Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: literaturpreis

spinnennetz mit tau

Ins Netz gegangen (14.9.)

Ins Netz gegan­gen am 14.9.:

  • Literature’s Great­est Open­ing Lines, as Writ­ten By Math­e­mati­cians | Math with Bad Draw­ings → wun­der­bar: eine phan­tasie, wie math­e­matik­er die eröff­nungssätze berühmter lit­er­arisch­er werke for­mulierten, mit schö­nen ideen auch in den kom­mentaren
  • Solo gegen den Strom | FAZ → ein loblied auf gün­ther schuh, dem gehirn hin­ter e‑scooter, der mit neuem unternehmen in kürze einen gün­sti­gen elek­trischen klein­wa­gen, eine weit­ge­hende eige­nen­twick­lung, anbi­etet
  • Al Gore’s New Movie Expos­es The Big Flaw In Online Movie Rat­ings | FiveThir­tyEight → walt hick­ey und dhru­mil mehta über die gefährlichen effek­te, bew­er­tun­gen — wie ama­zons imdb-score — in ein­er einzi­gen zahl zusam­men­z­u­fassen:

    The democ­ra­ti­za­tion of film reviews has been one of the most sub­stan­tial struc­tur­al changes in the movie busi­ness in some time, but there are dan­ger­ous side effects. The peo­ple who make movies are ter­ri­fied. IMDb scores rep­re­sent a few thou­sand most­ly male review­ers who might have seen the film but maybe didn’t, and they’re influ­enc­ing the scor­ing sys­tem of one of the most pop­u­lar enter­tain­ment sites on the plan­et.

  • Eine Kri­tik am Lit­er­aturbe­trieb: Schafft die Jurys ab!| NZZ → felix philipp ingold fordert, die buch­preise (und ihre jurys) abzuschaf­fen und schlägt lit­er­atin­nen vor preise zwar anzunehmen, in der dankesrede aber ihre unsin­nigkeit zu demon­stri­eren. eigentlich eine schöne idee, die er selb­st freilich auch ein­fach hätte umset­zen kön­nen, bei der ent­ge­ge­nahme ein­er sein­er zahlre­ichen preise ;-)

    Lit­er­atur als Kun­st − man muss es deut­lich sagen − ist beim verbliebe­nen Lesepub­likum eben­so wenig gefragt wie bei der pro­fes­sionellen Kri­tik, mit eingeschlossen all die anderen Lit­er­aturver­mit­tler, die als Präsen­ta­toren, Mod­er­a­toren oder Juroren, oft auch als Ver­anstal­ter von Fes­ti­vals und immer öfter als beamtete Kul­tur­funk­tionäre am Betrieb beteiligt sind. Grund­sät­zlich gilt kün­st­lerisch­er Anspruch in Bezug auf Stil, Kom­po­si­tion, Exper­i­ment als elitär, und dies wiederum wird gle­ichge­set­zt mit Langeweile und dreis­ter Zumu­tung − ein ver­nich­t­en­des Urteil, das jegliche Mark­t­tauglichkeit infrage stellt. Ein Text soll dem­nach in erster Lin­ie unter­halt­sam, kon­sens­fähig und in irgen­dein­er Weise anrührend sein, der­weil schwierige, fordernde, also im eigentlichen Wortsinn inter­es­sante Lek­türen kaum noch gefragt sind.

  • The Adork­able Misog­y­ny of The Big Bang The­o­ry | Pop Cul­ture Detec­tive → aus­nahm­sweise eine video-empfehlung, die schön aus­führlich zeigt, wie misog­yn “the big bang the­o­ry” ist (nicht, dass das beson­ders über­raschend wäre …)

Ulrich Peltzer bekommt noch einen Literaturpreis

Ulrich Peltzer war gestern mal wieder in Mainz — weil er den Ger­ty-Spies-Lit­er­atur­preis der Lan­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung bekom­men hat. Die Preisver­lei­hung im Foy­er des SWR-Funkhaus­es hat­te sog­ar inter­es­sante Momente im vie­len Gerede. Das liegt natür­lich an Peltzer, der mit sein­er klu­gen, manch­mal zöger­lichen Nach­den­klichkeit immer wieder eine inter­es­sante und bere­ich­ernde Begeg­nung ist. Viel los war eigentlich nicht: Wenn man die ganzen Hon­o­ra­tioren und “Pflichtbe­such­er” abzieht, waren vielle­icht noch 10–20 andere (vor­wiegend ältere) Besuch­er übrig, die sich in der großzügi­gen Bestuh­lung etwas ver­loren. Aber das ist ja eigentlich immer so bei solchen Ver­anstal­tun­gen, selb­st beim Georg-Büch­n­er-Preis bleiben viele Sitze leer …

Und eigentlich war der Abend ganz nett, mit angenehmer musikalis­ch­er Umrah­mung der Brüder Nils und Niklas Liepe (Klavier und Vio­line), die mit dem Preisträger allerd­ings eher nichts zu tun hat­te (wenn man seine Büch­er als Maßstab nimmt, hätte da andere Musik — am besten von Vinyl — gespielt wer­den müssen …). Und die Reden und Gruß­worte schienen sog­ar ehrlich gemeinte Freude und über den diesjähri­gen Preisträger auszu­drück­en.

Die Lau­da­tio der Lit­er­aturkri­tik­erin Meike Feß­mann hat mich nicht so sehr begeis­tert: Da ging es dann doch wieder vor allem um Hand­lungsstränge, Motive und Sujets — also in erster Lin­ie um inhaltliche Fra­gen. Und über­haupt mag ich die superla­tive Lob­hudelei (der “avancierteste” Erzäh­ler, die “leg­endäre Ein­gangsszene” und so weit­er), die so manche Lau­da­tio mit sich bringt, nicht so sehr. Zumal ein Autor wie Peltzer die eigentlich gar nicht nötig hat. Natür­lich wird — das geht bei Peltzer offen­bar nicht anders — immer wieder seine “for­male Avanciertheit”, sein auf den “Meth­o­d­en und Errun­gen­schaften des 20. Jahrhun­derts” auf­bauen­des Erzählen, seine “meis­ter­hafte Beherrschung der erlebten Rede” und des filmis­chen Erzählen, beschworen. Aber das sind oft lei­der nur Stich­worte, die halt inzwis­chen (nach immer­hin sechs Roma­nen in 30 Jahren — ein Vielschreiber ist er ja über­haupt nicht) zu Peltzer gehören. Inter­es­sant ist ja eher, dass Ulrich Peltzer hierzu­lande fast als Spitze der lit­er­arischen Avant­garde zählt. Denn so sehr ich ihn schätze: For­mal und nar­ra­tol­o­gisch ist das jet­zt nicht so wahnsin­nig avanciert — das scheint nur im Ver­gle­ich so, weil ein Großteil der deutschen erzäh­len­den Lit­er­atur (auch der­er, die von den Kri­tik­ern und Jurys gepriesen wird) in dieser Hin­sicht halt immer noch im 19. Jahrhun­dert steckt. Und beze­ich­nend ist auch, dass schon der Ulysses von James Joyce als (nahezu) unles­bares mod­ernes Kunst­werk gilt, dessen Finnegans Wake aber nicht mal mehr erwäh­nt wird …

