Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: poetik

Ins Netz gegangen (7.12.)

Ins Netz gegan­gen am 7.12.:

  • Mehrsprachigkeit : Ein Kind, drei Sprachen | ZEIT — mar­tin spiewak hat für die “Zeit” aufgeschrieben, wie kinder mit mehrsprachigkeit umge­hen — näm­lich in der regel pos­i­tiv.
  • Dichter und Com­put­er im radikalen Zwiege­spräch | FAZ.net — elke heine­mann geht in der FAZ der frage nach, wie dig­i­tal­isierung (die hier vor allem com­put­er­isierung meint) die lyrik verän­dert bzw. verän­dern kann/könnte/wird …

    Viele Lit­er­atur­gat­tun­gen näh­ern sich vor­sichtig den Maschi­nen an, nur die Lyrik hat Berührungsäng­ste. Wie dig­i­tal kann ein Gedicht sein?

  • Mar­lene Streeruwitz: Die Stunde der Wahrheit des Geldes | derStandard.at — mar­lene streeruwitz über die auflö­sung der demokratis­chen gesellschaft ins lachen, am beispiel der usa & don­ald trump: “Die Entwer­tung demokratis­chen Ver­han­delns in der Gesellschaft erfol­gt über die Entwer­tung von Min­der­heit­en.”

    So wird das Prinzip der Geschwis­ter­lichkeit aus der poli­tis­chen Kul­tur ent­fer­nt. Demokratie war geschwis­ter­lich gedacht. Ver­ant­wor­tung füreinan­der sollte das Prinzip sein. Die Über­nahme von Pflicht­en und die gerechte Verteilung der Rechte waren vorge­se­hen. Das bedeutete je neues Ver­han­deln der Aufteilung der Rechte und der Über­nahme von Pflicht­en. Denn. Die Grun­drechte der Per­son acht­end kann es keine endgültige Regelung dieser Verteilung geben. Es muss stets neu ver­han­delt wer­den. Kein­er und keine soll über den anderen ste­hen. Und. Um das leben zu kön­nen, müssen alle daran Beteiligten sich ihrer Grun­drechte bewusst sein. Alle müssen den Wert der Per­son an den Grun­drecht­en messen und daraus auf ihren eige­nen Wert und den der anderen schließen. Der Wert muss bewusst sein.
    […] Das Grun­drecht der Per­son auf Würde ist im Lachen der anderen aufgelöst.

    Das ist dann ziem­lich unwieder­bringlich. Denn. Es bleibt der Entschei­dung der Lachens­bes­tim­mer über­lassen, wer wie ernst genom­men wird. Die Lachen­den sind nur noch Gefol­gschaft. Im Fall von Don­ald Trump geht es genau darum. Die demokratis­che Ver­hand­lung soll durch Führung erset­zt wer­den. Der Kap­i­tal­ist will aber nicht ins Patri­ar­chat zurück­kehren. Vater zu sein. Das hieße ja auch wieder nur die Über­nahme von Ver­ant­wor­tung. Der Postkap­i­tal­ist Trump will die Welt ja nur für den Geld­fluss in seine Tasche zuricht­en. Denn. In der Logik unser­er ver­wirtschaftlicht­en Welt der frag­men­tierten Dien­stleis­tungswirtschaft gibt es als möglich­es Ziel ein­er Poli­tik ohne­hin nur die Weit­er­fül­lung der Taschen des einen Prozents der Alles­be­sitzen­den. Es ist darin dann wieder logisch, dass ein­er aus diesem Besitz­s­tand her­aus die Rhetorik der Schmähung der Anderen so authen­tisch liefern und sich so in den Besitz des Lachens der Mitschmähen­den set­zen kann.

