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Schlagwort: biographie

Liszt zum Zweihundertsten

2011 als Jubi­lä­ums­jahr – sein Geburts­tag jährt sich zum 200. Mal – war der offen­sicht­li­che Anlass für die­se Buch: Wolf­gang Döm­lings klei­ne Bio­gra­phie „Franz Liszt“. Erschie­nen ist das in der von mir grund­sätz­lich sehr geschät­zen Rei­he „Wis­sen“ des Beck-Ver­lags. Aber da passt die­ses Buch kaum rein – im Gegen­satz zu ande­ren dort erschie­nen Bänd­chen hat es mich sehr ent­täuscht, obwohl es in der Taschen­buch­ko­lum­ne der Süd­deut­schen Zei­tung sehr direkt emp­foh­len wur­de. Und zwar war ich sowohl inhalt­lich als auch for­mal und sprach­lich ziem­lich enttäuscht.

Fan­gen wir mit dem pin­ge­ligs­ten an, den For­ma­la­li­tä­ten: Ent­ge­gen der Rei­hen-Gepflo­gen­hei­ten gibt es hier über­haupt kei­ne ver­nünf­ti­gen Lite­ra­tur­hin­wei­se: Döm­ling erwähnt den MGG-Arti­kel – und genau ein Buch.1 Das war’s auch schon – sehr ent­täu­schend. Und auch wenig hilf­reich. Es gibt doch bestimmt auch gute musik­wis­sen­schaft­li­che, werk­ana­ly­ti­sche Lite­ra­tur zu Liszt, die dem Leser etwas wei­ter­hel­fen könn­te.2 Damit hängt viel­leicht auch das inhalt­li­che Pro­blem zusam­men … – aber dazu spä­ter noch etwas.

Sprach­lich fal­len sofort die Satz-Unge­tü­me oder ‑Unge­heu­er auf: Döm­ling häuft näm­lich ger­ne in einem Satz alles an, was ihm so an Infor­ma­ti­on über den Weg läuft – mit unzäh­li­gen Ein­schü­ben, Appo­si­tio­nen, Rela­tiv­sät­zen und so wei­ter. Und irgend­wann, das ist bei ihm gar nicht sel­ten, ist der ursprüng­li­che Satz gar nicht mehr zu erken­nen. Ob der tro­cke­ne, sprö­de Stil (der nur auf den letz­ten Sei­ten, wo es um Liszts Spät­werk geht, eini­ge Fun­ken schlägt) als Plus- oder Minus­punkt zu wer­ten ist, bleibt sicher Geschmack­sa­che. Ich fand es oft arg dürr.

Und inhalt­lich? Das hängt durch­aus wie­der mit der sprach­li­chen Gestal­tung zusam­men. Döm­ling gibt sich ger­ne etwas bes­ser­wis­se­risch, etwas pater­na­lis­tisch beleh­rend erzählt er den Lebens­weg in gro­ben (oft nur sehr bruch­stück­haf­ten) Umris­sen, greift ger­ne mal auf das „wie bekannt“ zurück. Dabei hat er offen­bar durch­aus den Lai­en im Blick, vie­les musik­fach­li­ches wird von ihm näm­lich gut und knapp erklärt, die fach­li­chen Vor­aus­set­zun­gen hält er aus­ge­spro­chen nied­rig: Selbst eigent­lich bana­le Din­ge wie das Trans­po­nie­ren oder vom-Blatt-Spie­len erklärt er mehr­fach (aber wer eine Vir­tuo­sen- & Kom­po­nis­ten­bio­gra­phie liest, wird solch ele­men­ta­re Sach­ver­hal­ten doch wohl unge­fähr parat haben …). Das sieht dann z.B. mal so aus:

