nazi-Hochburg, nicht mal an der Ost­see oder auf der Seen­plat­te, nicht mal auf dem Todesstreifen, son­dern kurz davor, daneben, irgend­wo zwis­chen all­dem. Genau da, wo es eigentlich nichts gibt außer Gras und Lehm­bo­den und ein paar Plätze, die gut genug sind, um da Win­dräder hinzustellen. 11

Lau­rent Binet: Die siebte Sprach­funk­tion. Rein­bek: Rowohlt 2017. 524 Seit­en. ISBN 9783498006761.

laurent binet, die siebte sprachfunktion (cover)Das ist tat­säch­lich ein ziem­lich lustiger Roman über Roland Barthes, die post­mod­erne Philoso­phie, Sprach­wis­senschaft und Psy­cholo­gie in Frankre­ich, auch wenn der Text einige Län­gen hat. Vielle­icht ist das aber wirk­lich nur für Leser lustig, die sich zumin­d­est ein biss­chen in der Geschichte der franzö­sis­chen Post­mod­erne, ihrem Per­son­al und ihren Ideen (und deren Rezep­tion in den USA und Europa) ausken­nen. Und es ist auch ein etwas grotesker Humor, der so ziem­lich alle Geis­tesheroen des 20. Jahrhun­derts kör­per­lich und seel­isch beschädigt zurück­lässt.

Aus­gangspunkt der mehr als 500 Seit­en, die aber schnell gele­sen sind, ist der Tod des Struk­tu­ral­is­ten und Semi­otik­ers Roland Barthes, der im Feb­ru­ar 1980 bei einen Unfall über­fahren wurde. Für die Ermit­tlun­gen, die schnell ein­er­seits in das philosophisch geprägte Milieu der Post­mod­erne führen, ander­er­seits voller Absur­ditäten und grotesker Geschehnisse sind, verpflichtet der etwas hemd­särmelige Kom­mis­sar einen Dok­torand, der sich in diesem Gebi­et gut auszuken­nen scheint. Ihre Ermit­tlun­gen führt das Duo dann in fünf Sta­tio­nen von Paris über Bologna nach Ithaca/USA und zurück zu Umber­to Eco (der einzige, der einiger­maßen unversehrt davonkommt), wom­it die Reise, die Ermit­tlung und der Text das Net­zw­erk europäis­chen Denkens (mit seinen amerikanis­chen Satel­liten der Ostküste) in der zweit­en Hälfte des ver­gan­genen Jahrhun­derts nachze­ich­nen. Das ist so etwas wie ein Pop-Philoso­phie-Thriller, der für mich doch recht zügig seinen Reiz ver­lor, weil das als Roman­text eher banal und kon­ven­tionell bleibt. Inter­es­sant sind höch­stens die Metaebe­nen der Erzäh­lung (die es reich­lich gibt) und die Anachro­nis­men (die auch gerne und mit Absicht ver­wen­det wer­den), zumal die The­o­rie und ihr Per­son­al immer mehr aus dem Blick ger­at­en

Die im Titel ver­hießene siebte Sprach­funk­tion bleibt natür­lich Leer­stelle und wird nur in Andeu­tun­gen — als unwider­stehliche, poli­tisch nutzbare Überzeu­gungskraft der Rede — kon­turi­ert. Dafür gibt es genü­gend andere Sta­tio­nen, bei denen Binet sein Wis­sen der europäis­chen und amerikanis­chen Post­mod­erne großzügig aus­bre­it­en kann.

Während er rück­wärts­ge­ht, über­legt Simon: Angenom­men, er wäre wirk­lich eine Romangestalt (eine Annahme, die weit­ere Nahrung erhält durch das Set­ting, die Masken, die mächti­gen malerischen Gegen­stände: in einem Roman, der sich nicht zu gut dafür wäre, alle Klis­chees zu bedi­enen, denkt er), welch­er Gefahr wäre er im Ernst aus­ge­set­zt? Ein Roman ist kein Traum: In einem Roman kann man umkom­men. Hin­wiederum kommt nor­maler­weise die Haupt­fig­ur nicht ums Leben, außer vielle­icht gegen Ende der Hand­lung. / Aber wenn es das Ende der Hand­lung wäre, wie würde er das erfahren? Wie erfährt man, wann man auf der let­zten Seite angekom­men ist? / Und wenn er gar nicht die Haupt­fig­ur wäre? Hält sich nicht jed­er für den Helden sein­er eige­nen Exis­tenz? 420

Dieter Grimm: “Ich bin ein Fre­und der Ver­fas­sung”. Wis­senschafts­bi­ographis­ches Inter­view von Oliv­er Lep­sius, Chris­t­ian Wald­hoff(span> und Matthias Roßbach mit Dieter Grimm. Tübin­gen: Mohr Siebeck 2017. 325 Seit­en. ISBN 9783161554490.

grimm, freund der verfassung (cover)Ein feines, kleines Büch­lein. Mit “Inter­view” ist es viel zu pro­saisch umschrieben, denn ein­er­seits ist das ein vernün­ftiges Gespräch, ander­er­seits aber auch so etwas wie ein Auskun­fts­buch: Dieter Grimm gibt Auskun­ft über sich, sein Leben und sein Werk. Dabei lernt man auch als Nicht-Jurist eine Menge — zumin­d­est ging es mir so: Viel span­nen­des zur Entwick­lung von recht und Ver­fas­sung kon­nte ich hier lesen — span­nend vor allem durch das Inter­esse Grimms an Nach­bardiszi­plinen des Rechts, ins­beson­dere der Sozi­olo­gie. Deshalb tauchen dann auch ein paar nette Luh­mann-Anek­doten auf. Außer­dem gewin­nt man als Leser auch ein biss­chen Ein­blick in Ver­fahren, Organ­i­sa­tion und Beratung am Bun­desver­fas­sungs­gericht, an dem Grimm für 12 Jahre als Richter tätig war. Schön ist schon die nüchterne Schilderung der der nüchter­nen Wahl zum Richter — ein poli­tis­ch­er Auswahl­prozess, den Grimm für “erfreulich unpro­fes­sionell” (126) hält. Natür­lich gewin­nt das Buch nicht nur durch Grimms Ein­blick in grundle­gende Wesens­merk­male des Rechts und der Jurispru­denz, son­dern auch durch seine dur­chaus span­nende Biogra­phie mit ihren vie­len Sta­tio­nen — von Kas­sel über Frank­furt und Freiburg nach Paris und Har­vard wieder zurück nach Frank­furt und Biele­feld, dann natür­lich Karl­sruhe und zum Schluss noch Berlin — also qua­si die gesamte Geschichte der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land — Grimm ist 1937 geboren — in einem Leben kon­den­siert.

