Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: 17. jahrhundert

Ins Netz gegangen (10.11.)

Ins Netz gegan­gen am 10.11.:

  • Fausts Erlö­sung — NZZ — hans belt­ing über eine mögliche quelle für den schluss von goethens faust II: die six­tinis­che madon­na raf­faels

    Fausts Erlö­sung ereignet sich allein in der Kun­st, in diesem Fall in der Poe­sie. Goethe redet zwar von «Ret­tung» und «Erlö­sung», aber die Engel deuten in dem zitierten Dop­pelzeil­er eine Selb­ster­lö­sung an. Auch die «Six­tinis­che Madon­na» wurde von den meis­ten nur im Muse­um und dort als Exem­plum der Kun­st aufge­fasst. Goethe führt die roman­tis­che Kun­stre­li­gion, ger­ade in ihren religiösen Nei­gun­gen, auf ihren ästhetis­chen Sinn zurück.
    […] Die verdeck­te Bild­be­tra­ch­tung wird bei Goethe zu ein­er Bilderfind­ung, die sich von der «Six­tinis­chen Madon­na» löst. Sie lebt von der Erken­nt­nis, dass man nur noch in Bildern reden kann, wenn es um let­zte Dinge geht.

  • Zum Tod des His­torik­ers Hans Momm­sen: Die Analyse der deutschen Katas­tro­phe — NZZ-Feuil­leton — nachruf von christoph jahr:

    Momm­sen repräsen­tierte jene west­deutsche His­torik­er­gen­er­a­tion, die in der sozial­lib­eralen Ära nicht nur die Geschichtswis­senschaft für neue Fra­gen und Meth­o­d­en öffnete, son­dern auch die akademis­chen Bil­dungswege für bre­it­ere Gesellschaftss­chicht­en.

  • Lit­er­atur als Kasper­lethe­ater: Das belei­digte Quar­tett — literaturcafe.de — wolf­gang tis­ch­er war auch mit der zweit­en aus­gabe des neuen lit­er­arischen quar­tetts nicht zufrieden (das ist noch pos­i­tiv gesagt …) und ver­mis­ste vor allem die lit­er­aturkri­tik:

    Selb­st auf Lovely­books wird ein kitschiger Liebesro­man ern­sthafter disku­tiert, als es die Schmol­l­lip­pi­gen über ihre Büch­er im Quar­tett vor­führen.

  • Johannes Tuchel zum The­ma Stolper­steine: „Erin­nerung mit Zwang funk­tion­iert nicht“ -

    Gedenken kann immer nur dezen­tral funk­tion­ieren. Es kann nur funk­tion­ieren, wenn wir uns wirk­lich erin­nern wollen. Und es kann nie nur über ein Medi­um funk­tion­ieren. Es muss kün­st­lerische For­men der Erin­nerung eben­so geben wie his­torische Gedenk­tafeln.

  • Unde­liv­ered let­ters shed light on 17th-cen­tu­ry soci­ety | World news | The Guardian — sehr cool: eine samm­lung teil­weis­er ungeöffneter briefe aus dem 17. jahrhun­dert aus den nieder­lan­den wird unter­sucht und aus­gew­ertet — eine wahre fund­grube für his­torik­er etc.
  • Ulrich Her­bert würdigt Hans Momm­sen: Licht ins Halb­dunkel der poli­tis­chen Wil­lens­bil­dung — Feuil­leton — FAZ -

    Hans Momm­sen war fast fün­fzig Jahre lang ein­er der ein­flussre­ich­sten Zei­this­torik­er in Deutsch­land und ein­er der weni­gen, dessen Arbeit­en weltweite Ver­bre­itung fan­den. Fast die gesamte Forschung zur Weimar­er Repub­lik und zur Geschichte des Nation­al­sozial­is­mus fußt in der einen oder anderen Weise auf seinen Arbeit­en.

  • Louis Althuss­er ǀ Der große Abwe­sende — der Fre­itag — schöne erin­nerung an den großen/vergessenen philosophen louis althuss­er

Konsum

Haben’s gekauft, es freut sie baß;
Eh man’s denkt, so betrübt sie das.

Willst du nichts Unnützes kaufen,
Mußt du nicht auf den Jahrmakrt laufen.Johann Wolf­gang Goethe, Sprich­wörtlich

Ins Netz gegangen (7.4.)

