Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: belletristik

Seerücken, Einsamkeit und ein bisschen Erfüllung

“Seerück­en” ist ein typ­is­ches Stamm-Buch. Alle notwendi­gen Ingre­den­zien sind im neuen Erzäh­lungs­band von Peter Stamm vorhan­den, auch die Mis­chung stimmt wieder.1. Da wären sie also wieder, die Gewöh­lichkeit­en des Peter Stamm. Aus den Banal­itäten des Allt­gs, des “nor­malen” Lebens schöpft er seine Erzäh­lun­gen. Tristesse und eine leichte Melan­cholie als Grund­stim­mung darf und kann man hier schon kon­sta­tieren — aber nur eine leichte, eine schwebende, die mehr durch ihre Anmut als durch ihre Melan­cholie beza­ubert.

Das zeigt sich schon ganz neben­säch­lich — aber Neben­säch­lichkeit­en gibt es bei Stamm eben nicht, hier zählt jedes Wort mit Bedacht — in der vorhan­de­nen und erfahre­nen Natur und Umwelt im weitesten Sinne, denn auch Dorf (das eher) und Stadt, Arbeit­splatz und Woh­nung gehören da schon dazu: Als gegebene Umstände, umweltliche Rah­mungen des/der Pro­tag­o­nis­ten — und beiben übri­gens auf­fal­l­end men­schen­leer, selb­st in “Massen­szenen” wie einem Open-Air-Konz­ert mit mehreren Hun­dert Besuch­ern gibt es eigentlich nur vier oder fünf Men­schen, der Rest ist Umwelt, ist Rauschen, Hin­ter­grund … Die Lan­schaft ist hier oft der Bodensee, wieder­holt dun­stig, neblig, mit unklarem Wet­ter — keine Son­nen­schein-Stim­mung auf jeden Fall …

Denn es sind ja immer etwas hol­prige Lebensen­twürfe, die Stamm beschäfti­gen. Seine Erzähun­gen oder Kurzgeschicht­en haben hier — zumin­d­est teil­weise — dur­chaus einen Hang zur Nov­el­le: Einen gewis­sen Dreh, ein unvorherge­se­hene Ereig­nis, eine uner­wartete Wen­dung bekom­men die Geschicht­en dur­chaus öfters mit. Aber, und das ist eben typ­isch für Stamm, meis­tens nur einen klitzek­leinen, manch­mal sog­ar nur einen kaum merk­baren — und manch­mal auch gar keinen … Und dieses “Ereig­nis” — das auch eine bloße Wahrnehmung sein kann — ist keineswegs unbe­d­ingt das Zen­trum oder das Ziel des Textes — insofern stimmt das mit den Nov­ellen auch wieder nicht und man muss wohl bei dem etwas gener­ischen Begriff der “Erzäh­lung” bleiben.

Seine Gestal­ten sind Anti-Helden — die Kri­tik klas­si­fiziert sie oft als Ver­lier­er. Aber das scheint mir zu weit: Ver­loren sind sie in der Regel nur in der Alltäglichkeit, der Gewöhn­lichkeit ihrer Lebensen­twürfe. Aber auch Sehn­sucht­spielt nur eine unter­ge­ord­nete Rolle — die allerd­ings schon: Sie lauert unter der Ober­fläche, die (oft mit Mühe) aufrecht erhal­ten wird. Gewiss, das Scheit­ern ist hier häu­figer als das Gelin­gen. Aber so ist das Leben nun ein­mal. Und nicht jedes Misslin­gen ist ein Scheit­ern, manch­mal reicht auch ein Beina­he oder ein Ger­ades­o­gelin­gen für den Erfolg. Die Fig­uren Stamms sind jeden­falls gan sich­er keine Draufgänger — Risiko gehen sie nur ungern ein, sie richt­en sich gerne ein in ihrem Leben, ihren Umstän­den, ihrer eige­nen Welt. Und manch­mal ist der Autor so gemein, sie mit klitzek­leinen Unschein­barkeit­en, mit zufäl­li­gen Begeg­nun­gen, mit kleinen Ereignis­sen zumin­d­est für einen Moment aus ihrem gemütlichen, aber nie ganz erfül­len­den All­t­ag und dessen Trott zu reißen, ihnen so die Möglichkeit des Denkens, des Sehnens, des Wün­schens zu eröff­nen und die Welt und das Leben etwas heller wer­den zu lassen.