Das Buch hat immer­hin auch seine Selt­samkeit­en — in einem solchen Text in zwei Stich­wörtern in der Fußnote zu erk­lären, wer Kon­rad Ade­nauer war, hat schon seine komis­che Seite. Bei so manch anderem Namen war ich aber froh über zumin­d­est die grobe Aufk­lärung, um wen es sich han­delt. Die andere Selt­samkeit bet­rifft den Satz. Dabei hat jemand näm­lich geschlampt, es kom­men immer wieder Pas­sagen vor, die ein Schrift­grad klein­er geset­zt wur­den, ohne dass das inhaltlich motiviert zu sein scheint — offen­sichtlich ein unschön­er Fehler, der bei einem renom­mierten und tra­di­tion­sre­ichen Ver­lag wie Mohr Siebeck ziem­lich pein­lich ist.

Adorno ver­stand ich nicht. Streck­en­weise unter­hielt ich mich ein­fach damit zu prüfen, ober er seine Schach­tel­sätze kor­rekt zu Ende brachte. Er tat es. 41

Con­stan­ti­jn Huy­gens: Euphra­sia. Augen­trost. Über­setzt und her­aus­ge­ge­ben von Ard Post­hu­ma. Leip­zig: Rei­ne­cke & Voß 2016. [ohne Sei­ten­zäh­lung]. ISBN 9783942901222.

Zu diesem schö­nen, wenn auch recht kurzen Vergnü­gen habe ich vor einiger Zeit schon etwas geson­dert geschrieben: klick.

außer­dem gele­sen:

  • Dirk von Peters­dorff: In der Bar zum Krokodil. Lieder und Songs als Gedichte. Göt­tin­gen: Wall­stein 2017 (Kleine Schriften zur lit­er­arischen Ästhetik und Hermeneu­tik, 9). 113 Seit­en. ISBN 978–3‑8353–3022‑1.
  • Hans-Rudolf Vaget: “Wehvolles Erbe”. Richard Wag­n­er in Deutsch­land. Hitler, Knap­perts­busch, Mann. Frank­furt am Main: Fis­ch­er 2017. 560 Seit­en. ISBN 9783103972443.

Ins Netz gegangen (12.9.)

Ins Netz gegan­gen am 12.9.:

  • Elke Hei­den­re­ich im Lit­er­atur­club: Die Ver­luderung der Kri­tik | NZZ → der lit­er­aturkri­tik­er der nzz, roman buche­li, hält wenig von der momen­ta­nen fernseh-lit­er­atur-kri­tik:

    Dort die Brüll-Kri­tik, hier die Schleim-Kri­tik, bei­des müsste man nicht ernst nehmen, wäre die Wirkung nicht so ver­heerend, denn die Kri­tik selb­st wird damit beschädigt. Das alles ist umso beden­klich­er, als es aus­gerech­net öffentlich-rechtliche Rund­funkanstal­ten sind, die unter dem Vor­wand, Lit­er­aturkri­tik zu betreiben, sie kor­rumpieren und der Ver­luderung preis­geben. Das ist kein Ser­vice pub­lic, son­dern öffentliche Selb­st­de­mon­tage.

  • Rad fahren in Gronin­gen: Was passiert wenn alle Rad­fahrer ein­er Kreuzung gle­ichzeit­ig grün haben? | RBNSHT → schöne idee/versuch in gronin­gen: an ein­er kreuzung gibt es eine phase, in der alle rad­fahrer aus allen/in alle rich­tun­gen gle­ichzeit­ig grün haben. und es funk­tion­iert …
  • Schuld ist nicht die Dig­i­tal­isierung — Fre­i­t­ext → ein etwas wehmütiger “nachruf” auf die bib­lio­theken, der lei­der in sehr vie­len punk­ten recht hat

    „Tre­ff­punk­te des Aus­tausches, Orte der Begeg­nung“ – so, heißt es auf der Web­site der Zen­tral­bib­lio­thek Berlin, sollen Bib­lio­theken heute sein. Habe ich irgend­was falsch ver­standen? Ich will in der Bib­lio­thek nie­man­dem begeg­nen. Ich will mich auch nicht aus­tauschen, wenn ich in die Bib­lio­thek gehe. Ich will mich an einen stillen Ort begeben, an dem jemand sich ein kluges Sys­tem aus­gedacht hat, in dem Büch­er und andere Medi­en geord­net beieinan­der ste­hen.