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  • christian2 | Pro­jek­tbeschrei­bung — an der hab wolfen­büt­tel wird ein fürstlich­es tage­buch aus dem 17. jahrhun­dert ediert:

    Die dig­i­tale Edi­tion der Tage­büch­er des reformierten Fürsten Chris­t­ian II. von Anhalt-Bern­burg (1599–1656) aus dem Zeitraum von 1621 bis 1656 erschließt einen quan­ti­ta­tiv wie qual­i­ta­tiv ganz einzi­gar­ti­gen Brenn­spiegel der deutschen und europäis­chen Geschichte sowie der vielfältig­sten Diskurse während der ersten Hälfte des 17. Jahrhun­derts. Darüber hin­aus weist die Quelle einen außergewöhn­lich hohen Anteil an ver­bal­isiert­er zeit­genös­sis­ch­er Sub­jek­tiv­ität auf, der dem Text stel­len­weise sog­ar lit­er­arische Qual­ität ver­lei­ht. Die trans­diszi­plinäre Bedeu­tung des Werkes bet­tet sich in eine Vielzahl von Forschungsin­ter­essen und ‑kon­tex­ten ein. Dazu zählen nicht nur die jüng­sten Unter­suchun­gen zur klas­sis­chen Poli­tik- und Mil­itärgeschichte, zu früh­neuzeitlichen Selb­stzeug­nis­sen, zur Sozial‑, All­t­ags- und Geschlechtergeschichte, zur Kon­fes­sion­al­isierung, zu ver­schiede­nen Aspek­ten des Dreißigjähri­gen Krieges, zur Hof- und Adels­forschung oder zur Sprach‑, Lit­er­atur- und all­ge­meinen Kul­turgeschichte, son­dern auch zu The­men wie der Geschichte der Emo­tio­nen und des Traumes in jen­er Epoche. Als eine den gegen­wär­ti­gen wis­senschaftlichen Stan­dards entsprechende dig­i­tale Edi­tion wird sie den ver­schieden­sten Forschungsper­spek­tiv­en eine Vielzahl von Anknüp­fungspunk­ten bieten kön­nen.
    Das in quan­ti­ta­tiv­er wie qual­i­ta­tiv­er Hin­sicht unübertrof­fene, im Lan­deshauptarchiv Dessau-Roßlau auf­be­wahrte Diar­i­um beste­ht aus 23 Bän­den mit unge­fähr 17.400 größ­ten­teils eigen­händig in deutsch­er (ca. 87%), franzö­sis­ch­er (ca. 11%), ital­ienis­ch­er (ca. 1%), lateinis­ch­er, spanis­ch­er und nieder­ländis­ch­er Sprache beschriebe­nen Seit­en.

    das ist ein ziem­lich aufwendi­ges, großes und langes pro­jekt:

    Das auf 12 Jahre angelegte DFG-Pro­jekt begin­nt mit ein­er drei­jähri­gen Pilot­phase, inner­halb welch­er zunächst die knapp 1.500 Seit­en umfassende Peri­ode vom Jan­u­ar 1635 bis August 1637 tran­skri­biert und veröf­fentlicht wird. Deren beson­ders dichte und viel­seit­ige Nieder­schriften stellen ein geeignetes Feld zur Bewährung und Justierung der edi­torischen Grund­satzentschei­dun­gen hin­sichtlich der Wieder­gabe und Kom­men­tierungstiefe der Texte in den Gren­zen des zeitlich Möglichen dar. Außer­dem ver­sprechen sie einen Ertrag, der par­a­dig­ma­tisch die wis­senschaftliche Bedeu­tung des gesamten Fürstent­age­buch­es zeigt.

  • Ver­schol­lene Büch­er zum Ersten Weltkrieg ent­deckt — georg giers­berg erzählt in der faz (etwas wirr) die geschichte der offiz­iösen wirtschafts­geschichte des ersten weltkrieges aus den zwis­chenkriegs­jahren nach, die offen­bar so brisant war, dass die veröf­fentlichung damals nach dem druck unter­sagt wurde und die entsprechen­den stu­di­en (fast) ver­schwun­den sind
  • Bruck­n­er Online — das bruck­n­er-archiv hat was online gestellt:

    bruckner-online.at ist ein umfan­gre­ich angelegtes Anton Bruck­n­er-Inter­net­por­tal (Webarchiv), in dem neben der elek­tro­n­is­chen Doku­men­ta­tion hand­schriftlicher Quellen auch Kom­po­si­tio­nen, rel­e­vante Per­so­n­en und Orte enthal­ten sind. Zudem wer­den von allen Hand­schriften, Erst­druck­en und der Alten Gesam­taus­gabe voll­ständi­ge Dig­i­tal­isate zur Ver­fü­gung gestellt.