  • Ver­hü­tung — Antibabyp­ille — hüb­sch riskant | Süddeutsche.de — ein inter­es­san­ter text von wern­er bartens, der aufzeigt, wie man leute dazu bringt, völ­lig gegen jede logik medika­mente zu bevorzu­gen, die unsicher­er sind als andere

    Unter jun­gen Frauen nimmt der Mark­tan­teil der Pillen der 3. und 4. Gen­er­a­tion trotz­dem stetig zu. Das ist einiger­maßen rät­sel­haft, denn die Risikobe­w­er­tung der Europäis­chen Arzneimit­tel­be­hörde hat ein­deutig ergeben, dass die Prä­parate zu einem deut­lich höheren Embolie- und Throm­boserisiko führen. Das Bun­desin­sti­tut für Arzneimit­tel und Medi­z­in­pro­duk­te hat im Früh­jahr 2014 entsch­ieden, dass in immer mehr Beipackzetteln auf die erhöhte Gefahr hingewiesen wer­den muss. Son­stige Kon­se­quen­zen bish­er: keine.

    die ärzte — die das ja ver­schreiben müssen — bekom­men auch ihr fett weg …

  • Leg­endäre Seleuki­den-Fes­tung Acra in Jerusalem ent­deckt -

    Die Wis­senschafter ent­deck­ten kür­zlich bei Aus­grabun­gen unter dem früheren Givati-Park­platz südlich des Tem­pel­berges Über­reste der leg­endären Fes­tung Acra. Die Zitadelle war vor etwa 2.150 Jahren unter dem Seleuki­den-König Anti­ochus IV. Epiphanes gebaut wor­den.

  • Städtebeschimp­fun­gen — auch cool: thomas bern­hards städtebeschimp­fun­gen, auf der karte verord­net und mit zitat­en gar­niert …
  • Jan Böh­mer­mann : Ich hab Kul­turkri­tik | ZEIT ONLINE@davidhug in der Zeit über jan böh­mer­mann, sein “ich hab polizei” und die kri­tik daran …

    Dabei ist Gang­ster­rap inzwis­chen Main­stream, ähn­lich wie Peter Maf­fay oder Xavier Naidoo es schon lange sind. Das tut vielle­icht weh, aber da müssen wir alle eben durch.

  • Überwachung für mehr Sicher­heit? Ein fataler Trend — Lobo-Kolumne — SPIEGEL ONLINE — muss man immer wieder empfehlen: sascha lobos spiegel-kolumne …

    Die Evi­denz ist tot, es lebe das medi­al insze­nierte Gefühl der Evi­denz.

  • Peter Kurzeck — ein Getrieben­er der Sprache | Frank­furter Rund­schau — claus-jür­gen göpfert berichtet in der FR über peter kurzeck, sein schreiben, seinen nach­lass und die arbeit des stroem­feld-ver­lages (und der lek­toren deu­ble & loss), den in eine pub­lika­tions­fähige form zu brin­gen:

    Im Gespräch mit seinem Fre­und Rudi Deu­ble erscheint Kurzeck als ein Getrieben­er. „Zu Ruhe kam der nie!“ Sehr früh sei er stets aufge­s­tanden in sein­er zweit­en Heimat Uzés, habe gear­beit­et bis zum Mit­tag. Dann fol­gte ein aus­gedehn­ter Spazier­gang durch die son­nen­durchglühte Land­schaft, danach ein Mit­tagessen und ein kurz­er Schlaf. Am Nach­mit­tag habe er dann wieder zu schreiben begonnen, bis etwa um 22 Uhr.

    Mit der Schreib­mas­chine: Die Seit­en waren stets nur zu einem Drit­tel bis zu ein­er Hälfte beschrieben, in ganz engem Zeilen­ab­stand, dazwis­chen hat­te der Autor noch hand­schriftliche Kor­rek­turen einge­tra­gen. Die untere Manuskripthälfte war weit­eren Anmerkun­gen gewid­met. Sym­bole wie Dreiecke und Kreuze struk­turi­erten den Text. Die Arbeit der Lek­toren glich der von Archäolo­gen.

  • Frem­den­hass : “Ich halte das für hochge­fährlich” | ZEIT ONLINE — gutes inter­view mit nor­bert frei über die aktuellen gefahren für die deutsche demokratie

    Was wir derzeit erleben, ist etwas anderes, näm­lich eine zunehmende, fun­da­men­tale Ver­ach­tung für die Demokratie, für das “Sys­tem” und die “Sys­tem­parteien”. Ich halte das für hochge­fährlich, ger­ade auch weil sich solche Stim­mungen über die dig­i­tal­en Kom­mu­nika­tion­skanäle so leicht ver­bre­it­en lassen. Dadurch ist eine Par­al­lelöf­fentlichkeit ent­standen, die sich für die “bürg­er­liche Öffentlichkeit” kaum mehr inter­essiert.