Wahrschein­lich kommt daher das hohe Iden­ti­fka­tion­poten­zial, dass die Stamm­sche LIt­er­atur anbi­etet und sie so erfol­gre­ich macht. Trotz­dem, trotz der (zumin­d­est schein­baren) Banal­ität sein­er Fig­uren, Psy­chen und Hand­lun­gen, ist Stamm aber in der Lage, Schön­heit­en zu ent­deck­en. Das st wohl seine größte Leis­tung: Die ästhetis­che Fasz­i­na­tion, die reine, fast unschuldig zu nen­nende Schön­hei der Banal­ität nicht nur zu ent­deck­en und mitzuteilen, son­dern ihr auch eine Form zu geben. Denn Stamms Sprache ist ja ger­adezu belei­di­gend ein­fach, schlicht — aber genauestens kom­poniert. Denn ger­ade die Sim­pliz­ität sein­er Schilderung, die leichte Dis­tanz zu Men­schen und Din­gen ermöglicht ihm Genauigkeit, Präzi­sion der Wahrnehmung des Erzäh­lers und Präzi­sion der Schilderung. Diese Pas­sung, die Übere­in­stim­mung von Thema/Sujet und Stil macht einen großen Teil des Kön­nens Stamms aus.

Zehn Geschicht­en, jede ganz eigen und doch alle zusam­men gehörig, eben als ewige Vari­a­tion des Stamm­schen The­mas. Aber das kann man dur­chaus öfter lesen. Und allein die let­zte Geschichte dieses Ban­des, “Coney Island”, ist schon großar­tig genug: Auf genau drei Seit­en schildert Stamm nur eine ganz alltägliche, banale Sit­u­a­tion — ein Rauch­er am Mehr, eine zufäl­lige Begeg­nung, ein Foto — und doch ist das alles viel mehr, öffnet es ein Fen­ster in ein ganzes Leben, ein Entwurf, eine Idee des “richti­gen” oder ordentlichen Lebens. Die schwäch­ste der Erzäh­lun­gen scheint mir genau die zu sein, die am stärk­sten zur Nov­el­le tendiert, wo am “meis­ten” passiert: “Der Lauf der Dinge” — ein Paar im Urlaub, die Nach­barn in der Ferien­woh­nung als lär­mende Fam­i­lie, die urplöt­zlich ver­s­tummt: Der Vater hat seinen eige­nen Sohn beim Wen­den aus Verse­hen über­fahren. Typ­isch Stamm ist natür­lich, dass dieses Ereig­nis nicht aus der betrof­fe­nen Fam­i­lie heaus erzählt wird, son­dern über den “Umweg” der nicht/kaum betrof­fe­nen zufäl­li­gen Nach­barn auf Zeit. Aber doch scheinen mir die stärk­er reduzierten Texte, die ohne größere Szener­ie und ohne vielfältiges Per­son­al auskom­men,2 die ein­dringlicheren und überzeu­gen­deren.

Peter Stamm: Seerück­en. Erzäh­lun­gen. Frank­furt am Main: Fis­ch­er 2011. 190 Seit­en. ISBN 978–3‑10–075133‑1.

Show 2 foot­notes

  1. Mal sehen, wie lange er es noch durch­hält — allzu oft braucht man das wohl nicht mehr lesen .…
  2. Das ist natür­lich aus­ge­sprochen rel­a­tiv — selb­st die “größten”, aufwendig­sten Erzäh­lun­gen sind immer noch Kam­mer­spiele im Ver­gle­ich zu anderen Autoren.

Was für ein herrlicher erster Satz!

„Im Osten Deutsch­lands lebten vor der Wende nicht eben vergnügte und im ganzen geist­lose Leute, alle mit irgend­was beschäftigt, das sie nicht fro­her machte — Arbeit, die, obwohl alle an ihr beteiligt waren, wenig bewirk­te; und das war ihr Unglück; über das aber nicht gesprochen wurde in den Zeitun­gen und son­sti­gen Ver­all­ge­meinerun­gen der Regierung, die immer­fort Arbeit­skräfte suchte, Massen, um sie zu begeis­tern.”

so fängt volk­er brauns klein­er prosa­text die vier werkzeug­mach­er. her­rlich.

marlene streeruwitz’ “der abend …” beim neuen verlag weissbooks

das ist nun also mein erstes buch des neuen ver­lages weiss­books: mar­lene streeruwitz: der abend nach dem begräb­nis der besten fre­undin. was sofort auf­fällt: das han­dliche for­mat. es ist nur eine sehr schmales bänd­chen, ger­ade mal 60 seit­en — dafür ist es unver­schämt teuer. weiss­books ist der neue ver­lag des ehe­ma­li­gen geschäfts­führers des suhrkamp-ver­lages, rein­er weiß, der den frank­furter ver­lag im unguten ver­ließ und jet­zt sein eigenes ding aufzieht. die innere ausstat­tung und gestal­tung sieht — wenig über­raschend — auf­fäl­lig nach suhrkamp-büch­ern aus — wo das wohl herkommt. dafür gibt sich das ganze (noch sehr beschei­dene) ver­lagspro­gramme ein­fach und sim­pel, außen sind die büchet wohltuend schlicht: reines schwarz-weiß — das ist mal ganz nett. allerd­ings ste­ht dann der ver­lagsname auch richtig groß auf dem umschlag — das finde ich wiederum etwas befremdlich. und was das .w am ende soll (weissbooks.w), ist mir auch nicht so klar. genau­so wenig wie der grund, warum ein deutsch­er ver­lag …books heißen muss. aber damit ist er ja nicht der einzige. der satz ist übri­gens in meinen augen nur mit­telmäßig — mir sind die rän­der zu klein, auch bei einem solche kleinen for­mat. aber immer­hin ist er reg­is­ter­haltig und mit absichtsvoller ver­mei­dung von schus­ter­jun­gen und hurenkindern — das ist ja schon mehr als bei fast allen großen deutschen ver­la­gen heute zu bekom­men ist.

