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Schlagwort: gewalt

Ins Netz gegangen (13.3.)

Ins Netz gegan­gen am 13.3.:

  • Diedrich Diederich­sen über Pop-Kul­tur: „Es gibt keinen Ursprung“ — taz.de — DD im taz-Inter­view zu seinem neuen Buch:

    Mein Aus­gangspunkt ist: Pop­musik ist sowohl eine Kun­st sui gener­is als auch eine Kul­turindus­trie. Es gibt da keinen sauberen Ursprung. Große Umbruch­punk­te in der Pop­musik waren oft Momente der Nieder­lage, der Ver­nutzung und des Ruins, wo eigentlich Kom­mu­nika­tion schon nicht mehr möglich war. Von da kon­nte man neu anfan­gen. […] Der Diskurs stellt über­haupt erst den Zusam­men­hang her zwis­chen brasil­ian­is­ch­er und angolanis­ch­er Pop­musik. Von sich aus tun sie das näm­lich nicht.

  • Gen­derthe­o­rie: Rev­o­lu­tion von oben? | ZEIT ONLINE — Jens Jessen ver­sucht sehr hart und insistierend, Mar­tin Lücke — der mitver­ant­wortlich für den Berlin­er Queer His­to­ry Month ist, vorzuführen. Und scheit­ert sehr kon­se­quent …

    ZEIT: Aber ist es Auf­gabe des Staates, mith­il­fe der Schulen so etwas Pri­vates wie Wohlwollen und Wertschätzung einzu­fordern und einzuler­nen?

    Lücke: Was heißt hier pri­vat? Schule hat die Auf­gabe, gesellschaftliche Brüche zum The­ma zu machen und zu bear­beit­en. Das hört sich schreck­lich nach Indok­tri­na­tion an, aber wenn es um Grundw­erte geht und um Neben- und Miteinan­der, dann, finde ich, darf Schule das.

  • Valery Gergiev announces ‘full sup­port’ for Putin’s annex­a­tion of Crimea — Da haben die Münch­n­er ja einen Top­kan­di­dat­en verpflichtet …
  • Porträt: Er hat die Hölle von innen gese­hen — tagesanzeiger.ch — Ahn Myong-chol war Wächter im Gulag in Nord­ko­rea. Sieben Jahre lang diente er im Lager 22 bei Hoery­ong – bis zu sein­er Flucht. Nun erzählt er seine Geschichte.
  • Stand­punkt Fahrrad­helm und BGH: Der Helm hil­ft nicht — taz.de — Für Ulrike Winkel­mann ist die Sache mit den Hel­men ganz klar (und ich kann ihr da nur zus­tim­men):

    Wer Helmpflicht fordert, will eigentlich nur die Aut­o­fahrer davor schützen, beim Tot­fahren eines Radlers trau­ma­tisiert zu wer­den.

  • Yel­low-Kri­tik­er: “Jeden Tag Ver­stöße gegen Per­sön­lichkeit­srechte” › meedia.de — Mats Schö­nauer und Moritz Tscher­mak erk­lären, warum sie auf topfvoll­go­ld die Regen­bo­gen­presse sezieren:

    Ein generelles Prob­lem ist sich­er, dass sich diese Akzep­tanz der Blät­ter einge­bürg­ert hat. Jed­er weiß, dass in der Regen­bo­gen­presse Mist ste­ht, aber darüber aufgeregt hat sich nie­mand so wirk­lich. […]

    Wir stoßen jeden Tag auf Ver­stöße gegen Per­sön­lichkeit­srechte, aber auch Ver­stöße gegen ein gewiss­es moralisch-jour­nal­is­tis­ches Ver­ständ­nis. Ger­ade deshalb kön­nen wir diese Gle­ichgültigkeit der Leute, diese “Lasst sie doch machen”-Einstellung nicht nachvol­lziehen.

  • Insti­tut für Zeit­geschichte: AAP-Open Access — Seit 1993 legt das Insti­tut für Zeit­geschichte daher unmit­tel­bar nach Ablauf der inter­na­tion­al üblichen dreißigjähri­gen Aktensper­rfrist einen Jahrgang mit aus­gewählten, oft­mals auch geheimen Doku­menten aus dem Poli­tis­chen Archiv des Auswär­ti­gen Amts vor. Auf­grund des steti­gen Pub­lika­tion­srhyth­mus ent­lang der Aktensper­rfrist haben die AAPD inter­na­tion­al Maßstäbe geset­zt. Sie sind seit fast zwei Jahrzehn­ten für Fach­his­torik­er, Studierende sowie alle Inter­essierte das Mit­tel der Wahl für einen Ein­stieg in die Forschung zur bun­desre­pub­likanis­chen Außen­poli­tik.

