Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: norbert scheuer

Bibliothek (gebogene Reihe)

Aus-Lese #54

Eber­hard Kolb: Otto von Bis­mar­ck. Eine Biogra­phie. München: Beck 2014. 208 Seit­en. ISBN 978–3‑406–66774‑9.

kolb, bismarck (cover)Als Biogra­phie ist das für mich kaum sat­is­fak­tions­fähig: Zu blass und ver­schwom­men bleibt das Bild. Der Men­sch Bis­mar­ck, die Per­son, tritt nahezu gar nicht auf — ab und an gibt es Hin­weise auf seine Gesund­heit oder ein paar ganz wenige auf Frau und Kinder. Im Vorder­grund oder bess­er alleine im Fokus ste­ht sein poli­tis­ches Han­deln. Das beschreibt Kolb mit Zunei­gung, aber dur­chaus auch mit Blick für die Ambivalen­zen Bis­mar­cks. Aber auch das Zen­trum, die Poli­tik, bleibt blut- und far­b­los. Das liegt vor allem daran, dass Kolb oft sehr großzügig durch die Geschehnisse und Tat­en durch eilt udn nur die Ergeb­nisse berichtet, den Weg aber meist nur sum­marisch (und oft genug mit dem Hin­weis: Die Details sind bekan­nt). Das wiederum hängt damit zusam­men, dass er keinen recht­en Zugriff find­et: Eigentlich ist das eine preußische/deutsche Geschichte am Beispiel Bis­mar­cks. Und bei­des ist in diesem Umfang natür­lich kaum beson­ders inten­siv oder tiefge­hend zu leis­ten.

Wu Ming: Man­i­tu­a­na. Berlin, Ham­burg: Assozi­a­tion A 2018. 509 Seit­en. ISBN 978–3‑86241–465‑9.

wu ming, manituana (cover)Man­i­tu­a­na reicht lei­der nicht an die let­zten Bände von Wu Ming her­an. Das kann dur­chaus daran liegen, dass der USA, ihre Unab­hängigkeit­skrieg und der Kampf mit, um und gegen die “Indi­an­er” schon an sich nicht so ganz mein Ding sind. Da passiert dann zwar wieder viel, es wird gekämpft, bet­ro­gen, ver­rat­en und ver­han­delt, eine Del­e­ga­tion darf auch nach Eng­land reisen und sich im Luxus (und den Niederun­gen Lon­dons) des Adel­slebens gehörig fremd fühlen. Ich hat­te beim Lesen aber schon eigentlich durch­weg den Ein­druck, dass das an Span­nung und vor allem hin­sichtlich des bild­haften, detail­re­ichen Erzäh­lens ein­fach nicht (mehr) so gut ist. Zu sehr dringt hier immer wieder die Absicht an die Ober­fläche und stellt sich vor den Text — und damit funk­tion­iert genau das, was bei anderen Tex­ten von Wu Ming die beson­dere Span­nung und den speziellen Reiz aus­macht, hier lei­der nicht.

Jan Peter Bre­mer: Der junge Dok­torand. 2. Auflage. München: Berlin 2019. 176 Seit­en. ISBN 978–3‑8270–1389‑7.

bremer, der junge doktorand (cover)Das ist ein über­raschend feines, kleines Buch. Jan Peter Bre­mer hat­te ich bish­er ja über­haupt nicht auf dem Schirm. Aber in Der junge Dok­torand zeigt er sich dur­chaus als gewiefter Erzäh­ler, der sein Handw­erk ver­ste­ht und vor allem ernst nimmt: Ernst nehmen in dem Sinn, dass er sich bemüht, sauber zu arbeit­en, Fehler zu ver­mei­den. Das zeigt der Text, der mit Gespür und Form­be­wusst­sein erzählt ist. Das kun­stvolle Beherrschen des Erzäh­lens zeigt sich auch in dem Umfang des Buch­es: Das ist ein klein­er Roman. Es geht auch gar nicht so sehr um große, allum­fassende Dinge — die Welt wird hier nicht ger­ade erzählt. Aber auch wenn er sich beschei­den gibt: Bre­mer gelingt es doch, auf den weni­gen Seit­en mit genauen Sätzen, tre­f­fend­en Beschrei­bun­gen und Bewusst­sein für das richtige Tem­po große The­men zu erzählen: Es geht um Ehe, um Gesellschaft und Indi­vidu­um, und natür­lich, vor allem, um Kun­st — und auch ein biss­chen um nicht-normierte Lebensläufe wie den des jun­gen Dok­toran­den, der wed­er jung noch Dok­torand ist. Das klingt in der Zusam­men­fas­sung recht trock­en und ja, fast banal, ent­fal­tet bei Bre­mer aber eine tre­f­fend­en und sub­tile Komik. Und das macht dann ein­fach Spaß.