der text ist übri­gens sehr schön — ein echter streeruwitz, so gese­hen: knapp und deut­lich, aber nie gefüh­l­los; über­legt, aber nicht intellek­tuell-verquast. er beschreibt den abschied ein­er frau von „der besten fre­undin” — das defin­i­tivpronomen (anstelle eines üblichen pos­s­esiv-pronomen) im titel ist gle­ich schon typ­isch für die autorin: es gibt nicht so sehr die (emo­tionale) vere­in­nah­mung von fig­uren durch den autor bzw. von fig­uren inner­halb des textes, es wird immer eine wohltuende, manch­mal etwas kühl wirk­ende dis­tanz gewahrt. die ich-erzäh­lerin sin­niert also angesichts des begräb­niss­es über tod und ster­ben nach, über abschied und (weiter-)leben: „sie war so damit beschäftigt, das ster­ben ernst zu nehmen, daß sie den tod überse­hen hat.” (30) wie immer bei streeruwitz sind ihre charak­tere mehr oder min­der allein — was nicht unbe­d­ingt per se schlecht sein muss: „dann gehen wir bei­de in unsere allein­wel­ten.” (33) und das nach­denken über das ster­ben — „ich weiß nicht, wie man das machen soll. ster­ben. wie diese panik. die angst vor dem sarg. schon die vorstel­lung den kör­p­er sprengt. panik. und keine attack­en. ein stetes anwach­sen. als müßte die angst alles aus­füllen, um dem tod keinen platz zu lassen.” (50) — wird natür­lich verdeckt und offen, bewusst und unbe­wusst für die erzäh­lerin, zum nach­denken und sin­nieren über das (richtige) leben. und weil das alles so schön unaufgeregt, ohne aufge­blasene emphase, daherkommt, wirkt es auch so authen­tisch. nur den schluss, den habe ich nicht so recht ver­standen: die let­zten seit­en ist der erzähltext zur lyrik aufgelöst, mit kurzzeilen in gle­ich­mäßigem zeilen­fall, mit noch mehr luft — das erschloss sich mir bish­er nocht nicht.

mar­lene streeur­witz; der abend nach dem begräb­nis der besten fre­undin. frank­furt am main: weiss­books 2008.

wenn es regnet, dann immer gleich auf den kopf

- halt, nein, so heißt es ja ger­ade nicht bei christi­na griebel: wenn es reg­net, dann reg­net es immer gle­ich auf den kopf heißt ihr erzäh­lungs-band. und das ist ein großer unter­schied. denn er gibt der — genau bese­hen ja reich­lich banalen — aus­sage eine völ­lig neue wen­dung, macht sie — ja, poet­isch eben: zu ein­er sprach­wirk­lichkeit. und darin ist griebel aus­ge­sprochen gut. das war’s dann aber auch schon fast. denn so richtig kon­nte ich mich für das büch­lein nicht erwär­men. sich­er, schöne stellen, tolle beschrei­bung, super-genaue beobach­tun­gen ind präzis­er, chirur­gis­ch­er sprach­schärfe niedergeschrieben (erzählt übri­gens wird eigentlich nicht, nur beschrieben — blicke, beobach­tun­gen, begeben­heit­en …). so ganz kann ich deshalb auch die begeis­terung der rezensen­ten (die mich zum kauf und zur lek­türe ver­führt haben) auch nicht ver­ste­hen.

hans-peter kunisch schrieb in der süd­deutschen zeitung: „ Doch vor allem ist der erste Ein­druck von diesem Erzählen ein­er der präzisen, sinnlichen Wahrnehmung.” d’ac­cord. aber wieso er behauptet, „dra­matur­gisch überzeu­gen die meis­ten Texte”, ist mir schon nicht mehr so ganz klar. und seine fest­stel­lung: „Sel­ten glaubt man von ein­er Erzähl-Debü­tan­tin so deut­lich, ihr könne ein guter Roman gelin­gen.” kann ich gar nicht teilen. im gegen­satz — ich befürchte eher, dass ihr dies ger­ade nicht gelin­gen würde, weil ihre tech­nik dafür, für die lange strecke näm­lich, mir nicht tragfähig genug erscheint.

