Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: gustav mahler

Tradition

Tra­di­tion ist die Weit­er­gabe des Feuers und nicht die Anbe­tung der Asche.

— Gus­tav Mahler, in Vari­a­tion eines Zitats von Thomas Morus

Taglied 20.12.2013

Bevor ich ganz in die Wei­h­nachtsmusik abtauche, noch eine der besten Chor­musiken über­haupt: Gus­tav Mahlers “Ich bin der Welt abhan­den gekom­men” im großar­ti­gen Arrange­ment von Clytus Gottwald (hier gesun­gen vom öster­re­ichis­chen Cho­rus sine nomine)

Gus­tav Mahler / Clytus Gottwald (Arr.) Ich bin der Welt abhan­den gekom­men

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Taglied 11.9.2012

Mahlers 9. Sym­phonie, in ein­er Auf­nahme des Lon­don Sym­pho­ny Orches­tra unter Valery Gergiev — beson­ders der dritte Satz ist gelun­gen:

Mahler : Sym­pho­ny No.9 in D Major

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Taglied 22.4.2012

Weil heute Son­ntag ist, ein beson­deres (langes) Schmankerl: Mahlers 9. Sym­phonie mit dem Gus­tav-Mahler-Jugen­dorch­ester unter Clau­dio Abba­do:


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Himmlische Freuden

„Wir genießen die himm­lis­chen Freuden“ — das Mot­to für seine Inter­pre­ta­tion scheint der Diri­gent Peter Hirsch direkt aus dem Schlusssatz der vierten Sin­fonie von Gus­tav Mahler genom­men zu haben. Damit endete er das dritte Sin­foniekonz­ert im Staat­sthe­ater – und damit tri­um­phierten er und das Phil­har­monis­che Staat­sor­ch­ester. Anfangs, bei Leos Janáceks Orch­ester-Bal­lade „Des Spiel­manns Kind“, reagierte das Mainz­er Pub­likum noch sehr zurück­hal­tend. Nicht ganz ohne Grund, denn das blieb wirk­lich noch ziem­lich blass. Gefall­en hat­ten auch Alban Bergs „Drei Bruck­stücke“ aus dessen Oper Wozzeck nicht – obwohl Hirsch und die Sopranistin Mar­lene Mild den grausi­gen Schreck­en dieser Musik sehr über­legt und gekon­nt Gestalt wer­den lassen. Aber ob das Pub­likum dann so eine Mahler-Sin­fonie erwartet hat­te? Denn Hirsch ging einen eige­nen, sehr gefährlichen Weg: Er radikalisierte die 1901 uraufge­führte Sin­fonie total – zu ein­er emi­nent mod­er­nen Musik.

Der in dieser Hin­sicht dur­chaus extrem­istis­che Diri­gent änderte auch sein Auftreten vol­lkom­men: Er schwebt fast vor dem Orch­ester, der Tak­tschlag ist kaum noch zu erken­nen, für jeden Klang formt er eine eigene Geste, ja fast eine eigene Erschei­n­ung. Per­ma­nent ver­wan­delt er sich vom imposan­ten Großmeis­ter und Domp­teur zum scheuen Kitz, vom steifen Zel­e­bran­ten zum wild fuchtel­nden Der­wisch: Und jed­er Klang, jede Phrase klingt dann auch ganz eigen. Diese Sin­fonie ist ein einziges Fest der Ambivalen­zen: Hirsch lässt sie im Zus­tand der per­ma­nen­ten Störung spie­len. Ruhe und Ord­nung, oder auch nur so etwas wie Gle­ichgewicht, gibt es hier nicht. Oder höch­stens ganz kurzzeit­ig. Leicht geht hier nichts, Verzögerun­gen und Stolpern wer­den zur geplanten Nor­mal­be­we­gung.

