Am Freitag bin ich schon wieder heimgefahren, weil am Wochenende eine Generalprobe für den Auftritt am nächsten Wochenende geplant war. Die Zugfahrt, dieses Mal später in der Nacht (bin erst um 20.35 in Regensburg weg) hat problemlos funktioniert. Dafür war es mit der Generalprobe nichts: Ein Sänger kam gerade aus Corono und hatte am Sonntag morgen den ersten negativen Test, ein anderer meldete sich am Samstag krank. Also war das nichts. Dafür machen wir jetzt eine Online-Probe. Da bin ich ja noch sehr gespannt.
Ansonsten war das Wochenende im Odenwald aber doch recht schön. Kurz entschlossen bin ich dann doch schon am Sonntag wieder zurückgefahren und nicht wie ursprünglich geplant am Montag in der Frühe, das macht den Wochenbeginn etwas entspannter.
Text: Eine interessante Lektüre hatte ich: Wulf Segebrechts Studie „Goethes Nachtlied ‚Über allen Gipfeln ist Ruh’ “. In der erweiterten Fassung von 2022 (ursprünglich war das schon einmal 1978 erschienen) geht es hier auf über 200 Seiten nur um das kurze Gedicht. Aber das ist schließlich das Gedicht überhaupt. Und genau darum geht es Segebrecht: Um die Rezeption des Achtzeilers, vom ersten Druck (oder der ersten Niederschrift, was schon alles erstaunlich unklar ist) bis zu Parodien und Interpretationen (ernst gemeinten und weniger ernsten) in der Gegenwart. Die Vertonungen streift er dabei nur, und hat doch mehr als genug Material für interessante Beobachtungen und Schlussfolgerungen.
Draußen: Brav weiter gelaufen, weiterhin ohne besondere Vorkommnisse, aber immerhin jetzt schon über 50 Tage in Folge. Das kann man dann wohl wieder mal einen Streak nennen.
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah! Die Luft ist still, als atmete man kaum, Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah, Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur! Dies ist die Lese, die sie selber hält, Denn heute löst sich von den Zweigen nur, Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.
Die aufgelassenen Gräber der Einsamen besitzen mehr Ewigkeit als jede schwere Marmorgruft. In großen Stätten stehen große Urnen für kleine Leben. Und der Rest? Die Menschheit? Du und ich?
Wir werden leuchten, wenn die Erde uns zu Öl verkocht.
Es liegt der Schnee so ausgeruht im Lichthof, auf Grasnarben bleibt er als weißende Spur. Meine Haut is dünner, ein Aggregat aus Sorge, darin aber Lachen. Die bleiben am Morgen auch vom Schnee.
Ernst Bauman: In die Berge! Alpine Fotografie der 1920er und 1930er Jahre. Herausgegeben von Alfred Büllesbach udn Rudolf Schicht. München: morisel 2019. 125 Seiten. ISBN 978−3−943915−37−2.
Eine Rezension in der Süddeutschen Zeitung hat mich auf dieses schöne und spannende Fotobuch aufmerksam gemacht. Die Geschichte der Fotografie ist ja nun nicht gerade ein Gebiet, mit dem ich mich auskenne oder überhaupt irgendwie beschäftigt habe. Trotzdem (oder deshalb) macht das Buch viel Spaß. Dazu trägt auch nicht unerheblich die sehr informative (und selbst schon reich bebilderte) Einführung von Alfred Büllesbach bei, die es schafft, auch Laien der Fotografiegeschichte wie mir die Zusammenhänge, in den Baumann in den 20er und 30er Jahrend (und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg) arbeitete, aufzuzeigen. Dazu gehört nicht nur die wirtschaftliche SItuation freier Fotografen, sondern auch die Verbindung der Fotografie mit den Bergen, die zunehmende, zu dieser Zeit ja gerade in Schwung kommende touristische Erschließung der Alpen (durch den Bau von entsprechender Infrastruktur, durch den Urlaubsanspruch der Angestellten und natürlich auch durch die ökonomischen Möglichkeiten breiterer Bevölkerungsschichten, entsprechende Fahrten und Urlaube zu unternehmen), die als Hintergrund für Baumanns Fotos unabdingbar sind. Auch gefallen hat mir, die Betonung der Relevanz der Bergfilme für die Zeit – nicht nur für das Bild der Berge in der Bevölkerung, sondern auch als wirtschaftliches Standbein für nicht wenige Beteiligte
Die Fotos selbst scheinen mir dann durchaus einen eigenen Blick von Baumann zu verraten (mit dem bereits erwähnten caveat, dass ich da über wenig Hintergrund verfüge): Ganz eigen, vor allem vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Extrem-Vermarktung der Berge als spektakulärster Spielplatz der Welt, ist die stille Ruhe und Gelassenheit der Schönheit der Berge (und auch ihrer Besucher, möchte ich sage, Besteiger oder Bezwinger wäre für die hier abgebildeten Menschen und ihre Haltung wohl der falsche Ausdruck, viel zu entspannt und zurückhaltend-freudige treten sie mir vors Auge).