  • The myth of the well-admin­is­tered Ger­man city – Homo Lud­di­tus → schön­er blog­post, der am beispiel der baden-würt­tem­ber­gis­chen stadt leon­berg zeigt, wie mis­er­abel es um das öffentliche bauwe­sen in deutsch­land ste­ht (vor allem was die aufsicht/kontrolle von baustellen ange­ht — da muss ich vol­lends zus­tim­men), und wie wenig die städtis­che ver­wal­tung dort (und wieder: das ist ein typ­is­ches phänomen) dem ruf der deutschen effizienz und ord­nung entspricht
  • Auto: Voll outo!? | Zeit → der großar­tige burkhard straß­mann über die mobil­ität von jun­gen leuten und ihre (ange­bliche) abkehr vom auto(besitz)

    Der Mul­ti­modal-Surfer gleit­et in Out­doorhose und Trekkingschuhen durch den urba­nen Dschun­gel, schnell, flex­i­bel und ele­gant, und ist dabei stets mit Leuten über sein Smart­phone ver­net­zt. Alles, was sich bewegt, kann seinem Fortkom­men dienen, U‑Bahn, Taxi, Fahrrad oder Miet­fahrrad, Mut­ters Polo, Mit­fahrgele­gen­heit­en, der Flixbus oder das Long­board.

  • Wahlplakate in der Weimar­er Repub­lik (1919 — 1933) → eine samm­lung von wahlplakat­en, gut auf­bere­it­et und zugänglich
  • „Spitzen­man­ag­er sind da nur arme Schluck­er“ | der Fre­itag → gutes inter­view mit dem elitenforscher=soziologe michael hart­mann über eliten, reich­tum, macht und auf­stiegsmöglichkeit­en
  • Haenchen: Par­si­fal „nochmal richtig machen“ | fest­spiele­blog → ein span­nen­des inter­view mit hart­mut haenchen, dem diri­gen­ten des diesjähri­gen “par­si­fal” bei den bayreuther fest­spie­len, unter anderem über tex­tkri­tis­che fra­gen der wag­n­er-par­ti­tur und das arbeit­en in bayreuth

Bayreuth-Notizen 2016

Eine ganze Woche war ich dieses Jahr in Bayreuth bei den Bayreuther Fest­spie­len. Eine volle Ladung Wag­n­er also: Den kom­plet­ten Ring und den Par­si­fal kon­nte ich sehen und hören, dazu noch die Vil­la Wah­n­fried und das dor­tige Richard-Wag­n­er-Muse­um. Damit ist mein Bedarf fürs Erste mal wieder gedeckt …

Aber es war eine tolle Erfahrung, nach mein­er bish­eri­gen ein­ma­li­gen Stip­pvis­ite (wo ich nur zu ein­er Vorstel­lung kam und direkt danach in der Nacht wieder nach Hause fuhr) mal die Fest­spiele so richtig zu erleben. Naja, was eben so richtig heißt … Bei mir hieß das: An- und Abreise mit dem Zug (hin hat das wun­der­bar rei­bungs­los geklappt, zurück war lei­der der erste Zug ab Bayreuth so ver­spätet, dass ich meine Anschlüsse nicht mehr schaffte), Über­nach­tun­gen in der Jugend­her­berge, die Fest­spiel­haus­be­suche ver­gle­ich­sweise under­dressed (keine klas­sis­che Abendgarder­obe …), dafür aber auch ver­gle­ich­sweise bil­lige Plätze im Balkon.

Der Aufen­thalt in der Jugend­her­berge, die nicht mehr ganz heuti­gen Ansprüchen entspricht (etwa: keine Schränke im Zim­mer, nur Spinde auf dem Flur; eine Dusche pro Flur für ca. 30 Bet­ten …), deren Nach­fol­ger direkt nebe­nan aber schon in Bau ist und im näch­sten Früh­jahr in Betrieb gehen soll, hat­te zwar kleinere Kom­fortein­bußen zur Folge, aber dafür einen großen Vorteil: Ich traf gle­ich dort einige andere Wag­ne­r­i­an­er. Genauer gesagt: Einen Englän­der, einen Japan­er, einen Russen und einen Lux­em­burg­er, die (fast) alle im Gegen­satz zu mir wesentlich überzeugtere Wag­ne­r­i­an­er (und Lieb­haber der Oper des 19. Jahrhun­derts über­haupt) waren. Die kos­mopoli­tis­che Zusam­menset­zung unseres kleinen Trup­ps führte dazu, dass ich zwar Werke des vielle­icht deutschesten aller deutschen Kom­pon­is­ten hörte und sah, son­st aber nahezu auss­chließlich englisch redete (und zum Schluss auch schon dachte). Eine sehr inter­es­sante und sehr bere­ich­ernde Erfahrung war es auf jeden Fall.

Aber zur Haupt­sache: Der Ring also. Die Insze­nierung von Frank Cas­torf hat ja nun schon einige Jahre auf dem Buck­el. Beliebter gewor­den ist sie dadurch beim Bayreuther Pub­likum nicht ger­ade. Das ist auch nicht nur Reflex und Faul­heit, son­dern liegt — ver­mute ich — zumin­d­est teil­weise an der Insze­nierung selb­st. Cas­torf hat näm­lich, kön­nte man sagen, ein­fach seine bewährte The­ater­meth­ode der Drama­tisierung großer Romane auf den Ring des Nibelun­gen ange­wandt. Das funk­tion­iert aber nur so halb­wegs, es kracht an allen Eck­en und Enden. Zum einen hat er für mich keine Idee, was der gesamte Ring eigentlich soll und (bedeuten) will. Zumin­d­est keine erkennbar. Ja, es gibt das Motiv des Öls, das irgend­wie das neue Rhein­gold ist (ger­ade im Rhein­gold_wird das recht stark gemacht). Aber das bleibt eine Idee unter vie­len, die nicht kon­se­quent umge­set­zt ist und in der Göt­ter­däm­merung nur noch eine ferne Erin­nerung ist. (Zumal ist die Idee auch zwanzig bis vierzig Jahre zu spät — heute ist Öl ja nicht (mehr) unbe­d­ingt das wertvoll­ste, da sind Dat­en inzwis­chen viel wichtiger …)