1834 begeg­ne­te Liszt der Schrift­stel­le­rin Geor­ge Sand (nom de plu­me für Auro­re Dude­vant), einer Frau, deren Kli­schee­bild in der Nach­welt, beson­ders der deut­schen, recht unfreund­lich ist: als hosen­tra­gen­de, zigar­ren- und män­ner­ver­schlín­gen­de Eman­ze, die vie­le schlech­te Roma­ne geschrie­ben hat und nur als Pfle­ge­rin-Muse des unglück­li­chen Cho­pin in Erin­ne­rung bleibt. (Eine der mit ste­ter Regel­mä­ßig­keit auf­tau­chen­den Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen in deut­schen Städ­ten heißt „Ein Win­ter auf Mal­lor­ca“, mul­ti­me­di­al gestal­tet mit einer Lesung aus Sands gleich­na­mi­gem Buch, mit Licht­bil­dern und mit Cho­pins Musik – dar­un­ter natür­lich das „Regen­trop­fen-Pré­lude“, das frei­lich als sol­ches nur in der popu­lä­ren Über­lie­fe­rung iden­tifi­zier­bar scheint …) Sand und Cho­pin lern­ten sich übri­gens bei Liszt ken­nen. Der Win­ter auf Mal­lor­ca 1838/​1859, wor­un­ter man sich heu­te viel­leicht etwas „Rornan­ti­sches“ vor­stellt, war vol­ler mehr oder weni­ger schreck­li­cher Erleb­nis­se. (Welch selt­sa­me Idee ja auch, mit zwei Kin­dern und einem Pia­nis­ten und Kom­po­nis­ten, Groß­stadt­mensch und krank dazu, sich im Win­ter auf eine unwirt­li­che und ungast­li­che Insel zurück­zu­zie­hen!) 3

Gut gelingt Döm­ling aber auch man­ches, vor allem die (musik-)historische Situ­ie­rung und Ein­ord­nung Liszts, sei­ner Kon­zert­pra­xis und sei­ner Kom­po­si­tio­nen. Das nimmt zar nur sehr wenig Raum ein, aber immer­hin nimmt er sich die Zeit und den Platz – ger­ne auch mit ent­spre­chen­den Rück­bli­cken, zu klar soll es ja nicht wer­den – zu schil­dern, was an Listzs Trei­ben Beson­der­heit oder Nor­ma­li­tät im 19. Jahr­hun­dert war – das ist ein sehr guter Zug.

Im gan­zen wirkt das aber auf mich noch arg unfer­tig, wie eine Vor­stu­die für ein „rich­ti­ges“ Buch: Döm­ling springt flei­ßig hin und her, ohne das immer aus­rei­chend deut­lich zu machen, beginnt irgend­wie immer wie­der neu. Deut­lich wird das vor allem in sei­ner Dar­stel­lung der 1830er: Liszts Kon­zert­kar­rie­re darf hier unzäh­li­ge Male neu begin­nen – aber über das wie, das was und vor allem das war­um erfährt man dann doch herz­lich wenig. Über­haupt, der Kon­zert­künst­ler Liszt ist hier total unter­be­lich­tet, gera­de was die zeit­ge­nös­si­sche Rezep­ti­on angeht, aber auch, was sei­ne eigent­li­chen Unter­neh­mun­gen betrifft.
Dazwi­schen, in die­ser Mate­ri­al­samm­lung oder die­sem Stein­bruch, ste­hen dann doch immer wie­der klu­ge Sät­ze, die Ein­sicht und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen ver­ra­ten und den Leser wie­der ver­söh­nen.4 Scha­de nur, dass es so weni­ge blei­ben und dass sie so ver­streut sind. Sei­ne Andeu­tun­gen haben aber irgend­wie Metho­de: Das geschieht immer auf ähn­li­che Wei­se, wie z.B. Liszts Bezie­hung zu Wagner:

Cosi­mas detail­lier­te Tage­buch­no­ta­te sagen dazu mehr als genug.5

Toll, dass Döm­ling das weiß. Ich hät­te es auch ger­ne erfahren …

Mein Haupt-„Problem“ bei der Lek­tü­re des bio­gra­phi­schen Abris­ses aber: Mir scheint, er hat kei­ne wirk­li­che Deu­tung des Lebens, kei­ne Inter­pre­ta­ti­on des Lebens­we­ges – des­we­gen wirkt das so aka­de­misch, weil er über gro­ße Tei­le des Tex­tes nur die äuße­ren Sta­tio­nen abhan­delt, die Psy­cho­lo­gie des Kom­po­nis­ten aber kei­ne (bzw. nur eine klei­ne) Rol­le spielt. Dazu kommt dann noch eine eher ver­wun­der­li­che Zurück­hal­tung, was die Beschrei­bung und/​oder Ana­ly­se der Musik Liszts angeht – das ist oft erschre­ckend und ärger­lich kurz, ober­fläch­lich und nichts­sa­gend. Von einem Musik­wis­sen­schaft­ler, der sich schon län­ger mit Liszt beschäf­tigt, hät­te ich gera­de in die­sem Punkt deut­lich mehr erwartet.