Doch das nur neben­bei. Eigentlich ging es ja um Ulrich Peltzer — und der beruft sich eben unter anderem immer wieder auf den Ulysses. Das tat er auch gestern in sein­er knap­pen Dankesrede wieder und stellte ihn neben Ray­mond Fed­er­man und dessen Die Nacht zum 21. Jahrhun­dert oder aus dem Leben eines alten Mannes. Der Ger­ty-Spies-Lit­er­atur­preis ist ja eine Ausze­ich­nung, die aus­drück­lich die gesellschaftliche Rolle von Lit­er­atur her­vorhebt und würdi­gend fördern möchte. Das passt dur­chaus zu Peltzers Ästhetik, die, das betonte er auch gestern gerne wieder, wie alle Ästhetik über­haupt immer auch eine poli­tis­che ist. Vor allem aber räson­nierte er über sich und sein Tun — das beschreibt seine Tätigkeit vielle­icht am besten. Deut­lich wurde das auch in der abschließen­den Gespräch­srunde, die recht ergeb­nis­arm und kul­turpes­simistisch blieb (ja, “damals”, als “alle” das gle­iche Buch lasen und darüber sprachen …).

Ergiebiger das Solo von Peltzer, dass seinen Stand­punkt und seine Poet­ik zwar nicht — das wäre ja auch selt­sam … — ganz neu erschloss, aber schon andere Schw­er­punk­te set­zte. Bei Peltzer habe ich stärk­er als bei anderen Autoren den Ein­druck, dass er in einem per­ma­nen­ten, unabgeschlosse­nen (und wohl auch nicht zu Ende zu brin­gen­den) Rin­gen um die Posi­tion sein­er Ästhetik und ihr Ver­hält­nis zur Welt ste­ht. Ihm ging es aus­drück­lich um den Zusam­men­hang von Geschichte und Schreiben und die Rolle des Autors als möglich­er Für­sprech­er, seinen Ein­fluss auf die Gesellschaft. Die Frage, was denn Geschichte sei, wie das Indi­vidu­um in der Geschichte möglich sei, hängt für Peltzer dabei eng zusam­men mit der Frage nach der Möglichkeit der Lit­er­atur, Wirk­lichkeit zu erzählen. Wie geht das über­haupt, “Wirk­lichkeit erzählen”? Damit beschäftigt er sich ja schon länger, auch bei der Mainz­er Poet­ik­dozen­tur sprach er darüber … Und: Soll Lit­er­atur das über­haupt? Soll sie Gegen­wart zeigen und beweisen?

Wie geht das also, das Schreiben mit Geschichte, mit der Unauswe­ich­lichkeit, mit der wir — und alle Roman­fig­uren — in der Geschichte ver­haftet bleiben? “Der Geschichte, zumal der Welt­geschichte, auszuwe­ichen ist unmöglich.” Er geht sog­ar noch weit­er: Gefan­gen in der Geschichte sind wir alle, ob “real” oder “fik­tion­al” (und wieder diente der Ulysses als Beispiel). Geschichte heißt dabei nicht nur (aber auch) das Ver­gan­gene, son­dern auch das Gegen­wär­tige vor allem des poli­tis­chen Geschehen und Han­delns, das die Men­schen bee­in­flusst und unen­twegt begleit­et.

Das lit­er­arische Schreiben beschreibt Peltzer dann als einen Beschrei­bungs- und Erken­nt­nis­prozess. Denn: “Sich zur Gegen­wart ver­hal­ten, sich ver­hal­ten zu müssen, ist unhin­terge­hbare Bedin­gung des Schreibens.” Aber: Nicht als Ermah­nung, nicht als predi­gende Besser­wis­serei des Autors soll das geschehen. Son­dern es soll und muss sich im Hor­i­zont der Fig­uren man­i­festieren, in ihrem Wis­sen, ihren Erken­nt­nis­möglichkeit­en und ihren Erleb­nis­sen: Der Autor (und vor allem sein Wis­sen, sein Erken­nt­nis­stand ger­ade aus später­er Zeit, mit dem Wis­sen der geschichtlichen Entwick­lung) sei nicht gefragt (son­st entstünde eine Predigt und kein Roman). Später präzisierte er das noch: Auf­gabe der Lit­er­atur sei es nicht, Poli­tik und Geschichte nachzuerzählen. Geschichte ist aber der immer präsente Rah­men, der die Roman­hand­lung bee­in­flusst.

Ob dann Zufall oder Notwendigkeit in der Real­ität wal­ten, ob plan­bare Hand­lun­gen oder Reak­tio­nen poli­tis­ches Geschehen und Geschichte ermöglichen, ist eine weit­ere Frage, die er sich als Autor stellt. Aus der Sicht des Indi­vidu­ums lässt sich das für Peltzer wohl nicht entschei­den, denn let­ztlich, das betonte er sehr, ist “Geschichte der Alb­traum eines anderen, aus dem es keinen Aus­gang gibt”. Davon aus­ge­hend ist lit­er­arisch­er Real­is­mus für ihn dann aber nicht das sich Ergeben des Autors in die Unab­d­ing­barkeit (wenn ich ihn da richtig ver­standen habe). Im Gegen­teil: Der Wider­stand der Kun­st liegt möglicher­weise (wie so vieles for­mulierte Peltzer das als Frage) darin, nicht aufzugeben, son­dern weit­erzu­machen: “Die Zukun­ft wird das sein, was wir uns erkämpfen. Man muss damit anfange — heute, jet­zt. Son­st ist es zu spät.” schloss Peltzer sein Plä­doy­er für die Ern­sthaftigkeit und die Anstren­gung der Kun­st im Umgang mit der Welt und der Gegen­wart ab. Dass es ihm bei all dem nicht primär um Antworten, son­dern vor allem um die richti­gen Fra­gen an die so schnell Geschichte wer­dende Gegen­wart geht, wurde auch an diesem Abend wieder deut­lich. Und diese Art der ana­lytis­chen Schärfe der Gegen­warts­be­tra­ch­tung, die eine sehr spez­i­fis­che Art der Offen­heit gegenüber der Gegen­wart, ihrer Erken­nt­nis und den Fol­gen daraus (also dem Han­deln und der Zukun­ft) mit sich bringt, sind es, die Peltzer in meinen Augen als Autor so inter­es­sant machen.

