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Schlagwort: duo

Zweierlei

Front-CoverSchon die ersten Tak­te des spritzig-leicht­en “Two for Two” (das dann auch nur drei Minuten dauerten) sind faszinierend. Also keine Über­raschung? Denn Aki Takase zieh micht eigentlich immer in ihren Bann. Und Han Ben­nink ver­fügt ja auch über anziehende Qual­itäten. Aber ganz so ein­fach dann doch nicht. Vor allem weil’s in den fol­gen­den Titeln nach der net­ten Auf­takt-Spiel­erei wieder deut­lich kom­plex­er und tiefer wird. Ein­druck: Kommt erst langsam in Fahrt. So richtig gefrick­elt, so richtig wild zum Beispiel erst der “Zankapfel”, eine Eigenkom­po­si­tion (wenn man hier von Kom­po­si­tion sprechen mag) von Takase — neben eini­gen The­olo­nius-Monk-Ref­eren­zen (natür­lich!) spielt das Duo haupt­säch­lich ihr Mate­r­i­al.

Swing steckt da dur­chaus auch eine Menge drin. Auch wenn das eigentlich doch eine “alte” Kat­e­gorie des Jazz ist. Taucht in let­zter Zeit wieder häu­figer auf (eine Art Rückbesin­nung?), auch­bei Hard­core-Free-Jazzern. Hier auch tat­säch­lich im “his­torischen” Sinn — man muss sich nur “Knut” anhören, auch eine (Yoko Tawa­da gewid­mete Eigenkom­po­si­tion von Takase). Auch wenn das doch mit einem leicht­en Dreh, ein­er zumin­d­est min­i­malen, sehr unauf­fäl­li­gen Ver­schiebung verse­hen wird. Und doch bleibt das revolutionäre/revoluzzerische/aufständlerische Poten­zial hier, in dieses Duos, beschei­den und zurück­hal­tend. Dom­i­nan­ter, d.h. vor allem auf­fäl­liger, ist der Witz des under­state­ments, der musikhis­torischen Anspielung, der kleine, ver­steck­ten Geste, die den bei­den Musik­ern — so hört sich das zumin­d­est an — immer wieder ein Lächeln ins Gesicht treibt. Ganz entspan­nt ist das: richtig spaßige, Gute-Laune-Musik, mit Humor und Augen­zwinkern — und Geschichts­be­wusst­sein.

Das Book­let hat einen dazu passenden, fast lusti­gen Druck­fehler: im Track­list­ing sind alle Stücke 3:12 lang. Ich dachte erst, da ste­ht ein Konzept dahin­ter — bei Musik­ern ist ja alles möglich, auch wenn es mich bei diesen erstaunt und ver­wun­dert hätte. Aber ein Blick auf die Anzeige meines CD-Spiel­ers hat mich dann doch eines besseren belehrt …

Aki Takase & Han Ben­nink: Two for Two. Intakt Records 2011. Intakt CD 193.

peter brötzmann & ken vandermark in mainz

ein eher seltenes vergnü­gen in mainz, zwei so her­aus­ra­gende jazz-musik­er zusam­men in mainz zu erleben. zu ver­danken war es dem upart-vere­in, der damit sein zwanzigjähriges beste­hen feierte. und — auch wenn das jet­zt ein klis­chee ist — es war ein geschenk sowohl für den vere­in als auch für das pub­likum. immer­hin war die alte patrone ganz gut besucht, ich schätze so ca. 100 vor­wiegend ältere, vor­wiegend männliche zuhör­er.

das erste set gestal­teten peter brötz­man und ken van­der­mark allein. also im duo. mit wech­sel­nden instru­menten — klar­inette, alt- & tenor­sax­ophon, natür­lich war auch das táro­gató von Peter Brötz­mann mit von der Par­tie. Schon der Start war beze­ich­nend und vielver­sprechend: Ohne jegliche Prälim­i­nar­ien, ohne ein Wort zu ver­lieren, marschieren die bei­den auf die Bühne, nehmen die Instru­mente in Hand und Mund und leg­en so richtig los. aber wirk­lich so richtig. brötz­mann legt natür­lich wieder enorm vor, ener­gisch und markant wie immer, nicht mehr so aggres­siv wie vor eini­gen jahren, aber immer noch von unge­heur­er präsenz. und immer noch mit seinem unnachahm­lichen ton, dem markant-growlen­den, weit vib­ri­eren­den, enorm lebendi­gen klang. die unver­drossen­heit und die vol­lkommene hingabe, mit der sie sich in die musik begeben, ist immer wieder umw­er­fend (auch wenn das nicht nur bei ihnen so ist …). mit weni­gen motiv­en spie­len sie gekon­nt hin und her, die über­gaben klap­pen naht­los, man merkt immer wieder, dass die bei­den sich alles andere als fremd sind (sie haben ja in den let­zten in ver­schiede­nen for­men miteinan­der gespielt, z.b. bei sonore oder in brötz­manns chica­go ten­tet.). so treiben sie sich auch gegen­seit­ig immer wieder deut­lich an — bei­den wollen, das merkt man, etwas erre­ichen, neuen  aus­druck find­en (auch wenn es nicht immer ganz und gar gelin­gen mag).