Und doch ist das Phil­har­monis­che Orch­ester immer ganz bei sich: Sein durch­weg sehr klar­er, schlanker Klang wird dann im zweit­en Satz etwa wun­der­bar hohl. Und vor allem ist das Orch­ester in der Lage, die irrsin­ni­gen Span­nun­gen, die Hirsch fordert, wirk­lich auszuhal­ten. Er zerdehnt die Musik gerne bis an die Schmerz­gren­ze, forciert Brüche bis kurz vor das Reißen – und das immer wieder und wieder. Ein uner­messlich riskantes Spiel ist das: Schafft er es, die schw­eren Zen­trifu­galkräfte noch im Schach zu hal­ten? Oder fliegt ihm gle­ich alles um die Ohren? Man erwartet die Katas­tro­phe fast in jedem Takt, nach jed­er Phrase rech­net man mit dem Chaos – und jedes Mal wird man erneut ent­täuscht. Oder eben begeis­tert: Selb­st im unendlich quälend langsamen drit­ten Satz wird die Span­nung nahezu unerträglich aus­geweit­et. Doch alles hält – auch dank Mar­lene Mild, die mit unschuldig-klarem Ton fast überdeut­lich wirkt. In der Kom­bi­na­tion ist das eine nahezu absurde Energie, die Hirsch aus der Sin­fonie entwick­elt. Und damit hat der Diri­gent fast geschafft, dass die Schlusszeilen wahr wer­den: „Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, die unser­er ver­glichen kann wer­den.“

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

 

Bläser en masse & en detail

Gel­lend meck­ern die Klar­inet­ten, von san­ft schwin­gen­den Flöten gle­ich behut­sam beruhig. In der Tiefe brum­meln die Fagotte und im Hin­ter­grund schrubbt der Kon­tra­bass dazu. Die Oboen wieseln der­weil ele­gant über Hoch und Tief, während die Hörn­er unaufgeregt zwis­chen druck­vollem Schmettern und gelasse­nen Kan­tile­nen wech­seln.

Ja, es ist eine Menge los, wenn so ein Bläserdezett ein Konz­ert gibt. Auch wenn, wie beim drit­ten Kam­merkonz­ert in Kleinen Haus des Staat­sthe­aters, manch­mal nur neun oder acht statt der zehn Holz- und Blech­bläs­er aus dem Phil­har­monis­chen Orch­ester im Ein­satz sind. Dafür haben sie aber auch nicht nur art­fremde Unter­stützung durch den Kon­tra­bass – der gehört ja qua­si dazu, auch wenn nie­mand ihn mitzählt. Son­dern sie haben für ihr aus­gewähltes Pub­likum auch hochkarätige Unter­stützung dabei. Gen­eral­musikdi­rek­torin Cather­ine Rück­wardt set­zt sich für das Phil­har­monis­che Bläserdezett am Ende ihrer Mainz­er Zeit noch ein­mal an den Flügel. Mit den „Vari­a­tions sur un thème plaisant“ von Jean Françaix tut sie das für eine angenehme Kom­po­si­tion, bei der nicht nur das The­ma gefällt. Gemein­sam mit dem Phil­har­monis­chen Bläserdezett lässt sie die neok­las­sizis­tis­chen Vari­a­tio­nen immer wieder char­mant chang­ieren zwis­chen Heit­erkeit und Nach­den­klichkeit. Bläs­er und Pianistin spie­len das mit viel Esprit, immer lock­er, genau und vor allem aus­ge­sprochen inspiri­ert.

Als zweite Solistin hat­te das Ensem­ble die junge Sopranistin Alexan­dra Samouili­dou verpflichtet. Die sang die Fünf frühen Lieder Gus­tav Mahlers – in ein­er auch wieder aus Mainz stam­menden Bear­beitung für Bläserdezett. Ob die wirk­lich bess­er ist als die Orchestrierung von Luciano Berio sei ein­mal dahingestellt. Im Kleinen Haus ist jeden­falls ein Genuss. Das ist sowohl ein Ver­di­enst der klar artikulieren­den Sän­gerin, die sich eng in den Bläserk­lang inte­gri­ert, als auch eben dieser zehn Bläs­er, die das dicht gewebte Arrange­ment sehr plas­tisch aus­for­men.

Die hat­ten ihr Hauptwerk und ein echt­es Heim­spiel aber noch vor sich: Die Suite aus Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“, für die das Dezett zur Har­moniemusik schrumpfte. Nun waren sie zwar nur noch zu acht (plus dem ein­samen Kon­tra­bass), aber immer noch gewitzt und spiel­freudig. Die sichtliche und vor allem hör­bare Freude, diese Oper – die ja auch auf dem Spielplan des Großen Haus­es stand – mal ganz allein, ohne störende Sänger, Stre­ich­er, Diri­gen­ten und den ganzen Kram auf der Bühne in Angriff zu nehmen, zog sich sowohl durch die Tanzstücke als auch die Duette und Ensem­bles. Andreas Tark­manns Bear­beitung bietet auch viele reizvolle Möglichkeit­en der Ent­fal­tung für die Har­moniemusik – und macht dieser Beset­zung, eigentlich vor allem eine Sache des späten 18. Jahrhun­derts, auch tscheschiche Nation­alop­er des späteren 19. Jahrhun­derts zu eigen. Und die wiederum klang beim Phil­har­monis­chen Bläserdezett so frisch und unver­braucht, als wäre sie erst vor eini­gen Wochen kom­poniert wor­den und nicht schon 155 Jahre alt.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