Nach­trag 19. Okto­ber: Im Ver­lags­blog Hun­dertvierzehn des Fis­ch­er-Ver­lages ist die Dankesrede Peltzers jet­zt auch nachzule­sen: klick.

Ins Netz gegangen (4.11.)

Ins Netz gegan­gen am 4.11.:

  • The tragedy of James Bond — lau­rie pen­ny hat sich alte james-bond-filme angeschaut:

    The expe­ri­ence was like hav­ing your fore­brain slow­ly and labo­ri­ous­ly beat­en to death by a wilt­ing erec­tion wrapped in a copy of the Patri­ot Act: sav­age and sil­ly and just a lit­tle bit pathet­ic.

    sie bleibt aber nicht bei der per­sön­lichen abscheu, son­dern zeigt meines eracht­ens (aber ich bin ja auch kein bond-ken­ner) sehr gut, warum die bond-fig­ur (heute) prob­lema­tisch ist:

    The prob­lem with Bond is that he is sup­posed to be the good guy. He is a bor­der­line rapist who is employed by the gov­ern­ment to mur­der peo­ple – and yet he is not an anti-hero. He is just a hero. … Bond is a hero for no oth­er rea­son than that he is on our side, which is how most west­ern nations and par­tic­u­lar­ly the British come to terms with their par­tic­u­lar lega­cy of hor­ror – with a qui­et embar­rass­ment that nonethe­less knows how to defend itself by force.
    […] James Bond, more than any­thing, is a trag­ic fig­ure and his tragedy is the tragedy of white, impe­ri­al­ist mas­culin­i­ty in the 21st cen­tu­ry. It is a tragedy of irrel­e­vance that becomes all the more poignant and painful in the retelling.

  • Lau­da­tio auf Rainald Goetz von Jür­gen Kaube — FAZ — der voll­ständigkeit hal­ber noch die recht gute lau­da­tio von jür­gen kaube auf rainald goetz für den büch­n­er­preis
  • My Top 30 Fonts with the Sex­i­est Amper­sands — sehr schöne samm­lung sehr schön­er amper­sand-umset­zun­gen
  • Poli­tis­che Lit­er­atur: Gegen die herrschende Klasse | ZEIT ONLINE — ein dur­chaus inter­es­santes gespräch hat ijo­ma man­gold mit ulrich peltzer, ili­ja tro­janow & jen­ny erpen­beck über lit­er­atur und poli­tik, ver­gan­gen­heit, gegen­wart und zukun­ft geführt:

    Es gibt das Bedürf­nis der Lit­er­aturkri­tik und der Öffentlichkeit nach Wel­terk­lärung beziehungsweise nach Auf­fächerung von Erfahrun­gen, die man son­st nur aus den Medi­en ken­nt. An die Lit­er­atur wird eine Auf­gabe delegiert, die möglicher­weise nicht unbe­d­ingt eine gen­uin lit­er­arische Funk­tion ist.
    […] Das Moment von Utopie ist mit einem philosophis­chen Begriff von Geschichte ver­bun­den, und der ist uns ver­loren gegan­gen. Wir sehen uns nur noch mit der Empirie der Prob­leme kon­fron­tiert und ver­suchen, sie prak­tisch zu lösen, aber wir haben keinen Entwurf von Zukun­ft mehr, der die Erfahrun­gen der Ver­gan­gen­heit aufnehmen und ver­wan­deln würde, um zu einem anderen Begriff der Zukun­ft zu kom­men als dem, dass die Häuser gedämmt wer­den.

    sehr schön deut­lich wer­den auch die ver­schiede­nen arten, “poli­tisch” zu denken als lit­er­atin — bei peltzer z.b. immer ins philosophisch-his­torische gehend oder bei erpen­beck vom per­sön­lich-indi­vidu­ellen erleb­nis aus

  • Max Wal­len­horst: Das Darm­städter Nebeneinan­der-Sitzen – Merkur — sehr schön­er text im merku-blog von max wal­len­horst über rainald goetz & die büch­n­er­preisver­lei­hung in darm­stadt
  • Deutsche Bank: Sie nen­nen es Ster­be­haus | ZEIT ONLINE -

    Es war ein Bankraub von innen. sehr schöne reportage von marc brost & andreas veiel über macht und ver­ant­wor­tung, ethik, gier und konkur­renz auf den höch­sten ebe­nen der wirtschaft — hier am beispiel der deutschen bank (sehr schön auch, dass sie zeigen, dass das alles selb­st auf betrieb­swirtschaftlich­er ebene (von der volk­swirtschaftlichen ganz zu schweigen) unsin­nig war/ist)

  • Hin­lan­gen — Schön an Rainald Goetz’ Tex­ten ist, was Volk­er Wei­der­mann entset­zt : literaturkritik.de — markus joch über volk­er wei­der­manns selt­same volte, plöt­zlich rainald goetz abso­lut gut zu find­en — und das prob­lem dabei, vor allem bei der rel­a­tivierung in bezug auf “Johann Holtrop”, die wohl auf einem missver­ständ­nis der goet­zschen poet­ik beruht

    Gestern wet­tern, heute bejubeln ‒ ein­er immer­hin, Michael Angele vom „Fre­itag“, hat den pünk­tlichen Kur­swech­sel ver­merkt, auf Face­book. Soll man es damit bewen­den lassen? Ungern. Das Prob­lem ist, wie Wei­der­mann die Kurve kriegen will. Gebetsmüh­le­nar­tig von Inten­sität und Kraft schwär­men, aber den Aggres­sion­spegel von „Johann Holtrop“ ein biss­chen bekrit­teln, als sei er ein Aus­reißer ‒ das ist wie Willy Brandt her­vor­ra­gend find­en, bis auf Emi­gra­tion und Ost­poli­tik. Absurd, weil Inten­sität und Polemik bei Goetz natür­lich stets zusam­menge­hören.

  • Der Rei­hungskün­stler — konkret — joseph wälzholz zeigt die rhetorischen kniffe volk­er wei­der­manns (bei ein paar begrif­f­en musste ich wirk­lich über­legen …)

    Ein genialer Rhetorik­er: Nie­mand set­zt hochkom­plizierte Stilmit­tel so vir­tu­os ein wie der Feuil­leton­ist Volk­er Wei­der­mann. Eine Col­lage in 19 Motiv­en und 79 Fußnoten.