  • David Gar­rett: Habt mich bitte lieb! | ZEIT ONLINE — julia spin­o­la hat sich david gar­ret mit den brahmssonat­en ange­hört und war nicht begeis­tert. deshalb schreibt sie einen erstk­las­si­gen ver­riss:

    David Gar­rett will endlich wieder als ser­iös­er Musik­er ver­standen wer­den und geht mit den Vio­lin­sonat­en von Johannes Brahms auf Tournee

    sehr amüsant auch die leserin­nen­stim­men — unter den fan­boys und ‑girls find­en sich so ziem­lich alle pseudoar­gu­mente gegen kri­tik, die seit jahrhun­derten wider­legt sind … (und viel hass auf jeman­den, der ihr idol nicht vergöt­tert) — sehr amüsant …

  • Vom Mythos der tech­nis­chen Insti­tu­tion « Michalis Pan­telouris — michalis pan­telouris liefert ein paar hin­ter­gründe zu legit­i­ma­tion, zie­len und prob­le­men (u.a. demokrati­ethe­o­retis­che, von den ökonomis­chen ganz abge­se­hen) der teil­nehmer der “troi­ka”:

    Poli­tis­che Insti­tu­tio­nen sind niemals ein­fach tech­nisch, aber die hierzu­lande weit­ge­hend unkri­tis­che Darstel­lung der Troi­ka-Insti­tu­tio­nen als solche, die ein­fach nur die Ein­hal­tung von bere­its aus­ge­han­del­ten Verträ­gen überwachen sorgt dafür, dass jed­er ihr Wider­sprechende automa­tisch als Ver­trags­brech­er wahrgenom­men wer­den muss. Das ist es, was viele Medi­en mit der neuen griechis­chen Regierung machen: Um eine Diskus­sion um ihre Poli­tik zu ver­mei­den, ziehen sie die Diskus­sion ins Unpoli­tis­che, ins Tech­nis­che: Verträge sind einzuhal­ten; Die Regierung ist inkom­pe­tent (was man poli­tisch ja kaum sein kann); Sie wollen “Refor­men zurück­drehen”.
    Die Wahrheit ist eine andere: Die Troi­ka hat eine Poli­tik vertreten, eine Ide­olo­gie, die in Wahrheit nir­gends in Europa eine Mehrheit hat. Es gibt auch in Deutsch­land keine neolib­erale Mehrheit. Es sind zwei unter­schiedliche Dinge, ob man auf die Ein­hal­tung von Verträ­gen pocht, oder ob man einem anderen Land eine Poli­tik aufzwingt, und dann eine, die ganz expliz­it von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Mit dem Mythos der rein tech­nis­chen Ein­griffe wird die Abschaf­fung der Demokratie ver­schleiert.

  • Grabun­gen in der St. Johan­niskirche in Mainz — markus schug über die spek­takulären aus­grabun­gen unter der johan­niskirche in mainz, wo schon zu merowinigis­ch­er zeit eine große kirche stand …
  • Peti­tio­nen: Peti­tion 58168 — eine wun­der­bare peti­tion (die sich­er erfol­g­los bleiben wird, aber trotz­dem — im sinne der bewusst­seins­bil­dung — notwendig ist): Der Deutsche Bun­destag möge beschließen, dass homöopathis­che Behand­lungsmeth­o­d­en nicht mehr als Satzungsleis­tung von geset­zlichen Krankenkassen gezahlt wer­den dür­fen. — das ist übri­gens schon der gesamte text der peti­tion.
  • Klage gegen Kruz­i­fix-Pflicht in Bay­ern: Karl­sruhe vertrödelt heik­les Urteil — taz.de — hört sich sehr pein­lich & feige an, wie das bun­desver­fas­sungs­gericht unter voßkuh­le & müller mit dieser klage umge­ht
  • Ein­führung in den Fefis­mus. | H I E R — mspr0 erk­lärt fefe (und den “fefis­mus”) und rech­net gle­icht mit ihm ab — und ver­bal­isiert damit ziem­lich genau mein eigenes unbe­ha­gen mit fefe …