Stehende Heere

„Ste­hende Heere (miles per­petu­us) sollen mit der Zeit ganz aufhören.“ Denn sie bedro­hen andere Staat­en unaufhör­lich mit Krieg durch die Bere­itschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; reizen diese an, sich einan­der in Menge der Gerüsteten, die keine Gren­zen ken­nt, zu übertr­e­f­fen, und indem durch die darauf ver­wandten Kosten der Friede endlich noch drück­ender wird als ein kurz­er Krieg, so sind sie selb­st Ursache von Angriff­skriegen, um diese Last loszuw­er­den; wozu kommt, daß, zum Tödten oder getödtet zu wer­den in Sold genom­men zu sein, einen Gebrauch von Men­schen als bloßen Maschi­nen und Werkzeu­gen in der Hand eines Andern (des Staats) zu enthal­ten scheint, der sich nicht wohl mit dem Rechte der Men­schheit in unser­er eige­nen Per­son vere­ini­gen läßt.

— Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophis­ch­er Entwurf, 1795; Abschnitt I, Artikel 3

Ins Netz gegangen (22.7.)

Ins Netz gegan­gen (22.7.):

  • 18 Tage in ein­er Welt ohne Men­schlichkeit — Gesellschaft/Leben — Im Reich des Todes Die ganze Welt schaut nach Kairo — zugle­ich foltern Beduinen auf der ägyp­tis­chen Sinai-Hal­binsel Tausende afrikanis­che Migranten, um Lösegeld zu erpressen. Und gle­ich nebe­nan machen ahnungslose deutsche Touris­ten Urlaub. Unter­wegs durch eine Region, in der krim­inelle Gewalt, Touris­mus und Welt­poli­tik nahe beieinan­der­liegen.
  • Fest­spiel-Infla­tion : Kommt der Som­mer, blüht die Fes­ti­vali­tis — DIE WELT — Manuel Brug bringt es in der WELT auf den Punkt:

    Ohne den reg­ulären, hoch sub­ven­tion­ierten Betrieb, der die Kün­stler her­anzüchtet, die Kollek­tive unter­hält, gäbe es keine Fes­ti­val­sai­son. Eine Insti­tu­tion wie das Fest­spiel­haus Baden-Baden wird zwar direkt kaum sub­ven­tion­iert, aber seine Starvi­o­lin­istin­nen und Sopran­pri­madon­nen sind ander­swo groß gewor­den. Hier schöpfen sie nur in meist risikolosen Pro­gram­men den Rahm ihrer Exis­tenz ab.

  • Fefes Blog — “Die sind ja selb­st zum Lügen zu däm­lich! Das ist doch die einzige Kernkom­pe­tenz, die Poli­tik­er haben!” >

Übertriebenes Unverständnis?

Die west­lichen Medi­en haben das damals mit einem meines Eracht­ens über­triebe­nen Unver­ständ­nis für die chi­ne­sis­che Regierung als Mas­sak­er beze­ich­net. Doch was hätte Deng tun sollen? … Wenn er den Platz des Himm­lis­chen Friedens nicht hätte räu­men lassen, hätte die Regierung ‘das Gesicht ver­loren’.

So spricht Hel­mut Schmidt in ein­er kurzen Erin­nerung über seine Begeg­nun­gen mit Deng Xiaop­ing in der aktuellen Aus­gabe der “Zeit Geschichte”, die sich ganz Chi­na wid­ment (1/2012, S. 91).

Und genau damit hat mich Hel­mut Schmidt — nicht zum ersten Mal — gehörig ver­schreckt. Denn diese Beliebigkeit ist schlimm: ja, was sollen die armen Chi­ne­sen denn tun, sie hät­ten ja “ihr Gesicht” ver­loren — und das weiß doch jed­er, das das in dieser Kul­tur das Schlimm­ste über­haupt ist. Was sind schon fast 3000 Tote dage­gen? Tote noch dazu, die ja — so die Imp­likatur — genau gewusst haben, was passieren muss, wenn sie da so blöd in der Öffentlichkeit demon­stri­eren und so etwas Unver­schämtes wie Demokratie ver­lan­gen? Mein lieber Mann: Solche Äußerun­gen sind es immer wieder, die mir die Verehrung Hel­mut Schmidts gän­zlich unbe­grei­flich machen.