Also, in mei­nen Augen kei­ne emp­feh­lens­wer­te Bio­gra­phie, auch im Jubi­lä­ums­jahr nicht: Wer noch kei­ne Kennt­nis­se der Bio­gra­phie Liszts hat, wird sich hier­mit wohl schwer­tun. Und war­um die Süd­deut­sche das emp­feh­lens­wert fand, erschloss sich mir über­haupt nicht.

Wolf­gang Döm­ling: Franz Liszt. Mün­chen: Beck 2011 (Wis­sen). ISBN 978−3−406−61195−7. 112 Seiten.

Show 5 footnotes

  1. Der MGG-Arti­kel von Det­lef Alten­burg ist durch­aus zu recht erwähnt, der ist schon sehr gut. Und dass Döm­ling sich bei Bur­gers Bild- und Doku­ment­band flei­ßig bedient hat (natür­lich nur, was die Tex­te angeht, Bil­der gibt es in die­ser Rei­he ja nicht), merkt man im Text deut­lich.
  2. Ich ken­ne mich da nicht wirk­lich aus – aber Döm­ling ist ja mit Werk­ana­ly­sen oder wenigs­tens ‑beschrei­bun­gen auch ärger­lich extrem zurück­hal­tend.
  3. S. 34f. – so steht das wirk­lich mit­ten in einer Liszt-Bio­gra­phie. Und das ist nicht die ein­zi­ge der­ar­ti­ge Stel­le, sol­che und ähn­li­che Sei­ten­hie­be gibt es unzäh­li­ge …
  4. Zum Bei­spiel die weni­gen, knap­pen, aber m. E. sehr genau tref­fen­den Sät­ze zur Hei­mat-Idee Liszts, zu sei­ner Bezie­hung zu Ungarn – das hät­te durch­aus Poten­zi­al zur Aus­ar­bei­tung gehabt …
  5. Und damit ist Döm­ling auch fast am Ende sei­ner knap­pe Schil­de­rung der Begeg­nung Wag­ner-Liszt im Win­ter 1882/​83, S. 100.

anna netrebko: opernstar der neuen generation oder publikumshure?