Mein Prob­lem mit der Cas­torf-Insze­nierung als Ganz­er war aber — neben vie­len, vie­len Details, die mir ver­schlossen blieben — ein Grund­sät­zlich­es: Mir scheint, Cas­torf hat nicht das Musik­the­ater­w­erk insze­niert, son­dern den Text gele­sen und damit gear­beit­et. Zwis­chen Musik und Bühne gibt es eigentlich kein­er­lei Verbindung (dass der Diri­gent Marke Janows­ki die Insze­nierung für Unsinn hält, mag da mit eine Rolle spie­len). Vor allem aber passt meines Eracht­ens das The­aterkonzept Cas­torfs (das an sich dur­chaus sehr inter­es­sant ist!) nicht zum Wag­n­er­schen Musik­the­ater. Die Büh­nen­bilder, die Aktio­nen und vor allem die Videos, die nicht nur Live-Über­tra­gun­gen des Büh­nengeschehens, son­dern auch vor­fab­rizierte Ein­spiel­er sind, dazu das Orch­ester, die Sänger und Sän­gerin­nen und der Text: Das alles auf ein­mal lässt sich nicht ver­ar­beit­en, geschweige denn deu­tend entschlüs­seln. Ich befand mit im per­ma­nen­ten Über­forderungsmodus, der Über­fluss an Zeichen und Bedeu­tun­gen führte zur Kapit­u­la­tion …

So span­nend das in eini­gen Momenten ist, so großar­tig die Büh­nen­bilder sind — so richtig aufnehmen und genießen kon­nte ich das nicht. Zumin­d­est nicht beim ersten Sehen und Hören. Das Hören war lei­der auch nicht eines, das mich zu absoluten Begeis­terungstür­men hin­risse. Ja, die Qual­ität aller Beteiligten ist hoch. Aber Janowskis Diri­gat zün­dete für mich nicht so richtig toll. Das lag zum einen an der bere­its ange­sproch­enen Diver­genz zwis­chen Bühne und Musik, zum anderen an einem selt­samen Phänomen: An jedem Abend begann Janows­ki recht schwach, steigerte sich aber zum Schluss hin regelmäßig. Und vielle­icht auch vom Rhein­gold zur Göt­ter­däm­merung hin noch ein­mal. Am stärk­sten ist es mir im Siegfried aufge­fall­en: Der Anfang bis unge­fähr zur Mitte des zweit­en Aktes klang sehr nach über­legter, fein­er, um Details und vor­sichtig-zurückgenommene Fein­heit und Bal­ance bemühter Orch­ester­ar­beit, die es auch den Sängern sehr leicht machen wollte. Irgend­wann schien er aber davon genug zu haben und gab sich der Emo­tion­al­ität und der Über­wäl­ti­gungskraft der Wag­n­er­schen Musik hin, als hätte er sich gesagt: Na gut, dann lasst uns halt mal Spaß haben …

Der Par­si­fal dage­gen, die diesjährige Neuin­sze­nierung des Wies­baden­er Inten­dan­ten Uwe-Eric Laufen­berg, war ein ganz anderes Erleb­nis. Musikalisch ließ er, das heißt vor allem: der einge­sprun­gene Diri­gent Hart­mut Haenchen, (fast) nichts zu wün­schen übrig, das war eine aus­ge­sprochen strin­gente, (auch zügige), gut entwick­elte und span­nende Arbeit, die er und das Orch­ester abliefer­ten. Zumal die vokale Beset­zung auch aus­ge­sprochen fein war: Der wirk­lich run­dum großar­tige, wun­der­bare, her­rliche Georg Zep­pen­feld als Gurne­manz, der sehr gute, jugendlich-starke Klaus Flo­ri­an Vogt als Par­si­fal und eben­falls auf höch­stem Niveau begeis­ternde Kundry von Ele­na Pankra­to­va.

Die Insze­nierung Laufen­bergs hat mich, wenn ich es auf einen Punkt brin­gen müsste, eher gelang­weilt — weil sie mich kaum her­aus­ge­fordert hat, son­dern eher zu deut­lich und zu plaka­tiv ihre Posi­tio­nen zeigte. Laufen­berg hat ja im Vor­feld kaum eine Gele­gen­heit aus­ge­lassen, allen zu verkün­den, wie großar­tig sein Konzept sei. Das beste­ht im Grunde aus der Idee, der Par­si­fal sei eine Kri­tik aller Reli­gio­nen. Das ist natür­lich so ein­fach Unsinn und führte zu eini­gen kuriosen Szenen auf der Bühne. Vor allem passierte auf der Bühne aber immer wieder das: Laufen­berg, so nahm ich es wahr, hat­te eine Idee für ein schönes Bild, ein Tableau. Dann hat er das etwas poli­tisch-reli­gion­skri­tisch aufge­laden. Und fer­tig ist die Par­si­fal-Insze­nierung (ok, das ist jet­zt etwas arg polemisch). Aber so manch­es Geschehen kon­nte ich mir nur so erk­lären. Und so manch­es wird unfass­bar plaka­tiv und kitschig. Und so manch­es wird unpassend, scheint mir mit der Par­ti­tur Wag­n­ers nicht in Ein­klang zu brin­gen. Das ist ja über­haupt ein Prob­lem, das mich zunehmend beschäftigt: Die Musik­er wer­den, was die Beschäf­ti­gung mit und Ausle­gung der Par­ti­turen ange­ht, immer kri­tis­ch­er und feinsin­niger — Haenchen zum Beispiel legte wohl viel Wert auf die unter­schiedlichen Aus­prä­gun­gen der Artiku­la­tion­sze­ichen wie Punkt, Strich oder Keil bei Wag­n­er. Die Bühne dage­gen nimmt sich immer mehr Frei­heit­en, erzählt ja oft eine ganz andere Geschichte, die nur noch punk­tuelle Über­schnei­dun­gen mit der Par­ti­tur hab. Das soll jet­zt keineswegs eine Ablehnung des Regi­ethe­aters sein, es ist nur ein Dilem­ma, aus dem ich kaum eine Lösung sehe …