  • Vom Fehlen des Wider­ständi­gen. Weit­ere Gedanken über Fer­ney­hough. — moritz eggert über fer­ney­houghs musik und den unter­schiede zwis­chen par­ti­tur (aufre­gend, kom­plex) und klang (nicht immer über­wälti­gend …) — zu den par­ti­turen hat er kür­zlich schon etwas geblog­gt: http://blogs.nmz.de/badblog/2015/10/19/die-quadratur-der-linie-ein-neuer-blick-auf-das-werk-von-brian-ferneyhough/
  • Neon­azis: Hei­di und die Brand­s­tifter | ZEIT ONLINE — inter­es­sante, gute, pack­ende reportage von daniel müller & chris­t­ian fuchs über eine im neon­azi-fam­i­lien-milieu sozial­isierte junge frau, die sich von dieser ide­olo­gie inzwis­chen abge­wandt hat

    Sie stammt aus ein­er Fam­i­lie von treuen Nazis, als Kind wurde sie in geheimen Lagern gedrillt. Ihre früheren Kam­er­aden zün­deln heute bei NPD und Pegi­da. Hei­di Ben­neck­en­stein hat sich anders entsch­ieden.

  • Stadt Wien veröf­fentlicht pos­i­tive Shar­row-Studie | It start­ed with a fight… — die stadt wien hat an drei wichti­gen, verkehrsstarken straßen unter­sucht, wie aufge­malte fahrrad­pik­togramme (mit pfeil), die soge­nan­nten “shar­rows”, sich auch ohne weit­ere verän­derun­gen des verkehrsraums aus­ge­sprochen gün­stig für rad­fahrerin­nen auswirken:

    Diese Studie „Wirkung von Fahrrad-Pik­togram­men im Straßen­verkehr“ […] zeigt sehr pos­i­tive Ergeb­nisse: Gesteigerte Sicher­heit des Rad- und Autoverkehrs durch verbesserte Inter­ak­tion, Abnahme der Über­holvorgänge und größeren Sicher­heitsab­stand der Autos beim Über­holen.

  • 1001 Dinge | Schmalenstroer.net — eine liste von lis­ten, die man lebendig abar­beit­en “muss”, von einem lis­ten­has­s­er …
  • Warum Akif Pir­incçi aus falschen Grün­den das Richtige passierte und warum das nicht gut ist | Thomas Trappe — kluge beobach­tun­gen von thomas trappe zur wahrnehmung von und dem umgang mit rechtsextremen/rassisten etc., bei “pegi­da” und ander­swo

    Erstens: Die Gründe, warum solche Per­so­n­en kurzzeit­ig oder für immer von der Bühne ver­schwinden, sind meist triv­iales NS-Word­ing. Zweit­ens: Es trifft in aller Regel die Richti­gen. Drit­tens: Indem man es sich aber so ein­fach macht, gibt man ihnen und ihren Unter­stützern die Rolle, die sie so gerne ein­nehmen, näm­lich die des unter­drück­ten Quer­denkers. Was sie, viertens, niemals sind.

Ins Netz gegangen (20.7.)

Ins Netz gegan­gen am 20.7.:

  • «Dig­i­tal Human­i­ties» und die Geis­teswis­senschaften: Geist unter Strom — NZZ Feuil­leton — sehr selt­samer text von urs hafn­er, der vor allem wohl seine eigene skep­sis gegenüber “dig­i­tal human­i­ties” bestäti­gen wollte. dabei unter­laufe ihm einige fehler und er schlägt ziem­lich wilde volten: wer “human­i­ties” mit “human­wis­senschaften” über­set­zt, scheint sich z.b. kaum auszuken­nen. und was die verz­er­rende darstel­lung von open access mit den dig­i­tal human­i­ties zu tun hat, ist auch nicht so ganz klar. ganz abge­se­hen davon, dass er die fäch­er zumin­d­est zum teil fehlrepräsen­tiert: es geht eben nicht immer nur um close read­ing und inter­pre­ta­tion von einzel­tex­ten (abge­se­hen davon, dass e‑mailen mit den dig­i­tal human­i­ties unge­fähr so viel zu tun hat wie das nutzen von schreib­maschi­nen mit kittler’schen medi­en­the­o­rien …)
  • Lyrik: Reißt die Seit­en aus den Büch­ern! | ZEIT ONLINE — nette idee von thomas böhm, die lyrik zu vere­inzeln (statt in lyrik­bän­den zu sam­meln), das gedicht als optis­ches sprachkunst­werk zu ver­mark­ten (auch wenn ich seine argu­men­ta­tio­nen oft über­haupt nicht überzeu­gend finde)
  • Ein­sam auf der Säule « Lyrikzeitung & Poet­ry News — gute kri­tikkri­tik zur besprechung des aktuellen “Jahrbuchs für Lyrik” in der “zeit”, die auch mich ziem­lich ver­wun­dert hat.

    Unter­schei­dung, Alter­na­tiv­en, Schw­er­punk­t­set­zung? Fehlanzeige. Rez. zieht es vor, sich als scharfe Kri­tik­erin zu insze­nieren, jede Dif­feren­zierung schwächte das Bild nur. Lieber auf der Schul­ter von Riesen, hier neben Krüger, Benn & Co. vor allem Jos­sif Brod­sky, auf die behauptet magere deutsche Szene her­ab­blick­en. Ein­sam ist es dort oben auf der Säule!

  • Verkehrssicher­heit: Brun­ners let­zte Fahrt | ZEIT ONLINE — sehr inten­sive reportage von hen­ning susse­bach über die prob­leme der/mit altern­den aut­o­fahrern (für meinen geschmack manch­mal etwas trä­nen­drüsig, aber ins­ge­samt trotz­dem sehr gut geschrieben)

    Urlaub­szeit in Deutsch­land, Mil­lio­nen Reisende sind auf den Straßen. Da biegt ein 79-Jähriger in falsch­er Rich­tung auf die Auto­bahn ein – fünf Men­schen ster­ben. Ein Unglück, das zu ein­er brisan­ten Frage führt: Kann man zu alt wer­den fürs Aut­o­fahren?

  • Lyrik und Rap: Die härteste Gan­gart am Start | ZEIT ONLINE — uwe kolbe spricht mit mach one (seinem sohn) und kon­stan­tin ulmer über lyrik, raps, rhyth­mus und the­men der kun­st

    Dass ich mit meinen Gedicht­en kein großes Pub­likum erre­iche, ist für mich etwas, worunter ich sel­ten lei­de. Ich möchte das, was ich mache, auf dem Niveau machen, das mir vorschwebt. Dabei nehme ich auch keine Rück­sicht mehr. Ich gehe an jeden Rand, den ich erre­ichen kann.