Gerade im Vergleich zu heutigen bildlichen Darstellung von Bergen und den Menschen auf ihnen sieht das hier zahm aus. Auch, weil das eigentliche Erschließen der und das Bewegen in den Bergen eher ein Randthema bleibt. Und weil es vergleichsweise harmlose Gipfel der Alpen sidn – aber, und das ist eben der Witz, dennoch unvergesslich in Szene gesetzt. Wahrscheinlich spielt auch die Schwarz-Weiß-Fotografie eine Rolle, wohl gerade bei den auftauchenden Personenen, die dadurch eine andere Schärfe und Konturierung zu haben scheinen als in den späteren Farbfotografien (so ist zumindest mein eigener Eindruck …).
Christian Neuhäuser: Wie reich darf man sein? Über Gier, Neid und Gerechtigkeit. 3. Auflage. Ditzingen: Reclam 2019 (Was bedeutet das alles?). 89 Seiten. ISBN 978−3−15−019602−1
Neuhäuser betrachtet Reichtum und damit zusammenhängende Tugenden und Probleme wie Gier, Gerechtigkeit, und Neid – der Titel ist hier tatsächlich sehr genau. Er argumentiert dabei vor allem moralphilosophisch. Ökonomische, politische und/oder soziale Kriterien spielen nur am Rand eine Rolle. Und dennoch ist das natürlich – das bleibt bei dem Thema und auch bei seinem Zugang gar nicht aus – natürlich ein politisches Buch, dass vor allem Superreiche für ihn unter moralischen, philosophischen und gesellschaftlichen (und damit ja auch politischen) Aspekten durchaus kritisch zu betrachen sind. Dabei geht es ihm aber überhaupt nicht um die Personen, sondern um die sich an ihnen manifestierenden Reichtümer – und damit auch die Unterschiede, die Grenzen. Und das hängt eben oft mit Ungerechtigkeiten zusammen. Eines seiner Kernargumente ist, dass Superreichtum – im Gegensatz zu Wohlstand und Reichtum – nicht (mehr) verdient sein kann und damit moralphilosophisch ein Problem ist.
Ein bisschen schade ist, dass Neuhäuser dabei oft nicht sehr in die Tiefe geht: Das ist manchmal etwas plaudernd geraten – was nicht heißt, dass Neuhäuser mit seiner Argumentation falsch läge. Aber manches scheint mir nicht zu ende gedacht/geschrieben, zumindest in diesem Büchlein (es ist ja nun nicht die einzige Auseinandersetzung des Autors mit diesem Thema).
Björn Kuhligk: Die Sprache von Gibraltar. Gedichte. München: Hanser Berlin 2016. 85 Seiten. ISBN 978−3−446−25291−2.
Kuhligk habe ich bisher eher am Rande wahrgenommen: Durchaus offenbar ansprechende Qualitäten im literarischen Schreiben, aber nicht mein dringenster Lektürewunsch. Die Sprache von Gibraltar könnte das ändern. Das ist nämlich ein feines Buch.
Ganz besonders der erste Teil, der titelgebende Zyklus über Gibraltar und die europäische Enklave dort, ist richtig gut. Das ist keine übermäßige Betroffenheitsliteratur, der man die Bemühtheit an jedem Wort anmerkt. Aber es ist ein genaues Hinschauen (was an sich schon durchaus eine lohnenswerte Leistung wäre). Und es ist vor allem die Fähigkeit, aus dem Hinschauen, aus der Absurdität und auch der Grausamkeit der Welt in diesem kleinen Ort eine poetische Sprache zu finden und zu bilden. Damit lässt Kuhligk auch immer wieder die zwei Welten aufeinander prallen und sich nicht nur heftig aneinander reiben, sondern krachend miteinander Verhaken.