gisa funck war in der faz auch eher hin- und herg­eris­sen — in ihrer rezen­sion erkenne ich viele mein­er eige­nen lek­türeer­leb­nisse: näm­lich faszinierende sprache, geschick­te beschrei­bun­gen etc., ander­er­seits aber oft über­triebene geheimnistuerei, ziel­losigkeit und so fort …

christi­na griebel: wenn es reg­net, dann reg­net es immer gle­ich auf den kopf. frank­furt am main: fis­ch­er 2003 (col­lec­tion fis­ch­er).

ganz viele zeichen — zu viele?

macht die aneinan­der­rei­hung von ganz vie­len zeichen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art tex­ta­gen­tur mit dem anspruch beson­der­er inno­v­a­tiv­ität, scheint der idee nicht abgeneigt zu sein. ihre chefs matthias edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zeichen einen roman genan­nt. so viele zeichen sind das aber gar nicht – im großzügi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf meine leseliste gekom­men ist – ich habe keine ahnung, das ist eben manch­mal der nachteil so exten­siv­er lis­ten­führereien… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die amerikanis­che gang­ster­sto­ry oder eher den gang­ster­film nach europa zu ver­legen. weil die autoren (oder, wie sie sich selb­st benen­nen, das „autorenteam“) dafür aber über zu wenig kreativ­ität, vorstel­lungskraft, stil­ge­fühl und ästhetis­che urteilssicher­heit ver­fügt, klappt das nicht so richtig – ist auch alles eine stufe harm­los­er: stu­dent, der im pflege­heim arbeit­ete, schnappt sich das viele bargeld ein­er sein­er ger­ade ver­stor­be­nen pati­entin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine heiße frau mit, die sich auch noch als klug her­ausstellt, erlebt ver­schiedene „aben­teuer“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas versehrt, mit sein­er traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unauswe­ich­bare ergeb­nis, wenn kreative beson­ders kreativ und auch noch inno­v­a­tiv oder avant­gardis­tisch sein wollen: eine außeror­dentlich bemühte plot-kon­struk­tion (deut­lich zu merken der kon­struk­tion­s­plan…), ein grauen­haft banaler stilis­tis­ch­er brei, total plat­te und abge­lutsche motive und so weit­er. – andere erk­lärungsmöglichkeit: so etwas passiert, wenn kreative kurse für kreatives schreiben besuchen. der kunst­willen führt aber nur zur pseudokun­st – etwa im nachrich­t­entick­er, der unten über die seit­en läuft. vielle­icht ist das ja als beson­dere real­itätsver­sicherung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das beste noch der titel oder eigentlich der gesamte para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­lich­er ver­weis auf das ref­eren­zsys­tem dieses textes: früher stand hier ein bon­mot eines dichters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­lich­es, jet­zt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hellen augen­blicks eines schaus­piel­ers): „es gibt zu viele schwätzer, zu viele lügn­er, zu viele diebe. das beschle­u­ni­gung­stem­po unser­er kul­tur [!!] ist so hoch, das bietet gün­stige bedin­gun­gen für arschlöch­er. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­n­ung bilden.“ oder auch die auf­machung – wirkt fast wie real­satire (titel mit präsen­ta­tor, aufruf zur tex­tein­sendung „aller gewicht­sklassen“), übertreibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cater­ing von „mama&mama“ – sehr witzig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwinkern­den auge – es gibt kaum schlim­meres als so ent­standene texte – die sind näm­lich fast nie wirk­lich witzig und schon gar nicht gut)

macht die aneinan­der­rei­hung von ganz vie­len zeichen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art tex­ta­gen­tur mit dem anspruch beson­der­er inno­v­a­tiv­ität, scheint der idee nicht abgeneigt zu sein. ihre chefs matthias edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zeichen einen roman genan­nt. so viele zeichen sind das aber gar nicht – im großzügi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf meine leseliste gekom­men ist – ich habe keine ahnung, das ist eben manch­mal der nachteil so exten­siv­er lis­ten­führereien… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die amerikanis­che gang­ster­sto­ry oder eher den gang­ster­film nach europa zu ver­legen. weil die autoren (oder, wie sie sich selb­st benen­nen, das „autorenteam“) dafür aber über zu wenig kreativ­ität, vorstel­lungskraft, stil­ge­fühl und ästhetis­che urteilssicher­heit ver­fügt, klappt das nicht so richtig – ist auch alles eine stufe harm­los­er: stu­dent, der im pflege­heim arbeit­ete, schnappt sich das viele bargeld ein­er sein­er ger­ade ver­stor­be­nen pati­entin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine heiße frau mit, die sich auch noch als klug her­ausstellt, erlebt ver­schiedene „aben­teuer“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas versehrt, mit sein­er traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unauswe­ich­bare ergeb­nis, wenn kreative beson­ders kreativ und auch noch inno­v­a­tiv oder avant­gardis­tisch sein wollen: eine außeror­dentlich bemühte plot-kon­struk­tion (deut­lich zu merken der kon­struk­tion­s­plan…), ein grauen­haft banaler stilis­tis­ch­er brei, total plat­te und abge­lutsche motive und so weit­er. – andere erk­lärungsmöglichkeit: so etwas passiert, wenn kreative kurse für kreatives schreiben besuchen. der kunst­willen führt aber nur zur pseudokun­st – etwa im nachrich­t­entick­er, der unten über die seit­en läuft. vielle­icht ist das ja als beson­dere real­itätsver­sicherung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das beste noch der titel oder eigentlich der gesamte para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­lich­er ver­weis auf das ref­eren­zsys­tem dieses textes: früher stand hier ein bon­mot eines dichters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­lich­es, jet­zt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hellen augen­blicks eines schaus­piel­ers): „es gibt zu viele schwätzer, zu viele lügn­er, zu viele diebe. das beschle­u­ni­gung­stem­po unser­er kul­tur [!!] ist so hoch, das bietet gün­stige bedin­gun­gen für arschlöch­er. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­n­ung bilden.“ oder auch die auf­machung – wirkt fast wie real­satire (titel mit präsen­ta­tor, aufruf zur tex­tein­sendung „aller gewicht­sklassen“), übertreibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cater­ing von „mama&mama“ – sehr witzig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwinkern­den auge – es gibt kaum schlim­meres als so ent­standene texte – die sind näm­lich fast nie wirk­lich witzig und schon gar nicht gut)