Es ist schon ein wenig erstaun­lich: Da über­nimmt eine nur weni­gen Insi­dern wirk­lich bekann­te Sän­ge­rin eine Rol­le bei den Salz­bur­ger Fest­spie­len – und kurz dar­auf ist die gan­ze Welt ver­rückt nach Anna Netreb­ko. Dafür gibt es meh­re­re Grün­de, ihre stimm­li­chen Fähig­kei­ten und ihre Gesangs­küns­te sind nur ein Teil davon. Unbe­dingt dazu gehö­ren auch ihre Attrak­ti­vi­tät, ihre Aus­strah­lung auf der Opern­büh­ne und natür­lich eine ganz gehö­ri­ge Por­ti­on Mar­ke­ting. Aber viel mehr scheint hin­ter dem Coup dann doch nicht zu stecken.
Das ist zumin­dest das Ergeb­nis aus Mari­an­ne Reis­sin­gers „Por­trät“ und Gre­gor Dolaks Über­le­gun­gen, den ers­ten bei­den umfang­rei­che­ren, als Buch erschie­nen Ver­su­chen über Per­son und Erfolg der Netreb­ko. Viel­leicht lässt sich auch noch fest­hal­ten, dass es sich bei der Star­so­pra­nis­tin um einen mehr oder min­der ego­ma­nisch ver­an­lag­ten Cha­rak­ter han­delt, der nach Auf­merk­sam­keit und Publi­kum giert – so direkt mag das aber kei­nen der bei­den sagen.
Dolak, Musik­re­dak­teur beim „Focus“, macht die rus­si­sche Sopra­nis­tin dafür gleich auch noch zum Pro­to­ty­pen eines „Opern­stars der neu­en Gene­ra­ti­on“. Aber das bleibt eine Behaup­tung, die von ihm nir­gends unter­mau­ert wird. Im Unter­schied zu der etwas zurück­hal­ten­de­ren Mari­an­ne Reis­sin­ger, auch als Musik­re­dak­teu­rin („Abend­zei­tung“) erprobt, wagt Dalok sich näher an die Per­son her­an und zitiert aus­führ­lich aus län­ge­ren Gesprä­chen. Reis­sin­ger dage­gen führt mit Vor­lie­be lan­ge, zuwei­len sehr lan­ge Pas­sa­gen aus rus­si­schen und deut­schen Kri­ti­ken an. Damit ist der Focus-Redak­teur viel zurück­hal­ten­der. Auf andem Gebiet legt er dafür mäch­tig vor: Als ech­ter Maga­zin-Jour­na­list fei­ert er ein wah­res Fest der Adjek­ti­ve und der aus­ge­wählt blu­mi­gen Spra­che – die Sopra­nis­tin wird da schon mal zur „sin­gen­den Köni­gin der Klatsch­spal­ten“. Nicht nur sprach­lich, auch inhalt­lich ist Reis­sin­gers Ver­such jedoch immer wie­der eine Spur exak­ter: Sie schaut genau­er auf die Fak­ten und ver­bleibt nicht so stark wie Dolak in der Per­spek­ti­ve des begeis­ter­ten Fans.
Doch bei­de bemü­hen sich, die Fra­gi­li­tät die­ses spe­zi­el­len Star­tums zu zei­gen, den Spa­gat zwi­schen ambi­tio­nier­ter Gesangs­kunst und Pop-Ver­mark­tung. Bei­de schwä­cheln dann lei­der auch auf einem eigent­lich zen­tra­lem Gebiet: Der Kri­tik oder wenigs­tens der Ana­ly­se der sän­ge­ri­schen Fähig­kei­ten und Inter­pre­ta­tio­nen der Netreb­ko. Über gröbs­te Schlag­wor­te oder Zita­te wol­len und kön­nen sie offen­bar nicht hin­aus kom­men. Und noch eines ist ihnen gemein­sam: Wirk­lich erklä­ren kön­nen sie weder Anna Netreb­ko noch ihren Erfolg.

Gre­gor Dolak: Anna Netreb­ko. Opern­star der neu­en Gene­ra­ti­on. Mün­chen: Hey­ne 2005. 255 Seiten.
Mari­an­ne Reis­sin­ger: Anna Netreb­ko. Ein Por­trät. Rein­bek bei Ham­burg: Rowohlt 2005. 205 Seiten.

erschie­nen in der zeit­schrift des deut­schen chor­ver­ban­des, der „neu­en chor­zeit”, aus­ga­be juli/​august 2007.

hofmannsthal gemalt

ulrich wein­zierl behaup­tet, „skiz­zen” zum „bild“ hugo von hof­manns­thal geschrie­ben zu haben. mei­ne über­zeu­gung nach der lek­tü­re: das sind nur stu­di­en zum hin­ter­grund des por­träts. und ein bild ohne sei­nen gegen­stand ist ziem­lich lang­wei­lig. dazu passt, dass er aus hof­manns­thal einen schrift­stel­ler ohne werk macht. lite­ra­ri­sches kommt in die­sem rund­gang durch hof­mannst­hals epis­to­lo­gra­phi­sches werk näm­lich so gut wie gar nicht vor.

dafür hat wein­zierl alles an brie­fen und zeug­nis­sen gele­sen, was es zu hof­manns­thal gibt, und auch ganz flei­ßig exzer­piert. und dann hat er sei­nen zet­tel­kas­ten abge­schrie­ben. bezeich­nend für die­se arbeits­wei­se ist das freun­de-kapi­tel, zugleich der haupt­teil der nicht gera­de umfang­rei­chen stu­die: dort erfährt man im end­ef­fekt mehr über die freun­de als über den eigent­li­chen gegen­stand, hugo von hof­manns­thal. so ent­ste­hen knapp 230 sei­ten, dafür aber fast 1000 fuß­no­ten, die aus­schließ­lich zitat­nach­wei­se bie­ten (mit aus­nah­me einer quel­le hat der autor näm­lich alles in die end­no­ten gepackt).

das wesent­li­che fehlt aber. hof­manns­thal bleibt blass: kein mensch wird hier beschrie­ben, kei­ne per­son – nur äuße­run­gen wer­den refe­riert. noch nicht ein­mal einen mini­ma­len bio­gra­phi­schen abriss leis­tet sich wein­zierl – für wen ist das buch denn dann eigent­lich gedacht? denn sei­ner ansicht nach gibt es ja über­haupt gar kei­ne taug­li­che bio­gra­phie des autors. auch weder die epo­che wird ein­ge­hend cha­rak­te­ri­siert noch der mensch. gut, in bezug auf die epo­che gibt es immer­hin ansät­ze – was das gesell­schaft­li­che leben angeht vor allem, in hin­blick auf poli­ti­sche oder gar kul­tu­rel­le zusam­men­hän­ge gibt sich wein­zierl bedeckt.

die for­schung bleibt immer anonym, mit for­mu­lie­run­gen wie „neu­es­te for­schun­gen” mogelt sich wein­zierl da durch. ande­re bio­gra­phien oder deren ver­su­che hat er kaum zur kennt­nis genom­men bzw. kaum ver­wer­tet. zumin­dest spie­gelt der text kei­ner­lei aus­ein­an­der­set­zung wider. sei­ne eige­nen urtei­le erschei­nen mir – der ich kein exper­te auf die­sem gebiet bin – dann immer etwas frei­schwe­bend, sozu­sa­gen feuil­le­to­nis­tisch: poin­tiert bis ins extrem, aber ohne wirk­lich sach­hal­ti­ge nach­wei­se oder bele­ge. dafür mokiert sich wein­zierl aus­ge­spro­chen gern über jeden ein­zel­nen schreib­feh­ler in den brie­fen, beson­ders wenn er den absen­der in sei­nem ver­hält­nis zu hof­manns­thal sowie­so nega­tiv zeich­nen will.

selt­sam und befremd­lich fand ich auch sei­ne marot­te, zwi­schen homo­phi­lie, homo­ero­tik und homo­se­xua­li­tät belie­big hin- und her­zu­wech­seln – je nach bedarf. eigent­lich erscheint mir ja schon die gern gebrauch­te wen­dung der homo­ero­tik als hal­be korin­then­ka­cke­rei und augen­wi­sche­rei, wird sie doch in der regel – ins­be­son­de­re bei tho­mas mann – gebraucht, um eine nicht prak­ti­zier­te, nicht offen und umfas­send aus­ge­leb­te homo­se­xua­li­tät zu beschrei­ben. das mag ja noch ange­hen, aber dann noch eine homo­phi­lie – die, wenn ich das rich­tig sehe, vor allem eine jugend­li­che schwär­me­rei sein soll – zu kon­stru­ie­ren, ist doch irgend­wie lächer­lich: ent­we­der geht es um eine (sexu­el­le) ori­en­tie­rung oder um freundschaft.

ins­ge­samt hin­ter­lässt mich wein­zierl zutiefst unbe­frie­digt: die rät­sel­haf­tig­keit, das sprung­haf­te wesen hof­manns­thal, wie es sich gera­de in der Pfle­ge (oder Zer­stö­rung) sei­ner Freund­schaft zeigt, den zahl­rei­chen brüs­kie­run­gen eben­so wie den fle­hen­den bit­ten um ver­ge­bung, las­sen wein­zierl (und damit sei­ne leser auch) aus­ge­spro­chen rat­los zurück. viel mehr als blo­ßes refe­rie­ren leis­tet er da, wo es um das eigent­lich der bio­gra­phie, die erfor­schung des cha­rak­ters, gehen soll­te, nicht. dafür zieht er sich, je wei­ter er im text fort­schrei­tet, immer mehr auf ein äußerst sim­pli­zis­ti­sches erklä­rungs­mo­dell zurück: hof­manns­thal war halt ein genie und hat ent­spre­chend uner­klär­lich gehan­delt. das gip­felt dann in solch absur­den und idio­ti­schen sät­zen wie die­sem: „hat hugo von hof­manns­thal sei­ne frau see­lisch miß­han­delt? kei­nes­wegs mehr, als jedes ande­re genie das eben tut.” (210) mehr braucht man dazu wirk­lich nicht sagen.

ulrich wein­zierl: hof­manns­thal. skiz­zen zu sei­nem bild. darm­stadt: wis­sen­schaft­li­che buch­ge­sell­schaft 2006 (wien: zsol­nay 2005).

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