Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: musikhochschule

Blende Auf! — Und Ton ab!

„Jet­zt wird es richtig laut“, verkün­dete der Diri­gent nach der Pause, und warnte sein Pub­likum: „Noch haben Sie Gele­gen­heit, zu fliehen.“ Aber eigentlich kam die Ansage in diesem Moment auch schon zu spät: Leise war es auch zuvor wed­er im rest­los beset­zten Roten Saal der Musikhochschule noch im Foy­er. Aber die let­zten drei Kom­po­si­tion, drei Mal Film­musik aus Hol­ly­wood hat­ten – zumin­d­est hin­sichtlich des Schall­drucks – doch mehr zu bieten als die Klänge der UFA-Ton­filme.

„Blende auf!“ hat das Orch­ester der Mainz­er Musikhochschule sein Semes­ter­ab­schlusskonz­ert über­schrieben: Film­musik vom frühen deutschen Ton­film bis zum Hol­ly­wood der Gegen­wart stand auf dem Pro­gramm. Und da wird es eben richtig laut, das bleibt nicht aus. Kämpfe – ob im Dschun­gel oder im Weltall – sind aber auch musikalisch etwas ganz anderes als Liebes­dra­men. Denn darauf kann man fast alle Filme reduzieren – zumin­d­est Birg­er Petersen, der mit viel Witz durch die Ver­anstal­tung führt, kann das für jeden Film. Und viele Klas­sik­er aus den let­zten 80 Jahren Filmgeschichte haben sie auf den Pul­ten liegen, die Stu­den­ten. Wol­fram Koloseus hat sie da hinge­bracht. Denn er ist heute nicht nur Diri­gent des Hochschu­lorch­ester – als ob das nicht reichen würde, fast drei Stun­den tragis­che, roman­tis­che und mar­tialis­che Musik zu dirigieren. Nein, er hat auch noch die aller­meis­ten Musiken und Lieder pass­ge­nau für diesen Abend arrang­iert.
Zum Beispiel für die „Drei, deren Namen nicht genan­nt wer­den dür­fen“ — gut, dann lassen wir den Man­tel des Schweigens über den Iden­titäten der drei famosen, quick­lebendi­gen Sänger­dozen­ten ruhen. Sie sin­gen und jubilieren wie die orig­i­nalen „Drei von der Tankstelle – ein Film, der heute fast nur noch wegen der Musik, unter anderem „Ein Fre­und, ein guter Fre­und“, über­haupt bekan­nt ist. Oder sie führen dann noch grandios komisch überze­ich­net Michaels Jarys „Das kann doch einen See­mann nicht erschüt­tern“ vor. Wer sich und sein Zwer­ch­fell davon nicht erschüt­tern lässt, hat in Mainz dieser Tage bes­timmt keine Freude. Aber auch bei den Roman­tik­ern kann dieses Konz­ert punk­ten. Hans-Christoph Bege­mann vib­ri­ert stilecht durch ein Zarah-Lean­der-Med­ley und Richard Logiewa knödelt leicht, aber genau­so stilecht und recht char­mant so schöne Ever­greens wie „Man müsste Klavier spie­len kön­nen.“

Und immer dabei: Das Orch­ester der Hochschule für Musik. Forsch und kraftvoll musizieren die Stu­den­ten, manch­mal fast zu hemd­särmelig. Zumal Wol­fram Koloseus wed­er sich noch die Musik­er zurück­hält. Und trotz diesem ver­schwen­derischen Umgang mit Kraft und Gefühl bleibt noch genü­gend Kraft für das große krachende und knal­lig dröh­nende Finale, die Star-Wars-Suite von John Williams. Nur die Ohren des Pub­likums freuen sich nach diesen Attack­en ins­ge­heim über die Entspan­nung danach.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Unbekanntes zum Anfang

Es klingt, als sei die Tinte auf dem Noten­pa­pi­er ger­ade erst getrock­net. Nicht, dass Carl Rei­necke so avant­gardis­tisch kom­poniert hätte oder gar sein­er Zeit voraus gewe­sen wäre. Schon seinen Zeitgenossen fiel auf, dass er sich gerne an For­men ver­gan­gener Zeit­en ori­en­tierte. Aber trotz seines großen Ruhms im 19. und begin­nen­den 20. Jahrhun­dert – heute ken­nen nur wenige Spezial­is­ten mehr als ein, zwei Werke aus der Fed­er des langjähri­gen Leit­ers des Leizpiger Gewand­hau­sor­ch­esters.