Nor­bert Scheuer: Win­ter­bi­enen. 5. Auflage. München: Beck 2019. 319 Seit­en. ISBN 978–3‑406–73964‑4.

scheuer, winterbienen (cover)Die Win­ter­bi­enen haben mich etwas ent­täuscht und rat­los zurück­ge­lassen. Ich habe Scheuer ja dur­chaus als erfahre­nen Erzäh­ler und Autor schätzen gel­ernt. Dieser Roman hat aber mehr Schwächen als er mit seinen eher mäi­gen Stärken aus­gle­ichen kann. Da ist zum einen die selt­same Tage­buch-Fik­tion. Die passt näm­lich vorne und hin­ten nicht: Gut, dass der Tage­buch­text in Fußnoten die lateinis­chen Zitate über­set­zt, das wird noch von der Her­aus­ge­ber­fik­tion gedeckt. Dass (als ein Beispiel von vie­len) Egid­ius Ari­mond (schon der Name macht mich ja beina­he wahnsin­nig) als erfahren­er Imk­er aber nach jahrzehn­te­langer Tätigkeit seinem Tage­buch erk­lärt, was er warum bei den Bienen, vor allem eben im Win­ter, macht, ist ein­fach handw­erk­lich­er bzw. erzähltech­nis­ch­er Unsinn, der ein­er Lek­torin dur­chaus mal hätte auf­fall­en dür­fen. Der Roman an sich ist für mich etwas zwiespältig: Natür­lich sehr durch­drun­gen von völkisch­er Ide­olo­gie, die eben wieder durch die Tage­buch-Fik­tion legit­imiert wird. Dann ist da noch das Lei­den eines Krieges, der auf die Aggres­soren zurück­ge­fall­en wird, hier aber — in Ari­mond und den restlichen, schemen­haft auf­tauchen­den Eifel­be­wohn­ern — eher als irgend­wie gegeben hin­genom­men wird. Ange­blich ist die erzählte Welt geprägt von dem “Wun­sch nach ein­er friedlichen Zukun­ft” — davon merkt man im Text aber reich­lich wenig. Im ganzen bleibt mir das etwas frag­würdig und vor allem aus­ge­sprochen unbe­friedi­gend: Warum erzählt Scheuer uns das? Und warum ver­steckt sich der Autor so (beina­he) vol­lkom­men hin­ter sein­er Fig­ur — was will mir das eigentlich sagen?

außer­dem gele­sen:

  • Heim­i­to von Doder­er: Unter schwarzen Ster­nen. Erzäh­lun­gen. München: Deutsch­er Taschen­buch Ver­lag 1973. 154 Seit­en. ISBN 3–7642-0055–3.
  • Glenn Gould: Frei­heit und Musik. Reden und Schriften. 2., durchge­se­hene und ergänzte Auflage. Ditzin­gen: Reclam 2019 (Was bedeutet das alles?). 84 Seit­en. ISBN 978–3‑15–019412‑6.
  • Alger­non Black­wood: Eine Kan­u­fahrt auf der Donau. / Die Wei­den. Ulm: danube bookes 2018. 154 Seit­en. ISBN 978–3‑946046–13‑4.
  • Sibylle Schwarz: Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschw­er?. Leipzig: Rei­necke & Voß 2016. 58 Seit­en. ISBN 978–3‑942901–21‑5.

Orte

[Kall] ist ein lit­er­arisch­er Ort gewor­den. Aber was spielt der reale Ort schon für eine Rolle? Die Men­schen ster­ben, die Häuser wer­den abgeris­sen, die Flüsse umgeleit­et, das einzige, was bleibt, ist die Geschichte. Nor­bert Scheuer

Aus-Lese #36

Nor­bert Scheuer: Bis ich dies alles liebte. Neue Heimatgedichte. München: Beck 2011. 101 Seit­en

scheuer, bisIm Jahr 2011 Heimatgedichte zu schreiben, ist natür­lich eine Pro­voka­tion — die Gat­tung gilt (genau­so wie “Heimat” über­haupt) als erledigt und über­holt. Aber immer­hin sind es “Neue Heimatgedichte”, die Nor­bert Scheuer hier vorgelegt hat. Und sie sind lange nicht so provozierend, wie man erwarten mag. Was auch damit zusam­men­hän­gen dürfte, dass sie schon als Gedichte — unab­hängig von ihrer The­matik — nich so sehr provozieren kön­nen und wollen. Eine leichte Wehmut lässt sich oft erken­nen, vor allem aber zeich­net die Heimatgedichte Scheuers wohl so etwas wie eine Zufrieden­heit mit der „Heimat“ trotz der vorhandenen/erworbenen Ken­nt­nis des Anderen (als das wären: Welt, Unsterblichkeit der Lit­er­atur und der­gle­ichen mehr) aus. “Heimat” selb­st ist ja eigentlich eine sehr unge­naue Spez­i­fizierung. Hier trifft sie vor allme — und das ist tat­säch­lich in der Lyrik der let­zten Jahre nicht unbe­d­ingt gewöhn­lich — auf das Dorf. Man kann ger­ade die ersten Gedichte des Ban­des auch als eine klitzek­leine Geschichte des Dor­fes im Zeitraf­fer lesen, mit den Men­schen und den Tätigkeit­en und der Umge­bung, die dazu gehört. Wo andere Lyrik­er Szenen der Stadt beschreiben, ste­ht hier eben das dör­fliche oder ländliche Leben und Erleben im Vorder­grund. Das war aber auch schon der Unter­schied — na gut, vielle­icht über­haupt die deut­liche und starke Veror­tung in bes­timmt-unbes­timmten Raum (der „Heimat“, auf dem Lande …). Dieser Ort bleibt aber unge­nan­nt und nicht ganz fass­bar — es ist eine manch­mal ide­ale, manch­mal nicht so ehr ide­ale Kon­struk­tion aus dem Typ­is­chen.
Ein paar sehr feine, klare (sprechende) Gedichte sind dabei, aber auch einiges eher mit­telmäßige und auch banales. For­mal hat sich das lei­der auch eher schnell erschöft, hat man schnell kapiert und ist dann zwar nicht schlechter, aber auch nicht mehr beson­ders span­nend oder anre­gend — etwa das Spiel mti der Ober­flächen­form der Gedichte udn ihrer Sprache. Aber vielle­icht ist das eben ein­fach Lyrik der Nor­mal­ität (des Lebens, eben des Lebens in der Heimat und auf dem Land).

Julien Gracq: Der Ver­such­er. Graz: Droschl 2014. 232 Seit­en.

gracq, versucher„Ein Buch, das voll­ständig aus Obertö­nen beste­ht” schreibt der Über­set­zer Dieter Hornig im Nach­wort zu einem der Vor­bilder für Gracq, Cha­teuabriands Vie de Rancé. Das gilt aber auch für den Ver­such­er: Das ist näm­lich ein Roman, der maßge­blich von sein­er Atmo­sphäre lebt. Es ist faszinierend, wie genau und leicht Gracq die her­auf­beschwören kann: Seine ele­gan­ten Beschrei­bun­gen der Ele­ganz ver­loren­er Zeit(en) und unterge­gang­nen Epochen, wie sie sich im Urlaub­sleben in einem Strand­ho­tel man­i­festieren, lassen eine entspan­nte, offene, zugle­ich erwartende und erwartungsvolle Stim­mung entste­hen, die wun­der­bar zum som­mer­lichen Schweben im Urlaub, dem Entrückt-Sein aus dem All­t­ag, passen. In der Land­schaft der bre­tonis­chen Küste, mit ihrer Melan­cholie und Vergänglichkeit, die Gracq beza­ubernd beschreibt, trifft der Erzäh­ler (und Lit­er­atur­wis­senschaftler) Gérard unter anderem auf Allan, eine selt­sam chang­ierende Fig­ur zwis­chen Hochsta­pler und tragis­chem Schick­sal — und ein wun­der­sames und wun­der­bares Kam­mer­spiel ent­fal­tet sich, das man auch ganz und gar genießen kann, ohne die inter­textuellen Anspielun­gen, die Gracq hier offen­bar (und mehr oder weniger offen­sichtlich) ver­ar­beit­et hat, zu ver­ste­hen.