Was noch?
Die Fes­ti­val-Atmo­sphäre ist in Bayreuth schon ziem­lich inter­es­sant. In der Stadt (die übri­gens nicht sehr groß, aber sehr hüb­sch ist) selb­st merkt man recht wenig von den Fest­spie­len. Auf dem grü­nen Hügel ist das natür­lich anders. Zum einen kom­men recht viele Besuch­er ziem­lich früh. Dann hat man in Bayreuth immer die Karten­such­er (für den Ring gab es immer prob­lem­los noch Karten zu ergat­tern, für den Par­si­fal war es fast unmöglich) und einen Schwarz­mark­thändler. Und das Pub­likum ist etwas kos­mopoli­tis­ch­er, etwas (nun ja, ziem­lich viel) formeller gek­lei­det als in den meis­ten deutschen The­atern.

Der Zaun (und auch wenn alle Medi­en etwas anderes behaupten): Das Fest­spiel­haus ist nicht eingezäunt gewe­sen. Lediglich die BÜhnene­ingänge waren davon betrof­fen. Und natür­lich war das “Sicher­heit­skonzept”, wie das heute so schön heißt, noch zu spüren. Von Konzept kann man allerd­ings kaum sprechen. Gut, der Sicher­heits­di­enst wachte ziem­lich genau darüber, dass nur Men­schen mit jew­eiliger Tage­sein­trittskarte Zugang zum Gebäude hat­ten. Die erhöhte Polizeipräsenz (da war sie ja schon immer, sie hat ja sog­ar eine eigene tem­poräre Wache in unmit­tel­bar­er Nach­barschaft) war aber in meinen Augen eher Augen­wis­cherei. An jedem Abend funk­tion­ierte das näm­lich anders: Manch­mal standen an den Aufgän­gen zwei oder drei Polizis­ten und schaut­en, manch­mal waren am über­dacht­en Gang vor dem Karten­büro noch einzelne Posten aufgestellt, manch­mal hat­ten sie Schutzwest­en, manch­mal nicht, bei der Göt­ter­däm­merung kon­trol­lierten sie plöt­zlich (ohne dass es, nach ihrer Aus­sage, einen speziellen Anlass gab) auch alle Hand­taschen der Damen am Beginn des Fes­ti­val­gelän­des — mir scheint, die Strenge der Kon­trolle unter­schied sich vor allem nach dien­sthaben­der Polizeiführungskraft erhe­blich. Aber sei’s drum, ein Gutes hat­te das ganze Bohei auf jeden Fall: Erst­mals gab es eine Gepäck­auf­be­wahrung, bei der man bequem seine Tasche mit Verpfle­gung für die lan­gen Abende deponieren kon­nte …

Ach ja, die Sitz­plätze in Bayreuth. Ich war durch­weg im Balkon. Für den Ring hat­te ich Karten in der fün­ften Rei­he — die Bayreuth-Ken­ner wis­sen, dass das keine nor­malen Sitz­plätze mehr sind, son­dern in Nis­chen nach hin­ten ver­steck­ten Sitze. Da wird es schön warm und stick­ig und die eigentlich aus­geze­ich­nete Akustik des Fest­spiel­haus­es wird doch auch etwas gedämpft, mit etwas Pech hat man auch noch eine Säule im Blick­feld. Zum Glück kon­nte ich aber für Siegfried und Göt­ter­däm­merung einige Rei­hen nach vorne rück­en, weil Plätze frei blieben — das war eine deut­liche Verbesserung der Akustik und des Kom­forts. Das lässt sich Bayreuth aber auch immer gut bezahlen, denn es gibt zwar bil­lige Plätze, aber sowie Sicht und Akustik etwas bess­er wer­den, steigen die Preise sehr schnell recht steil nach oben. Und für den Ring braucht man eben immer gle­ich vier Karten …

(Und natür­lich habe ich wieder mal keine Fotos gemacht …)

Ins Netz gegangen (27.7.)

Ins Netz gegan­gen am 27.7.:

  • Wozu Gen­der Stud­ies? » Forschung & Lehre — ein kluger essay des mainz­er sozi­olo­gen ste­fan hirschauer über die lage und notwendigkeit der gen­der stud­ies, der gegen “sep­a­ratismus” und abschließung, aber unbe­d­ingt für die notwendigkeit der gen­der stud­ies argu­men­tiert
  • Zur Erin­nerung an Ulrich Zieger | Hundertvierzehn.de — »Der Lun­gen­fisch spricht aus der Tiefe« — der Fis­ch­er-Blog 114 erin­nert mit den späten Gedicht “Gesöff” an den ver­stor­be­nen Ulrich Zieger
  • Moni­ka Rinck: Sie wirbelt das Denken auf | ZEIT ONLINE — sehr schöne würdi­gung der großar­ti­gen moni­ka rinck von tobias lehmkuhl (anlässlich (wobei das aber ein biss­chen an den haaren her­beige­zo­gen wirkt) der im herb­st anste­hen­den ver­lei­hung des kleist-preis­es an rinck)

    Auch in Rincks Gedicht­en ste­hen immer wieder schein­bar dis­parat­este Dinge nebeneinan­der, die “Daten­lage” verkehrt sich da in eine “Gar­ten­trage”, und zum Sel­l­erie wird “Schnit­zler” serviert. Gesicherte Erken­nt­nisse haben in Rincks Werk keinen Platz. Im Gegen­teil, die Welt ver­meintlich­er Gewis­sheit­en wird hier skep­tisch beäugt