  • Rainald Goetz: Der Weltab­schreiber | ZEIT ONLINE — sehr schöne und stim­mende (auch wenn das the­ater fehlt …) würdi­gung rainald goet­zes durch david hugen­dick anlässlich der bekan­nt­gabe, dass goetz diesjähriger büch­n­er-preis-träger wird

    Die einzige Reak­tion auf die Zudringlichkeit der Welt kann nur in deren Pro­tokoll beste­hen, die zugle­ich ein Pro­tokoll der eige­nen Über­forderung sein muss.

  • “Panora­mafrei­heit”: Wider den Urhe­ber­rechts-Extrem­is­mus — Süddeutsche.de — leon­hard dobusch zum ver­such, in der eu das urhe­ber­recht noch weit­er zu ver­schär­fen:

    Wir alle sind heute ein biss­chen wie Licht­en­stein oder Warhol. Wir erstellen und teilen ständig Fotos und Videos, in denen Werke ander­er vorkom­men. Zeit, dass das Urhe­ber­recht darauf einge­ht.

  • Stravinsky’s Ille­gal “Star Span­gled Ban­ner” Arrange­ment | Tim­o­thy Judd — ich wusste gar nicht, dass es von straw­in­sky so ein schönes arrange­ment der amerikanis­chen hmyne gibt. und schon gar nicht, dass die ange­blich ver­boten sein soll …
  • Essay Griechen­land und EU: So deutsch funk­tion­iert Europa nicht — taz.de — ulrich schulte in der taz zu griechen­land und der eu, mit vie­len sehr guten und tre­f­fend­en beobach­tun­gen & beschrei­bun­gen, unter anderem diesen

    Von CSU-Spitzenkräften ist man inzwis­chen gewohnt, dass sie jen­seits der bay­erischen Lan­des­gren­ze so dumpf agieren, als gössen sie sich zum Früh­stück fünf Weiß­bier in den Hals.
    […] Das Char­mante an der teils irrlichtern­den Syriza-Regierung ist ja, dass sie einge­spielte Riten als nackt ent­larvt.

  • Sich „kon­struk­tiv ver­hal­ten“ heißt, ernst genom­men zu wer­den | KRZYSZTOF RUCHNIEWICZ — Stel­lung­nahme ehe­ma­liger Mit­gliedern des Wis­senschaftlich Beraterkreis­es der (sowieso über­mäßig vom Bund der Vertreibenen dominierten) Stiftung Flucht, Vertrei­bung, Ver­söh­nung zur Farce der Wahl des neuen Direk­tors unter Kul­turstaatsmin­is­terin Moni­ka Grüt­ters
  • Kon­sum: Kleine Geschichte vom richti­gen Leben | ZEIT ONLINE — marie schmidt weiß nicht so recht, was sie von craft beer, handgeröstetem kaf­fee und dem ganzen zele­bri­erten super-kon­sum hal­ten soll: fetisch? rückbesin­nung alte handw­erk­liche werte? oder was?
  • Alle Musik ist zu lang — wun­der­bare über­legun­gen von diet­mar dath zur musik, der welt und ihrer philoso­phie

    Alle bere­its vorhan­dene, also aufgeschriebene oder aufgeze­ich­nete Musik, ob als Schema oder als wieder­gabefähige Auf­führung erhal­ten, ist für Men­schen, die heute Musik machen wollen, zu lang, das heißt: Das kön­nen wir doch nicht alles hören, wir wollen doch auch mal anfan­gen. Wie gesagt, das gilt nicht nur für die Werke, son­dern schon für deren Muster, Prinzip­i­en, Gat­tun­gen, Tech­niken.
    […] Musik hält die Zeit an, um sie zu ver­brauchen. Während man sie spielt oder hört, passiert alles andere nicht, insofern han­delt sie von Ewigkeit als Ereig­nis- und Taten­losigkeit. Aber bei­de Aspek­te der Ewigkeit, die sie zeigt, sind in ihr nicht ein­fach irgend­wie gegeben, sie müssen hergestellt wer­den: Die Ereignis­losigkeit selb­st geschieht, die Taten­losigkeit selb­st ist eine musikalis­che Tat.

  • Lit­er­atur­blogs are bro­ken | The Dai­ly Frown — fabi­an thomas attestiert den “lit­er­atur­blogs” “fehlende Dis­tanz, Gefall­sucht und Harm­losigkeit aus Prinzip” — und angesichts mein­er beobach­tung (die ein eher kleines und unsys­tem­a­tis­ches sam­ple hat) muss ich ihm lei­der zus­tim­men.
  • Inter­view ǀ „Ent-iden­ti­fiziert euch!“ — der Fre­itag — großar­tiges gespräch zwis­chen har­ald fal­ck­en­berg und jonathan meese über wag­n­er, bayreuth, kun­st und den ganzen rest:

    Ja, ich hab total auf lieb Kind gemacht. Ich merk­te ja schon, dass ich im Wag­n­er-Forum so als Mon­ster dargestellt wurde. Ich bin kein Mon­ster. Ich wollte das Ding nur radikalisieren. Ich hab auf nett gemacht und so getan, als wäre ich gar nicht ich selb­st. Was ich ja immer tue. Sei niemals du selb­st. Keine Selb­st­suche, bitte. Keine Pil­ger­fahrt. Keine Möncherei. Ich bin ein­fach wie ’n Spielkind da range­gan­gen, und ich dachte, jet­zt geht’s ab.
    […] Kul­tur ist genau­so beschissen wie Gegenkul­tur. Main­stream ist genau­so beschissen wie Under­ground. Kul­tur und Gegenkul­tur ist das Gle­iche. Poli­tik kannst du nicht mit Kul­tur bekämpfen. Son­dern nur mit Kun­st. Du kannst nicht eine neue Partei grün­den, weil sie genau­so scheiße ist wie jede andere. Du kannst keine neue Reli­gion grün­den, weil sie genau­so scheiße ist wie alle anderen. Du kannst keine neue Eso­terik schaf­fen, weil sie genau­so scheiße ist wie jede andere. Du kannst keine Spir­i­tu­al­ität schaf­fen, die bess­er wäre als alle anderen.
    Jede Partei ist gle­ich scheiße, jede Reli­gion ist gle­ich zukun­ft­sun­fähig, jede Eso­terik ist abzulehnen. Ich benutze Eso­terik, aber ich iden­ti­fiziere mich nicht damit. Ich iden­ti­fiziere mich nicht mit Wag­n­er, ich iden­ti­fiziere mich nicht mit Bayreuth, ich iden­ti­fiziere mich mit gar nichts.
    Ent-iden­ti­fiziert euch! Seid nicht mehr! Seid eine Num­mer! Seid endlich eine Num­mer!
    Das ist geil. Seid kein Name! Seid kein Indi­vidu­um! Seid kein Ich! Macht keine Nabelbeschau, keine Pil­ger­reise, geht niemals ins Kloster, guckt euch niemals im Spiegel an, guckt immer vor­bei!
    Macht niemals den Fehler, dass ihr auf den Trip geht, euch selb­st spiegeln zu wollen. Ihr seid es nicht. Es ist nicht die Wichtigtuerei, die die Kun­st aus­macht, son­dern der Dienst an der Kun­st. Die Kun­st ist völ­lig frei. Meine Arbeit, die ist mir zuzuschreiben, aber nicht die Kun­st. Die spielt sich an mir ab.