Seine Cel­losonat­en sind meis­tens nicht dabei – aus ganz banalen Grün­den: Bis vor kurzem waren nicht ein­mal die Noten dafür greif­bar. Der Mainz­er Cel­lo-Pro­fes­sor Manuel Fis­ch­er-Dieskau änderte das – und spielte die drei Sonat­en gle­ich noch auf CD ein. Beim Semes­ter­eröff­nungskonz­ert der Mainz­er Musikhochschule hat er die erste Sonate, ein früh­es Werk Rei­neck­es, auch live vorgestellt. Und das war ein wirk­lich­er Genuss, der eben ganz frisch, lebendig und unver­braucht klingt. Fis­ch­er-Dieskau und Pianist Kir­ill Kro­tov spie­len Rei­neck­es melodieselige Sonate freudig aber mit kernigem Klang – und haben sichtlich Spaß daran. Und Vergnü­gen hat auch das Pub­likum im gut gefüll­ten Roten Saal der Musikhochschule.
Vieles in Rei­neck­es Kam­mer­musik ist zunächst ein­fach mal schön, manch­mal auch etwas sen­ti­mal:

Gute Melodiefind­ung und aus­ge­suchte Raf­fi­nesse der Stim­mungen zeich­nen ihn aus, for­mal ist er deut­lich an Mod­ellen der Klas­sik ori­en­tiert. Eine Mis­chung, die immer etwas ein­er heilen Welt beschwört: Ein­tra­cht, Har­monie und gebildete Gefäl­ligkeit sind nicht nur in den Cel­losonat­en zu hören, son­dern auch in den Flöten­sonat­en. Am bekan­ntesten – wenn man von Bekan­ntheit sprechen mag – ist die „Undine“-Sonate, die sich ein biss­chen der Pro­gram­m­musik annährt. Flötist Dejan Gavric mit Maria Ollikainen am Klavier sausen da keck hin­durch, lassen unzäh­lige Erre­gun­gen aufwallen und große Gefüh­le auf­brechen: Ein vir­tu­os­er Ein­bruch der ungezähmten Fan­tasie, die die heile Welt zwar nicht aus den Fugen wirft, aber doch etwas zum Wack­eln bringt.
Das Quin­tett für Klavier und Stre­ichquar­tett geht einen anderen Weg: Zwar lässt Rei­necke auch hier seinen ver­schwen­derischen Umgang mit musikalis­chem Mate­r­i­al, gerne im ras­an­ten Wirbel, hören. Neben der fast orches­tralen Klang­wirkung set­zt er aber vor allem auf eine — mal mehr, mal wen­i­gr deut­liche — Kon­trastierung von Klavier und Stre­ichquar­tett. Das Kon­flik­t­poten­zial bleibt freilich beschei­den, inspiri­ert aber zu ver­schwen­derisch­er Fülle. Und die wird von den Dozen­ten und Stu­den­ten aus­gekostet: Mit dem richti­gen Maß an Klarheit, um trotz des mächti­gen Klanges nicht erdrück­end zu wirken und viel Spiel­freude führen sie das beis­terte Pub­likum durch die Welt der unbekan­nten Kam­mer­musik Carl Rei­neck­es.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

brahms mal anders. aber ganz anders.

Ein ganz nor­males Orch­esterkonz­ert im Staat­sthe­ater: Etwas von Carl Maria von Weber, dann das Vio­linkonz­ert von Felix Mendelssohn Bartholdy und am Schluss noch die erste Sin­fonie von Brahms. Aber irgend etwas ist anders heute – die Musik­er sind alle so jung, den Solis­ten eingeschlossen. Ach so, das ist das Abschlusskonz­ert der Musikhochschule – das erk­lärt natür­lich die radikale Ver­jün­gung. Nicht aber die pro­fes­sionelle Sou­veränität, mit der das Orch­ester hier im Kleinen Haus spielt. Denn das Pro­gramm und das Diri­gat Wol­fram Koloseus’ waren alles andere als ein Schon­pro­gramm.

Am Beginn stand also Musik von Carl Maria von Weber: Die Ouvertüre und zwei Szenen aus dem Freis­chütz genau gesagt. Das war eine etwas selt­same Erfahrung. Mys­ter­iös gespen­stig ent­fal­tete Schauer­ro­man­tik im Orch­ester und szenis­che Andeu­tun­gen der jun­gen Sänger. Klan­glich fein abgeschmeckt und auch auf authen­tis­che Wirkung aus­gerichtet mit den Natur-Blech­blasin­stru­menten und dem vib­ri­eren­den Grun­drhyth­mus. Aber dann brechen die elek­tro­n­isch ver­stärk­ten und auch ver­fremde­ten Singstim­men in die feinsin­nige Klang­welt ein – das muss man wohl nicht ver­ste­hen. Doch sehr drama­tisch ist das alles, vor allem die Wolf­ss­chlucht-Szene mit Dani­lo Tep­sa, Calin Coz­ma und Flo­ri­an Küp­pers.

Mit sehr viel Freude am vir­tu­osen Spiel stürzt sich Igor Tsin­man dann in Mendelssohn Bartholdys Vio­linkonz­ert in e‑Moll. Er kann sich das aber auch leis­ten, sicher­er Tech­niker er er ist.