Und dann noch: Was bitte schön ist denn “über­triebenes Unver­ständ­nis”? Entwed­er man ver­ste­ht etwas nicht — dann ver­ste­ht man es eben nicht. Das kann man dann nicht mehr übertreiben. Was Schmidt hier offen­bar meinen, aber nicht sagen will: Das Unver­ständ­nis war keines, die “Medi­en” wussten genau (nach Schmidts Lesart), worum es ging, und haben das Unver­ständ­nis vorgeschoben — und, das ist die Folge davon, sich (meines Eracht­ens zu Recht) moralisch entrüstet über das Gemet­zel. Und das find­et Herr Schmidt wohl über­trieben. Nun ja, da muss man ja eigentlich nichts mehr sagen …

Insubordination

Selt­sam. Rafael Behr, Pro­fes­sor für “Polizei­wis­senschaften” (im Plur­al!) in Ham­burg, schreibt in der Zeit 44/2011 (S. 17, jet­zt auch online — natür­lich sofort von den erwart­baren Kom­men­tar­reflex­en über­schwemmt …) einen eigentlich recht vernün­fti­gen Text über die ange­bliche Zunahme der Gewalt gegen Polizis­ten, weist zu Recht darauf hin, dass diese Zunahme sich durch nichts bele­gen lässt und ver­weist — etwas dif­fus — auf gesellschaftlichen Wan­del, dem sich die Polizei (und ihre Aus­bil­dung) anzu­passen habe. Aber etwas ist mir mit­ten­drin aufgestoßen: Da spricht Behr auf ein­mal von “Insub­or­di­na­tion”:

Es ist also nicht die Gewalt, die den Polizis­ten Schwierigkeit­en bere­it­et, son­dern die aggres­sive Kom­mu­nika­tion der Bevölkerung, mit der es Polizei zu tun hat. Ich nenne es Insub­or­di­na­tion, ein Unge­hor­sam, der um sich greift und auf den Polizis­ten nicht gut vor­bere­it­et sind.

Und genau das offen­bart ein Teil des Prob­lems: Insub­or­di­na­tion kann es in diesem Zusam­men­hang gar nicht gegen. Insub­or­di­na­tion, also so etwas wie “Befehlsver­weigerung”, gibt es nur zwis­chen Unter­ge­ord­neten und Vorge­set­zten, im stren­geren Sinne eigentlich nur in mil­itärischen Kon­texte. Im Duden heißt es z.B.: “man­gel­nde Unterord­nung; Unge­hor­sam gegenüber [mil­itärischen] Vorge­set­zten”. Und das kann ich bei der Kom­mu­nika­tion zwis­chen Polizei und Zivilis­ten nicht ein­fach so unter­stellen — das ist ja ger­ade der Punkt: Auch im Kon­takt mit Polizis­ten ver­füge ich als Bürg­er über Frei­heit­en. Schön brav gehorchen muss ich vielle­icht (nicht ein­mal das unbe­d­ingt!) im Mil­itär, nicht aber in ein­er mod­er­nen Gesellschaft. Und auch wenn er selb­st den Rekurs auf die Zeit­en, in der der Schutz­mann (Frauen spie­len natür­lich keine Rolle hier) noch qua­si unange­focht­en über Autorität ver­fügte, zurück­weist, unter­schlägt er — wie fast alle in solchen Diskus­sio­nen — einen Punkt, den ich nicht ganz unwichtig finde: Das Auftreten heutiger Polizis­ten ist mit dem eines “Schutz­mannes” — für mich (!) eine Insti­tu­tion, die es seit 50–60 Jahren nicht mehr gibt — nicht zu ver­gle­ichen. Man muss sich nur mal die Aus­rüs­tung eines nor­malen Streifen­polizis­ten anschauen: Der ist so aus­ges­tat­tet, als ob er jeden Moment mit sehr viel Gewalt rech­net. Sicher­lich aus guten Grün­den. Oft genug schlägt sich das aber auch in der Hal­tung und in der ini­tialen Kom­munka­tion von Polizis­ten nieder — un provoziert natür­lich ganz selb­stver­ständlich eine entsprechende Abwehrhal­tung und angepasste Kom­mu­nika­tion im Gegenüber. Wenn man sich dann noch vor Augen hält, wie oft und non­cha­lant sich Polizis­ten im All­t­ag über die von ihnen gehüteten Geset­ze hin­wegset­zen (und sich natür­lich immer im Recht wäh­nen), wun­dert es mich fast, dass sie nicht mehr Gewalt erfahren …

„Eigentlich ist poli­tis­che Gewalt dadurch diskred­i­tiert wor­den, daß der Staat das Töten über­nom­men hat, es bürokratisiert hat durch das staatliche Gewalt­monopol. Wir leben in ein­er Zivil­i­sa­tion der Stel­lvertre­tung, die christliche Zivil­i­sa­tion ist die Zivil­i­sa­tion der Stel­lvertre­tung, der Delegierung“
— Hein­er Müller: Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Dik­taturen. Eine Auto­bi­ogra­phie. Köln: Kiepen­heuer & Witsch 2003, 312.

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