  • Eine Bemerkung zur Kom­pe­ten­zori­en­tierung by Fach­di­dak­tik Deutsch -

    »Fak­ten­wis­sen« kommt nicht zuerst, wenn Kom­pe­ten­zori­en­tierung ernst genom­men wird – Kön­nen kommt zuerst. Kom­pe­ten­zori­en­tierung bedeutet, die Ler­nen­den zu fra­gen, ob sie etwas kön­nen und wie sie zeigen kön­nen, dass sie es kön­nen. Weil ich als Lehren­der nicht mehr zwin­gend sagen kann, auf welchem Weg dieses Kön­nen zu erre­ichen ist. Dass dieses Kön­nen mit Wis­sen und Moti­va­tion gekop­pelt ist, ste­ht in jed­er Kom­pe­ten­zde­f­i­n­i­tion. Wer sich damit auseinan­der­set­zt, weiß das. Tut das eine Lehrkraft nicht, ist das zunächst ein­fach ein­mal ein Zeichen dafür, dass sie sich nicht mit Kom­pe­ten­zori­en­tierung beschäftigt hat. Fehlt diese Bere­itschaft, müssen zuerst die Voraus­set­zun­gen dafür geschaf­fen wer­den.

  • Essay zum UN-Weltkul­turerbe: Mord mit besten Absicht­en — taz.de -

    Und immer noch drän­geln die Städte, die Dör­fer, die Regio­nen, dass sie ja als Erste ein­bal­samiert wer­den. Wie die Län­der, die sich um Olymp­is­che Spiele bewer­ben, ohne sich klarzu­machen, dass sie damit ihren Unter­gang her­auf­beschwören wie Griechen­land mit Athen.

  • Wie man nicht für die Vor­rats­daten­spe­icherung argu­men­tiert | saschalobo.com — sascha lobo seziert den tweet von rein­hold gall. wie (fast) immer exzel­lent. schade (und mir unver­ständlich), dass solche texte in den großen, pub­likum­swirk­samen medi­en keinen platz find­en — warum ste­ht das nicht im print-spiegel, der gedruck­ten faz oder süd­deutschen?
  • Sex (und gen­der) bei der Fifa | Männlich-weib­lich-zwis­chen — ein schön­er text zum prob­lem der bes­tim­mung des geschlechts, des biol­o­gis­chen, wie es die fifa ver­sucht — näm­lich über den testos­teron-spiegel. mit dem (inzwis­chen erwart­baren) resul­tat: so kann man das jeden­falls nicht machen.

    an darf also ver­muten und hof­fen, dass auch diese Def­i­n­i­tion von sex zu sportlichen Zweck­en dem­nächst, wie bish­er alle anderen Def­i­n­i­tio­nen auch, als unbrauch­bar und absurd erweisen – aber wohl, eben­falls wie immer, erst zu spät.

Ins Netz gegangen (15.3.)

Ins Netz gegan­gen am 15.3.:

  • There is no sci­en­tif­ic case for home­opa­thy: the debate is over | Edzard Ernst | The Guardian — edzard ernst fasst die bemühun­gen der let­zten jahrzehnte unter bezug­nahme auf eine aus­tralis­che (meta-)studie zusam­men: homöopathie ist wis­senschaftlich nicht halt­bar, sie hat keine wirkung über die place­bo-wirkung hin­aus
  • Kolumne Unter Schmerzen: Das Rein-raus-Prinzip — taz.de — ein taz-redak­teur kommt mit dem deutschen gesund­heitssys­tem in berührung:

    Es gibt selt­same Kun­st an den Wän­den, und es gibt reich­lich Wartezeit, über die Ahnungslosigkeit von Ärzten in Sachen Kun­st nachzu­denken.

  • Schutz der eige­nen Staats­bürg­er sieht anders aus — Recht sub­ver­siv — wolf­gang kaleck erin­nert an das schick­sal khaled el-mas­ris und das schäbige, mehr oder weniger rechts­beu­gende ver­hal­ten der deutschen bun­desregierun­gen
  • A Tale of two Courts — christoph möllers gewohnt pointiert:

    Der Non­nen­hab­it ist nicht die Volk­stra­cht der grundge­set­zlichen Wertege­mein­schaft.

    — später aber wohl auch etwas ide­al­is­tisch …

  • Karl­sruher Beschluss: Kopf­tuch – na und? — Feuil­leton — FAZ — chris­t­ian gey­er angenehmge­lassen­zum aktue­len kopf­tuch-urteil des bver­fg:

    Sor­gen kann man sich um vieles. Aber wo kämen wir hin, wenn jede Sorge zu einem vor­sor­glichen Ver­bot des mut­maßlichen Sor­ge­nan­lass­es führen würde? Der öffentliche Raum ist kein klin­is­ch­er Bezirk, der nach der Meta­pher der Keimver­mei­dung zu denken wäre. Auch für die beken­nt­nisof­fene Gemein­schaftss­chule gilt, dass sie Spiegel der religiös-plu­ral­is­tis­chen Gesellschaft ist, heißt es in dem Beschluss, den der Erste Sen­at des Bun­desver­fas­sungs­gerichts am Fre­itag veröf­fentlichte.