  • Jus­tiz : Das soll Recht sein? | ZEIT ONLINE — die Zeit gibt dem strafvertei­di­ger schwenn möglichkeit, auf prob­leme (wie u.a. das fehlende pro­tokoll) der deutschen strafgerichtsver­fahren aufmerk­sam zu machen

    Die größte Gefahr für den Unschuldigen lauert in den Vorentschei­dun­gen. An ihnen sind oft diesel­ben Beruf­s­richter beteiligt, die später an der Hauptver­hand­lung mitwirken und das Urteil fällen. […] Auch ein Haft­be­fehl darf nur erge­hen, wenn der Tatver­dacht drin­gend, die spätere Verurteilung eines Angeklagten also hochwahrschein­lich ist. Und da lauert die zweite Falle. Denn hat der Richter den Haft­be­fehl selb­st erlassen oder aufrechter­hal­ten, so wird es ihm später schw­er­fall­en, von der eige­nen Verurteilung­sprog­nose abzurück­en.

  • Touris­mus : “Der deutsche Urlauber hat ein aus­ge­sproch­enes Struk­turbedürf­nis” | ZEIT ONLINE — die Zeit hat mit drei sehr unter­schiedlichen reise­leit­ern darüber gesprochen, wie sie “die deutschen” im urlaub wahrnehmen und empfind­en. sehr vergnüglich
  • Wir ver­lieren täglich Tausende Daten­punk­te Zeit- und Medi­engeschichte — kon­rad lis­ch­ka weist auf ein echt­es prob­lem hin: die fehlende archivierung von online-medi­en/-nachricht­en

    Zwei Jahrzehnte Online­jour­nal­is­mus sind vor­beige­zo­gen, ohne dass jemand die Daten­ba­sis für die Erforschung dieser Grün­derzeit geschaf­fen hat. All das ist für immer ver­loren, wir haben heute dank Brew­ster Kahle immer­hin Bruch­stücke und Momen­tauf­nah­men. Enorm wichtige Dat­en für die Erforschung von The­menkar­ri­eren und verän­derten Nutzungs­ge­wohn­heit­en in den 20 Jahren Online­jour­nal­is­mus wäre die Abrufzahlen der archivierten Werke. All diese Dat­en lagen ein­mal dig­i­tal in irgendwelchen Daten­banken vor. Vielle­icht sind sie noch irgend­wo da draußen. Aber wenn heute jemand die Onlineberichter­stat­tung über den 11.9.2001 mit der über den 13.11.2015 ver­gle­ichen will, hat er noch viel weniger Mate­r­i­al als ein His­torik­er, der die archivierten Zeitungsaus­gaben aus dem 19. Jahrhun­dert für seinen Bergar­beit­er­streik unter­sucht.

Ins Netz gegangen (24.7.)

Ins Netz gegan­gen am 24.7.:

  • Wann ist ein Gedicht gut, und wann ist es bloss gut gemeint? — tagesanzeiger.ch — ker­stin hensel, ganz grund­sät­zlich über qual­ität, über gute und schlechte lyrik, und darüber, wie man den unter­schied erken­nt:

    Die Frage lautet nun, was denn ein gutes Gedicht sei bzw. wie man es von ­einem schlecht­en oder mit­telmäs­si­gen unter­schei­den kann. Die Antwort lässt sich nicht auf eine Formel brin­gen, denn es gibt keine «reinen» Kun­st­ge­set­ze. Jed­er Lyrik­er würde die Frage anders beant­worten, und jede Zeit hat ihre eige­nen poet­is­chen Regeln und ihren Ton.

    ein paar auss­chnitte & kri­te­rien:

    Gute Gedichte beste­hen aus Versen, nicht aus auseinan­dergeschnit­ten­er Prosa.

    Das wichtig­ste Merk­mal eines guten Gedicht­es ist, dass es ein unaussprech­bares ­Geheim­nis bewahrt.

    Lyrik lebt wie jede Kun­st aus dem oszil­lieren­den Ver­hält­nis zwis­chen Ratio­nal­ität und Irra­tional­ität.

    Das Aufre­gende in der Kun­st ist der Wider­spruch, der Hak­en, der eine glat­te Schön­heit ver­hin­dert, der nicht mit Gefäl­ligkeit auf all­ge­meinen Applaus zielt.

  • Behin­derten­heim arbeit­et Geschichte auf: Ein Leben außer­halb der Gesellschaft — die nieder-ram­städter heime haben ihre geschichte “aufgear­beit­et” (oder zumin­d­est bear­beit­et und unter­sucht) — mit zeitzeu­gen, geschichtswerk­stät­ten etc.

    Men­sche­nun­würdi­ge Bedin­gun­gen, frag­würdi­ge Erziehungsmeth­o­d­en, fehlende päd­a­gogis­che Bemühun­gen, dafür die reine Unter­bringung der Behand­lungs- und Pflege­fälle ziehen sich durch das ganze Buch.

  • Fahrgastin­for­ma­tion par excel­lence: Der dig­i­tale Wagen­stand­sanzeiger » Zukun­ft Mobil­ität — coole idee: in den nieder­lan­den wurde — endlich! — ein zeit­gemäßer wagen­stand­sanzeiger entwick­elt, der gle­ich noch ein paar zusatz­in­for­ma­tio­nen liefert und auch für nicht-gewohn­heits-reisende, die das konzept “wagen­stand­sanzeiger” nicht ken­nen, kaum zu überse­hen sein dürfte:

    Statt einzel­ner Bild­schirme und Anzeigen überspan­nt ein 180 Meter langer LED-Balken den Bahn­steig. Auf diesem wer­den über ver­schiedene Sym­bole und intu­itive Far­b­codes diverse Infor­ma­tio­nen wie die exak­te Hal­tepo­si­tion, die Posi­tion der Türen, die einzel­nen Wagen­klassen, Ruhe­abteile, Fahrrad- und Roll­stuhlplätze sowie die Fahrtrich­tung angezeigt. Hinzu kom­men Infor­ma­tio­nen über den Beset­zungs­grad einzel­ner Wagen.

  • Enzyk­lothek — eine irrsin­nige arbeit, die sich peter ketsch mit der enyk­lothek da macht — aber auch, trotz vorhan­den­er lück­en, ein unge­mein hil­fre­ich­es recherchemit­tel für his­torische wis­senspe­ich­er

    Die Enzyk­lothek ist eine Lit­er­atur­daten­bank, die möglichst umfassend die von der Antike bis etwa 1920 ver­fassten Nach­schlagew­erke mit ihren ver­schiede­nen Aus­gaben und Aufla­gen doku­men­tiert.

  • Chil­dren pay­ing a ter­ri­ble price in Gaza — The Wash­ing­ton Post — so etwas nen­nt man dann wohl asym­metrische kriegs­führung MT @KenRoth: the death toll of the cur­rent #Gaza fight­ing.

Ins Netz gegangen (10.3.)

Ins Netz gegan­gen am 10.3.:

  • Liebe Raubkopier­er bei der SPD, | taz Haus­blog — Sebas­t­ian Heis­er mah­nt SPD-Grup­pierun­gen ab, weil sie eines sein­er Fotos nicht lizen­zgemäß ver­wandten:

    Nor­maler­weise stört es mich nicht, wenn andere Leute meine Texte oder Bilder weit­er­ver­bre­it­en. Falls es mich doch mal stört, schreibe ich eine fre­undliche E‑Mail oder greife zum Tele­fon (außer bei Kai Diek­mann). Aber in diesem Fall dachte ich mir: Warum sollen unter dem kaput­ten Urhe­ber­recht immer nur die Leute lei­den, die damit täglich arbeit­en müssen? Und nicht auch mal die, die dafür ver­ant­wor­lich sind?

  • Hubert Fichte — Der schwarze Engel — (Nach­trag zur Erin­nerung an seinen Todestag am 8. März)
  • Sybille Lewitscharoff: Sybille Bergs Gedanken zur Skan­dalrede — SPIEGEL ONLINE — Sybille Bergs heutige Kolumne kön­nte man Satz für Satz zitieren — sie hat ein­fach Recht …

    Unver­ständlich jedoch: Was bringt schein­bar gesunde, gut­si­tu­ierte Men­schen dazu, unver­drossen über Dinge zu reden, die sie nicht betr­e­f­fen, son­dern nur die Trägheit ihres Geistes offen­baren? Homo­pho­bie, Angst vor Rand­grup­pen und Ekel vor in Retorten gezeugtem Leben sagen nur etwas über den Ver­stand der lal­len­den Kri­tik­er aus. Sie sagen: Ich bin am Ende mit mein­er Weisheit. Ich will nicht denken, ich will mich nicht neu ori­en­tieren. Ich will keine Welt, in der alle Men­schen gle­ich sind.

