Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: autobiographie

Ins Netz gegangen (31.12.)

Ins Netz gegan­gen am 31.12. (Aufräu­men zum Jahre­sende ..):

  • Jahres­rück­blick 2014: Blick zurück im Kreis | ZEIT ONLINE — die his­torik­erin fran­ka maubach ist mit dem gedenk­jahr 2014 nicht so ganz zufrieden:

    Es ist doch legit­im, ja sog­ar gut, über den rit­u­al­haft wiederkehren­den Kreis der Jahrestage ein gemein­sames his­torisches Reflek­tieren zu stim­ulieren. Das Prob­lem ist nur: Es gelingt nicht mehr. Die his­torischen Ereignisse, der­er gedacht wer­den soll, lassen sich kaum noch in Beziehung zueinan­der set­zen. Die Fliehkraft des Gedenkens sprengt sie auseinan­der. Das Einzel­ereig­nis wird nur noch kurz aufgerufen und kaum mehr in langfristige Zusam­men­hänge ein­ge­ord­net.

    am ende emp­fiehlt sie:

    Wie also kön­nen wir Geschichte schreiben, ohne deter­min­is­tisch zu denken und doch mit langem Atem zu argu­men­tieren? Wie kön­nen wir Ereignisse in deu­tende Ord­nun­gen fügen und zugle­ich zum Wider­spruch ein­laden? Wie kön­nen wir offen bleiben und uns trotz­dem für eine Per­spek­tive entschei­den?

    Dazu bedarf es eines Stand­punk­ts, der entsch­ieden ist, sich also über sich selb­st aufzuk­lären ver­mag. Und es bedarf ein­er his­torischen Urteil­skraft, die peni­bel aus­buch­sta­bierte Details in ihr Vorher und Nach­her und nach Rel­e­vanz ord­net. Bei­des kön­nen wir voraus­sichtlich noch brauchen. Spätestens dann, wenn die Fliehkraft des Gedenkens auch den Nation­al­sozial­is­mus von sein­er Vor- und Nachgeschichte isoliert.

  • Rumänien: Die unvol­len­dete Rev­o­lu­tion — karl-peter schwarz erin­nert beschreibend (weniger erk­lärend) an die rev­o­lu­tion 1989 in rumänien.

    Vor 25 Jahren stürzte der rumänis­che Dik­ta­tor Ceauşes­cu. Die Rev­o­lu­tion, die 1989 mit bluti­gen Kämpfen das Land in Chaos und Gewalt stürzte, blieb unvol­len­det.

  • 2014 – Die hil­fre­ich­sten Kun­den­rezen­sio­nen — Fre­i­t­ext
  • Revi­sions­berichte der NSA: Warten auf die Anklage — nils minkmar ganz unaufgeregt, aber vol­lkom­men zus­tim­mungs­fähig und ‑pflichtig:

    Doch wenn der West­en seine Iden­tität nicht ver­lieren will, sich gegen islamis­che, chi­ne­sis­che, rus­sis­che und son­stige Total­i­taris­men abgren­zen möchte, dann kön­nen die nun hin­länglich doku­men­tierten Über­griffe und Geset­zes­brüche nur eine Folge haben, näm­lich eine ordentliche rechtsstaatliche Aufar­beitung ohne Anse­hen der Per­son.

  • BOX2FLY — Handgepäck­kof­fer aus Well­pappe — coole idee: ein kar­ton, der genau ins handgepäck passt, den platz also bei min­i­malem eigengewicht opti­mal aus­nutzt
  • Tod ein­er Rev­o­lu­tionärin — Die Zeitschrift „Mit­tel­weg 36“ erin­nert an die außergewöhn­liche Radikal-Fem­i­nistin Shu­lamith Fire­stone : literaturkritik.de
  • Unbekan­nte Auto­bi­ogra­phie Georg Philipp Tele­manns aufge­fun­den | nmz — neue musikzeitung — Im His­torischen Staat­sarchiv Let­t­lands (Riga) wurde eine bish­er unbekan­nte Auto­bi­ogra­phie des Kom­pon­is­ten Georg Philipp Tele­mann (1681–1767) ent­deckt. Die auto­graphe Skizze befind­et sich in Mate­ri­alien aus dem Nach­lass des Rigaer Kan­tors Georg Michael Tele­mann, dem Enkel des berühmten Ham­burg­er Musikdi­rek­tors und Johan­neumkan­tors. Der Musik­wis­senschaftler Ralph-Jür­gen Reip­sch, Mitar­beit­er des Zen­trums für Tele­mann-Pflege und ‑Forschung Magde­burg, hat den sen­sa­tionellen Fund sowie eine bish­er gle­ich­falls unbekan­nte deutsch-franzö­sis­che Lebens­beschrei­bung in der aktuellen Aus­gabe der Zeitschrift Die Musik­forschung pub­liziert.
  • Liq­uid Ecsta­sy: Tödlich­er Schluck aus der Flasche — München — Süddeutsche.de — grandios: dass “GBL nicht vom Betäubungsmit­telge­setz erfasst ist, weil sie in der chemis­chen Indus­trie … uner­set­zlich ist” — so funk­tion­iert also dro­gen­pli­tik in deutsch­land
  • ünter-Eich-Preis für Ror Wolf « Lyrikzeitung — Der fan­tastis­che Ror Wolf erhält den Gün­ter-Eich-Preis
  • Jut­ta Dit­furth: News — LG München entsorgt die dt. Anti­semiten: Anti­semit ist nur, “wer sich pos­i­tiv auf die Zeit von ’33 bis ’45 bezieht” (ach, könte man doch nur ale prob­leme so lösen ..)
  • http://ecowatch.com/2013/lobster-boat-vs-coal-ship/ | Grist — unglaublich: Seat­tle versenkt sich im Abgrund … — das ist wahrhaftig geun­gene (Verkehrs-)Politik
  • 57. Nach­schlag zu einem “fröh­lichen” Ver­riss « Lyrikzeitung & Poet­ry News — auch ein “veriss”:

    am Boden liegt ein Bün­del von Zeitungsaus­ris­sen, die offen­sichtlich das fehlende Klopa­pi­er erset­zen sollen. Auf ein­er der Zeitungs­seit­en ste­ht ein Gedicht. Ich greife nach dem zur Hälfte zer­ris­se­nen Blatt, ver­suche den Text – ukrainisch – zu lesen, lese ihn mehrmals, und er kommt mir dabei immer bekan­nter vor. Der Name des Autors wie auch der Gedich­tan­fang fehlt, ist weg­geris­sen. Unter dem Gedicht ste­ht, dass es sich um eine Über­set­zung aus dem Deutschen han­delt. Vom Namen des Über­set­zers bleiben bloss ein paar Buch­staben: Wolod… ‒ Doch nun däm­mert es mir: Das ist mein Gedicht. Das ist eins mein­er Gedichte, zumin­d­est ein Teil davon.

  • Fem­i­nis­mus-Debat­te: Wir brauchen keinen Zum­ba-Jesus — taz.de — mar­garete stokows­ki:

    Fem­i­nistin­nen vorzuw­er­fen, sie seien nicht witzig, ist auf dreifache Art unangemessen. Erstens ist Humor ein­fach eine Frage des Geschmacks. Zweit­ens wieder­holt sich hier das alt­bekan­nte „Lach doch mal“ alt­bekan­nter Onkels, und drit­tens gibt es denkbar viele Momente im Leben, in denen Kämpfen und Lachen einan­der auss­chließen.

  • Folter bei der CIA: Der Sieg der Ter­ror­is­ten — FAZ — nils minkmar denkt über folter nach:

    Es herrscht ein erschreck­ender Man­gel an poli­tis­ch­er Phan­tasie. Was wird schon helfen gegen Mörder wie Khalid Sche­ich Mohammed? Es fällt uns nur wieder Gewalt ein. Dabei gibt es längst andere Erken­nt­nisse, wie man den Krieg gegen den Ter­ror erfol­gre­ich führen kann.

  • 500 Jahre alte Naum­burg­er Chor­büch­er wer­den dig­i­tal­isiert | nmz — neue musikzeitung — Es soll ein bib­lio­philer Schatz für die Ewigkeit wer­den: Die über 500 Jahre alten überdi­men­sion­alen Naum­burg­er Chor­büch­er wer­den restau­ri­ert und dig­i­tal­isiert. Die kom­plette Finanzierung muss noch gek­lärt wer­den, aber ein Anfang ist gemacht. «Mit acht Büch­ern ist es eine der umfan­gre­ich­sten mit­te­lal­ter­lichen Hand­schriften­samm­lun­gen», sagt Matthias Lud­wig, wis­senschaftlich­er Mitar­beit­er im Dom­s­tift­sarchiv Naum­burg.
  • Inte­gra­tion durch Sprachvorschriften? – Sprachlog — Es ist also klar, dass aus der Per­spek­tive des Spracher­werbs keine Notwendigkeit gibt, Migrant/innen dazu „anzuhal­ten“ oder auch nur zu „motivieren“, zu Hause Deutsch zu sprechen. Wir erin­nern uns: 65 Prozent tun es ohne­hin, ganz ohne Moti­va­tion seit­ens der Poli­tik.

Historiker

Statt aller leben­strächti­gen Erin­nerung, die neues Leben entwick­eln kön­nte, bleibt nichts zurück als ein dürftiger Haufen Asche, ger­ade noch genug, um eine kleine Kolonie von Bak­te­rien zu nähren, die sich aus­bre­it­en wer­den. Das Men­schen­schick­saml mag für Jahrmil­lio­nen vorbes­timmt sein. Es läßt trotz­dem nichts zurück als diesen Dreck, den dürfti­gen Rest, wom­it er sich selb­st ver­daut hat. Es gibt in der ein­er Beschrei­bung zugänglichen men­schlichen Gesellschaft eine beson­ders niedere Art von Beschäftigten, die diesen Dreck sam­meln, kneten und zu mod­el­lieren vorgeben, die Wis­senschaftler und in diesem beson­deren Fall die His­torik­er.

—Franz Jung, Der Tor­pe­dokäfer, 119f.

der ultramarathonmann

als vor­bere­itung auf den rennsteig-super­marathon sozusagen schon ein­mal passende lek­türe: dean kar­nazes’ ultra­ma­rathon­man. aus dem leben eines 24-stun­den-läufers (riva 2008). einige beein­druck­ende lauf­schilderun­gen ver­sam­melt er dort, vor allem die erfahrung seines ersten offiziellen ultras, des 100 meilen-laufes west­ern states endurance. danach wird’s dann etwas, nun­ja, ver­rückt: bad­wa­ter halte ich ja schon für gren­zw­er­tig, aber einen marathon zum süd­pol — das ist schon etwas selt­sam. und es hat ja selb­st für solche läufer nur mit biegen und brechen funk­tion­iert. anson­sten ganz nettes büch­lein (lei­der nicht sehr inspierend über­set­zt — höhenangaben in fuß helfen mir nicht sehr viel …), das immer wieder um den gedanken kreist, warum men­schen eigentlich solche extreme dinge tun. und das vor allem so ehrlich ist, darauf keine wirk­liche antwort zu haben. angenehm auch, dass er rein auf sich selb­st fix­iert bleibt: platzierun­gen und ergeb­nisse spie­len (fast) gar keine rolle: hier — zumin­d­est in dem buch — geht es kar­nazes um das erleb­nis des laufens, die erfahrung der über­win­dung aller möglichen schmerzen …

so einiges wahres ste­ht da drin: “Laufen bedeutete in erster Lin­ie: raus­ge­hen und Erfahrun­gen sam­meln. Ich sah, wie Gebäude ent­standen, wie die Vögel nach Süden zogen, un ich Wech­sel der Jahreszeit­en sah ich die Blät­ter fall­en und die Tage kürz­er wer­den” (s. 30) — es ist im prinzip banal und so ziem­lich jed­er läufer hat dies wohl schon bemerkt. aber es stimmt. naja, von der art gibt es eine menge beobach­tun­gen und mei­n­un­gen hier.