  • Fem­i­nis­mus: Die Angst in den Augen der Frauen — FAZ — ein sehr guter und kluger text von anto­nia baum über lau­rie pen­ny und ihr neues buch:

    Pen­ny will einen anderen Fem­i­nis­mus. Einen Fem­i­nis­mus, der sich nicht auss­chließlich für das Ide­al­bild der Kar­ri­ere­traum­frau ein­set­zt, ein Fem­i­nis­mus für Homo­sex­uelle, Hässliche, Arme, Schwarze, Män­ner.
    […] Pen­ny hat keine Antwort auf die Frage, wie alles anders wer­den kann, aber das ist auch nicht ihr Job. Sie for­muliert nur mit absoluter Radikalität, dass es anders wer­den muss. Für Frauen, Män­ner, für alle. Und dabei gelin­gen der rasend klu­gen Pen­ny dann Beobach­tun­gen und Analy­sen, für die man sie küssen möchte

  • Lau­rie Pen­ny: Lebe wild und frei! | ZEIT ONLINE — marie schmidt hat sich mit lau­rie pen­ny getrof­fen und einen zwis­chen über­mäßiger per­son­al­isierung und the­o­rie schwank­enden text aus boston mit­ge­bracht. lau­rie pen­ny:

    “Ich glaube, die Idee ein­er Zukun­ft, in der Geschlechter­rollen ganz aufgegeben wer­den, ist ganz erschreck­end für Män­ner, denn ihr Selb­st­wert­ge­fühl stammt aus ein­er Welt, die es nie wirk­lich gab, in der sie die Mächti­gen waren, das Geld ver­di­en­ten und die Aben­teuer bestanden”, sagt sie, bevor sie im Café Diesel nicht mehr still sitzen kann und wir atem­los über den ver­schneit­en Cam­pus ren­nen.

  • Kan­di­dat für Leipziger Buch­preis: Dichter am Erfolg — taz.de — luise checchin hat sich in der lyrik­szene umge­hört und reka­tio­nen auf die/einschätzungen der nominierung von jan wag­n­ers “regen­ton­nen­vari­a­tio­nen” für den preis der leipziger buchmesse gesam­melt
  • Mod­erne Lit­er­atur fehlt in Lehrplä­nen der Schulen — san­dra kegel in der faz:

    Der Klassen­z­im­mer-Club der toten Dichter
    Das kann ja wohl nicht wahr sein: Der mod­ern­ste Autor, der in Berlin­er Schulen gele­sen wird, ist seit fast sechzig Jahren tot. Zur Lage der zeit­genös­sis­chen Lit­er­atur in deutschen Ober­stufen.

  • Bitte malt mir kein Schaf! | — anne schüssler über die miss­bräuch­liche nutzung des “kleinen prinzen” (ich bin aber doch der mei­n­ung, dass schon der “kleine prinz” eigentlich ziem­lich schrot­tig ist und den miss­brauch ger­adezu her­aus­fordert …)

    Ich mochte meine Grund­schullehrerin wie jedes nor­male Grund­schulkind seine Lehrerin mag, aber im Nach­hinein muss man vielle­icht sagen, dass sie eben auch Unfug gemacht hat. Gesellschaftlich anerkan­nten Unfug zwar, aber trotz­dem Unfug.

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  • Der Druck der näch­sten feinen Sache — Per­len­tauch­er — flo­ri­an kessler disku­tiert mit daniela seel & axel von ernst über die hotlist, ver­mark­tung von büch­ern und nis­chen oder schubladen. daniela seel (kook­books) stellt grund­sät­zliche fra­gen:

    So macht die Hotlist sich selb­st zur kleineren Kopie der Großen und trägt mit zur Veren­gung des Lit­er­aturver­ständ­niss­es bei. Was eigentlich nötig wäre, näm­lich auf eine Ver­mit­tlung ger­ade des Sper­rigeren hinzuwirken, sich für andere lit­er­arische For­men und auch kom­plex­er gestal­tete Büch­er stark zu machen, die nicht so leicht schubla­disiert wer­den kön­nen, find­et viel zu wenig statt.

    Die Abdrän­gung in “Nis­chen” ist dur­chaus ein Symp­tom von Ver­drän­gung im dop­pel­ten Sinn. Dabei ste­ht die Ero­sion tra­di­tioneller Lit­er­aturver­mit­tlung, durch Zeitungskri­tik, Buch­han­del, Schullek­türe und so weit­er, ja ger­ade erst am Anfang. Vielle­icht wird es in zehn Jahren kaum noch Aufla­gen über 1000 Exem­plare geben oder Kri­tiken mit ein­er höheren Reich­weite, und die verbliebe­nen Gewinne lan­den fast voll­ständig bei Onlinekonz­er­nen und Geräte­herstellern. Umso wichtiger wäre es, jet­zt alter­na­tive, zukun­fts­fähige Instru­mente zu erfind­en und ins Gespräch zu brin­gen — über­haupt als Akteure in diesem Wan­del zu han­deln statt sich von ihm treiben zu lassen — , gerne auch mit erweit­erten Hotlist-Werkzeu­gen. Weit­er bloß die ger­ade pub­lizierten Büch­er möglichst vie­len Men­schen verkaufen zu wollen, riecht jeden­falls nach Paralysierung durch Panik und greift nach allen Seit­en zu kurz.

  • Preußens demokratis­che Sendung — Kul­tur — DIE WELT — flo­ri­an stark schreibt in der “welt” den nachruf auf hagen schulze:

    Aber Schulze wollte nicht der herrschen­den Schule gefall­en, son­dern die Quellen zum Reden brin­gen. Bei­des machte ihn zum Solitär, dessen Klasse viele Kri­tik­er aber zäh­neknirschend anerken­nen mussten.

  • childLex (Ger­man Children‘s Book Cor­pus) | Max-Planck-Insti­tut für Bil­dungs­forschung — cool­er Kor­pus:

    childLex ist ein Koop­er­a­tionspro­jekt mit der Uni­ver­sität Pots­dam und der Berlin-Bran­den­bur­gis­chen Akademie der Wis­senschaften. Das Kor­pus umfasst über 10 Mil­lio­nen Wörter, die in ein­er Auswahl von 500 Kinder- und Lese­büch­ern enthal­ten sind. Die Büch­er deck­en den Alters­bere­ich von 6–12 Jahre ab und kön­nen entwed­er ins­ge­samt oder in drei ver­schiede­nen Alters­grup­pen (6–8, 9–10, 11–12 Jahre) getren­nt abge­fragt wer­den. Dabei wer­den die meis­ten lin­guis­tisch und psy­chol­o­gisch rel­e­van­ten Vari­ablen für ca. 200.000 unter­schiedliche Wörter zur Ver­fü­gung gestellt.