  • Jus­tiz: Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy | ZEIT ONLINE — Thomas Fis­ch­er, Richter am BGH, in der “Zeit” über die Rolle der Staat­san­waltschaft im Strafrecht, ihre Entwick­lung und ihren gegen­wär­ti­gen Zus­tand — natür­lich aus aktuellem Anlass:

    Man wagt es kaum zu sagen: Vielle­icht sollte sich der Rechtsstaat – jeden­falls vor­läu­fig, bis zum Beweis des Gegen­teils – bei dem Beschuldigten Sebas­t­ian Edathy ein­fach entschuldigen. Er hat, nach allem, was wir wis­sen, nichts Ver­botenes getan. Vielle­icht soll­ten diejeni­gen, die ihn gar nicht schnell genug in die Hölle schick­en wollen, vor­erst ein­mal die eige­nen Wichsvor­la­gen zur Begutach­tung an die Presse übersenden. Vielle­icht soll­ten Staat­san­waltschaften weniger aufgeregt sein und sich ihrer Pflicht­en entsin­nen. Vielle­icht soll­ten Parteipoli­tik­er ihren durch nichts gerecht­fer­tigten herrschaftlichen Zugriff auf den Staat min­dern. Vielle­icht soll­ten aufgek­lärte Bürg­er ern­sthaft darüber nach­denken, wo sie die Gren­ze ziehen möcht­en zwis­chen Gut und Böse, zwis­chen dem Innen und Außen von Gedanken und Fan­tasien, zwis­chen legalem und ille­galem Ver­hal­ten. Zwis­chen dem nack­ten Men­schen und ein­er “Polizey”, die alles von ihm weiß.

  • Ann Cot­ten im Inter­view: Die Abwe­ichung beja­hen | Frank­furter Rund­schau — Judith von Stern­burg spricht mit Ann Cot­ten

    Als ich ein­mal Orna­mente geze­ich­net habe, fiel mir auf, dass in mein­er Struk­tur offen­bar etwas angelegt ist, das die Abwe­ichung immer bejaht. Ich ver­suche, den abso­lut schö­nen Kreis, die ger­ade Lin­ie zu zeich­nen, aber meine Fin­ger sind bis in die Spitzen darauf trainiert, die Abwe­ichung gutzuheißen. […] Ich glaube, es wäre vor­eilig, sich damit zufrieden zu geben, nicht per­fekt sein zu wollen. Natür­lich kann ich nicht wie ein Com­put­er zeich­nen, aber die Bemühung darum macht etwas mit mir. Ich habe genug Chaos in mir, um froh zu sein, wenn ich mich um klare For­men bemühe. Ohne die Liebe zur unerr­e­ich­baren Per­fek­tion, zu Gott, wie immer Sie es nen­nen wollen, wäre Kun­st auch nur so ein Kack­en. Wenn man sich damit zufrieden gibt, das Fleis­chliche, Fehler­hafte zu feiern.

Aus-Lese #7

Jakob van Hod­dis: Gedichte. Berlin: hochroth 2009. 22 Seit­en.

Einige von den bekan­nten — und von mir bewun­derten und geliebten — Tex­ten des Expres­sion­is­ten Jakob van Hod­dis, sehr schön und geschmack­voll als kleine Broschüre gedruckt und mit ein­er ansprechen­den Graphik von Uwe Meier-Weit­mar verse­hen. Mehr muss ich dazu nicht sagen …

Juli Zeh: Trei­deln. Frank­furter Poet­ikvorlse­un­gen. Frank­furt: Schöf­fling 2013. 197 Seit­en.

Juli Zeh wird zur Poet­ikvor­lesung gebeten, ver­weigert sich und schreibt dann doch so etwas ähn­lich­es wie eine Poet­ik — in Form von ver­schiede­nen Mails an ihr Umfeld — ihren Mann, ihren Ver­leger und befre­un­dete Autoren mit ein paar dazwis­chengestreuten E‑Mails an die Abfall­ber­atung (sie braucht unbe­d­ingt eine zweite blaue Tonne, um der Men­gen in ihrem Haushalt pro­duzierten Alt­pa­piers Herr zu wer­den …) und das Finan­zamt. Darin entwick­elt sie dann zwar keine regel­gerechte Poet­ik, zeigt aber eben ger­ade in ihrer Ablehnung (der Möglichkeit) ein­er Poet­ik und dem allmäh­lichen, tas­ten­den Entwick­eln eines Roman­pro­jek­ts, wie ihre Poet­ik aussieht und/oder zu ver­ste­hen ist. Und neben­bei räumt sie gle­ich noch mit ein biss­chen Unsinn auf — zum Beispiel der absur­den Frage “Was will uns der Autor damit sagen?” oder den blö­den Inter­viewfra­gen der Medi­en oder dem Gespenst der poli­tis­chen Autorin. Sehr amüsant und lehrre­ich zugle­ich.

Poet­ikvor­lesung? Kommt nicht in Frage. Ich bin doch nicht mein eigen­er Deutsch-Leis­tungskurs. Ohne mich.

Hen­ning Ahrens: Tiertage. Frank­furt: Fis­ch­er-Taschen­buch-Ver­lag 2009. 283 Seit­en.

Etwas trock­en in der Sprache und kon­stru­iert im Plot für meinen Geschmack, hat Tiertage aber immer­hin einen erhe­blichen Unter­hal­tungswert: Die Verbindung von “Fabel” (oder so ähn­lich, mit den sprechen­den und han­del­nden Tieren) und real­is­tis­chem Roman hat dur­chaus einen gewis­sen Reiz.

Urs Alle­mann: schoen! schoen!. Basel, Weil am Rhein: Urs Engel­er Ditor 2003. 72 Seit­en.

“Sil­ben­schutt” — nun gut, nicht ganz. Aber der ein­führende Zyk­lus “Noch lange nicht tot. Elegien, Oden, Gesänge” ist schon ein Abbruchunternehmen in der Sprache — aufge­sprengte Sätze, einzelne Teile, die kein Ganzes mehr geben — das hin­ter­lässt mich erst ein­mal etwas rat­los. Manch­mal gibt es “schöne” Momente, in denen die Fugen der Bruch­stücke anfan­gen zu tanzen

Vom Auge tropfe was es zu sehen schien

— aber das sind wenige, vieles berührt mich kaum oder gar nicht … Endgültiges Urteil bis zur Re-Lek­türe vertagt.

Hans Joachim Schädlich: Kokoschkins Reise. Rein­bek: Rowohlt 2010. 191 Seit­en.

Trock­en-lakonis­ch­er Bericht eigentlich ein­er Nos­tal­gik­er-Reise: Ein rus­sis­ch­er Emi­grant, der St. Peters­burg 1918 nach der Rev­o­lu­tion als Junge mit sein­er Mut­ter ver­ließ, kehrt zurück an die Stät­ten und Erfahrun­gen sein­er Kind­heit und Jugend, in Rus­s­land und Deutsch­land — und erzählt bzw. berichtet das sein­er Reise­be­gleitung, einge­bet­tet in die Schiff­s­reise über den Atlantik zurück in die USA, wo er lebte. Das gibt dem Autor viel Möglichkeit, die Grausamkeit­en, Inkon­se­quen­zen und Unsin­nigkeit­en der Novem­ber­rev­o­lu­tion in Erin­nerung zu rufen — in dem etwas lar­moy­ant-nos­tal­gisch-erin­nerungs­seli­gen Ton der sno­bis­tis­chen Alther­ren­prosa, die sich in die gute alte Zeit zurück­wün­scht — das zaris­tis­che Rus­s­land des 19. Jahrhun­derts.

Ins Netz gegangen (28.6.)

Ins Netz gegan­gen (26.6.–28.6.):

  • Trei­deln — Wie man eine Poet­ikvor­lesung ablehnt und trotz­dem schreibt — die Frank­furter Poet­ikvor­lesun­gen wer­den zunehmend per­for­ma­tiv (und span­nend …)

    Poet­ikvor­lesung? Kommt nicht in Frage. Ich bin doch nicht mein eigen­er Deutsch-Leis­tungskurs. Ohne mich.

  • Auf­stieg der Zeitzeu­gen | Medi­en im Geschicht­sun­ter­richt — Daniel Bernsen weist darauf hin, dass der Begriff “Zeitzeuge(n)” ein recht neuer ist — und zeigt, dass er im Deutschen, anders als im Franzö­sis­chen und v.a. im Englis­chen, eine Neuschöp­fung der 1970er/1980er Jahre ist
  • Clau­dio Abba­do: Der Fluss des Ganzen | ZEIT ONLINE — Julia Spin­o­la spricht — aus Anlass seines 80. Geburt­stags — mit dem wun­der­baren Clau­dio Abba­do. Und der erk­lärt (wieder) mal ganz gelassen, was so großar­tig und wichtig an der Musik ist:

    Die Magie eines lebendi­gen musikalis­chen Augen­blicks lässt sich nicht durch diri­gen­tis­che Kom­man­dos erzwin­gen. Sie ereignet sich, oder sie ereignet sich eben nicht. Das ist etwas ganz Zartes, Frag­iles. Dafür muss der Diri­gent mit dem Orch­ester zunächst ein­mal eine Atmo­sphäre der Offen­heit schaf­fen, ein wech­sel­seit­iges Ver­trauen. Darin beste­ht seine Führungsar­beit. Und man muss ler­nen, einan­der zuzuhören. Das Zuhören ist so wichtig. Im Leben wie in der Musik. Eine Fähigkeit, die immer mehr ver­schwindet.
    […] Die Musik zeigt uns, dass Hören grund­sät­zlich wichtiger ist als Sagen. Das gilt für das Pub­likum genau­so wie für die aus­führen­den Musik­er. Man muss sehr genau in die Musik hinein­lauschen, um zu ver­ste­hen, wie sie zu spie­len ist.

Ins Netz gegangen (1.6.)

Ins Netz gegan­gen (29.5.–1.6.):

  • Mauert Luther nicht ein! — DIE WELT — Der His­torik Heinz Schilling ist mit den bish­eri­gen Vor­bere­itun­gen des Refor­ma­tions-Jubiläums 2017 nicht so ganz zufrieden …

    Die Kluft zwis­chen gegen­wart­sori­en­tiertem Verkündi­gungs­begehren und Ver­lan­gen nach his­torisch­er wie biografis­ch­er Tiefen­bohrung ist zu über­brück­en, will das Refor­ma­tion­sju­biläum nicht unter das hohe Niveau der auf das 20. Jahrhun­dert bezo­ge­nen Gedenkkul­tur unseres Lan­des zurück­fall­en. Es geht um die eben­so sim­ple wie fol­gen­re­iche Frage, wie viel Wis­senschaft das Refor­ma­tion­sju­biläum braucht und wie viel Wis­senschaft es verträgt. Denn nur auf ein­er soli­den his­torischen Basis ist eine nach­haltige Auseinan­der­set­zung mit dem “protes­tantis­chen Erbe” in der europäis­chen Neuzeit und glob­alen Mod­erne möglich.

  • “Es muss ja nicht alles von mir sein” — DIE WELT — Lit­er­atur — Frank Kas­par besucht Moni­ka Rinck und lässt sich von ihr erk­lären und zeigen, wie man heute Gedichte schreibt, ohne pein­lich und ner­vend zu sein (was ihn anscheinend ziem­lich über­rascht, dass das geht …):

    Wer in Moni­ka Rincks Texte ein­taucht, dem schwirrt bald der Kopf vor lauter Stim­men und Sprachen, die dort frei zusam­men­schießen. Deutsch, Englisch, Franzö­sisch, Ital­ienisch und Pfälzisch, innere tre­f­fen auf äußere Stim­men, rhyth­misch Aus­ge­feiltes auf bewusst geset­zte Brüche, Sprünge, Aus­rufe: Ha! Ach so! Hoho­ho! Die “Gis­cht der wirk­lichen gesproch­enen Sprache”, die Wal­ter Ben­jamin an Alfred Döblins Mon­tage-Roman “Berlin Alexan­der­platz” so begeis­tert hat, gurgelt zwis­chen den Zeilen und macht das Gewebe lebendig und beweglich.