im zweit­en titel (die alle namen­los und ohne jegliche sprach­liche würdi­gung blieben) wurde es dann noch einiges enger, inniger, klan­glich­er, fein­er und nach­den­klich­er — aber auch wieder nur so lange, bis es zum wilden aus­bruch, zum harten ein­spruch kommt — und damit find­et das gegen­seit­ige antreiben, vor­wärt­spreschen, die rei­bun­gen und verzah­nun­gen, das inten­sive aufeinan­der einge­hen, wieder neuen antrieb. mit der drit­ten impro­vi­sa­tion wurde die sache dann deut­lich offen­er, ungewis­sener, bei­de spiel­ten jet­zt zunehmend stärk­er mit den klan­glichen aspek­ten, san­gen in ihre instru­mente, van­der­mark pro­bierte end­lose rep­e­ti­tio­nen mit zirku­larat­mung als hin­ter­grund für brötz­manns aus­flüge aus — sehr schön. und span­nend. und auch wenn sich das duo öfters merk­lich beruhigte — gezähmt klang das nie, immer blieb der drang ins neue (wo auch immer das zu ver­muten ist) spür- und hör­bar.

das gehet­zte treiben, das gegen­seit­ige anschieben, die flucht ins extrem jen­seits von gut und böse, nah­men van­der­mark & brötz­mann im vierten titel allerd­ings prob­lem­los wieder auf. spätestens jet­zt wurde auch immer klar­er, wo die bei­den sich eigentlich befan­den: im reich des reinen aus­drucks, der reinen kun­st — rein in dem sinne, dass hier klang, musik, kun­st ein­fach nur noch ist — ohne herkun­ft und ohne ziel, ohne irdis­che beschw­er­nis. sehr erhebend, immer wieder, diese erfahrung. sie erre­ichen solche gebi­ete, weil sie gut eingepen­delt sind zwis­chen totaler frei­heit und vol­lkommen­er übere­in­stim­mung: sie gehen auf einan­der ein, unter­stützen sich, schaf­fen und geben sich aber auch immer wieder selb­st freiraum für eigene ideen und aus­flüge.  und wahre größe zeigen bei­de dann, wenn sie aus den ebe­nen der reinen kun­st, der bloßen gegen­wart, auch wieder zurück­find­en, sich wieder ein­pen­deln, vor­ange­gan­gene motive erneut auf­greifen, das ganze sehr schön abrun­den und dur­chaus auch ganz hym­nisch, ja fast beschwichti­gend, bestäti­gen: erhebende und reini­gende musik, aber auch das ist — wieder — (noch) kein ziel, kein dauerzu­s­tand: alles erre­ichte bleibt momen­tan, bleibt vor­läu­fig, bleibt insta­bil und ohne dauer. der fün­fte titel operiert ähn­lich: erst mal frei spie­len, alles — naja, nicht alles … — kaputt spie­len, dann hat man raum und platz für knall­hart gepf­ef­ferte anmerkun­gen. und auch für einen ganz ver­söhn­lichen, melodiösen schluss. wun­der­bar.