  • Bayreuther Defizite: Wahn um Wah­n­fried — NZZ Bühne — udo bermbach rech­net unbarmherzig mit dem bayreuther klein­mütigkeit­en rund um wag­n­ers erbe ab

Richard Wagner redivivus

Vielle­icht ist es ein Naturge­setz, daß Leute die Richard Wag­n­er nicht mögen, nur mit Leuten bekan­nt wer­den, die gle­ich­falls Richard Wag­n­er nicht mögen. Ich ver­ste­he nichts von Musik, ich höre sie nur gern, auch habe ich niemals Niet­zsche gele­sen, aber ich kann mir ein­fach nicht vorstellen, daß man die Musik Wag­n­ers liebt. […] Hun­derte von Men­schen, von jun­gen Men­schen beson­ders, haben mir das gle­iche gesagt: daß sie diese Musik als irgend­wo und irgend­wie falsch empfän­den, als pen­e­trant unfromm (ohne daß sie dabei frei und hei­d­nisch wäre), als ein­fach verdächtig. […] Lassen wir Wag­n­er denen, die ihr nationales Ressen­ti­ment an dem Blech­pathos des »Ehrt Eure deutschen Meis­ter« auf­fr­sichen müssen (weil das ja ein­fach­er ist, als die jun­gen deutschen Meis­ter von Hin­demith bis Orff ver­ste­hen zu ler­nen).Alfred Ander­sch, Richard Wag­n­er redi­vivus? (1947) [In: Alfred Ander­sch: Gesam­melte Werke in zehn Bän­den. Band 8: Essay­is­tis­che Schriften I. Zürich: Dio­genes 2004, S. 68ff.]

Grundwiderwärtige Erscheinung

Goethe hätte Wag­n­er als grund­wider­wär­tige Erschei­n­ung empfind­en müssen. Freilich war er großen Tat­sachen und Wirkun­gen gegenüber moralisch sehr tol­er­ant und zuweilen frage ich mich, ob er nicht geant­wortet hätte: “Der Mann ist euch zu groß.” Aber das wäre eine Sache. Die Deutschen sollte man vor die Entschei­dung stellen: Goethe oder Wag­n­er. Bei­des zusam­men geht nicht. Aber ich fürchte, sie wür­den “Wag­n­er” sagen. Oder doch vielle­icht nicht? Sollte nicht doch vielle­icht jed­er Deutsche im Grunde seines Herzens wis­sen, daß Goethe ein unver­gle­ich­lich verehrungs- und ver­trauenswürdi­ger­er Führer und Nation­al­held ist als dieser schnupfende Gnom aus Sach­sen mit dem Bomben­tal­ent und dem schäbi­gen Charak­ter?

Thomas Mann an Julius Bab, 14.9.1911

Ins Netz gegangen (1.6.)

Ins Netz gegan­gen (29.5.–1.6.):

  • Mauert Luther nicht ein! — DIE WELT — Der His­torik Heinz Schilling ist mit den bish­eri­gen Vor­bere­itun­gen des Refor­ma­tions-Jubiläums 2017 nicht so ganz zufrieden …

    Die Kluft zwis­chen gegen­wart­sori­en­tiertem Verkündi­gungs­begehren und Ver­lan­gen nach his­torisch­er wie biografis­ch­er Tiefen­bohrung ist zu über­brück­en, will das Refor­ma­tion­sju­biläum nicht unter das hohe Niveau der auf das 20. Jahrhun­dert bezo­ge­nen Gedenkkul­tur unseres Lan­des zurück­fall­en. Es geht um die eben­so sim­ple wie fol­gen­re­iche Frage, wie viel Wis­senschaft das Refor­ma­tion­sju­biläum braucht und wie viel Wis­senschaft es verträgt. Denn nur auf ein­er soli­den his­torischen Basis ist eine nach­haltige Auseinan­der­set­zung mit dem “protes­tantis­chen Erbe” in der europäis­chen Neuzeit und glob­alen Mod­erne möglich.

  • “Es muss ja nicht alles von mir sein” — DIE WELT — Lit­er­atur — Frank Kas­par besucht Moni­ka Rinck und lässt sich von ihr erk­lären und zeigen, wie man heute Gedichte schreibt, ohne pein­lich und ner­vend zu sein (was ihn anscheinend ziem­lich über­rascht, dass das geht …):

    Wer in Moni­ka Rincks Texte ein­taucht, dem schwirrt bald der Kopf vor lauter Stim­men und Sprachen, die dort frei zusam­men­schießen. Deutsch, Englisch, Franzö­sisch, Ital­ienisch und Pfälzisch, innere tre­f­fen auf äußere Stim­men, rhyth­misch Aus­ge­feiltes auf bewusst geset­zte Brüche, Sprünge, Aus­rufe: Ha! Ach so! Hoho­ho! Die “Gis­cht der wirk­lichen gesproch­enen Sprache”, die Wal­ter Ben­jamin an Alfred Döblins Mon­tage-Roman “Berlin Alexan­der­platz” so begeis­tert hat, gurgelt zwis­chen den Zeilen und macht das Gewebe lebendig und beweglich.

  • Emmerich Joseph von Brei­d­bach zu Bür­resheim: Vorkämpfer der katholis­chen Aufk­lärung — FAZ -

    Emmerich Joseph von Brei­d­bach zu Bür­resheim, auch bekan­nt unter dem Spitz­na­men „Bre­it­fass von Schüttesheim“ — ange­blich trank er zu jed­er Mahlzeit sechs Maß Rhein­wein. Emmerich galt als offen­herzig und volk­snah, obwohl seine Ansicht­en so gar nicht in Ein­klang mit dem wun­der­gläu­bi­gen Barock-Katholizis­mus der kon­ser­v­a­tiv­en Land­bevölkerung standen. Er las Voltaire und Diderot, wurde schließlich zum bedeu­tend­sten Herrsch­er der katholis­chen Aufk­lärung. Beson­ders seine Schul­re­form wirk­te nach­haltig. Let­ztlich schuf die Ratio­nal­isierung des Kur­mainz­er Aus­bil­dungssys­tems die Grund­lage für die Rev­o­lu­tion in der Dom­stadt.