  • Emmerich Joseph von Brei­d­bach zu Bür­resheim: Vorkämpfer der katholis­chen Aufk­lärung — FAZ -

    Emmerich Joseph von Brei­d­bach zu Bür­resheim, auch bekan­nt unter dem Spitz­na­men „Bre­it­fass von Schüttesheim“ — ange­blich trank er zu jed­er Mahlzeit sechs Maß Rhein­wein. Emmerich galt als offen­herzig und volk­snah, obwohl seine Ansicht­en so gar nicht in Ein­klang mit dem wun­der­gläu­bi­gen Barock-Katholizis­mus der kon­ser­v­a­tiv­en Land­bevölkerung standen. Er las Voltaire und Diderot, wurde schließlich zum bedeu­tend­sten Herrsch­er der katholis­chen Aufk­lärung. Beson­ders seine Schul­re­form wirk­te nach­haltig. Let­ztlich schuf die Ratio­nal­isierung des Kur­mainz­er Aus­bil­dungssys­tems die Grund­lage für die Rev­o­lu­tion in der Dom­stadt.

    Dass die Mainz­er den Wein lieben, ist also nichts Neues …

  • Lebens­mit­tel­speku­la­tion in der Frühen Neuzeit – Wie Wet­ter, Grund­herrschaft und Getrei­de­preise zusam­men­hin­gen | Die Welt der Hab­s­burg­er — Nahrungsmit­tel­speku­la­tion ist keine Erfind­ung und auch nicht nur ein Prob­lem des 21. Jahrhun­derts — wer hätte es gedacht .…:

    Die Preis­steigerun­gen waren jedoch nicht nur auf Wet­terkapri­olen zurück­zuführen, auch das Ver­hal­ten der weltlichen und kirch­lichen Grund­her­ren trug maßge­blich zum Anstieg der Getrei­de­preise bei.

  • »Wie ein Rausch« | Jüdis­che All­ge­meine — Ein Inter­view mit dem Klavier­duo Tal & Groethuy­sen über Wag­n­er, Alfred Pring­sheim und Israel:

    Darin liegt auch die Leis­tung des Bear­beit­ers. Er ste­ht ja ständig vor großen Fra­gen: Wie teile ich das auf? Wie kann ich möglichst viel vom Orig­i­nal unter­brin­gen, sodass es plas­tisch ist, aber nicht über­laden? Aber auch pianis­tisch real­isier­bar? Und es hat sich her­aus­gestellt, dass Alfred Pring­sheim, der eigentlich Auto­di­dakt war, mit die inter­es­san­testen und auch pianis­tis­chsten Lösun­gen gefun­den hat.

    Schön auch der Schlusssatz: “Und was Wag­n­er ange­ht, sind wir jet­zt wieder für eine Weile bedi­ent.” — ich glaube, das gilt nach diesem Jahr für alle …

  • Adress­comp­toir: Auf der Suche nach Grill­parz­er — Hein­rich Laube irrt durch Wien:

    Grill­parz­er, wo bin ich über­all hingera­then, um Dich zu find­en! — erster Hof, zweite Stiege, drit­ter Stock, vierte Thür! Es wirbeln mir noch die Beschrei­bun­gen im Kopfe. Nach ein­er vor­mit­täglichen Such­jagd stand ich endlich in ein­er schmalen, öden Gasse vor einem großen schweigsamen Hause

    Grill­parz­ers über­raschend beschei­dene Woh­nung kann man übri­gens im städtis­chen Wien-Muse­um besichti­gen.

Netzfunde vom 7.5.

Meine Net­z­funde vom 7.5.:

“Marcel Proust …

… hat Unsag­bares — sag­bar gemacht. Daran messe ich einen Autor. Unsag­bares begreif­bar machen, das tut nicht die Gesellschaft. Und die Wirtschaft schafft’s auch nicht.” (Ger­hard Meier, Borodi­no, 94)

“Kunst soll …

… unver­ständlich sein, die Welt ist auch so.” (Rainald Goetz, Klage, 17)

“ich will, …

… dass alles, was gesagt wird, ins wack­eln kommt, immer wieder neu.” (paul wühr)

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