  • Uber, die deutsche Star­tup­szene und die Medi­en im Kampf gegen Reg­ulierung und das Taxi-Estab­lish­ment » Zukun­ft Mobil­ität — sehr guter text von mar­tin ran­del­hoff bei “zukun­ft mobil­ität” über die gründe, warum “uber” vielle­icht doch keine so tolle idee ist (und der reg­uliterte taxi-markt gar nicht so schlecht ist, wie inter­na­tionale erfahrun­gen mit dereg­ulierun­gen zeigen) — wed­er für den städtis­chen verkehr ins­ge­samt noch für den indi­vidu­ellen nutzer (von den fahrern wohl zu schweigen …)
  • Trac­ing Jew­ish his­to­ry along the Rhine — Trac­ing Jew­ish his­to­ry along the Rhine (NYT)
  • Fahrrad­kuriere: „Am Abend bin ich ein Held“ — Die @FAZ_NET hat die Fahrrad­kuriere in Frank­furt ent­deckt: „Am Abend bin ich ein Held“ >
  • Wer pflegt die Fülle sel­ten gehörter Stim­men? — taz.de — Jür­gen Brô­can schreibt in der taz sehr bedenkenswert über das selt­same missver­hält­nis zwis­chen der hohen zahl guter neuer lyrik und ihrer schwinden­den reich­weite:

    Lyrik ist das Ange­bot ein­er nicht primär auf Informiertheit und Effek­tiv­ität gegrün­de­ten Denkweise in ein­er anderen Sprache als der des täglichen Umgangs. Darin beste­ht ihr Wert und ihre Stärke, darin beste­ht lei­der auch ihre Prob­lematik hin­sichtlich der Rezep­tion.
    […] Dabei brauchen Gedichte nur jeman­den, der wil­lens ist, nicht bloß zu kon­sum­ieren, son­dern sich konzen­tri­ert auf eine Sache einzu­lassen, sich ihr behut­sam anzunäh­ern und selb­st ein gele­gentlich­es Stock­en nicht als hin­der­lich, vielmehr als bere­ich­ernd zu empfind­en. Entspin­nt sich auf diese Weise ein Gespräch mit dem Text, wird sog­ar das ein­same Lesez­im­mer nicht als Iso­la­tion emp­fun­den.

    vorschläge, die mar­gin­al­isierung der lyrik umzukehren, dem gedicht zu mehr bedeu­tung & rezep­tion zu ver­helfen:

    Mir scheint zweier­lei unab­d­ing­bar: Die medi­ale Aufmerk­samkeit müsste dezen­tral­isiert wer­den, denn es ist nicht alles “Prov­inz”, was sich außer­halb Berlins oder Leipzigs befind­et, kün­st­lerisches Poten­zial kann man über­all ent­deck­en, es ent­fal­tet sich an den Periph­e­rien oft­mals eigen­er als in den Schutz­zo­nen der Metropolen. Darüber hin­aus soll­ten Preise und Stipen­di­en der vorhan­de­nen Vielfalt stärk­er als bish­er Rech­nung tra­gen; deren man­gel­nde Unter­stützung set­zt näm­lich einen Teufel­skreis in Gang, der am Ende die Argu­men­ta­tion stützt, es existiere diese Vielfalt gar nicht.

  • Reste aus 6. Jahrhun­dert ent­deckt — All­ge­meine Zeitung — Wer in Mainz anfängt zu graben …: “Älteste Mainz­er Kirche ist noch älter” — beim 6. Jhd sind sie jet­zt angekom­men
  • AnonAus­tria on Twit­ter: Die AfD find­et, dass das The­ma “Schreck­en­sh­errschaft der NSDAP” den Geschicht­sun­ter­richt zu sehr “über­schat­tet”: http://t.co/6RAstU3QXk — Steile These: Die AfD meint, 1848 hätte “unser Land” stärk­er geprägt als der Nation­al­sozial­is­mus. >
  • Sich­tachse deluxe | anmut und demut — Sich­tachse deluxe | anmut und demut
  • Char­lotte Jahnz on Twit­ter: Hihi­hi. http://t.co/u3x8id7o4g — RT @CJahnz: Hihi­hi.
  • Oranien­platz-Flüchtlinge: Der große Bluff — taz.de — ganz schön mies, was der Berlin­er Sen­at da als Poli­tik ver­ste­ht: “Oranien­platz-Flüchtlinge: Der große Bluff”

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jirgl erhält den feuchtwanger-preis

rein­hard jir­gl, in meinen augen ein­er der ganz weni­gen ganz großen leben­den deutschen schrift­steller (in der bedeu­tung als sprach-kün­stler) erhält heute den lion-feucht­wanger-preis für his­torische romane. fast ein wenig iro­nisch, diese ausze­ich­nung. denn auch wenn jir­gls romane sich the­ma­tisch mit der ver­gan­gen­heit beschäfti­gen (zwar nicht unbe­d­ingt in erster lin­ie, wie es die pressemit­teilung der akademie der kün­ste will, mit “mit heißen Eisen, die son­st kein­er anfassen mag”), so fällt mir ihre charak­ter­isierung als “his­torische” romane doch eher schw­er. das liegt natür­lich zum einen an der form/kategorie selb­st, die ja in der regel nur ein zer­rbild ihrer selb­st ist, zum anderen aber auch an jir­gls tex­ten — denn in mein­er lek­türe gibt es kaum gegen­wär­tigere texte als jir­gls romane. da ist die tit­ulierung als “his­torisch” eben eher ungewöhn­lich. die charak­ter­isierung als “his­to­ri­ographis­che metafik­tion”, auch wenn sie ein begrif­flich­es unge­heuer ist, scheint mir — als ((post-)moderne) vari­ante und fort­set­zung des “klas­sis­chen” his­torischen romans für jir­gl geeigneter. aber dafür gibt es (noch) keine preise.

peter kurzeck bekommt noch einen preis

ger­ade gese­hen: peter kurzeck erhält den preis „hör­buch des jahres 2008“ — natür­lich für „ein som­mer der bleibt“. mit 15.000 euro auch ganz ansehn­lich dotiert. her­zlichen glück­wun­sch.

manchmal steht sogar in der faz etwas gutes

z.b. dieser satz: der deutsche buch­preis “ist vor allem ein Spiel, ein Mar­ket­ing- und Lit­er­aturbe­trieb­sspiel mit Fik­tio­nen und um Fik­tio­nen, und die Währung, in der hier Gewinne und Ver­luste berech­net wer­den, heißt Aufmerk­samkeit.” geschrieben hat ihn hubert spiegel in seinem kurzen textlein zur vorauswahl für den bücher­preis 2008, der anson­sten vor allem dazu dient, leser in den dazuge­höri­gen lesesaal der faz zu lock­en.

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