Jan Kuhlbrodt: Stötzers Lied. Gesang vom Leben danach. Berlin: J. Frank 2013 (Quar­theft 40). 180 Seit­en.

kuhlbrodt, stötzers liedEin selt­sames Buch, das mir eher fremd geblieben ist. Der “Gesang”, unterteilt in diverse durch “Embolien” getren­nte Abschnitte (darunter “Stötzers Gedichte”, “Par­alipom­e­na zu Stötzer” oder “Deutsch­er Platz”) ist eine Art Prosagedicht. For­mal gibt sich das als Lyrik, mit Versen und Stro­phen etc. Sprach­lich bleibt es aber im Großen und Ganzen Prosa. Und so wie es bei­de Gat­tun­gen gle­icher­maßen bedi­ent, so bedi­ent es sich auch bei den großen The­ma. Irgend­wie geht es immer um Geschichte und den Umgang mit ihr, beson­ders im (post)sozialistischen Leipzig, von Völk­er­schlacht­denkmal über Lenin bis zur Ästhetik der Plat­ten­baut­en wird so ziem­lich alles mögliche angeris­sen und aufgerufen. Der Klap­pen­text schreibt da ganz tre­f­fend:

Stötzer [die von Kuhlbrodt einge­set­zte Sprech­er-/Re­flek­tor­fig­ur] ist ein Wahrnehmungsspe­ich­er, ein Seis­mo­graph. […] Er nimmt das auf, was ihn über­rollt: Poli­tik, Ökonomie, Kun­st, Geschichte. Stötzer kom­men­tiert aus der Sta­tik her­aus die Bewe­gun­gen, das Ausklin­gen des Ver­gan­genen und das Here­in­brechen des neuen Jahrtausends.

Das ist eine Mis­chung aus Banal­itäten der Ober­fläche und tiefer bohren­den Reflex­io­nen gewor­den, die unver­mit­telt neben einan­der auf­tauchen und da auch ste­hen bleiben, sich dadurch aber recht erfol­gre­ich gegen­seit­ig befrucht­en und ergänzen. Darüber hin­aus ist das aber auch ein sehr schönes, gut gemacht­es Buch gewor­den, das mit ver­schiede­nen Gestal­tungse­le­menten der Typogra­phie und der Illus­tra­tio­nen die ver­schiede­nen Teile oder Ebe­nen des Texte gut illus­tri­erend ergänzt und verdeut­licht.

Christa Reinig: Feuerge­fährlich. Neue und aus­gewählte Gedichte. Aus­gewählt und mit einem Nach­wort von Klaus Wagen­bach. Berlin: Wagen­bach 2010 (Klaus Wagen­bachs Oktavhefte). 79 Seit­en.

reinig, feuergefaerhlichWirk­lich näher gebracht hat mir diese Auswahl Klaus Wagen­bachs die Lyrik von Christa Reinig nicht. Der Anfang ist schreck­lich banal, schon die Form — bravste Paar- und Kreuzreime in regelmäßiger Metrik und Zwölfzeil­ern — ver­hin­dert fast das inter­essierte Lesen. Zum Glück wan­delt sich das mit dem Fortschre­it­en der Seit­en, eine zunehmende Konzen­tra­tion und Verdich­tung. Das macht die nun auch mal lakonisch wirk­enden Gedichte bess­er. Allein schon deshalb, weil sie nicht mehr so geschwätzig sind. Allerd­ings bleibt der Ein­druck, dass hier eine Autorin schreibt, die irgend­wie ständig belei­digt von der Welt und ihrer Schlechtigkeit wirkt. Weil das oft den Beik­lang per­sön­lichen Belei­digt­seins hat (z.B. bei “Der Andere”!), hat mich das etwas gen­ervt. Die Gegenüber­stel­lung der Macht­losigkeit­en, der Ohn­macht, der richti­gen Sprache und den offiziellen Verlautbarungen/Wörtern, den Herrschen­den, den Mächti­gen durchzieht fast alle Texte mehr oder weniger. Das ist ja eigentlich eine sym­pa­this­che Sache, weil aber vieles mir eigentlich zu offen­sichtlich, zu deut­lich und ein­deutig gesagt ist, ver­liert das etwas von sein­er Wirkung.

In die Gewehre ren­nen

mein tief­stes herz heißt tod
wenn das die mörder wüssten
wären sie es müde (34)

außer­dem noch:

  • Arno Schmidt, »Na, Sie hät­ten mal in Weimar leben sollen!« Über Wieland — Herder — Goethe. Mit einem Essay von Jan Philipp Reemts­ma, hrsg. von Jan Philipp Reemts­ma. Stuttgart: Reclam 2013. 234 Seit­en. (mit dem wun­der­baren Essay “Goethe und ein­er sein­er Bewun­der­er”)
  • Ein­hard, Vita Karoli Mag­ni (zur Vor­bere­itung auf den Ausstel­lungs­be­such in Aachen)
  • Stramm, August, Gedichte Dra­men Prosa Briefe. Her­aus­gegeben von Jörg Drews. Stuttgart: Reclam 1997. 242 Seit­en.

Aus-Lese #35

Wol­fram Malte Fues: InZwis­chen. Mit Zeich­nun­gen von Thitz. München: Allit­era Ver­lag 2014 (Lyrikedi­tion 2000). 127 Seit­en.

fues, inzwischenEin dur­chaus fein­er Lyrik­band, der mir mit seinen oft sehr lakonis­chen, auf bru­tale Kürze zusam­mengedampften Gedicht­en einige Lese­freude bere­it­ete. Fues beschreibt vor allem die Ding­haftigkeit der Welt und ihre Erschei­n­un­gen, der Gegen­stände und Zustände, Dinge und Geschehen. Sein bevorzugtes Mit­tel ist es, Beobach­tun­gen oder Tat­sachen ein­fach unver­mit­telt aufeinan­der­prallen zu lassen. Das wird auch sprach­lich immer wieder deut­lich: Fues bevorzugt Kon­traste, das schwarz-weiß, den Vorder- und Hin­ter­grund, jet­zt und früher, unten oder oben und so weite. Die wer­den oft direkt gegenübergestellt, ohne Ver­mit­tlung, ohne ein Zwis­chen. Denn genau um dieses “Zwis­chen” geht es, um den Raum, der von den Begrif­f­en so eröffnet wird. Dazu passen auch die Ver­tauschun­gen, ger­ade der Kon­trast­paare:

Ein Baum wie
eine Antenne.
Eine Antenne
wie ein Baum.
Dem­nächst
botschaften Bäume
blühen Anten­nen. (44)

Manch­mal sind Sinn und Sprache der kurzen Gedichte der­maßen verk­nappt und reduziert, dass nur noch Rät­sel bleiben — Rät­sel, die ein leeres Gerüst der Sprache zeigen, aus dem der Sinn aus­getrieben wurde ((z.b. 32). Dabei treibt ihn neben dieser Arbeit an der Sprache, die zwar reduziert, aber auch sehr konzen­tri­ert wird, ger­ade die Frage der Kausal­ität oder nur der Kor­re­spon­denz, der zeitlichen/räumlichen (sprach­lichen) Folge beson­ders um. Der Titel, das “Zwis­chen”, das ist auch in sein­er Sprache das Span­nende: Das da-/in-/-/zwis­chen in der Abfolge, der Kausal­ität, der Entwick­lung, der Kor­re­la­tion (oder auch nicht, der nur so scheinen­den …). Auf die Strichze­ich­nun­gen von Thitz hätte ich gut verzicht­en kön­nen — für mich sind das bloße — oft genug schlechte, weil banale — Illus­tra­tio­nen des im Gedicht vork­om­menden, dabei allerd­ings sehr ober­fläch­lich.

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben. Berlin: Hanser Berlin 2014. 77 Seit­en (ebook)

seethaler, ganzes lebenDen Trafikant habe ich ja mit großem Vergnü­gen und Gewinn gele­sen. Deswe­gen hat mich Ein ganzes Leben ziem­lich ent­täuscht. Meine Lek­türeno­ti­zen sind sparsam: reich­lich lahm fand ich das während des Lesen, auch erzäh­lerisch ein­fach lang­weilig und charak­ter­los. Der Text begin­nt etwas wie Stifter (auch sachen wie der am Beginn und Ende auf­tauchende Hörn­er­hannes und die sagen­hafte “Kalte Frau” weisen auf die Ver­wand­schaft hin), dann kommt noch ein biss­chen Wim­schei­der und eine gehörige Por­tion Franz Inner­hofer dazu. Seethaler erzählt ein Leben (aber ist das in irgend ein­er Hin­sicht ein ganzes? Da sind viele Lück­en …) eines Mannes, der als Waise in ein öster­re­ichis­ches Gebirgstal kommt und dort — mit Aus­nahme des Zweit­en Weltkrieges — und einem späten, ver­sick­ern­den Aus­bruchsver­such nicht her­auskommt. Dafür arbeit­et er nach seinem Beginn als land­wirtschaftlich­er Tagelöh­n­er am Einzug des Fortschritts in das Tal in Form von Seil­bah­nen mit — eines Fortschrittes, der aber min­destens so unmen­schlich ist wie das harte Leben zuvor. Das ist tat­säch­lich so klis­chee­haft und ein­fall­s­los, wie das hier klingt … Ich ver­ste­he ehrlich gesagt die Begeis­terung der Rezensen­ten nicht so ganz — das ist mir alles zu banal und zu behäbig erzählt.

Elfriede Jelinek: Rein Gold. Ein Bühne­nes­say. Rowohl 2013. 223 Seit­en.

jelinek, rein goldEine Art Stre­it­ge­spräch zwis­chen Wotan und Brün­hilde am Schluss des “Ring des Nibelun­gen”. Aber Gespräch ist fast schon zu viel gesagt: Die bei­den Stim­men monolo­gisierend mehr ankla­gend abwech­sel­nd auf einan­der zu oder gegen einan­der. Es geht um alles, näm­lich die gesamte Welt und ihre Geschichte. Dabei kom­men bei­de immerzu von einem zum anderen, vom Hölzchen aufs Stöckchen — manch­mal ist es der Klang bes­timmter Wörter, der den Anschluss sichert, manch­mal ein the­ma­tis­ch­er Zusam­men­hang, manch­mal ein sys­tem­a­tis­ch­er oder ein per­son­aler. Das macht das Lesen so anstren­gend und schwierig: Wie eigentlich immer bei Jelinek ist auch Rein Gold total über­frachtet. Man muss sich selb­st eine Schneise durch diese Text­land­schaft schla­gen, seinen Weg suchen und dabei so manchen Irrgang nicht in Kauf nehmen. Dafür bekommt man eine Anklage der Macht, des auf (unbe­di­en­ten) Schulden beruhen­den Kap­i­tal­is­mus, der Aus­beu­tung über­haupt, dem Ver­hält­nist von Män­nern und Frauen und dem von Töchtern und Väter im beson­deren. Das ist oft witzig, tre­f­fend und genau, manch­mal aber auch absurd und man­isch, wie hier alles — also wirk­lich Gott und die Welt, schließlich ist Wotan ja nicht irgendw­er, wie er gerne betont, und Brün­hilde natür­lich auch nicht — durch den Textwolf gedreht wird.

Ich ver­ste­he noch immer nicht, was ich sage, muß es aber sagen. (210)

Dieses ewige Texband hat mir den Zugang hier vor allem auf den ersten paar Dutzend Seit­en ziem­lich erschw­ert: Wenn man nicht reinkommt in den Rhyth­mus der Gedanken und Worte, dann bleibt man aber auch wirk­lich draußen. Die schlechte Typogra­phie macht das Lesen des unbändi­gen Textes allerd­ings auch nicht leichter und ver­sagt damit total — die unpassende Type ohne Lig­a­turen ist der Anfang, dann ist der Satzze­ichen-Clash „!,“, der oft vorkommt, erstaunlich hässlich und vor den Aus­rufe- und Frageze­ichen so viel Luft, dass man manch­mal kaum weiß, wo die hinge­hören.

Es gibt nichts vom Geld Ver­schiedenes, denn es gibt nur Geld, es gibt Ver­schiedene, aber auch von ihnen kommt nur Geld, falls sie es schon vorher hat­ten, son­st sind sie gar nicht so ver­schieden. Son­st sind sie die gle­ichen wie wir. (89f.)

Alles Geld ist nichts ohne Ware, und die Ware ist nichts als ein beschnit­ten­er Jude, unvoll­ständig, aber unbe­stre­it­bar tüchtig, immer tüchtig, das sehe ich voraus, bis auch er endet, ach, ich weiß nicht, das sage ich, ein Gott, und die Ware ist das Wun­der­bare, die Ware ist das Wun­der, die wun­der­bare Ver­mehrung von allem, nicht nur Brot und Fis­chen, Jesus auch ein Pfos­ten, klar, ver­schenkt wird nichts, der hat das gemacht, aber er war ein Dil­lo, daß er geglaubt hat, das bringt ihm was, das bringt ihm Anhänger oder wie oder was, ich seh sie nicht, ich sehe sie noch nicht, was wollte ich sagen: Also die Ware ist das wun­dertätige Mit­tel, um aus Geld, das wan­dern muß, das zu einem bes­timmten Zweck, näm­lich diesem, wan­dern muß, son­st kann man sich dafür nichts kaufen, weil dann ja oft die Waren ganz woan­ders sind als das Geld, das eben wan­dern muß, um aus Geld mehr Geld zu machen, um mehr aus sich zu machen. Um aus Geld mehr Geld zu machen. Mehr Geld zu machen und aus. (125f.)

Matthias Nawrat: Unternehmer. Rein­bek: Rowohlt 2014. 137 Seit­en.

nawrat, unternehmerDer Schwarzwald in nicht allzu fern­er Zukun­ft: dein­dus­tri­al­isiert, aufgegeben, ver­lassen, nur noch eine Rest­bevölkerung schaut zu, wie die riesi­gen Trans­porter auf der Auto­bahn vor­bei nach Nor­den don­nern, in die Städte. Da lebt auch die klas­sis­che Fam­i­lie — Vater, Mut­ter, Tochter, Sohn — von Liba, der 13jährigen Erzäh­lerin in Nawrats kleinem, aber dur­chaus feinen Roman Unternehmer. Die Fam­i­lie, das ist der Witz, hat die Logik des Kap­i­tal­is­mus aufge­so­gen und über­nom­men, bis ins Let­zte des Fam­i­lien­lebens hinein. Die Kinder sind damit Teil des Unternehmens — eines ziem­lich dürfti­gen Restev­er­w­ert­ers, der in ver­lasse­nen Fab­riken und Kraftwerken nach Wert­stof­fen sucht. Das ist eine nicht ganz unge­fährliche Auf­gabe, der Sohn hat schon einen Arm ver­loren und wird während des Romans auch noch sein­er Beine beraubt. Nawrat führt hier also gewis­ser­maßen die neolib­er­al­is­tis­che Spielart des Kap­i­tal­is­mus nach dem Ende der Pro­duk­tion vor. Und er zeigt wun­der­bar, wie hohl die Phrasen der Ide­olo­gie (gewor­den) sind. Dazu dient ihm eine faszinierende Sprache, die — wie die Motive der Erzäh­lung — zwis­chen Naiv­ität und Raf­finiertheit, zwis­chen Spiel und tödlichem Ernst, zwis­chen Lock­er­heit und Strenge (in Ton und Satzbau gle­icher­maßen) pen­delt. Ger­ade dadurch, dass nicht alles expliziert wird, sich der Leser einiges dieser selt­samen Welt und Gesellschaft und Fam­i­lie zusam­men­reimen muss und auch oft genug auf Lück­en stößt, bleibt Unternehmer inter­es­sant. Schön auch, dass Nawrat seine Idee dann auch nicht über­mäßig auswalzt und sich mit 137 Seit­en beschei­det — mehr ist auch über­haupt nicht nötig, der Punkt ist dann schon längst klar: “Unternehmer­tum” ist eine leere Worthülle, die man noch als Spiel betreiben kann, die aber, wenn sie zur alleini­gen Ide­olo­gie gewor­den ist, die Leere ihrer selb­st vor­führt — und das Fehlen der “wahren” Werte wie Emo­tio­nen und Gefüh­le nur noch deut­lich­er wer­den lässt.

Die Garantie hier­für ist der Erfolg unser­er täglichen Arbeit. Also hängt alles vom Erfolg unser­er täglichen Arbeit ab, sagte Berti. Und diesen wiederum haben wir selb­st in der Hand, sagte ich. Es han­delt sich um einen Erfol­gskreis­lauf, den wir mit unser­er Arbeit in Bewe­gung hal­ten.

Kil­ian Jor­net: Lauf oder stirb. Das Leben eines bed­i­n­ungslosen Läufers. München: Malik 2013. 222 Seit­en.

jornet, lauf oder stirbZu diesem schö­nen und tollen Lauf­buch oder bess­er: Läufer­buch eines außeror­dentlichen Läufers habe ich drüben im Lauf­blog schon alles notwendi­ge gesagt: Viel Licht, ein biss­chen Schat­ten: Leseempfehlung für alle Ultra-Trail-Lauf-Inter­essierten.

außer­dem noch:

  • Friedrich Hölder­lin, Hype­r­i­on oder der Eremit in Griechen­land (Re-Lek­türe, weil August ist)

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