georg kleins ideen von den deutschen

georg klein zählt ja nicht ger­ade zu meinen lieblingsautoren – wer schrift­steller wie jir­gl, kurzeck etc. schätzt, wird das auch sel­ten tun. als kleine nachtlek­türe zwis­chen­durch lässt er sich aber noch aushal­ten. etwa sein erzäh­lungs­band von den deutschen (ham­burg: rowohlt 2002). der ist ziem­lich typ­isch für seine art zu schreiben – näm­lich größ­ten­teils harm­los – oder sog­ar ganz? jeden­falls ist das zweifel­los ganz und gar glänzend erzählt. aber auch oft mit dem ein­druck, es gin­ge nur noch um das erzählen an sich: das mit­tel ist zum zweck gewor­den. typ­isch ist dafür die per­fek­te beherrschung des erzäh­lerischen handw­erks. aber es wird auch bloß noch als handw­erk betrieben, nicht mehr als kun­st. dafür fehlt den tex­ten näm­lich die dringlichkeit, der durch nichts zu bändi­gende drang zur äußerung, zur mit­teilung, der sich nur in der kün­st­lerischen for­mung, der tex­tkon­sti­tu­tion äußern kann. ein neben georg klein für eine solche schreib­weise exem­plar­isch ste­hen­der autor ist etwa bodo kirch­hoff, auch hel­mut krauss­er vefällt solchen ten­den­zen manch­mal. das ist ja alles über­haupt nicht ehren­rührig. was mich an solchen autoren (weniger an kirch­hoff, dafür beson­ders an klein und krauss­er) am meis­ten stört, ist ihre behaup­tung und wom­öglich sog­ar überzeu­gung, das sei wirk­lich schon große kun­st, sei erzählen auf der höhe der zeit oder wie auch immer man das aus­drück­en will. und das stimmt ein­fach nicht. es muss ja gar nicht immer mod­ernistisch oder (for­mal) avant­gardis­tisch sein. aber ger­ade diese erzäh­lun­gen von klein sind ein­fach nur nette unter­hal­tung, die so tun, als seien sie was beson­deres – genau das richtige eigentlich für das heute offen­bar (wenn man sich die verkauf­szahlen bes­timmter büch­er, etwa – auch so ein lieblings­beispiel von mir – daniel kehlmann, anschaut) weit ver­bre­it­ete pseu­do-bil­dungs-bürg­er­tum, das nur noch die erbärm­lichen reste von bil­dung besitzt, sich aber immer noch in der priv­eligierten lage der ken­ner und wis­senden glaubt. solche leser haben an diesen erzäh­lun­gen bes­timmt viel spaß, dafür sorgt auch noch die ten­denz zum alle­gorischen auf­bau der geschicht­en – aber let­ztlich scheint es mir fast immer irgend­wie ins leere zu laufen: man spürt die bemühun­gen und ist ver­stimmt – so funk­tion­iert kun­st nicht, insofern er sein selb­st­gesteck­tes ziel per­ma­nent knapp zu ver­fehlen scheint, knapp unter der mess­lat­te ihn die kräfte ver­lassen. was bleibt, ist ein­fach harm­lose augen­wis­cherei, zudem in vie­len teilen erschreck­end schnulzig und har­monieseel­ig (etwa „der gute ray“), auch mal mit exo­tis­chen zutat­en (vor­wiegend lokalitäten, „lm lande od“). erschreck­end ist das, denn ger­ade die hier ver­bre­it­ete harm­losigkeit ist ja beson­ders gefährlich: sie täuscht über den wahren zus­tand von kun­st und welt, sie sug­geriert längst nicht mehr vorhan­dene möglichkeit­en des guten, gelin­gen­den, erfül­len­den lebens, des richti­gen ver­hal­tens und führt den leser damit nicht nur in eine ästhetis­che (und philosophis­che) falle, son­dern auch unbarmherzig ins abseits, ins reich der lügen. und von dort ist es dann wirk­lich nicht mehr weit bis ins reich der vor­abend-tv-serien – das ist dann wahrschein­lich nur noch eine frage der unter­schiedlichen herkun­ft, erziehung, des divergieren­den habi­tus: georg klein als tv-schnulze für leser….

abtrünnig: eine trümmerlandschaft aus text

eine inten­sive und denkaufwändi­ge lek­türe: rein­hard jir­gl: abtrün­nig. roman aus der nervösen zeit. münchen: hanser 2005. ich bin jet­zt nach ein­er lan­gen – mehrere wochen – lesereise bis ans ende vorge­drun­gen. und ich kann jedem nur empfehlen, sich dieser erfahrung, die manch­mal zwar den charak­ter eines exerz­i­tiums annehmen kann, zu unterziehen. den jir­gl, schon lange ein­er mein­er favoriten unter den noch leben­den und schreiben­den autoren, hat hier ein beein­druck­endes kunst­werk geschaf­fen. und als solch­es muss man es auch ganz bewusst und offen­siv rezip­ieren: als kun­st – nicht als unter­hal­tung, denn als bet­tlek­türe taugt dieser roman sicher­lich über­haupt nicht.

da ist zunächst ein­mal seine per­son­ale son­derorthogra­phie, die hier – wie etwa auch in der genealo­gie des tötens – sehr eigen­willig erscheint. v.a. scheint sie ihre sys­tem­a­tisierung ein wenig ver­loren zu haben. kri­tiken the­ma­tisieren diese sehr augeschein­liche beson­der­heit der späteren jir­glschen texte beson­ders gern. in der tat muss man aber sagen, dass sie ent­ge­gen etwaiger befürch­tun­gen kein lese­hin­der­nis darstellt – sie wird sehr schnell sehr ver­traut. was sie allerd­ings ger­ade in abtrün­nig nicht wird, ist vol­lkom­men ver­ständlich: vieles bleibt zumin­d­est bei der ersten lek­türe (vielle­icht hülfe da eine sys­tem­a­tis­che durch­dringung?) auf dem niveau der spiel­erei, weil sich ein­er­seits keine bedeu­tungszuwachs oder ‑dif­feren­zierung erken­nen lässt, ander­er­seits auch wed­er eine absicht noch eine wenig­stens ver­mut­bare regel­haftigkeit. in manchen pas­sagen wirkt diese extreme ver­mehrung der sig­nifikanzen oder zumin­d­est außeror­dentliche verdeut­lichung der vieldeutigkeit des geschriebe­nen wortes, ins­beson­dere natür­lich durch die (ortho-)graphische eigen­willigkeit, wie eine kün­stlich forcierte annäherung an die mündlichkeit, das orale erzählen. ander­er­seits ist sie in ihrer vielgestaltigkeit, die ja weit über die vere­in­heitlichende, normierte (und damit ein­schränk­ende) regelorthogra­phie hin­aus­ge­ht, auch offen­bar der ver­such der dis­am­bigu­ierung – der allerd­ings wieder dazu führt, das das schrift­bild extrem her­metisch, abschreck­end & unüber­sichtlich wirkt & auch tat­säch­lich wird: entz­if­fer­bar ist das kaum noch, weil das sys­tem nicht so ein­fach zu durch­schauen ist (ist es über­haupt ein sys­tem?). und das führt schließlich auch dazu, dass man ihm leicht den vor­wurf der spiel­erei machen kann. tat­säch­lich scheint manch­es auch nur das zu sein, lässt sich manche wort-ver­for­mung auch kaum anders auf­fassen. in sein­er gesamtheit ist das, wenn man außer­dem noch die for­malen irreg­u­lar­ien und stolper­steine – etwa die querver­linkun­gen und textbausteine – bedenkt, ein kom­plett ver­minter text und damit (auch) ein angriff auf den leser: die irreg­ulären satze­ichen als kleine sprengkör­p­er, als angriffe auf das schnelle, ein­fache & gewöhn­liche ver­ste­hen.

in abtrün­nig ist die geschichte, die fabel, weit­ge­hend zur neben­sache gewor­den – noch nie war das bei jir­gl (soweit ich sehe) so sehr der fall wie hier. im kern geht es um zwei män­ner, zwei liebende, die auf ver­schlun­genen wegen nach berlin kom­men und dort auf tragisch-groteske weise am und im leben scheit­ern. das ist aber auch schon wieder nur halb richtig, weil der zweite liebende, ein aus der ddr-nva in den bgs über­nommen­er gren­zschützer, der ein­er flüch­t­en­den osteu­ropäerin zum ille­galen gren­züber­gang nach deutsch­land ver­hil­ft, auf der suche nach ihr nach berlin kommt, dort als tax­i­fahrer arbeit­et, sie wiederfind­et und just in dem moment, als sie zurück in ihre heimat gekehrt ist, um für die geplante heirat die notwendi­gen papiere zu organ­is­eren, von ihrem offen­bar psy­chisch gestörten brud­er erstochen wird, weil also dieser zweite liebende, dessen geschichte natür­lich durch begeg­nung mit der des anderen mannes verknüpft ist, gar keine beson­ders große rolle spielt.

wesentlich­er als das ist aber das moment, der abtrün­nig als „roman aus der nervösen zeit“ charak­ter­isiert. das ist das autis­tis­che monolo­gisieren, das durch­brochen wird von essa­yarti­gen pas­sagen und genial erzählten teilen. natür­lich spiegelt das wiederum nur das große, zen­trale prob­lem der haupt­fig­ur und der mod­er­nen gesellschaft über­haupt: die suche nach dem ich, der iden­tität, dem holis­tis­chen sub­jekt, dem eige­nen lebens- und sin­nen­twurf – ein suche, die grandios scheit­ern muss und nur frag­mente, zer­störung und beschädigte personen/figuren/menschen hin­ter­lässt. der ein­druck eines großen bruch­w­erkes bleibt dabei nicht aus: frag­men­tierte per­sön­lichkeit­en, sich auflösende soziale bindun­gen und gewis­senheit­en, kurz eine recht radikal aus­gerichtete gesellschaft­skri­tik sucht ihre form – und ver­liert sich dabei manch­es mal in essay-ein­schüben: abtrün­nig ist in erster lin­ie ein/das buch vom scheit­ern, seine bibel sozusagen: „es gibt kein richtiges leben im falschen“ – oder: das gelin­gen ist ganz und gar unmöglich gewor­den – & das muss man auch genau so kat­e­go­r­i­al for­mulieren, denn es gilt nicht nur für die fig­uren des textes, son­dern auch für ihn selb­st. deshalb ist er so, wie er ist; ist er in ein­er nach herkömm­lichen maßstäben defiz­itären ver­fas­sung – er kann natür­lich auch nicht mehr anders sein, das lässt die mod­erne welt, die „nervöse zeit“ nicht mehr zu. und genau wie diese ist er eine ziem­lich gewaltige zu-mutung für den leser. denn er will ja nichts anderes, als diese schöne neue welt erk­lären oder min­destens aufzeigen – deshalb natür­lich auch die (zeitweise dur­chaus über­hand nehmenden) essay-pas­sagen, die den kun­stcharak­ter des gesamten textes bee­in­flussen – & das dur­chaus mit gren­zw­er­ti­gen ergeb­nis­sen. denn im ganzen ist das wohl so etwas wie ein anar­chis­tis­ches kunst­werk – hoff­nungs­los unüber­sichtlich, kreuz und quer ver­linkt durch die selt­samen „link“-kästen, die ver­weise vor und zurück im text, die eingestreuten zitate und auch wieder­hol­un­gen, neuan­läufe der beschrei­bung ein­er sit­u­a­tion aus ver­schiede­nen blick­winkeln. das alles hat zum ergeb­nis, das der roman, der vom tod der gesellschaft, vom tod des sozialen lebens, spricht, auch den tod des romans beschreibt, exem­pli­fiziert – und auch reflex­iert. denn auch wenn es gar nicht oder höchst sel­ten expliz­it geschieht – vieles im text (etwa schon die dat­en der nieder­schrift (oder die behaupteten dat­en – schließlich befind­en wir uns mit ihnen immer noch im fik­tionalen text)) deutet auf eine reflex­ion der möglichkeit­en des schreibens in ein­er nervösen, defiz­itären, verkomme­nen und immer weit­er verk­om­menden gesellschaft hin. und wenn ein text wie abtrün­nig das ergeb­nis dieser prozesse ist, kann man nun sagen, dass das schreiben unmöglich oder gar obso­let wird? das scheint mir zweifel­haft – denn trotz sein­er unzweifel­haft zu kon­sta­tieren­den schwächen ist abtrün­nig als gesamtes doch ein beein­druck­endes kunst­werk bemerkenswert­er güte. inter­es­sant wird allerd­ings die fort­set­zung – mir scheint es ger­ade mit diesem buch so, als schriebe sich der sowieso schon am rande des ästhetis­chen und ins­beson­dere des lit­er­arischen diskurs­es ste­hende jir­gl immer mehr ins abseits: ob er diese bewe­gung noch frucht­bar weit­er­führen kann?

noch einmal bier-prosa. diesmal von franz dobler

nach “blut & bier”, den ja wirk­lich sehr unge­wasch­enen sto­ries von franz xaver kroetz, kommt gle­ich die näch­ste alko­hol-lek­türe: bier­herz. flüs­sige prosa von franz dobler (ham­burg: nau­tilus 1994). so richtig sauber ist das hier natür­lich auch nicht, das wäre von franz dobler auch wohl zu viel ver­langt. den anfang macht die wiederver­w­er­tung des vor­wortes zu einem the­ater­stück mit dem über­raschen­den namen “bier­herz”, in dem dobler v.a. erk­lärt, dass man mit seinem stück so ziem­lich alles machen kann, so lange nur der text von irgend jemand gesprochen wird. das ganze fix verquirlt mit ein paar tief­schür­fend­en und jed­er menge flach­schür­fend­en gedanken und ideen zum bier und seinem kon­sum und fer­tig sind die ersten dreißig seit­en des neuen büch­leins.… danach kommt lei­der nicht mehr viel: eine kleines “reise­tage­buch” durch louisiana und texas mit ein paar lau­ni­gen beschrei­bun­gen der musik‑, tanz‑, bar- und bierver­hält­nisse dorten ist da noch der höhep­unkt. der rest total ver­nach­läs­sig­bar: anek­doten, lau­nig erzählt, abso­lut unschein­bar und ohne beson­dere stilmerk­male, ästhetis­che eigen­heit­en oder son­stige her­aus­ra­gende eigen­schaften: flüs­sig eben, und schnell ver­ronnen.…

joachim lottmann beobachtet zombies in freier wildbahn

der neueste anschlag lottmanns auf guten geschmack und überkommene werte: joachim lottmann: zom­bie nation. köln: kiepen­heuer & witsch 2006.

der erzäh­ler – ein autor-klon mit dem namen johan­nes­lohmer, „erfind­er“ des pop-romans – beobachtet sich beim recher­chieren / schreiben eines fam­i­lien­ro­mans, der seinem jugen­dro­man fol­gen soll: „der erste fam­i­lien­ro­man der poplit­er­atur“ behauptet der klap­pen­text (was natür­lich blödsinn ist, allein fichte hat da ja schon einiges dazu geschrieben). und natür­lich ist „zom­bie nation“ auch gar kein­er. höch­stens als per­si­flage auf die aktuelle schwemme auf dem bücher­markt. dazu ist lottmann ja immer wieder gut: als seis­mo­graph. und als schlag­wort-liefer­ant – ein beispiel? aber klar doch, gle­ich auf dem umschlag: „was frauen den män­nern antun, ist der eigentliche irak-krieg unser­er epoche.“ das ste­ht da ein­fach mal so und wartet, dass jemand drauf anspringt. was ja hier­mit offiziell erledigt wäre …

„die let­zten tage der berlin­er repub­lik“ sind das zen­trum des romans – die ansprüche sind gesunken, die men­schheit war ein­mal, heute geht es nur noch um uns: die mit­dreißiger oder vierziger kul­turschaf­fend­en… typ­isch für lottmann ist natür­lich wieder der ironie-overkill, sein schein-real­is­mus, inklu­sive vol­lz­i­tat einiger jour­nal­is­tis­chen arbeit­en lottmanns
(aus der sz und der taz), verquickt noch dazu mit eini­gen pri­vat­en abson­der­lichkeit­en — und schon ist das neue buch fer­tig. schnell geschrieben, schnell gele­sen und wahrschein­lich auch schnell wieder vergessen.

das fab­u­lieren hat lottmann aber ganz gut draf: die hyper­tro­phe meta­phern­schlacht im geiste ein­er simulierten erzäh­lerischen unschuld, die natür­lich ständig geschickt umspielt wird – genau wie das imag­inierte zwiege­spräch zwis­chen erzäh­ler und imag­inärem leser gerne mal reflek­tiert, umge­dreht wird, um dann doch keine rück­sicht zu nehmen oder ger­ade erst recht, je nach momen­tan­er stim­mung: „es fällt mir schw­er, den leser mit ein­er wieder­gabe eines frem­den lebens zu behel­li­gen, anstatt über das eigene leben zu bericht­en.“ – „der lit­er­aturbe­trieb verzei­he mir, aber ich kon­nte nicht anders, als wieder mit ihr zu schlafen.“

das gesamt­paket wird dann mit dem her­rlichen rosa des umschlags abgerun­det: die züchtige unschuld – aber dann natür­lich die stre­ichze­ichung der bar­busi­gen jungfrau mit gülden­em haar –, die beobach­tung der schreck­lich angepassten jugend des jahres 2005 und verzwei­flung über ihre sinnlosigkeit beschäfti­gen lottmann: wer schon in sein­er jugend das leben sein­er eltern führt – was soll aus dem noch wer­den? und wenn das ein ganzes volk so macht? dann amüsiert man sich mit sein­er heim­lichen liebe, der bild-zeitung: „ein schön­er beginn, eine tolle geschichte, mit einem nachteil: sie stand in der bildzeitung und war somit erfun­den.“

und wer sind nun eigentlich die zom­bies? und die zom­bie nation? keine ahnung. aber sie haben die große koali­tion ver­schuldet und ver­ant­wortet.

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