    Dass die Mainz­er den Wein lieben, ist also nichts Neues …

  • Lebens­mit­tel­speku­la­tion in der Frühen Neuzeit – Wie Wet­ter, Grund­herrschaft und Getrei­de­preise zusam­men­hin­gen | Die Welt der Hab­s­burg­er — Nahrungsmit­tel­speku­la­tion ist keine Erfind­ung und auch nicht nur ein Prob­lem des 21. Jahrhun­derts — wer hätte es gedacht .…:

    Die Preis­steigerun­gen waren jedoch nicht nur auf Wet­terkapri­olen zurück­zuführen, auch das Ver­hal­ten der weltlichen und kirch­lichen Grund­her­ren trug maßge­blich zum Anstieg der Getrei­de­preise bei.

  • »Wie ein Rausch« | Jüdis­che All­ge­meine — Ein Inter­view mit dem Klavier­duo Tal & Groethuy­sen über Wag­n­er, Alfred Pring­sheim und Israel:

    Darin liegt auch die Leis­tung des Bear­beit­ers. Er ste­ht ja ständig vor großen Fra­gen: Wie teile ich das auf? Wie kann ich möglichst viel vom Orig­i­nal unter­brin­gen, sodass es plas­tisch ist, aber nicht über­laden? Aber auch pianis­tisch real­isier­bar? Und es hat sich her­aus­gestellt, dass Alfred Pring­sheim, der eigentlich Auto­di­dakt war, mit die inter­es­san­testen und auch pianis­tis­chsten Lösun­gen gefun­den hat.

    Schön auch der Schlusssatz: “Und was Wag­n­er ange­ht, sind wir jet­zt wieder für eine Weile bedi­ent.” — ich glaube, das gilt nach diesem Jahr für alle …

  • Adress­comp­toir: Auf der Suche nach Grill­parz­er — Hein­rich Laube irrt durch Wien:

    Grill­parz­er, wo bin ich über­all hingera­then, um Dich zu find­en! — erster Hof, zweite Stiege, drit­ter Stock, vierte Thür! Es wirbeln mir noch die Beschrei­bun­gen im Kopfe. Nach ein­er vor­mit­täglichen Such­jagd stand ich endlich in ein­er schmalen, öden Gasse vor einem großen schweigsamen Hause

    Grill­parz­ers über­raschend beschei­dene Woh­nung kann man übri­gens im städtis­chen Wien-Muse­um besichti­gen.

Ins Netz gegangen (27.5.)

Ins Netz gegan­gen (25.5. — 27.5.):

  • 08. Michon und die Fak­tiz­ität des Fik­tionalen | Geschichte wird gemacht — Achim Landwehr denkt über die Fak­tiz­ität des Fik­tionalen nach — und über das “Prob­lem” der Tren­nung dieser bei­den Bere­iche:

    Die Wahrheit der Fik­tion ist abso­lut. Ein solch­er Grad an Wirk­lichkeitsverdich­tung lässt sich nicht ein­mal in der total­itärsten aller Dik­taturen erre­ichen. … Die Frage danach, wer oder was denn nun Geschichte macht, lässt sich erwartungs­gemäß auch nicht mit Blick auf die Fik­tion let­zt­gültig beant­worten. Aber wie auch immer die Antwort aus­fall­en sollte, die fik­tiv­en Geschicht­en und Fig­uren dür­fen dabei nicht vergessen wer­den.

    Inter­es­sant wird es dann, wenn die unter­schiedlichen Sphären der Wirk­lichkeit, die fak­tis­chen und die fik­tionalen, miteinan­der in Kon­takt treten und sich über­schnei­den. Denn die Fik­tio­nen sind beständig dabei, unsere Wirk­lichkeit zu verän­dern und zu infizieren: Nicht nur kommt die nicht-fik­tionale Welt in der fik­tionalen vor, eben­so wer­den fik­tionale Deu­tungsange­bote in unsere außer­fik­tionalen Lebens- und Wel­tentwürfe importiert.

  • Liebe in Wag­n­ers Opern: Was weiß Brünnhilde? | ZEIT ONLINE — Slavoj Zizek zu Wag­n­ers Opern, mit ein­er inter­es­san­ten The­o­rie (bei der ich mir nicht sich­er bin, ob sie nicht doch einiges zu viel außen vor lässt, um stim­mig sein zu kön­nen …):

    So para­dox dies klin­gen mag, sollte man fol­glich die übliche Sichtweise, beim Ring han­dle es sich um ein Epos des hero­is­chen Hei­den­tums (da seine Göt­ter nordisch-hei­d­nis­che sind), während der Par­si­fal für Wag­n­ers Chris­tian­isierung stünde, für seinen Kniefall vorm Kreuz (um mit Niet­zsche zu sprechen), umkehren: Es ist vielmehr der Ring, in dem Wag­n­er dem christlichen Glauben am näch­sten kommt, während Par­si­fal, höchst unchristlich, eine obszöne Rück­über­set­zung des Chris­ten­tums in das hei­d­nis­che Rit­u­al ein­er zyk­lis­chen Erneuerung der Frucht­barkeit durch die Wieder­erlan­gung des Königs insze­niert. Oft wird der – vielle­icht ja allzu offen­sichtliche – Umstand überse­hen, dass Wag­n­ers Ring das ulti­ma­tive paulin­is­che Kunst­werk darstellt: Sein zen­trales The­ma ist das Scheit­ern der Herrschaft des Geset­zes; und die Ver­lagerung, die die innere Span­nweite des Rings am besten zum Aus­druck bringt, ist die Ver­lagerung vom Gesetz auf die Liebe.