Klar und dicht, in den meis­ten Teilen sehr unsen­ti­men­tal spielt er – das ist ein­fach Musik pur, mal wild, mal gedanken­ver­loren träu­mend. Aber immer jugendlich unbeküm­mert. Schade nur, dass die robuste Präg­nanz des Solis­ten das fließend beglei­t­ende Orch­ester ganz unver­di­ent in den Hin­ter­grund drängt.

Das kan dafür noch mit der abschließen­den ersten Sin­fonie von Johannes Brahms ganz alleine bril­lieren. Das erregte Pulsieren des Anfang set­zt sich hier unen­twegt fort, im nervösen Hin und Her, in der Unruhe der ständi­gen Bewe­gung und der per­ma­nen­ten Unsicher­heit der unaus­ge­set­zten Hin­ter­fra­gung aller Posi­tio­nen und Werte. So, wie Wol­fram Koloseus das hier entwick­elt, klingt das viel mod­ern­er und gegen­wär­tiger, richtigge­hend dekon­struk­tivis­tisch eigentlich, als gewöhn­lich bei Brahms. Diese Hal­tung set­zt sich dann durch die ganze Sin­fonie hin­durch fort. So richtig auf­blühen kann sie dadurch nie. Auch wenn sich das Orch­ester redliche Mühe gibt und mit erstaunlich­er Klangkul­tur und großem Engage­ment dur­chaus einige Teil­er­folge erlan­gen kann, bleibt es befremdlich. Das Tem­po dieser fiebri­gen Hast ist immer sehr bemüht und wirkt mehr kon­stru­iert als emp­fun­den. Ins­ge­samt gibt das dann eine oft dämonis­che, bis zum Wahnsinn aufgetürmt rasende und zer­fet­zte Sin­fonie – eine echte Über­raschung.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

neues semester, neues glück

Zu Beginn ste­ht gle­ich etwas ganz Beson­deres auf dem Pro­gramm: Das Som­merse­mes­ter eröffnet die Hochschule für Musik am Mittwoch mit dem Ora­to­ri­um „Il mar­tirio di San­ta Cecil­ia“ von Alessan­dro Scar­lat­ti. Unter der Leitung von Mar­tin Lutz wer­den aktuelle und ehe­ma­lige Studierende gemein­sam mit dem Ensem­ble „Par­nas­si musi­ci“ das erst kür­zlich wieder­ent­deck­te und ver­legte Werk in der Augustin­erkirche auf­führen. Damit knüpft die Hochschule naht­los an das ver­gan­gene Semes­ter an. Da hat­ten sie in ein­er Kopro­duk­tion mit dem Staat­sthe­ater „La Giu­dit­ta“ von Scar­lat­ti sehr erfol­gre­ich auf die Bühne gebracht. Auch son­st bemüht sich die Hochschule um viel Kon­ti­nu­ität. Das kleine Fes­ti­val „Mainz-Musik“ wird mit fünf Konz­erten im Juni wieder viel neue und aktuelle Musik vorstellen. Die Inter­na­tionale Som­mer­schule „Singing Sum­mer“ wird im Sep­tem­ber nun schon zum fün­ften Mal vokale Kun­st­fer­tigkeit­en ver­mit­teln und auch vor­führen.

Neu dage­gen ist die Ausweitung der Koop­er­a­tion zwis­chen Hochschule und der Stiftung Vil­la Musi­ca, die unter dem Titel „Spek­trum“ neben anderem auch alte und neue Gesänge zu Dantes Göt­tlich­er Komödie mit Video­pro­jek­tio­nen zusam­men­führen wird.

Weit­ere Höhep­unk­te im Som­mer sind der „Tanz in den Mai“ — zwar ohne Tanz, dafür aber mit viel tänz­erisch­er und filmis­ch­er Musik, gespielt vom Hochschu­lorch­ester unter der Leitung von Wol­ram Koloseus im Lichthof Handw­erk­skam­mer Rhein­hessen. Und der Bari­ton Christoph Bege­mann wird den 175. Geburt­stag von Johannes Brahms mit ein­er erlese­nen Auswahl eher sel­ten gesun­gener Lieder feiern. Doch der große Umbruch wird erst im Herb­st kom­men: Dann zieht die Musikhochschule endlich in ihr neues Dom­izil auf dem Cam­pus. Rek­tor Jür­gen Blume und seine Vertreterin Clau­dia Eder sind freilich schon jet­zt voller Vor­freude. Die musikalis­che Nutzung des Neubaus hat dann freilich schon längst begonnen. Denn Peter Kiefer fängt schon vor der offiziellen Ein­wei­hung an, dort zu arbeit­en und das Gebäude – auch in unvol­len­de­tem Zus­tand – musikalisch zu nutzen. Mit seinem Pro­jekt „Klang-Bau-Stelle“ wird er am 14. Mai mit seinen Stu­den­ten und min­destens ein­er Beton-Mis­chmas­chine den Bau akustisch erforschen und ein­wei­hen.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén