Let’s not demonize driving—just stop subsidizing it | City Observatory → ein anderer weg, die leute vom auto wegzubekommen: ihnen einfach die wirklichen kosten des motorisierten verkehrs in rechnung stellen (ich weiß nicht, ob das wirklich so viel besser funktioniert — es scheint mir eher neue ungerechtigkeiten zu produzieren …)
But the problem is not that cars (or the people who drive them) are evil, but that we use them too much, and in dangerous ways. And that’s because we’ve put in place incentives and infrastructure that encourage, or even require, us to do so. When we subsidize roads, socialize the costs of pollution, crashes and parking, and even legally require that our communities be built in ways that make it impossible to live without a car, we send people strong signals to buy and own cars and to drive—a lot. As a result, we drive too much, and frequently at unsafe speeds given the urban environment. […]
Driving is a choice, and provided that drivers pay all the costs associated with making that choice, there’s little reason to object to that.
Poesie darf bei Element of Crime, das scheint ein ehernes Gesetz der Band zu sein, nicht dauerhaft durch poetische Formulierungen erzeugt werden. Manchmal bricht sich in den Texten sogar eine regelrechte Poesiefeindschaft Bahn […]. Aus Angst vor der Pseudolyrik verzichtet Regener fast komplett auf lyrische Marker
Linguistik: Ein neues Bild der Sprache | Spektrum → Paul Ibbotson und Michael Tomasello mit einem interessanten (auch für laien verständlichen) text über aktuelle entwicklungen in der linguisitik (auch wenn sie meines erachtens den stellenwert der chomsky’schen universalgrammatik überzeichnen — die ablösung läuft schon recht lange …)
Die Universalgrammatik scheint endgültig in der Sackgasse zu stecken. An ihrer Stelle verspricht die gebrauchsbasierte Linguistik einen aussichtsreichen Zugang zu den 6000 Sprachen, die auf der Welt genutzt werden.
“Wir verstehen soziale Medien immer noch nicht wirklich” | futurezone → kurzes interview mit Iyad Rahwan über soziale medien, geschwindigkeiten von nachrichtenverbreitung und informationsverarbeitung und die anpassungsfähigkeit von menschen, gesellschaften (und ein bisschen von technologien)
Windparks schaffen neuen Lebensraum| enorm → ergebnisse einer dissertation: off-shore-windparks in der deutschen nordsee ziehen höhere artenvielfalt nach sich. die biotope werden also sehr deutlich verändert — was man aber in diesem fall durchaus positiv sehen kann/darf
In der deutschen Nordsee finden sich hauptsächlich Sandbiotope und damit vergleichsweise ausgeräumte Meereslandschaften. Das Einbringen von Turbinen in diese Biotope führt dazu, dass sich neue Tierwelt ansiedelt, die es bis dato in der Menge dort nicht gegeben hat. Die Windräder sind wie neue geschaffene Riffe, wodurch sich die Diversität in den Off-Shore-Windparks enorm erhöht. Zuerst siedeln sich Muscheln und Benthoslebewesen – also Meeresbodenbewohner wie Krustentiere und Würmer – an den Turbinen an. Diese locken Fische an und die Fische wiederum ziehen, möglicherweise, Schweinswale und Vögel an. Insgesamt führt das dazu, dass sich in den Windparks mehr Lebewesen wiederfinden als vorher in der Region waren.
Telefonnummer als UID? Die sind doch gehasht!| Benjamin @ Diaspora → benjamin erklärt, warum telefonnummern als unique identifiers auch dann unsicher sind, wenn sie gehasht gespeichert werden: weil die rechenleistung moderner chips die hash-umkehr viel zu schnell schafft, als dass man da noch von sicherheit/schutz sprechen könnte …
Dafür gibt es zwei Gründe. Einerseits eine klare Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für den Herausgeber von Lingua, Johan Rooryck, und sein Team von 5 Mitherausgebern. Deren vertragliche Bindung an Elsevier mutierte von einer Art “gentleman’s agreement” Ende der 1990er Jahre zu einem extrem detaillierten und umfangreichen Vertrag, der dem Herausgeberteam immer zahlreichere Zwänge auferlegte. Gleichzeitig hatte das Herausgeberteam immer weniger Handlungsfreiheit und musste sich mehr und mehr gegen die Einmischung des Elsevier-Managements (zuletzt in der Person von Chris Tancock, Elseviers “Linguist-Portfolio”-Zuständigem) in die wissenschaftlichen Aspekte der Zeitschrift wehren, wie z.B. bei der Wahl neuer Mitherausgeber. Andererseits führte die extreme Profitgier Elseviers zu einem wachsenden Unbehagen sowohl beim Herausgeberteam als auch bei den Linguisten, die – umsonst! – für Lingua als Reviewer arbeiteten. Da dieselben Linguisten oft in Bibliotheksgremien sozusagen „live“ die gnadenlosen Geschäftspraktiken Elseviers miterlebten, waren sie immer weniger dazu bereit, ihre Zeit und Expertise Elsevier kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Richtig falsches Deutsch zu schreiben ist sehr schwer — Geisteswissenschaften — FAZ — Bemerkenswertes Experiment: Eine Sprachwissenschaftlerin des Bundeskriminalamtes stellte 98 Muttersprachlern die Aufgabe, einen Erpresserbrief zu schreiben und dabei eine ausländische Identität vorzutäuschen. Das Ergebnis war ernüchternd.
Und doch wird man Kenny Wheeler vor allem als abgeklärten Lyriker in Erinnerung behalten, der im Zeichen von Post-Bop und Post-Free-Jazz eine melancholische Eleganz pflegte.
John Bulmer: Black Country Series — Telegraph — “England’s Hard Centre: The Black Country” — tolle fotografien von john bulmer aus dem trüben, dunklen, schwarzen england ende der 1950er/anfang der 1960er
Thomas Mann im Tonfilm: Der audiovisuelle Urknall unserer Literatur — FAZ — die faz mal wieder ganz bescheiden: “audioviusellen urknall unserer literatur” (das ist natürlich hochgradiger unsinn) nennt sie ein gefundenes knapp vierminütiges tonfilmstück, in dem thomas mann spricht — über das “entrückte” publikum der neuen medien und (das eigentliche thema): über lessing mit dem titel “worte zum gedächtnis lessings” — aber da bricht der ausschnitt leider ab
Massentierhaltung: Das Wasser wird schlecht | ZEIT ONLINE — Das Wasser wird schlecht. 160 Millionen Kubikmeter Gülle: In Deutschland verdreckt die Massentierhaltung das Grundwasser. Weil Berlin nichts dagegen tut, droht Brüssel mit Konsequenzen. (leider rhetorisch etwas arg aufgebauscht …)
Aber in den Vorbereitungen für den nächsten Partysmalltalk kommen Sie mit Korpuslinguistik halt etwas flotter und aufwandsärmer zur textstrukturellen Erkenntnis:
Und wer unsere Art Strandleben nicht mag, der muss ja nicht kommen.
Leitartikler und Machteliten | Telepolis — Marcus Klöckner setzt sich sehr ausführlich mit der momentanen Diskussion um die Integration wichtiger deutscher Jouranlisten in mehr oder minder verschwiegene Zirkel der Machteliten auseinander — und kommt zu dem Schluss:
Es ist an der Zeit, dass die Distanz zwischen Journalisten und Machteliten größer wird.
Identitäten und Deutungszusammenhänge sind bei Bowie ständig im Fluss. Dank seines Selbstverständnisses, immer im Übergang, nie angekommen zu sein, und seiner Fähigkeit, Abseitiges nachvollziehbar zu machen, legte Bowie für sein Publikum Fährten in anderes, bis dahin fremdes kulturelles Terrain – vielleicht war diese Haltung, nicht seine Songs, das größte Geschenk, das er seinen jugendlichen Fans gemacht hat.
Und über ein weiteres Element seines Erfolges und Einflusses:
Konsequent hat Bowie sich anverwandelt, was ihm an Interessantem in die Finger kam. Er unterschied nicht zwischen Hoch- und Popkultur. Auch das war ein Grund für seinen Appeal. Schließlich hatte er seinen Fans, als die Versprechungen der Sechzigerjahre schal geworden waren, gezeigt, dass es mehr zu entdecken gab als eine Subkultur, mit der sie sich einst vom Rest der Welt hatten abgrenzen wollten, aber in einer Sackgasse gelandet waren. Bowie zeigte, dass man sich auch aus der Hochkultur das holen konnte, was man eben brauchte.
Tatsächlich prallen mit Zweifel und Heidenreich zwei Welten aufeinander. Insofern ist die Ablösung Zweifels nicht nur eine Entscheidung gegen die Person des Moderators. Es ist auch eine Entscheidung wie man den «Literaturclub», wie man Literatur im Fernsehen positionieren will: Hier das lustige, harmlose Leseempfehlungsgequatsche ohne besonderen Tiefgang. Dort die interessierte, neugierige, nicht immer sofort in ein Klischee einsetzbare Rede über ein Buch. Hier Facebook-Plauderei und Kaffeekränzchen, dort der Versuch, Texten und ihrer Komplexität (sofern vorhanden) gerecht zu werden.
Jonathan Safran Foer: Tree of Codes. London: Visual Edition 2011. 139 Seiten.
Die Idee hinter Tree of Codes ist ausgesprochen cool: Foer nahm einen vorhandenen Text — nämlich The Street of Crocodiles von Bruno Schulz — und schneidet einfach weg, was ihm im Weg ist oder nicht gefällt. Das Ergebnis, ein Cut-up sozusagen, ist dann ein neuer Text. Der Witz ist nun, dass nicht einfach der neue Text gedruckt wird, sondern der Prozess des Ausschneidens auch im Ergebnis, in Tree of Codes also, noch sichtbar ist. Denn die Seiten sind durchlöchert. Alles, was für neuen Text, die Überschreibung (Palimpsest!) nicht benötigt wird, wird weggeschnitten. Entsprechend löchrig sind die Seiten: Manchmal stehen vom “originalen” Text noch halbe Sätze oder einzelne Wortgruppen, manchmal auf einer halben Seite auch nur ein einzelnes Wort und sonst vor allem Luft, Nichts, die tatsächlich spürbare Abwesenheit des ursprünglichen/vorhandenen Textes. Das macht die Fragilität des Buches als Ding und als Text (Lücken!) ganz neu deutlich.
Man ist außerdem geneigt, dem Text eine gewisse Offenheit zuzusprechen: Durch die Lücken, die Löcher auf den Seiten, im Papier scheint ja immer das noch kommende schon durch, ist also schon präsent — als Wort, als Satzzeichen, als Splitter oder nur als Lücke. Das täuscht aber ziemlich. Auch die Idee des „Satzbildes“ bekommt eine ganz neue Bedeutung: Tatsächlich macht es irgendwie doch einen Unterschied, ob ein Satz mit wenigen Lücken geschnitten ist oder ob ein kleines Gebilde wie „I found myself lost.“ (80/81) sich über anderthalb Seiten — mit ensprechend viel Luft — erstreckt: Das Gewicht wird ein anderes (eher reziprok aber …)
Leere und Abwesenheiten spielen aber auch inhaltlich eine gewisse Rolle (oder meine Perspektive ist durch die Form verschoben). Der stehengebliebene Text ist dabei manchmal etwas schräg (wie die verrutschenden, absinkenden Häuser …), einen Tick surreal oder expressionistisch (in der Darstellung der Stadt). Auflösungserscheinungen, das Verschwinden, Verblassen und Verwandeln von Personen und Dingen spielen hier eine bedeutende Rolle.
The tree of codes was better than a paper imitation. (96)
Wolfgang Hilbig: Eine Übertragung. Frankfurt am Main: Fischer 2011 (Werke 4). 427 Seiten.
Eine Übertragung ist Hilbigs erster Roman und trotzdem gleich ein „echter“ und typischer Hilbig: Das Problem des Ichs wird hier durchdekliniert, insbesondere die Frage nach der Identität eines Schriftstellers. Die Identität der Hauptfigur, eines schriftstellernden Heizers (oder als Heizer arbeitenden Schriftstellers, das hängt von Stand- und Zeitpunkt ab), steht dabei nicht nur unter innerem Druck und Rechtfertigungszwang, sondern gerade auch unter äußerem Zwang, der sich in den staatlichen Repressalien der DDR-Institutionen (geheimdienstlich/polizeilich) äußert — was natürlich zusammenhängt und sich gegenseitig verstärkt.
Die ganze Übertragung ist deshalb eine Art “Selbstvernehmung”, in dem die erzählende Hauptfigur versucht, diesem Problem — also: Wer ist dieses Ich? Kann ich meinen Erinnerungen trauen? Und meinen Wahrnehmungen? — auf den Grund zu gehen. Der dabei reichhaltig konsumierte Alkohol hilft nicht unbedingt, Klarheit zu verschaffen. Nebenbei gibt es noch ein weiteres Problem, das der Untersuchung bedarf: Die Liebe — als Problem in einer Gesellschaft der Angst/Sicherheit/Unterdrückung). Das ist in Hilbigs typischer mächtiger, harter Sprache manchmal anstrengend, über die lange Strecke durchzuhalten. Aber es ist in seiner körperlichen Wucht eben auch immer wieder großartig und bereitet mir ausgesprochen großes Vergnügen …
Es war da ein Text, der auf seinen Verfasser wartete, aber andauernd griff das Leben ein und hinderte den Verfasser, indem es seine eigene Geschichte schrieb … […]. (107)
Luise F. Pusch: Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik. Frankfurt: Suhrkamp 1984. 202 Seiten.
Manches von den hier versammelten, etwas disparaten (linguistischen) Aufsätzen und (journalistischen) sprachkritischen Glossen von Luise Pusch ist inzwischen etwas gealtert — vor allem in dem Sinn, dass man die Entstehungszeit der 1980er erkennt. Das meiste aber ist noch — erschreckend eigentlich — aktuell und gültig sowieso: Pusch zeigt einerseits, wie sehr die deutsche Sprache von patriachalischen Strukturen und Denkmustern geprägt ist und schlägt andererseits vor, wie man das ändern könnte — damit die Nicht-Männer nicht immer nur “mitgemeint” sind. Ihr Hauptvorschlag im titelgebenden Aufsatz ist letztlich so etwas wie eine Entgeschlechtlichung (wie sie z.B. im Englischen weit verbreitet ist): Aus “der Professor” und “die Professorin” wird “der Professor” und “die Professor”. Ihr ist natürlich klar, dass das ein recht radikaler Eingriff in die überlieferte Sprachstruktur ist und deshalb von vorneherein abgelehnt wird (auch wenn das Ergebnis keineswegs unsystematisch im Deuschen wäre). Als “kleine” Alternative bevorzugt sie dann wenigstens die Doppelnennung bzw. deren abgekürzte Form mit Binnen‑I.
Helmut Oehring: Mit anderen Augen. Vom Kind gehörloser Eltern zum Komponisten. Berlin: btb 2011. 256 Seiten.
Oehrings frühe Autobiographie ist als Text bzw. Buch ziemlich seltsam und lebt wohl nur von der schon im Untertitel verkündeten Besonderheit seines Lebensweges — die Lebensgeschichte eines “normalen” (im Sinne der standardisierten Erwartung) Komponisten hätte wohl nicht diesen Verlag gefunden. Ich empfand das textlich vor allem also als recht krude Mischung aus sehr persönlichem Erleben und Künstlerbiographie mit Betonung des Autodidaktentums und der Unwahrscheinlichkeit des Gelingens, dem Hängenbleiben im Dazwischen (zwischen Welten) sowie Erläuterung der Entstehungszusammenhänge und Bedeutung der eigenen Werke. Krude wirkt das vor allem, weil es so chaotisch erzählt ist, ohne erkennbare Abfolge oder Zusammenhänge, in Fetzen fast. Oehring betont dabei auch gerne und wiederholt die von ihm erlebte Wucht der Erfahrung von Neuem, insbesondere von Kunst — also Oper, Musik, Pop und so weiter. Das wird dann aber von ihm immer weider mit sehr allgemeinen Beobachtungen und künstlerischen Arbeiten (vor allem Ausschnitten aus den Texten seiner Kompositionen) gemischt. Und so ekkletizistisch Oehring sich im Hören gibt (von Schönberg bis Depeche Mode reichen ungefähr seine Vorlieben), so uneinheitlich ist auch seine Sprache — oft sehr hölzern, manchmal stilistisch ausgesprochen ungelenk, an anderen Stellen aber auch sprühend vor Begeisterung.
Richard Alewyn, Karl Sälzle: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Fest in Dokument und Deutung. Hamburg: Rowohlt 1959. 134 Seiten.
Diese klassische Darstellung der Epoche des Barocks als Zeitalter des Festes wartete schon länger auf meine Lektüre. Im ersten Teil bietet Alewyn hier eine übersichtliche Morphologie des barocken Festes, die — so weit ich das überblicke — gelungen auf grundlegende Züge abstrahiert, aber das mit Beispielen reichhaltig demonstriert. Dem schließt er eine nähere Betrachtung der Elemente des Festes im Barock an (die vor allem das Theater ausführlich würdigt) und auch eine Situierung des barocken Festes im Leben & Geselllschaft. Hier spürt man vielleicht am deutlichsten das Alter des Textes. Bei der Abgrenzung zum „Volk“ etwa — davon hat Alewyn kaum einen Begriff, ihn interessieren die offensichtlichen Quellen — und die sind aus adligen Kreisen oder beschreiben zumindest vor allem den Adel. Dementsprechend konzentriert er sich ganz stark auf diese „wichtige“ Schicht — was sich in diesem Untersuchungszusammenhang sachlich ja auch weitgehend rechtfertigen lässt -, der Rest ist allenfalls Staffage.
Der zweite Teil des Taschenbuchs fügt dem dann noch einige Beschreibungen großer Feste des Barocks an, die leider nicht vorwiegend Quellen sind, sondern in der Hauptsache Quellenparaphrasen (was insofern verständlich ist, als die barocken Festbeschreibungen natürlich barock sind — d.h. unseren heutigen Lesegewohnheiten vielleicht ein wenig zu ausführlich …).
Die Geschichte des höfischen Festes, eines der glänzendsten Kapitel abendländischer Kulturgeschichte, wartet umgeschrieben und kaum gesehen der Auferstehung aus den Grüften unserer Archive und graphischen Sammlungen. Es fehlt nicht an der Sammlung und Katalogisierung dieser Schätze, aber es fehlt an jeder geistigen Ordnung und Deutung. (16)
Ein jedes Zeitalter schafft sich ein Gleichnis, durch das es im Bild seine Antwort gibt auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und in dem es den Schlüssel ausliefert zu seinem Geheimnis. Die Antwort des Barock lautet: Die Welt ist ein Theater. Großartiger kann man vielleicht von der Welt, aber schwerlich vom Theater denken. Kein Zeitalter hat sich mit dem Theater tiefer eingelassen als das Barock, keines hat es tiefer verstanden. In keinem Stoff aber auch hat das Barock sich völliger offenbart als im Theater. Es hat das Theater zum vollständigen Abbild und zum vollkommenen Sinnbild der Welt gemacht. (48)
Andreas Altmann: Die lichten Lieder der Bäume liegen im Gras und scheinen nur so. Leipzig: Poetenladen 2014. 101 Seiten.
Das Motto stellt gleich wichtige Elemente des sehr faszinierenden Gedichtbandes von Altmann vor:
erinnerungen häuten sich. immer wieder / stellen sie mir ihre körper in die spiegel.
heißt es da: Erinnerungen, Körper, auch die Körperlichkeit der Erinnerung(en) sowie Spiegel und Selbstbetrachtungen durchziehen als Motive viele der Gedichte. Gerade der Aspekt des Zusammenhangs von Erinnerung und Geschichte schlägt sich bei Altmann oft nieder. Das sind konkrete (teilweise sogar sehr konkrete!), streng ökonomisch „erzählte“ Szenen und kleine Geschichten, die mit sparsamen Hinweisen auf ihre geschichtliche Situierung über das eigentlich Erzählte gerne hinausweisen. Dafür reicht manchmal schon ein einzelnes Wort — “Grenzweg” zum Beispiel situiert das Gedicht zeitlich und örtlich an der innerdeutschen Grenze. Trotzdem neigt Altmann dazu, seine Lyrik präsentisch zu präsentierten, als ob sie ohne Zeit wäre: “… aus der zeit fällt. die wunden sind leer.“ heißt es einmal. (11)
Seine konkrete, auf der Ebene der Lexik geradezu alltägliche Sprache verbindet sich zu starken Bildern, die gerade durch ihre Genauigkeit und Schlichtheit wirkmächtig sind. Dabei fühlen sich viele seiner Gedichte, die auch immer wieder die Natur an den Kulturrändern, an den Schnittstellen zwischen menschlichen Artefakten und “reiner” Natur evozieren, sehr menschenleer an, obwohl das “Ich” — allerdings bevorzugt im spiegel — durchaus vorkommt. Prägender sind allerdings die (Natur-)Räume mit Schnee (auch Regen) und ihrem speziellen Licht, die „geschichte im landschaftspark“ (16) oder die „anatomie der erinnerung“ (22).
In den oft stillen, unaufgeregten Gedichten schwingt immer eine gewisse, starke Leichtigkeit mit, eine scheinbare Natürlichkeit der Sprache, wie sie im immer wieder vorkommenden Bild der Feder sich typisch manifestiert. Die Feder ist auch inhaltlich ganz treffend: Als Rest eines Lebenwesens, als Stellvertreter, zugleich aber auch eine Wunde (hinterlassend), dabei sich schwebend fortbewegend (kein eigentliches fliegen …), ziellos, ungesteuert und unregel-/steuerbar, zugleich Teil der Landschaft (der Natur) und der/ihrer Geschöpfe.
… die geräusche in der landschaft / sind blind. ich tast mich an worten durch / die gedächtnisräume. … (26)
Nina Bußmann: Große Ferien. Berlin: Suhrkamp 2012. 200 Seiten.
Bußmanns Roman ist ein schönes, intensives Kammerspiel der Moral. Der Text lebt stark von seiner geschickten Informationsvergabe, der allmählichen, immer wieder durch Abschweifungen, Ablenkungen und Sprünge unterbrochenen Aufklärung des Lesers — die übrigens bis zum Schluss nicht vollständig geschieht. Aber wie immer gilt ja: Der Prozess ist meistens interessanter als das Ergebenis. Hier geht es um einen älteren Lehrer und sein Verhältnis zu einem begabten Schüler, das zu einem Eklat — dem “Vorfall” — sich steigert und darin aber auch, gemeinsam mit der Sicherheit des Gewissens, der Wahrnehmung (und der Anstellung) des Lehrers, der keinen Vornamen hat, seinen Schluss findet. Entweder ist das ein gewaltiger Klimax, der sich in einer Ohrfeige entlädt — oder eben nicht, weil die Ohrfeige ausbleibt, mit ihr aber eben auch die Orientierung im Leben und der Moral, im Wissen um Gut und Böse, Falsch und Richtig. Und das ist eben das zentrale Scheitern Schramms, der Hauptfigur:
Sie sind Lehrer, Sie müssen die Dinge klären und nicht ein Geheimnis daraus machen. (129)
Bußmann erzählt das in einem sehr schönen, ständig fließenden Wechsel im Hin und Her zwischen der Gegenwart (dem Sorgen um den Garten, die Befreiung der Auffahrt vom Unkraut — wunderbar, wie genau und präzise Bußmann das schildern kann!) und der Vorgeschichte, dem Herantasten an den „Vorfall“. Die genaue Beobachtung und Wahrnehmung der Umgebung (der Umwelt) durch die Augen Schramms spielt eine wesentliche Rolle gerade weil sie in der erzählten Zeit, die brutal verlangsamt erscheint, kontrastiert mit der Ungewissheit in im weitesten Sinne moralischen Frage.
Gefallen hat mir aber auch die Vielfalt der erzählten Aspekte. Eine Rolle spielen unter anderem auch noch das memento mori für die Mutter, der Vater als Problemfigur der Vergangenheit und Vikktor als undurchschaubarer Bruder (der einmal sogar als Terrorist vermutet wird) … Auch stilistisch hat Bußmann mit ihren gestapelten Sätze eine passende Form gefunden: Die Sätze sind einfach nie fertig, nie abgeschlossen, immer wieder gibt es wie nachträglich eingefügte, eingeschobene Ergänzungen, Präzisierungen, Erweiterungen, die als solche eben überdeutlich kenntlich bleiben, was zu einer fragmentierten Syntax, einer permanenten Stockung und Unterbrechung führt (und das Lesen dadurch bewusst verlangsamt …):
Zwanzig Jahre oder länger hatte er dort verbracht, im Hinterland, in einem von allen Verkehrswegen abgeschiedenen Bergdorf, und auch wenn es darum für einen Doktor nie gereicht hatte, war er jedenfalls, entgegen allen Erwartungen, Arzt geworden, ein richtiger, wahrscheinlich nicht einmal ein schlechter Arzt. (145)
Ein sehr kluges, schönes und lesenwertes Buch.
Alexander Schimmelbusch: Die Murau Identität. Berlin: Metrolit 2014. 206 Seiten.
Die Murau Identität (sic, der Autor schreibt das — wohl in Anlehnung an die “Bourne Identity” — ohne notwendigen Bindestrich) ist leider doch ein ziemlich langweiliges Buch. Hinter der “Murau-Identität” verbirgt sich ein untoter Thomas Bernhard, der einfach weiter lebt (warum, wird nicht so recht klar), was wir aus “Reiseberichten” seines Verlegers, die dem Erzähler zugespielt werden, erfahren. Das ist natürlich eine Stilkopie Thomas Bernhards, auch in den Rants, die versuchen, Bernhard zu imitieren — aber leider nur eine mäßige, in der Regel bleibt es flach, niveaulos und vor allem völlig banal. Wahrscheinlich ist das Bernhard-Imitat immer nur bein ersten Mal überhaupt interessant … Manchmal blitzt immerhin etwas Witz (und ganz selten auch Esprit) hindurch, einige schöne Absurditäten hat zusammen mit viel Leerlauf auch eingestreut. Irgendwie scheint mir das Ziel eine Mischung aus gewesen zu sein. Leider bleibt der Text aber eine bloß notdürftige zusammengestoppelte Rahmenhandlung für die fünf Berichte des „Verlegers“ zum Untoten Thomas Bernhard (und seinem Romanprojekt Ànima Negra über die positiven Seiten der Ehe & Familie) — viel mehr als diese Idee ist in den 200 Seiten einfach nicht drin.
so, der nachtrag vom wochenende. meine hauptlektüre: das neueste buch von dieter e. zimmer: sprache in zeiten ihrer unverbesserlichkeit. hamburg: hoffmann und campe 2005. insgesamt nicht ganz so erquicklich wie ich es mir erhoffte. grundsätzlich hat er ja die richtigen ideen, insbesondere im ersten kapitel zu den grundsäztlichen möglichkeiten der sprachkritik — auch wenn das arg ausschweifend und penetrant redundant formuliert ist. später freilich krankt seine darstellung — und auch schon sein gedankengang — v.a. zum privaten schriftlichen alltagsdeutsch an einem absolut untauglichen korpus (nur internet-quellen, noch dazu solche wie ebay-auktionen…) und seiner wiederum weit ausholenden, aber arg einseitigen diskussion des anglizismen-“problems”.
im zentrum (auch ganz profan in der mitte des buches) des ganzen steht sicher nicht zufällig die rechtschreibung und ihre reform inklusive der ausufernden debatte dazu und überhaupt die reformfähigkeit von rechtschreibvorschriften. hier hat zimmer durchaus vernünftige vorschläge — was vor allem an seiner dezidiert pragmatischen ausrichtung liegt. reform sollte schon mal sein, aber vor allem ein wenig besser durchdacht, konsequenter und auch jetzt noch mit einigen modifikationen — etwa bei der von zimmer abgelehnten, sinnwidrigen und unästhetischen mechanischen trennung sowie natürlich bei der getrennt- und zusammenschreibung. der gesamte zweite teil dient vor allem zwei zwecken: der offizielle grund ist wohl, zu zeigen, dass große teile der linguistik aus falschen gründen die sprachkritik ablehnen. der eigentlich grund scheint aber eher zu sein: seht her, das habe ich alles gelesen, das kenne und beherrsche ich alles. zimmer bedient sich dafür äußrst großzügig am buffet der sprachwissenschaft, lässt aber auch ganz große bereiche einfach außer acht, scheint sie noch nicht einmal zu kennen. das betrifft vor allem neuere theorien sowohl der grammatik (natürlich nimmt er von der optimalitätstheorie keine notiz), aber auch fast die komplette, inzwischen ja sehr experimentell ausgerichtete, psycholinguistik würdigt er keines blickes. entsprechend altbacken und mager sind die ergebnisse. über das niveau der einführungs-proseminare kommt er kaum heraus. und auch da beschränkt er sich schon außerordentlich stark: aufgrund seines verständnisses von sprachkritik (das er so freilich nie expliziert) als kritik v.a. der wort-semantik und des “richtigen” gebrauchs der wörter, mit ein wenig syntax dazu, lässt er große teile der sprachwissenschaft außer acht, u.a. eben die teile der semantik, die über das einzelne wort hinausgehen — das, was ja erst so richtig spannend wird…
er bemüht sich sehr, die neutralität der linguistik zurückzuweisen — allerdings aus falschen gründen. im kern behauptet zimmer nämlich, die linguistik sei ideologisch kontaminiert und deshalb nicht willens, sprachkritik zu betreiben. das macht er vor allem am nativismus der (post-)chomsky’schen ausprägung fest, den er aber sehr entstellt und längst nicht mit seinen aktuelleren entwicklungen vorstellt. wenn er etwa viel mühe darauf verwendet, zu zeigen, dass lexika nicht angeboren sein können, weil dafür gar nicht genug “speicherplatz” in den genen sei, zeigt er vor allem, wie wenig er verstanden hat. denn wenn ich recht sehe, glaubt das doch sowieso niemand mehr — es geht doch gerade darum, dass die zugrundeliegenden strukturen genetisch vermittelt werden und dann mittels des inputs “gefüllt” werden. das ist alles umso erschreckender, als zimmer gerade den linguisten falsche und ideologische motivierte schlussfolgerungen vorwirft — seine eigenen schlüsse erscheinen mir aber wesentlich fahrlässiger und einseitiger. das problem der vererbung bzw. der entwicklung eines “sprachgens” scheint mir gar nicht so sehr ein problem zu sein: es wurde inzwischen ja durchaus gezeigt, dass komplexe system sich derart entwickeln können — das beste beispiel dafür ist ja das auge (womit die kreationisten ja so gerne argumentieren). aber so etwas nimmt zimmer genauso wenig zur kenntnis wie neuere forschungen zur evolutionären lernbarkeit von sprache, die in experimenten (mit algorithmen etc.) ja inzwischen durchaus gesichert ist.
“lass deine sprache nicht allein” ist zimmers fazit — damit hat er ja recht. nur seine gründe sind leider die falschen. denn die linguisten dürfen das durchaus — und zwar genau so, wei biologen nicht naturschützer sein müssen.