Sehr passend scheint mir auch das (sonst bei Kuhligk meines Wissens nicht vorherrschend, sogar sehr selten eingesetzte) Mittel der langen, erschöpfenden, ermüdenden Reihung in diesem Zyklus eingesetzt zu wein – etwa die sehr eindrücklich wirkende und genaue Litanei „wenn man …“.
Und dann gibt es auch noch in den restlichen Abschnitten, in der zweiten Hälfte des Bandes, gute und schöne Gedichte, die etwa sehr gelungen die Trostlosigkeit des Landlebens im „Dorfkrug“ (47) einfangen oder in der Dopplung von „Was wir haben“ (50) und „Was fehlt“ (51) beinahe so etwas wie eine unsentimentale Landschaftslyrik entwickeln.
wenn man das Wort „Kapitalismus“ ausspricht, ist im Mund viel los /wenn man Kohle hochträgt, trägt man Asche runter (35)
Jürgen Kaube: Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder? 2. Auflage. Berlin: Rowohlt Berlin 2019. 335 Seiten. ISBN 978−3−7371−0053−3.
Nun ja. Das war eine eher enttäuschende Lektüre. Kaube beobachtet das Bildungssystem im weiteren Sinne schon länger und hat sich auch immer wieder darüber geäußert, durchaus auch jenseits der taesaktuellen Anlässe. Seine kleine Schrift Im Reformhaus habe ich damals durchaus mit Gewinn gelesen. Bei Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder? ist das aber leider anders. Der Titel hätte ja schon eine Warnung sein können. Schon die ersten Seiten und die anfänglichen Kapitel zeigen schnell ein Hauptmanko des Buches: viel Gerede, viel schöne Beispiele, aber eher wenig Substanz.
Vor allem hat mich sehr schnell und recht nachhaltig genervt, wie selektiv er liest/wahrnimmt und dann leider auch argumentiert. Das wird zum Beispiel in Bezug auf Bildungsempiriker (für ihn ja fast ein Schimpfwort) sehr deutlich, aber auch in seinen ausgwählten Bezügen auf Bildungsungleichheit und Chancenungleichheit im Bildungsbereich. Das ist ja eines seiner Hauptargumente hier: Dass die Schule nicht dafür da ist, Ungleichheit zu beseitigen, dass sie von Politiker*innen zunehmend dazu „benutzt“ wird, soziale Probleme zu lösen. Ich kann ihm ja durchaus darin (cum grano salis) zustimmen, dass die Schule das kaum leisten kann. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob das wirklich ein so bestimmendes Motiv der Bildungspolitik und so sehr ein wirkliches Problem ist. Jedenfalls haben diese Nachlässigkeiten mir es dann ausgesprochen schwer gemacht, die positiven Aspekte wirklich zu würdigen (die aber durchaus vorhanden sind, nur leider eben etwas begraben unter dem einseitigen, schimpfenden Gewetter Kaubes).
außerdem gelesen:
Lütfiye Güzel: sans trophée. Duisburg, Berlin: go-güzel-publishing 2019.
Siegfried Völlger: (so viel zeit hat niemand). Gedichte. München: Allitera 2018 (Lyrikedition 2000). 105 Seiten. ISBN 978−3−96233−075−0.
Philipp Hübl: Bullshit-Resistenz. 2. Auflage. Berlin: Nicolai 2019 (Tugenden für das 21. Jahrhundert). 109 154 Seiten. ISBN 978−3−96476−009−8.
Müsset im Naturbetrachten Immer eins wie alles achten; Nichts ist drinnen, nichts ist draußen: Denn was innen ist das ist außen. So ergreifet ohne Säumnis Heilig öffentlich Geheimnis — Freuet euch des wahren Scheins, Euch des ernsten Spieles: Kein Lebendiges ist ein Eins, Immer ist’s ein Vieles.Johann Wolfgang von Goethe, Epirrhema (aus: Sammlung von 1827, Abschnitt „Gott und Welt“)