    Fefe ist mehr als der Men­sch, es ist mehr als das Blog. Zusam­men mit seinem Leser­mob ist es eine Has­s­mas­chine. Diese Shit­stormkul­tur gegen alles, was ihnen Fremd ist, ist kaum noch ohne God­wingepulle zu beschreiben.[…] Die Nerd­szene lei­det extrem unter dem Fefis­mus. Es wird Zeit, dass es in ihr zu ein­er Form der Selb­staufk­lärung kommt. Ne…

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  • [tore­ad] Verkehr — Aufge­sat­telt und … aus­ge­bremst — Schönes Fea­ture von Car­olin Nokel bei Deutsch­landra­dio Kul­tur über Fahrad­fahren und Verkehr in der Stadt

    Rad­fahren ist gesund, verur­sacht keine Abgase und keinen Lärm. Doch Aut­o­fahrer dominieren den Verkehr, die Autolob­by die Verkehrs- und Steuer­poli­tik. Fahrrad­fre­undlichkeit zieht in den meis­ten Kom­munen und Großstädten nur im Sch­neck­en­tem­po ein.

  • Lokal? Egal! | Jak­Blog — Chris­t­ian Jaku­betz über­legt, was die momen­ta­nen Verän­derun­gen auf dem Lokaljour­nal­is­mus­markt für Gründe und Auswirkun­gen haben kön­nten:

    Tat­säch­lich gibt es keine Medi­en­gat­tung, bei der Anspruch, Wahrnehmung und Wirk­lichkeit so weit auseinan­der klaf­fen wie im Lokalen. Nie­mand käme the­o­retisch auf die Idee, Lokaljour­nal­is­mus für über­flüs­sig erk­lären zu wollen. […] Und was, wenn sich irgend­wann her­ausstellt, dass eine junge Gen­er­a­tion, die in ein­er glob­al-dig­i­tal­en Welt aufgewach­sen i…

  • (500) http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/zeitgenossen/swr2-zeitgenossen-steffen-popp-huchel-preistraeger-2014/-/id=660664/did=12929790/nid=660664/3r4u20/index.html — »Wenn man etwas erre­ichen will im Gedicht, nützt es nicht, es auszus­prechen.« (Stef­fen Popp)
  • Krim­i­nolo­gin über den „Islam-Rabatt“: „Ehren­morde wer­den härter bestraft“ — taz.deKön­nen mus­lim­is­che Täter vor deutschen Gericht­en mit Nach­sicht rech­nen? Eine Kri­monolo­gin im Inter­view
  • Research Frag­ments: Visu­al­iz­ing the sev­en­teenth cen­tu­ry — Die deutsche Buch­pro­duk­tion im 17. Jahrhun­dert (wie sie sich in den momen­tan vorhan­de­nen VD17-Dat­en spiegelt): Mit schön­er Delle im Dreißigjähri­gen Krieg
  • [tore­ad] My Night in Soli­tary — NYTimes.com -

    If an inmate acts up, we slam a steel door on him. Ad Seg allows a prison to run more effi­cient­ly for a peri­od of time, but by plac­ing a dif­fi­cult offend­er in iso­la­tion you have not solved the prob­lem — only delayed or more like­ly exac­er­bat­ed it, not only for the prison, but ulti­mate­ly for the pub­lic. Our job in cor­rec­tions is to pro­tect the com­mu­ni­ty, not to release peo­ple who are worse than they were when they came in.

  • Über­legun­gen zur gesellschaftlichen Rel­e­vanz vasal­li­tis­ch­er Beziehun­gen in der Karolingerzeit | Mit­te­lal­ter
  • 22. Flache Geschichte | Geschichte wird gemacht -

    Was solcher­art pro­duziert wird, ist eine flache Geschichte, die keine Winkel und Kan­ten hat, keinen Wider­stand bietet, son­dern prob­lem­los unseren Erwartun­gen unter­wor­fen wird. Geschichte wird zwei­di­men­sion­al. Das ist in etwa so, als wür­den wir die Vielfalt ein­er Land­schaft mit der Land­karte ver­wech­seln, die wir von ihr ange­fer­tigt haben. Flache Geschichte ist die bequeme Möglichkeit, sich von all den Kom­pliziertheit­en und Kom­plex­itäten zu ver­ab­schieden, die eine inten­sive (und damit …

  • Ham­burg­er Hedo­nis­ten ent­tar­nen sich: „Ein reines Schaus­piel“ — taz.de — Der “Pri­vat­dozent des Hedo­nis­tis­chen Inti­tuts für ange­wandte Pop­ulis­mus­forschung” in Ham­burg über Pop­ulis­mus und die Leichtigkeit, Medi­en zu manip­ulieren:

    Natür­lich ist es kein Grund zu tri­um­phieren, zu sehen, wie weit sich der Jour­nal­is­mus von ursprünglichen Ide­alen ent­fer­nt hat. Aber genau das woll­ten wir ja auch erre­ichen, mit ein­er hanebüch­enen Geschichte und abstrusen Falschbe­haup­tun­gen in die Medi­en zu kom­men. Es ist natür­lich auch ein Spiel, das Spaß macht, wenn man sich mit e…

  • Bayreuther Man­i­fest zu Recht und Moral — Die Beyreuther Juris­ten (?) schreiben ein Man­i­fest zum Zusam­men­hang von Recht und Moral und den notwendi­gen und gewün­scht­en Ver­hal­tensweisen einiger gesellschaftlich­er Akteure

    Wenn man aber wed­er ver­rechtlichen noch moral­isieren will, muss man die Ori­en­tierung der Moral am Recht und die moralis­che Verbindlichkeit des Rechts stärken. Recht und Moral betr­e­f­fen unter­schiedliche Gel­tungssphären, die nicht fusion­iert wer­den dür­fen, näm­lich die demokratis­che und die autonome Geset­zge­bung. …

Aus-Lese #9

Michael Wildt: Geschichte des Nation­al­sozial­is­mus. Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht 2008 (UTB Grund­kurs Neue Geschichte). 219 Seit­en.

Auf zwei­hun­dert Seit­en den Nation­al­sozial­is­mus abhan­deln: Das trauen sich wenige, und von denen gelingt es auch nur weni­gen. Wildt schafft das dur­chaus in ein­er sehr konzen­tri­erte, auf­fäl­lig konzisen und klaren Darstel­lung, die sich stark auf das Konzept oder Forschungspar­a­dig­ma der “Volks­ge­mein­schaft” stützt.

Zwei ide­ol­o­gis­che Momente des Nation­al­sozial­is­mus hebt er beson­ders her­vor: Leben­sraum und Anti­semitismus. Schwach bleibt er bei allem, was Organ­i­sa­tion und poli­tis­che, parteiliche wie staatliche Struk­turen ange­ht — die kom­men fast nicht vor. Lei­der fehlen auch ein Reg­is­ter und eine Zeittafel — wegen der Vielzahl hier angeris­sener the­ma­tis­ch­er Foki und Miniaturgeschicht­en, die sich chro­nol­o­gisch immer wieder über­lap­pen, wäre ger­ade das let­ztere eine hil­fre­ich Ergänzung. Gut gelun­gen ist in dieser gedrängten Form sicher­lich die Darstel­lung der nation­al­sozial­is­tis­chen Ide­olo­gie in der Verbindung von Rev­o­lu­tion und All­t­ag, Poli­tik und Wirtschaft. Wildt schildert dies unter dem Par­a­dig­ma der „Volks­ge­mein­schaft“, mit dem er ger­ade die Gle­ichzeit­igkeit von Inklu­sion und Exk­lu­sion gut deuten und schildern kann.

Dieses Par­a­dig­ma hil­ft sicher­lich viel beim Ver­ständ­nis des Nation­al­sozial­is­mus, macht an anderen Stellen die Darstel­lung aber zumin­d­est schwierig, wenn nicht unmöglich. Deut­lich wird das vor allem im drit­ten Kapi­tel, das dem Krieg, Ter­ror und Ver­nich­tung gewid­met ist, aber auch schon vorher: Wo es um das “Innere” des Deutschen Reichs geht, ist Wildt sehr konzise. In den außen­poli­tis­chen Teilen (oder bess­er: Abschnit­ten) und vor allem der Darstel­lung des/r Kriegs/e fehlt ihm teil­weise der innere Zusam­men­hang, die argu­men­ta­tive Logik und Strin­genz des zweit­en Kapi­tels.

Außer­dem sehr uner­freulich: Dass ein solch­es Buch, dass in einem renom­mierten Ver­lag wie Van­den­hoeck & Ruprecht erscheint, so viele auf­fäl­lige sprach­liche Fehler hat: Von manchen harten, ungeschick­ten For­mulieren abge­se­hen gibt es min­destens eine Hand­voll Sätze, deren Kon­struk­tion ungram­ma­tisch ist — in der Regel liegt das wohl an Über­ar­beitun­gen, die die Reste ein­er früheren Ver­sion nicht voll­ständig tilgte (da bleiben dann z.B. mal zwei Ver­ben im Satz ste­hen …). Doch davon darf man sich eben nicht stören lassen …

Nico Bleutge: fall­streifen. 2. Auflage. München: Beck 2009. 79 Seit­en.

Erkun­dung der Rän­der und Gren­zen, der Natur und der Erin­nerung: Wun­der­schöne kleine Gedichte sind im zweit­en Gedichte­band von Nico Bleutge zu find­en, viele — auswe­ich­lich der Anmerkung — inter­textuell zumin­d­est angeregt. Beobach­tun­gen des Moments zwichen Erin­nern und Vergessen, zwis­chen Erleben und Vergessen: Daraus schlägt Bleutge schöne, ein­drück­liche Bilder:

bewegte land­schaft. heute sind es die wolken, die
eine sichtlin­ie ziehen, quer über den him­mel (67)

Beson­ders ange­tan haben es ihm hier eben die Rän­der und Gren­zen, die vor allem als Ufer, Übergänge und Lin­ien immer wieder auf­tauchen.

… nah an den bruchkan­ten
der beschot­terungsrinne streck­en sich lärchen ent­lang
die das tal entzwei schnei­den, für den blick. und dahin­ter begin­nt
eine neue land­schaft
, wet­ter­zone von bräun­lichen feldern
mit fall­streifen … (57)

Und diese Linen wer­den begleit­et von den unsicht­baren Lin­ien, den Lin­ien der Erin­nerung, diesen haar­feinen Zeitlin­ien: “die rän­der ver­schieben sich täglich” (70)

das mis­cht sich, manch­mal, noch ins schauen
während die bilder, nachtschicht im genick
nur langsam ineinan­der­fließen
und von den fen­stern kommt das licht
verän­dert in den raum, und sinkt schon, sinkt
zurück. (mis­cht sich, 8)

Schön und inspiri­erend.

Balthasar Gra­cian: Han­do­rakel und Kun­st der Weltk­lugheit. Über­tra­gen von Arthur Schopen­hauer. Her­aus­gegeben und mit einem Nach­wort versehn von Otto Frei­her­rn von Taube. Frank­furt am Main: Insel 2009 [1653/]. 136 Seit­en.

Ein Buch voller Sen­ten­zen, eigentlich: Wie wird man ein geachteter, würdi­ger, ehren­voller und erfol­gre­ich­er Mann des 17. Jahrhun­derts? Durch Glück und Tal­ent, durch geschick­tes Tak­tieren und soziale Klugheit — am Stück kann man diese Überzahl der Maxi­men mit ihren kurzen Erk­lärun­gen kaum lesen, sie sind dann nicht (mehr) zu ertra­gen … Aber ken­nen muss man sie natür­lich schon.

Volk­er Braun: Die vier Werkzeug­mach­er. Frank­furt am Main: Suhrkamp 1996. 51 Seit­en.

Ich bin ja ein großer Bewun­der­er Volk­er Brauns. Auch diese kleine Erzäh­lung aus der Umbruch­szeit 1989/1990 über den Zusam­men­hang von Men­schheit, Arbeit und Geschichte ist ein kleines Juwel. Schon der Anfang, der erste, zweite, dritte Satz, ist ein­fach großar­tig:

Im Osten Deutsch­lands lebten vor der Wende nicht eben vergnügte und im ganzen geist­lose Leute, alle mit irgend­was bschäftigt, das sie nicht fro­her machte — Arbeit, die, obwohl alle an ihr beteiligt waren, wenig bewirk­te; und das war ihr Unglück; über das aber nicht gesprochen wurde in den Zeitun­gen und son­sti­gen Ver­all­ge­meinerun­gen der Regierung, die immer­fort Arbeit­skräfte suchte, Massen, um sie zu begeis­tern. […] So geschah es, daß sie aus Verzwei­flung oder son­steinem Humor, den sie behal­ten hat­ten, von selb­st auf die Straße gin­gen, wo sie am bre­itesten war, und bald einige, bald ihrer mehr durch die Innen­städte zogen, um sich über­haupt bemerk­bar zu machen. (9)

Klaus Beckmann sucht die Anfänge der Norddeutschen Orgelschule

Klaus Beck­mann, Ver­fass­er des unverzicht­baren „Reper­to­ri­um Orgel­musik“, hat im Schott-Ver­lag in den let­zten Jahren bere­its die umfan­gre­iche Rei­he „Meis­ter der Nord­deutschen Orgelschule“ her­aus­gegeben. Jet­zt legt er die the­o­retis­che bzw. musikgeschichtliche Ergänzung dazu vor: „Die Nord­deutsche Schule. Orgel­musik im protes­tantis­chen Nord­deutsch­land zwis­chen 1517 und 1755.“ Man darf also einiges erwarten. Zu sehr sollte man die Vor­freude allerd­ings nicht aus­reizen. Denn, soviel sei schon gesagt, bei allen Ver­di­en­sten, die dieses Buch aufweist, bleiben doch einige Lück­en offen. Das liegt natür­lich auch daran, dass bish­er nur der erste Teil der Unter­suchung vor­liegt: „Die Zeit der Grün­derväter“ betitelt, was den Zeitraum bis 1629 meint. Musikalisch wird es danach freilich erhe­blich inter­es­san­ter – aber hier sind eben die Anfänge der Nord­deutschen Orgelschule, hier sind die Voraus­set­zun­gen und Aus­gangspunk­te der eigen­ständi­gen Entwick­lung der Orgel­musik in den protes­tantis­chen Städten in Deutsch­lands Nor­den zu beobacht­en. Und darum kreist auch ein erhe­blich­er Teil dieses Buch­es: Die Bedin­gun­gen, unter denen damals über­haupt wie und welche Orgel gespielt wurde und wann und wie für die Orgel kom­poniert wurde.
Dazu liefert Beck­mann nicht nur einen knap­pen Abriss der Entwick­lun­gen des Orgel­baus in den Hans­es­tädten bis zum 16. Jahrhun­dert, er bietet vor allem eine Vielzahl Quellen zur
sozial­his­torischen Sit­u­a­tion, zu den geisti­gen und religiösten Umständten der frühen Ref­or­ma­tion, zu den von Ort zu Ort sich unter­schei­den­den Aus­tarierun­gen zwis­chen (lateinis­ch­er) Messtra­di­tion und refor­ma­torischem Gottes­di­enst. Ins­beson­dere die vielfach über­liefer­ten Kirchenord­nun­gen bieten ihm dafür Mate­r­i­al. Und dort wiederum ins­beson­dere, wo sie von der Situ­ierung der Orgel und des Organ­is­ten im protes­tantis­chen Gottes­di­enst sprechen: So weit sich das überblick­en lässt, sind es vor allem die Ves­pern, die Orgel­musik möglich macht­en. Und die geschah dort wiederum offen­bar in ver­schiede­nen Funk­tio­nen: Der Organ­ist kon­nte intonierend oder alternierend mit dem Chor musizieren, er kon­nte diesen voll­ständig sub­sti­tu­ieren oder auch col­la parte spie­len. Hier ist die Quel­len­lage im Einzel­nen aber immer noch dünn. Die Kirchenord­nun­gen geben für diese Details näm­lich oft nur wenig her – für die gottes­di­en­stliche Prax­is ist auch Beck­mann immer noch auf Ver­mu­tun­gen angewiesen – durch­weg plau­si­ble allerd­ings.
Aus diesen Voraus­set­zun­gen rekon­stru­iert er dann später auch den Ort bzw. Anlass der über­liefer­ten Kom­po­si­tio­nen und entsprechend auch eine typ­isierende Kat­e­gorisierung. Beck­mann legt großen Wert darauf, das nicht mit „kün­stlichen“, weil später entwick­el­ten Begrif­f­en zu tun, son­dern nach Möglichkeit auf zeit­genös­sis­che Beze­ich­nun­gen zurück­zu­greifen. Bei den hier unter­sucht­en Werken in diesem Zeitraum stößt er vor allem auf zwei For­men: Orgel­choral und Choral­fan­tasie. Doch der genauen Unter­suchung der musikalis­chen Quellen geht zunächst noch ein kurz­er, reich­lich knap­per Rück­blick