und nach der pause dann etwas ganz anderes. ken van­der­mark war wieder dabei. das war’s aber auch schon mit den gemein­samkeit­en. mit seinem quar­tett “frame” (eigentlich Van­der­mark 5 abzüglich Dave Rem­p­is, aber auch — so scheint mir — eine spur kon­se­quenter, extremer in den gegen­sätzen zwis­chen fix­ierten abschnit­ten und freier impro­vi­sa­tion) ver­fol­gte van­der­mark näm­lich ganz andere wege. eigentlich eher pfade, tram­pel­wege, unwegsames gelände, ver­schlun­gene tritte durch abgründi­ges ter­rain. mit teil­weise kom­ponierten, teil­weise stark impro­visierten teilen, ges­teuert durch handze­ichen und markante schnitte, baut­en die vier vor allem reich­lich (um nicht zu sagen hyper-) kom­plexe struk­turen auf — zu später stunde keine leichte kost mehr … unter der ober­fläche brodelt es dabei ständig. aber eben nicht nur dort, son­dern über­all. sehr viel ver­spielte exper­i­mente gibt es da, basierend auf dem auf harten beat ton tim daisy und den wirbel­nden, grund­losen bässen nate mcbrides. dazu dann noch fred lon­berg-holm selt­same cel­lo-spiel­ere­in und van­der­mark klar­inet­ten- und sax­ophon-girlan­den — und fer­tig ist ein schw­eres, aber auch köstlich­es gebräu. die vier starteten das aben­teuer (nicht nur für die zuhör­er, auch für die musik­er sind beset­zung und mate­r­i­al (kür­zlich aufgenom­men) noch recht frisch & unbekan­nt, was sich dur­chaus auch hör­bar macht …) mit “lens”, das schon alle typ­is­chen ele­mente von frame aufweist: kom­plexe, ver­wick­elte struk­turen, wech­sel­weise glei­t­en­den meta­mor­pho­sen und harte ein­schnitte, undurch­schaubares gewusel, dröhn­bass und glitzernd klare sax­ophon-melo­di­en zugle­ich. mit “Huesca Alpha­bet” ging es dann entsprechend weit­er: zunächst ganz verträumt und ver­sunken ein stre­ich­er-intro, verza­uber-ver­wun­sch­ene atmo­sphäre, dann zunehmend “klas­sis­che” free-jazz ergänzun­gen, die sich in total ver­quer scheinen­den schich­tun­gen tür­men: holpern­der beat, stot­ternde klar­inette, sägen­des cel­lo und ein autis­tis­ch­er bass — wun­der­bar zarte ver­suchung ist das. und dann wieder, ganz plöt­zlich, einige tak­te (fast) still­stand, völ­lig aus der welt gefal­l­ene musik — und weit­er geht es wie zuvor. angetrieben jet­zt von ein­er zunehmend extremer wer­dene expres­siv­ität — bis zum näch­sten, von daisy geforderten/bestimmten, hia­tus, der sich deht und dehnt, bevor das alte schma sich wieder stück für stück, aber zugle­ich auch neu und anders, in ver­trauter manier wieder etabliert — nur um wenig später wieder im freien, aus­ge­lasse­nen getobe zu mün­den. da kommt keine lang­weile auf … vor allem auch deshalb, weil alle vier unheim­lich konzen­tri­ert spie­len und zusam­men eine fast unfass­bare vielfalt an bewe­gun­gen, kon­stel­la­tio­nen, idiomen, ein­fällen, klang­bildern, motiv­en und stilen zusam­men­brin­gen.

“The­ater Piece For Jim­my Lyons” fängt dann wieder mit durch­broch­enen motiv­en an, baut einen zarten und peitschen­den dri­ve zugle­ich auf, um wieder so ein überirdisch scheinen­des cel­lo-solo zu ent­fal­ten — bis zum näch­sten cut. so geht das hier immer weit­er: wenn man sich ger­ade bequem einge­hört hat, wird wieder alles anders. und neu. und so weit­er. das führt ten­den­ziell zur hyper­kom­plex­ität, die sich irgend­wann fast her­metisch gibt: ver­ste­hen wird hier wirk­lich schwierig. erleben macht aber viel freude. die frei­heit, ihre absolute unvorherse­hbarkeit und ihre absolute ungewis­sheit sind ein genuss. in der alten patrone fol­gte dann noch “straw”, ein dicht­es gewusel, ein dic­kicht von gefrick­el höch­sten grades (inkl. der elek­tron­ik der stre­ich­er), ein kun­stvoll angelegtes labyrinth der irrgänge und ein rein­er urwald zugle­ich — kurz: total irre, aber auch total mitreißend, über­wälti­gend, wie hier unge­heure kräfte ent­fes­selt wer­den. ein mirakel dann auch noch, wie sich das immer doch noch irgend­wie zusam­men­fügt, wie sich die vier immer wieder find­en — manch­mal, so scheint es mir (in unken­nt­nis des mate­ri­als und der auf­nah­men), aber auch nur noch ger­ade so …

als zugabe zu den vier recht aus­gedehn­ten titeln gab es dann auch noch “m.e.s”., das ein weit­eres mal die völ­lige und wieder­holte ent­fes­selung, in allen dimen­sion, mit gewaltiger mate­ri­alan­häu­fung (eine richtige ideen­halde ist das …) feiert — und sich doch der ret­ten­den struk­tur, der fix­ierten idee auf dem noten­stän­der gewiss bleibt. großar­tig, ins­ge­samt, dieser abend. ein würdi­ges jubiläum­skonz­ert für den upart-vere­in.

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