manfred trojahn schreibt über (seine) musik

Ein Kom­pon­ist, der nicht schreiben kann, hat es schw­er heutzu­tage. Werkkom­mentare für Urauf­führun­gen, Pro­grammhefte, musikgeschichtliche Betra­ch­tun­gen und der eine oder andere biographis­che Split­ter sowie hin und wieder ein Werk­stat­tbericht sind Pflichtübun­gen bei der Ver­mark­tung des musikalis­chen Schaf­fens. Nicht alle Ton­set­zer sind dazu aber gle­icher­maßen begabt. Man­fred Tro­jahn gehört sicher­lich zu den besseren: An die Wort­ge­walt eines Wolf­gang Rihm reicht er zwar nicht her­an, genau­so wenig wie an die abstrakt-ana­lytis­che Schärfe Hel­mut Lachen­manns oder Hans Zen­ders (von denen allen auch aus­geze­ich­nete Sam­mel­bände ihrer schreiben­den Tätigkeit vor­liegen) – aber erzählen und schreiben kann er zweifel­los. Vor allem aber kann er dur­chaus für sich ein­ste­hen und seine Posi­tion vertei­di­gen. Und man kann diese Neben­pro­duk­te des schreiben­den Musik­ers nicht nur mit Gewinn, son­dern oft auch mit erhe­blichem Vergnü­gen lesen. Das man dafür nicht lange in den Archiv­en herumwühlen muss, hat man Hans-Joachim Wag­n­er und dem Frank­furter Stroem­feld-Ver­lag, son­st eigentlich nicht ger­ade eine Heim­statt musik(-wissenschaftlichen) Schrift­tums, zu ver­danken. Denn dort ist jet­zt ein umfan­gre­ich­er Band mit Tro­jahns „Schriften zur Musik“ erschienen. Das sind mit­tler­weile, nach eini­gen Jahrzehn­ten des Kom­ponierens und Schreibens, über 500 gedruck­te Seit­en: Texte zu ästhetis­chen Fra­gen, biographis­che Skizzen, Glossen, Noti­zen, viele Gespräche und natür­lich die Ein­führung­s­texte zu den eige­nen Werken. „Was wird es für ein Buch wer­den“, so fragt sich Tro­jahn im Vor­wort. Und er gibt drei Möglichkeit­en der Antwort vor: „Eine ver­steck­te Biogra­phie? Eine verkappte Ästhetik? Oder doch die Beschrei­bung ein­er Reise zu mir selb­st?“ Entschei­den lässt sich das kaum. Denn es von allem etwas dabei.Vor allem ist es aber ganz viel Recht­fer­ti­gung: Recht­fer­ti­gung des eige­nen Tuns vor sich selb­st und der Welt. Denn Tro­jahn zeigt sich als unbe­d­ingter, schar­fzüngiger Ver­fechter der Frei­heit der Kun­st. Und deshalb bekommt – naturgemäß – vor allem der Musik­be­trieb mit seinen Fes­ti­vals, The­atern, Ver­anstal­tern und den bösen, unwilli­gen und unver­ständi­gen Men­schen des Feuil­letons zu Zeit­en post­mod­ern­er Kun­st­be­trieb­samkeit immer wieder eine geballte Ladung Kri­tik ab. Ge- und beschrieben ist das dur­chaus mit ein­er Ver­an­la­gung zum geistre­ichen, gebilde­ten Bon­mot. Und auch Tro­jahns fast unver­brüch­lich scheinende Tra­di­tion­ver­bun­den­heit schim­mert ganz selb­stver­ständlich immer durch. Wichtiger und ein­flussre­ich­er ist aber sein unbd­ingter Glaube an die Beständigkeit der emo­tionalen Kraft der Musik – und dabei ins­beson­dere der Oper, des musikalis­chen The­aters oder wie auch immer man es nen­nen mag: Diese Gat­tung hat ihn – als Hör­er — schon früh gepackt, davon erzählt er immer wieder. Beson­ders in den Fokus sein­er Darstel­lung rückt dabei das Wun­der der „Darstel­lung“: „Denn schon damals [d.h. in sein­er Kind­heit] waren mir die dargestell­ten Per­so­n­en wesentlich wichtiger als die darstel­len­den.“ Das Unge­heuer­liche, das aus dem Nichts „Per­so­n­en“, Fig­uren, Charak­tere entste­hen, geschaf­fen mit Worten und Musik (da der junge Man­fred Tro­jahn Oper in erster Lin­ie am Radio ken­nen­lernte ohne die ergänzen­den Zeichen der Bühne und der Gesten): Dieses Faszi­nosum der Jugend und der Reife schildert Tro­jahn mit glühen­der Begeis­terung. Zum Unternehmen der Werke­in­fühun­gen (dem Tro­jahn wie die meis­ten Kom­pon­is­ten sehr skep­tisch gegenüber­ste­ht) äußert er sich dage­gen eher pes­simistisch: „Im all­ge­meinen sind das aus­sicht­slose Ver­suche, denn nur die Dra­maturgie denkt, daß der Hör­er denken sollte, was der Kom­pon­ist denkt, daß der Hör­er denken müßte.“ Und da ist er auch schon wieder bei seinem Lieblings­the­ma, wie es in den „Schriften zur Musik“ ganz deut­lich zu erken­nen ist: Der Frei­heit der Musik. Das heißt für einen Kom­pon­is­ten wie Tro­jahn natür­lich keineswegs sub­jek­tive Beliebigkeit, unge­bun­denes Aus­to­ben sein­er Träume und Vorstel­lun­gen: „Kün­st­lerische Frei­heit ist Syn­onym für die Arbeit an ein­er Utopie gesellschaftlichen Lebens, und sie enthält den Anspruch aufs Ganze.“ Diese gesellschaftliche Situ­ierung der Musik, sie zieht sich in ver­schieden starken Aus­prä­gun­gen immer wieder durch seine Texte. Über­haupt liegt Tro­jahn viel daran, sein eigenes Schaf­fen zu kon­tex­tu­al­isieren und zu zeigen, dass er mit den Mit­teln und den Ergeb­nis­sen sein­er musikalis­chen Kreativ­ität nicht alleine ist. Und so sehr er Kom­po­si­tion als Prozess, als Zwis­ch­en­ergeb­nis ein­er fortwähren­den Entwick­lungs­geschichte und damit eng­stens verknüpft mit dem (Er-)Leben seines Schöpfers, dem Kom­pon­is­ten und seinen (Lebens-)Bedingungen, ver­ste­ht, so sehr beste­ht er gle­icher­maßen auf dem Handw­erk des Kom­ponierens. Solche gekon­nt gemachte und erar­beit­ete Musik möchte er dann aber auch noch gerne offen hal­ten – nicht offen im Ver­ständ­nis der offe­nen Form“, son­dern offen für die Rezep­tion: „Das zielt auf eine Musik abseits von Massen­wirkung“, indem es ganz wie zu den Zeit­en der bürg­er­lichen Bil­dung, inten­sive Beschäf­ti­gung mit Musik voraus­set­zt, „aber ohne exk­lu­siv­en Abschluß durch Unzugänglichkeit.“ Denn auch das wird in seinen gesam­melten Schriften noch ein­mal und immer wieder deut­lich: Tro­jahn ver­ste­ht sein Kom­ponieren als gesellschaftlich­es Tun. Und ger­ade deshalb ist er fast unaufhör­lich darum bemüht, sich selb­st und seine Werke in den richti­gen Kon­text einzuord­nen. Der frühe Schock der Etiket­tierung, der kaum einen Kom­pon­is­ten der let­zten Gen­er­a­tion so zeit­ig und so heftig getrof­fen hat wie ihn, macht sich hier immer wieder bemerk­bar. Fast ver­bis­sen und in der Sache uner­bit­tlich kämpft er dage­gen an – biographisch dur­chaus ver­ständlich, heute freilich in der Obses­siv­ität dur­chaus obso­let erscheinend: Solche Dinge nimmt doch kaum noch ein Hör­er, der seinen Ohren auch nur ein biss­chen ver­traut, wirk­lich ernst. Diese hefti­gen Kämpfe um die (Deutungs-)Hoheit sind zwar längst Ver­gan­gen­heit. Damit sind sie in dieser Samm­lung aber auch Erin­nerung an Zeit­en, als Neue Musik noch für Bewe­gung gut war, Aufmerk­samkeit erre­gen kon­nte, mehr als nur ein leicht­es Säuseln im Blät­ter­wald erre­ichte.

Man­fred Tro­jahn: Schriften zur Musik. Hrsg. von Hans-Joachim Wag­n­er. Frank­furt am Main, Basel: Stroem­feld 2006.
(erschienen in „die tonkun­st”, jg. 1 (2007), heft 3, seite 322–323)

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