    Gegen Ende der Göt­ter­däm­merung geschieht mithin Fol­gen­des: Wag­n­er über­windet seine eigene, “heidnisch”-feuerbachsche Ide­olo­gie der (hetero-)sexuellen Paares­liebe als des Par­a­dig­mas der Liebe. Brünnhildes let­zte Ver­wand­lung ist die von Eros zu Agape, von der ero­tis­chen Liebe zur poli­tis­chen Liebe. Der Eros kann das Gesetz nicht wirk­lich über­winden: Er kann lediglich in punk­tueller Heftigkeit ent­flam­men, als die momen­tane Über­schre­itung des Geset­zes, Sieg­munds und Sieglin­des Feuer gle­ich, das sich sofort selb­st verzehrt. Agape hinge­gen ist das, was bleibt, nach­dem wir die Kon­se­quen­zen aus dem Scheit­ern des Eros gezo­gen haben.

Ins Netz gegangen (18.5.)

Ins Netz gegan­gen (18.5.):

  • Ein Gespräch mit dem Diri­gen­ten Thomas Hen­gel­brock: Anders gespielt, neu gehört — Richard Wag­n­er Nachricht­en — NZZ.ch -

    Let­ztlich ist Harnon­court der Diri­gent, der im 20. Jahrhun­dert die grössten Impulse geset­zt hat.

    Schön­er Schlusssatz im Inter­view mit Thomas Hen­gel­brock, in dem es eigentlich um etwas ganz anderes geht: um Instru­men­ta­tiona, Tem­po und Klang bei Wag­n­er, v.a. im “Par­si­fal”:

    Ich habe Wag­n­ers Anweisun­gen befol­gt. Wenn Sie lesen, was er zur Auf­führung sein­er Werke geschrieben hat, kön­nen Sie gar nicht anders als zur Erken­nt­nis kom­men, dass der Text deut­lich und klar zu hören sein muss, son­st ver­fehlt man ein­fach den Sinn. […] Ich finde die Klanggestalt beim «Par­si­fal» ganz entschei­dend. Sie macht das Werk ger­adezu aus, sie hat sym­bol­is­chen, ja meta­ph­ysis­chen Charak­ter. Wenn zum Beispiel die alten Holzflöten mit ihrem azur­blauen Klang ver­wen­det wer­den, dann ergibt sich für mich diese meta­ph­ysis­che Verbindung zum Him­mel; mit der mod­er­nen Met­all­flöte geht das nicht. Auch diese dun­kle, warme, san­fte Farbe der Blech­bläs­er – das war auch für mich eine Über­raschung.

  • Prof. Dr. Dunkel­munkel: Ist die Zeit reif für Grufti-Profs? — cspan­nagel, dunkel­munkel & friends (via Pub­lished arti­cles)
  • Lyrik als Form für die Gegen­wart — Digital/Pausen — Hans Ulrich Gum­brecht erk­lärt die Fasz­i­na­tion der Gegen­wart an der Lyrik bzw. lyrischen For­men — und fängt dafür, wie immer weit aus­holend, in der Antike an. Aber entschei­dend ist dann doch nur der let­zte Absatz:

    Wer die Zeit auf­bringt, sich auf einen — sprach­lich ja meist kom­plex­en – lyrischen Text zu konzen­tri­eren, der unter­bricht die heute eben­so end­los wie ziel­los ver­laufende Zeitlichkeit des All­t­ags. Und ein solch­er Ansatz zur Aufmerk­samkeit wird beim Lesen oder Rez­i­tieren eines Gedichts zu jen­er anderen, sozusagen archais­chen Aufmerk­samkeit, welche zum Aus­set­zen der fließen­den Zeit führt und zum Her­auf­beschwören von vorher abwe­senden Din­gen und Stim­mungen. Lyrik als Form ist eine Sig­natur unser­er Gegen­wart, weii sie für Momente das erhält und an das erin­nert, was dieser Gegen­wart am meis­ten fehlt, näm­lich Form, Ruhe, Konzen­tra­tion und wohl auch Gelassen­heit

  • Schnäp­pchen­reise in die Türkei: Lan­destyp­is­che Getränke sind im Preis inbe­grif­f­en — FAZ — Thomas Stein­mark war für die FAZ eine Woche in der Türkei für den Preis von 199 Euro — und kommt mit einem schö­nen Faz­it zurück:

    … wer sich die ökonomis­chen Bed­ingth­eit­en dieser Art von Reisen bewusst macht und diese zu akzep­tieren bere­it ist, wer sich stark genug fühlt, den oft­mals mas­siv vor­ge­tra­ge­nen Verkauf­sange­boten erfol­gre­ich Wider­stand zu leis­ten, der wird am Ende nicht ent­täuscht sein.

  • Das Rät­sel Merkel — Da hat Michael Spreng lei­der recht:

    Merkel ist eine Macht­tech­nikerin mit schwachem ide­al­is­tis­chen Hin­ter­grund. Sie ist keine Gestal­terin, außer der Gestal­tung ihrer poli­tis­chen Kar­riere und ihrer Macht. Sie macht sich – zumin­d­est öffentlich – keine Gedanken über Deutsch­land in zehn Jahren.

    Ihm selb­st scheint wie mir auch eher unbe­grei­flich, warum sie deshalb/trotzdem so beliebt ist und immer wieder gewählt wird …

  • Flur­na­me­nat­las-Blog — Der Flur­na­me­nat­las Baden-Würt­tem­bergs (?) blog­gt auf tum­blr

Taglied 27.5.2012

Weil ich mir heute in der Dig­i­tal­con­certhall die beein­druck­ende konz­er­tante Auf­führung der “Walküre” der Berlin­er Phil­har­moniker angesehen/angehört habe:


Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén