The Beatles, Eleanor Rigby — gesungen von Rajaton:
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The Beatles, Eleanor Rigby — gesungen von Rajaton:
Keine Angst, auf dieser Achterbahn wird niemanden übel. Denn die 14. CD der Wise Guys ist überwiegend harmlos. Mit ihren bewährten Konzepten machen sie auch in neuer Besetzung weiterhin ihren bekannten chartorientierten Vokal-Pop. Ausgerechnet der Titelsong ist aber eher langweilig: kein zündender Text, keine besonders eingängige Melodie, kein bemerkenswertes Arrangement. Das konnten die Wise Guys schon besser.
Ein paar eingängige Songs sind aber auch auf “Achterbahn” zu hören: “Das Sägewerk Bad Segeberg” hat etwa nette Momente, die vor allem auf dem herrlich blödelnden Text beruhen. Der ist dermaßen blödsinnig, dass es wirklich lustig wird, sich über Holzsorten und fehlende Körperteile zu amüsieren — auch wenn die konsequente Quotenradio-Orientierung selbst bei eigentlich guten Songs ganz schön nerven kann: Das fängt mit dem quietschenden Beat an, geht über die garantiert mitgröltaugliche Melodie bis zum vollkommen erwartbaren Arrangement.
Zu den positiven Eindrücken gehört auch “Keine gute Idee”, das aber andererseits auch recht nahtlos an die “älteren” Wise Guys anschließt. Allerdings haben die Wise Guys noch nie die Begleitstimmen von den jeweiligen Leadvocals so sehr in den Hintergrund drängen lassen — gut, die Wise Guys sind sicher nicht die allerbesten Sänger Deutschlands, aber verstecken muss man sie auch nicht. Ein Kunststück beherrschen die Wise Guys allerdings ausgesprochen gut: Aus mäßigem Material guten Pop zu machen. Aus schwachen Texten und einer weitgehend banalen Musik zaubern sie immer wieder Eingängigkeit und eine Menge guter Laune hervor. Die elektronisch angehauchte eskapistische Glücksfantasie “Ans Ende der Welt” macht das fast perfekt vor.
“Alles so schön bunt hier” bringt dann tatsächlich etwas (Klang)Farbe mit in den Mix, bei “Küss mich” geschieht das — welch Sakrileg — durch eine weibliche Stimme: Jasmin Wagner, vor Jahren auch mal “Blümchen” bekannt, unterstützt das Quintett. Am besten sind die Wise Guys dann, wenn sie sich wie bei “Generation Hörgerät” auf ihre Stärken besinnen: Treibende Discobeats, freundliche Melodien und ein humorvoller Text, bei dem die fünf Kölner zeigen, dass sie sich selbst nicht so ganz ernst nehmen. Dass muss man auch “Ich kann nur den Refrain” zugutehalten. Denn das passt zum Glück nicht auf die Wise Guys selbst: “Ich kann nur den Refrain, die Strophen sind zu schwer” heißt es da, “den Rest krieg ich nicht hin, weil ich mit den Strophen einfach überfordert bin” — davon ist das Quintett wahrlich weit entfernt. Aber das ist noch kein Grund zum Jubeln: Nuancen fehlen auch hier, und nicht nur in der Strophe. Inhaltlich, kompositorisch und leider auch stimmlich bleiben die 16 Songs der “Achterbahn” schließlich doch reichlich eindimensional. Die Wise Guys sind stolz darauf, das erste Mal ein Album komplett in Eigenregie produziert zu haben — aber ob das so eine gute Idee war? Etwas Input von außen hätte vielleicht nicht geschadet, etwas mehr Adrenalin wäre sicher kein Fehler gewesen. So ist das nämlich eher ein Kinderkarussell als eine Achterbahn.
Wise Guys: Achterbahn. Polydor. CD 2014.
— Zuerst erschienen in Chorzeit — Das Vokalmagazin, Ausgabe Oktober 2014.
Fünf Männer alleine in einer italienischen Renaissance-Villa: Selbstverständlich fangen die an zu singen. Ganz stilecht ertönen dort natürlich Madrigale des 16. Jahrhundert, wie es zur Bauzeit der Villa Godi von Antonio Palladio, die der Filmemacher Günter Atteln mitsamt ihrem Park als Drehort für den Musikfilm gewählt hat, passt.
“The Book of Madrigals”: Der Titel der ersten eigenen DVD des Ensemble Amarcord (neben der bereits 2010 veröffentlichten Dokumentation von Christoph Scholtz) lehnt sich natürlich an die gleichnamig Aufnahme des Quintetts von 2007 an, ohne jedoch das selbe Repertoire aufzuweisen — immerhin hat seitdem auch der zweite Tenor gewechselt. Aufnahme- und Repertoire-Erfahrung hat das Quintett, das merkt man, genau wie die lange Routine (das Ensemble singt ja schon seit mehr als zwanzig Jahren), auch wenn dies ihre erste Aufnahme bewegter Bilder ist. So arg bewegt sind die dann aber doch nicht: Drei bis fünf Männer sitzen oder stehen in dem alten Gemäuer herum und singen, ab und an unterstützt von der Gambistin Hille Perl, dem Lautenisten (und Gitarristen) Lee Santana und dem Trommler Michael Metzler. Viel mehr passiert in den minimal angedeuteten Szenen nicht. Die pittoreske Umgebung (und die wechselnde Garderobe) sorgt trotzdem für nette Bilder. Vor allem gibt sie der Kamera die Möglichkeit, durch den Park oder über die schönen Wand- und Deckenmalereien zu schweifen. Das Schönste bleibt dennoch die Tonspur dieser kleinen Europatour, mit der Amarcord die Ubiquität des Madrigals in der Renaissance betont: England — natürlich mit Dowland würdig vertreten -, Frankreich, Deutschland und Italien sind selbstverständlich dabei, mit di Lasso, Gesualdo, Gombert, Willaert und Schütz. Aber auch das Spanien des Goldenen Zeitalters gehört dazu, das mit zwei fast vulgären Madrigalen von Juan del Encina vertreten ist.
Viel bekanntes ist zu hören — das man aber nicht immer in so harmonisch austarierten Klängen geboten bekommt. Amarcord singt auch für den Film weich und geschmeidig, bleibt immer ausgewogen und klar in den Details — man merkt die lange Beschäftigung mit dieser Musik. Neben aller Kunstfertigkeit ist da durchaus auch Platz für mehr oder weniger deutliches Augenzwinkern und für possierliche Frivolitäten (die vor allem Juan del Encina beisteuert), die sich dann nicht nur hören lassen, sondern auch in der Mimik der Sänger sichtbar werden. Und das gehört ja ja genauso zur Geschichte des Madrigals wie die jauchzenden Liebesbeschwörungen oder wehmütige Blick zurück, das vom Abschiedsschmerz verschleierte Gedenken an die schöneren Tage und die vergangene Liebe (nahezu perfekt führt Amarcord das in Gomberts “Trist départ” vor), bei denen die Sänger schauspielerisch zurückhaltender agieren.
Nicht nur singend, auch in den kurzen Interviewschnipseln betonen die Sänger die überzeitliche Gültigkeit der hier in Musik gefassten Gefühle und Ideen, machen aber nicht wie die Kings’ Singers mit ihrer “Madrigal History Tour” eine klingende Vorlesung daraus. Dazu passt auch, dass die Untertitel leider nur die übersetzten Texte bieten: “The Book of Madrigals” ist eben vor allem ein Film zur Musik.
Amarcord: The Book of Madrigals. DVD 2014.
— Zuerst erschienen in Chorzeit — Das Vokalmagazin, Ausgabe September 2014.
Im Februar hatte ich die Gelegenheit, mich sehr nett mit den vier Sängern von Maybebop zu unterhalten. Das leider um einiges gekürzte Interview erschien in der März-Ausgabe von “Chorzeit — Das Vokalmagazin”.
Sechs Konzerte, sieben Workshops und neun Shows auf der Musikmesse NAMM in Los Angeles haben Maybebop auf ihrer USA-Tournee absolviert. Nach ihrem ersten Konzert in Deutschland mit ihrem Programm „Weniger sind mehr“ in Bad Vilbel hat sich das Quartett Zeit genommen, mit der „Chorzeit“ über ihre Erfahrungen in Amerika, die deutsche A‑Cappella-Szene und ihren Anteil an den Entwicklungen der letzten Jahre zu sprechen.
Ihr seid gerade von eurer ersten Amerika-Tournee zurück gekommen. Wie waren eure Erfahrungen dort?
Lukas: In den USA sind die Menschen viel offener a‑cappella und dem Gesang gegenüber. Die Scheu vor dem Singen ist nicht so groß, der Charme von Chören ist in Deutschland dagegen doch etwas verstaubt.
Sebastian: In Amerika war das viel positiver: Ihr singt? — OK, dann singt doch mal.
Wie kommt denn deutscher A‑Cappella-Gesang beim amerikanischen Publikum an?
Oliver: Das war aufregend und eine tolle Erfahrung für uns: Wir haben englisch moderiert und wir haben gemerkt, das funktioniert und unser Humor transportiert sich. Das Programm bestand aus englischen Covers aus unserem Repertoire, auch deutsche Stücke und Volkslieder — so ein bisschen deutsche Tradtion — und auch eigene Stücke von uns, die wir uns übersetzen haben lassen.
Habt ihr auch Kontakte zur amerikanischen a‑cappella-Szene geknüpft?
Lukas: Natürlich, vor allem auf persönlicher Ebene, aber auch schon im Vorfeld, weil die globale A‑Cappella-Community in den USA organisiert ist und sich dort alles sammelt. Im Gegensatz zu Deutschland sitzt in Amerika sehr wenig Geld in der Vokalszene, dafür aber sehr viel Enthusiasmus und eine große Bereitschaft, auch ohne Geld zu arbeiten.
Wie habt ihr die amerikanische Szene wahrgenommen?
Jan: Das ist ganz anders als in Deutschland: In Amerika ist es selbstverständlich, wenn man an der Highschool oder an einer Universität ist, dass man in einem a‑cappella-Ensemble oder in Chören singt. Diese Szene, die semiprofessionelle und die Laienszene, ist an den Universitäten und den Schulen schon seit ganz langer Zeit total verankert. Dass es selbstverständlich ist, dass es an Universitäten mehrere Chöre und Ensembles gibt — das fanden wir ganz beeindruckend. Da bilden sich ganz viele Ensembles, das ist total geil. Und es wird einfach wahnsinnig viel gesungen.
Lukas: Aber da wir auf keinem Festival waren, haben wir keine amerikanischen Ensembles entdeckt. Wir waren selbst die Entdeckung für die Amerikaner — hoffentlich …
Gestern habt ihr euer erstes Konzert wieder in Deutschland gesungen: Wie fühlt es sich an?
Lukas: Es war tatsächlich ein bisschen aufregend, weil wir ja auch nach zwei Monaten das erste Mal wieder ins Tagesgeschäft kamen. Ob das noch so alles funktioniert, das war schon spannend. Und ich hatte das Gefühl, dass wir reifer geworden sind mit den Erfahrungen aus den USA.
Jan: Vor allem haben wir uns total gefreut, dass man wieder ein Publikum vor der Nase hat, für das man ein Gefühl, wo man weiß, wie die Witze funktionieren und nicht so tasten muss.
Und wie seht ihr den Boom der deutschen a‑cappella-Szene?
Lukas: Wir verfolgen das natürlich. Es gab schon mal einen Boom neuer Gruppen, der war vor ein paar Jahren wieder weg, und jetzt ist er wieder da. Wir sind da — ganz uneitel gesagt — vielleicht auch nicht ganz unbeteiligt daran.
Jan: Vor allem sehen wir natürlich, dass junge Leute auf den Konzerten sind und sich in den letzten Jahren so einige junge Ensembles bemerkbar gemacht haben, die dann auf einmal da waren, wie etwa Highfive, anders oder Delta Q: Da kommen einige, die jetzt so in den semiprofessionellen Bereich vordringen. Das ist auf jeden Fall ein Trend. Vor ein paar Jahren, da haben wir gesagt: Mann, es kommt gar nix nach, es passiert nichts in der Szene. Und dann fing es auf einmal wieder an. Dann kamen Gruppen, die im Foyer nach unserem Konzert was gesungen haben, wo wir einfach baff waren.
Lukas: Was wir nicht so mitkriegen, ist die gesamte Breite. Wir bekommen vor allem die Spitze von den jungen Ensembles mit, die sich trauen, was zu veröffentlichen, uns was zu schicken.
Seht ihr da neue Trends bei den jungen Ensembles?
Oliver: Ganz auffällig ist gerade, dass die Gruppen, die jetzt entstehen, sich dadurch auszeichnen, dass sie eigene Stücke singen. A‑Cappella war bis vor fünf Jahren noch festgelegt auf entweder lustig oder Stücke nachsingen. Und die neuen Gruppen, die jetzt entstehen, die machen Musik und drücken sich mit eigenen Texten aus. Das finde ich total bemerkenswert: A‑Cappella wird jetzt so langsam erwachsen. Man spielt jetzt nicht mehr in einer Band, sondern ich kann auch a‑cappella singen und mein Zeug machen.
Bei der BERvokal hatten wir einen Abend Open-Stage, wo jeder auf die Bühne konnte, der wollte — und da sind wir beinahe hintenüber gekippt: Eine Gruppe nach der anderen kommt da auf die Bühne und singt ein eigenes Lied. Fanden wir total abgefahren und neu. Oder auch Gruppen, die jetzt erfolgreich sind, wie JuiceBox. oder OnAir, die einfach nur Musik machen. Das gab’s vorher so noch nicht.
Lukas: Und wenn deutsche Gruppen es jetzt schaffen, das zu verbinden, das Unterhaltsame mit der Musik, dann ist das was wirklich tolles und ein riesen Ding. Musik gibt es im a‑cappella-Bereich überall auf der Welt auch, Witzigkeit in a‑cappella gibt es nur in Deutschland.
Ihr habt ja im letzten Jahr mit BERvokal sogar ein Festival gegründet …
Lukas: Ja, das habe ich mit Felix (unter anderem unser Choreograph) angefangen. Das ist ja auch auf junge gute Gruppen gemünzt. Und Berlin brauchte das. Da ist bisher jedes a‑cappella-Festival gescheitert, das ist ganz schweres Pflaster. Aber das hat mich angespornt. Ich wollte einfach einen deutlichen vokalen Schwerpunkt nach Berlin bekommen und vor allem auch die jungen Gruppen fördern, dass die ein Forum haben. Nach dem Vorbild der voc.cologne, aber offen für alle junge talentierten Gruppen, die Luft nach oben haben und denen man viel beibringen kann.
Wie schätzt ihr den euren Einfluss auf diese Entwicklung ein?
Jan: Uns gibt es jetzt seit zwölf Jahren — sicher hat man da seinen Einfluss. Oliver hat als Arrangeur auch ganz bestimmt seinen Einfluss in der deutschen Chor- und a‑cappella-Szene genommen. Und wir als Gruppe haben bestimmt auch eine Art Vorreiterrolle, was die eigene Musik angeht.
Und eure Musik kann ja jeder singen, ihr verkauft eure Arrangements inzwischen auch als Songbooks?
Jan: Das haben wir gemacht, weil einfach viele Leute danach fragen. Unsere Sätze sind ja nicht leicht und speziell auf uns zugeschnitten, insofern freuen wir uns über jeden, der das schafft.
Oliver: Aber wir haben auch vereinfachte Sätze für Chöre dabei, die für SATB natürlich angepasst sind. Und wir freuen uns einfach immer, wenn unsere Musik gesungen wird — egal von wem.
Ihr seid auch als professionelles Ensemble noch Mitglied im Chorverband. Warum?
Sebastian: Wir wollen die Leute ja zum Singen bringen. Nicht umsonst haben wir viele Jahre Schulworkshops gegeben und geben immer noch Chorworkshops. Wir wollen den Leuten zeigen, dass Sänger ein Beruf ist, der Spaß macht und von dem man leben kann. Und wir wollen die Chorsänger einfach noch so ein bisschen kitzeln. Wir haben im Chorbereich ja auch eine gewisse Prominenz, da muss man einfach Zeichen setzen: Leute, kommt in den Chor, der Chorverband ist nicht nur eine verstaubte Institution.
Jan: Und das ist einfach unsere Szene, in der wir uns bewegen, wir sind ja alle auch richtige Chorgewächse.
Und ihr seid jetzt mit mehreren Sätzen in der Literaturauswahl des Chorwettbewers vertreten.
Oliver: Das ist natürlich toll und freut uns sehr, wenn unsere Musik diese Schätzung erfährt. Das passiert inzwischen auch woanders: “Engel” war sogar mal Bestandteil des bayerischen Abiturs, und “Gummibaum” wurde in ein Schulbuch aufgenommen. Wir schreiben uns ja auf die Fahne, immer auch Volkslieder zu singen und sozusagen der deutschen Kultur Raum zu geben. Da passt es ganz gut, dass Arrangements wie “O Täler weit” und “Die Gedanken sind frei” in die Liste aufgenommen wurden.
Jan: Wir schauen ja immer, was kann man noch machen, was haben andere noch nicht gemacht? Denn es ist immer schön, was Neues zu machen, weil es auch frisch hält. Und wir haben das Ziel, uns alle zwei Jahre neu zu erfinden.
— Zuerst erschienen in Chorzeit — Das Vokalmagazin, Ausgabe März 2014.
So klingt übrigens Maybebop — zum Beispiel bei Oliver Gies’ Arrangement von “O Täler weit”:
Für den Sommerhit sind sie dann doch zu spät. Schade, denn „Im Moment ist alles richtig“ hätte dafür Potenzial gehabt. Auch sonst bleibt Maybebop strikt auf Hitkurs. „Weniger sind mehr“ haben die Niedersachsen ihr neuestes Album betitelt. Und das bezieht sich zum Glück nicht auf die Besetzung: Maybebop ist immer noch ein Quartett, wie schon seit gut 20 Jahren. Mit ihrer ersten CD bei Warner sind sie jetzt noch ein bisschen Mainstream-tauglicher geworden. Und auch etwas glatter: Das ist hervorragend gemachter, Radio-tauglicher Pop, der sich mehr als früher an den Wise Guys orientiert.
Schon beim ersten Hören fällt auf: Das Essen treibt sie irgendwie besonders um, besonders der Konsum von Fleisch — den sie nur halb im Spaß gerne durch Insekten ersetzen möchten. Aber gerade die bemüht politischen Texte sind eher die schwächeren der CD — auch musikalisch glänzen diese Lieder nicht besonders. Dafür gibt es woanders auf „Weniger sind mehr“ aber wieder Entschädigung: Neben dem mitreißenden „Im Moment ist alles richtig“ ist der titelgebende Song am Ende der CD noch einmal (zumindest musikalisch) ein echtes Highlight. Am kunstvollsten ist aber das Arrangement von Schuberts Erlkönig – den erkennt man kaum wieder. Was aber überhaupt nicht gegen die Bearbeitung von Oliver Gies spricht, im Gegenteil: Auch wenn das kaum zum Mainstream-Pop des Rests passt, ist das doch gewitzt und intensiv in seiner Emotionalität.
Anderes ist weniger überzeugend. „Nimm mich mit“ etwa kann vor Kraft nicht mehr laufen: Weil keiner der vier weiß, wohin mit der (allerdings auch technisch kräftig aufgepäppelten) Stimmkraft, hängt das alles im Gummiklang. Leider sind die vier Sänger sowieso alles andere als zurückhaltend mit der Studioklangelektronik — dadurch verliert der Maybebop-Klang einiges von seinem Charme. Andererseits bekommen Songs wie „Was ist mit der Liebe“ so ordentlich Druck, den das Quartett geschickt und ausgesprochen klangspielerisch nutzt. Gekonnt aufgegriffene Klischees und spielerisch-subversive Referenzen an die Romanze machen auch den “Liebesbrief” zu einem echten Kleinod: Ein herrliches Bass-Solo mit Hintergrund-Gesäusel aus den drei Samtkehlen der restlichen Maybebopper. Vielfalt bleibt also Maybebop-Programm, auch auf „Weniger sind mehr“.
(geschrieben für die Neue Chorzeit.)
crazy. und cool:
gibt es auch “klassisch”:
Die wunderbaren Sängerinnen und Sänger von “Postyr Project” haben einen neuen Song veröffentlich — natürlich auf YouTube (mit itunes kann ich ja nix anfangen): My Future Self. Nettes Video auch.
Jeder neuen CD des Jazzchor Freiburg wird mit Spannung und Vorfreude entgegengefiebert, die Erwartungen sind hoch. Und die 11 Songs von “A Cappella” enttäuschen sicher niemand — auch wenn der Jazzchor hier das erste Mal pur zu hören ist, ganz ohne instrumentale Rhythmusgruppe. Das beginnt schon mit dem klangmächtigen Start des Titelsongs, “A Cappella”. Mit stark gefeaturter Beatbox von Julian Knörzer — der wird noch öfters begegnen — ist das ein pefekter Opener für die bunte Mischung dieser CD.
Denn nicht nur der erste Titel, sondern das ganze Album ist perfekte Werbung für den Jazzchor (und nicht nur für die Freiburger): Wer hier nichts findet, ist für diese Musik wohl verloren. Aber die CD ist dabei auch ungeheuer disparat. Alle drei bis vier Minuten kommt völlig andere Musik aus den Lautsprechern. Auf das weiche, warme “In Person” zum Beispiel folgt nahtlos “A May Song” von Bertrand Gröger eine ausgesprochen raffinierte vokale Spielerei, bevor es mit “Shiny Stockings” zum klassischen Swing wechselt: Gerade das ist durchaus grandios in seiner Makellosigkeit und wunderbar inspirierend. Überhaupt nutzen die Arrangemens die Fähigkeiten des Jazzchores sehr gut. Die ekletische Stilmischung ist nämlich als Leistungsausweis sehr geeignet und wartet mit zahllosen faszinierenden Momenten auf. Und bleibt dabei doch auch ungeheuer verspielt: Das hat oft etwas sehr unmittelbar begeistertes — fast scheint es, als wolle der Chor ausprobieren, was er noch alles kann (und das ist viel). “Cute” mischt etwa schön einen alten Big-Band-Hit von Neal Hefti mit Beatbox-Elementen, einem druckvollen Chor und spannendem Scat-Solo von Larry Browne, während Piazzollas Tango “La Muerte del Angel” zu einer veritablen Chor-Etüde wird, die man durchs Tanzen überhaupt nicht entehren will.
Auch die afrikanische Einflüsse machen sich nicht nur in Grögers “African Call” mehr als deutlich bemerkbar — selbst im Happy Birthday scheinen sie durch. Aber das Arrangement von Klaus Frech ist sowieso sehr frei — und überraschend spannend, auch weil der Text vollkommen ersetzt wurde. Doch das Beste kommt erst ganz am Schluss: Eine wunderbare Version des Beatles-Song “Good Night” — scharf am Kitsch entlang balancierend, aber von Betrand Gröger mit souveräner Hand arrangiert und dirigiert, vom Jazzchor Freiburg ganz wie gewohnt tadellos gesungen, zeigt das fast wie ein Fazit noch einmal, warum der Jazzchor Freiburg immer noch und immer wieder Standards setzt.
Jazzchor Freiburg: A Cappella. 2012. Jazzhaus Records JHR 055.
(geschrieben für die Neue Chorzeit.)
Ein Meisterstück: The King’s Singers, Masterpiece
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