Kreuz und quer durch die Musikgeschichte

Von Mozart zu Šen­derovas, dann noch ein­mal von Mahler zu Aren­sky (zurück ins tief­ere 19. Jahrhun­dert): Das Konz­ert in der Vil­la Musi­ca mit den Dozen­ten Kalle Ran­dalu und David Geringas sowie ein­er Menge Stipen­di­at­en find­et keine Ruhe:

Größere Gegen­sätze sind kaum denkbar: Ein­er­seits ste­hen Mozart und Mahler auf dem Pro­gramm. So hat die Vil­la Musi­ca ihr Stipen­di­atenkonz­ert auch betitelt. Aber das reicht noch nicht für ein Konz­ert. Also kom­men noch zwei Werke von Ana­toli­jus Šen­derovas und Anton Aren­sky dazu. Zwei halb oder gar nicht bekan­nte Kom­po­si­tio­nen, die dann aber wesentlich span­nen­der und inter­es­san­ter waren als der Rest.

Denn Mozarts Klavierquar­tett in Es-Dur schien hier eher belan­g­los und als brav absolvierte Pflichtübung. Mahlers Quar­tettsatz immer­hin kam bre­it aus­ge­spielt und kraftvoll entschlossen mit großem Ges­tus daher – ein­deutig als ein unein­gelöstes Ver­sprechen: Was hätte Gus­tav Mahler nicht auch für die Kam­mer­musik leis­ten kön­nen, wenn er sich nicht auf orches­trale Großw­erke beschränkt hätte. Das kurze Werk des jugendlichen Genies ist eine einzige Vorah­nung auf Späteres. Und genau so, mit dem Wis­sen der späteren Entwick­lung des Kom­pon­is­ten, spiel­ten die die Stipen­di­at­en um Kalle Ran­dalu die einzige erhal­tene Kam­mer­musik Mahlers auch.

Im a‑Moll-Quar­tett des rus­sis­chen Kom­pon­is­ten Anton Aren­sky läuft das Denken in die ent­ge­genge­set­zte Rich­tung: In die Ver­gan­gen­heit. Denn dieses Stre­ichquar­tett in der unüblichen Beset­zung mit Vio­line, Bratsche und zwei Cel­li ist von Aren­sky als Toten­klage auf seinen Fre­und Tschaikowsky kom­poniert. Vir­tu­os und weit aus­holend begin­nt es, spiel­tech­nisch anspruchsvoll bleibt es auch in den Vari­a­tio­nen über The­ma von Tschaikowsky – ein berühren­der Satz, gründlich durchgear­beit­et und getra­gen von der Dunkel­heit des Abschiedes. Die drei Stipen­di­at­en und Dozent David Geringas am Cel­lo spie­len das gle­icher­maßen wuchtig und ath­mo­sphärisch, fol­gen den elegis­chen Erin­nerun­gen mit viel Klangsinn und Gespür für die mach­mal schmerzvolle, manch­mal wehmütige und manch­mal auch etwas verträumte Musik.

Ath­mo­sphärische und stim­mungsvolle Klänge bietet auch­das zweite Klavier­trio des Litauers Ana­toli­jus Šen­derovas. 1984 kom­poniert, wie Aren­skys Quar­tett in memo­ri­am eines Fre­un­des geschrieben, bietet es in mod­erne Ton­sprache eine bre­ite Aus­druckspalette. Und jun­gen Musik­er wid­men sich dem mit viel Hingabe und Konzen­tra­tion und kön­nen die volle Vielfalt dieser Musik ein­dringlich beschwören. So entste­ht, von den ersten Fla­geo­letts als Bild der fahle Wirk­lichkeit über weite Kan­tile­nen und harsch-drama­tis­che Ein­brüchen, aus dem sprachlosen Raum der Trauer und der Erin­nerung eine echte See­len­musik. Frei von for­malen Zwän­gen, ganz dem Aus­druck ver­schrieben, set­zt Senderovas der schalen Real­ität die man­nig­falti­gen Möglichkeit­en der Kun­st ent­ge­gen. Vielfalt ist eben immer wieder ein großer Gewinn. Und wenn sie nur dazu führt, unbekan­nte Musik zu ent­deck­en.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

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