auf die bish­erige Orgel­musik vroaus: Die süd­deutschen Kom­pon­is­ten um Schlick und Hofhaimer wer­den eben­so erwäh­nt wie Hans Buch­n­ers exem­plar­ische Orgelschule bzw. Ton­sat­zlehre, das „Fun­da­men­tum“. Außer­dem bietet Beck­mann noch einige Erläuterun­gen der Dimi­nu­ition­sprax­is und des Koloris­mus, um den Stand der Orgelkun­st in Deutsch­land zu Beginn des 16. Jahrhun­derts darzule­gen. Ähn­lich wie bei dem Kapi­tel zum Orgel­bau bleibt aber die zen­trale Frage eigentlich wieder unbeant­wortet: Was hat das mit der Nord­deutschen Orgelschule zu tun? Wie sehen die Verbindun­gen denn jet­zt konkret aus?
Ins­ge­samt geht er allerd­ings sehr gewis­senhaft und peni­bel sys­tem­a­tisch vor: Nach­dem die äußeren Bedin­gun­gen nun gek­lärt sind, soweit es die Quel­len­lage erlaubt – oder wenig­stens die Quellen dazu zitiert wur­den –, kom­men nun die einzel­nen Städte an die Rei­he. Die Reise begin­nt in Ham­burg mit den „ehrwürdi­gen Grün­dervätern der Nord­deutschen Orgelkun­st“ (142) der Fam­i­lie Prae­to­rius, allen voran Hierony­mus (1560 – 1629).
Hier, bei dessen Vater Jakob und vor allem bei Hierony­mus beobachtet Beck­mann näm­lich ein wesentlich­es Ele­ment: Den eigentlichen Über­gang vom bloßen Abset­zen, d.h. Über­tra­gen vokaler Musik auf das Tas­tenin­stru­ment und das Kolo­ri­eren zum eigentlichen „Kom­ponieren“. Jakob Prae­to­rius ist ihm der erste Organ­ist mit „fest umris­senem Pro­fil“ (135) — das er dem Leser freilich schuldig bleibt. Damit ist Hierony­mus Prae­to­rius der erste Kom­pon­ist, dessen „einzi­gar­tiges Oeu­vre“ (156) Beck­mann aus­führlich vor- und darstellt. Denn von ihm ist „das kom­plette organ­is­tis­che Reper­to­rie als Gesamtwerk“ mit einzel­nen, in sich jew­eils geschlosse­nen Zyklen über­liefert: Mag­ni­fi­cats, Hym­nen und Kyrien. Hier zeigt sich Beck­mann dann auch, etwa in der Analyse der Mag­ni­fi­catzyklen, als feinsin­niger und sach­lich aus­ge­sprochen auf Kor­rek­theit bedachter Wis­senschaftler – freilich ohne beson­dere sprach­liche Ele­ganz. Über­haupt ist das vom Ver­lag schon als „Stan­dard­w­erk“ gepriesene Buch – viel Konkur­renz hat es allerd­ings auch nicht – eine aus­ge­sprochen trock­ene Lek­türe – noch ein Stück spröder als der auch nicht ger­ade über­mäßig sinnliche Gegen­stand der Unter­suchung.
Grund­sät­zlich lässt sich schon bei den ersten Analy­sen fest­stellen: Beck­mann hat vor allem die for­male Gestal­tung und ihre Ver­läufe sowie die pro­to-motivis­che Arbeit im Blick. Sobald er freilich das Feld der unmit­tel­baren Analyse ver­lässt, hagelt es Kon­junk­tive – im all­ge­meinen ist Beck­mann näm­lich aus­ge­sprochen vor­sichtig und zurück­hal­tend, was Deu­tun­gen und Inter­pre­ta­tio­nen ange­ht, die nicht direkt auf Aus­sagen zeit­genös­sis­ch­er (was bei ihm, ger­ade was Fig­u­ra­tio­nen und kon­tra­punk­tis­che Tech­niken bzw. deren Ter­mi­ni ange­ht, dur­chaus ein Zeitraum von zwei­hun­dert Jahren sein kann) Quellen zurück­ge­hen.
Das ergibt dann eine Fülle richtiger und auf­schlussre­ich­er Beobach­tun­gen und Erken­nt­nisse, etwa aus der vortr­e­f­flichen Analyse der 3 Ver­sus des Mag­ni­fi­cat Pri­mi Toni des Hierony­mus Prae­to­rius aus dessen Zyk­lus der acht Mag­ni­fi­cat-Ver­to­nun­gen, die schon Willi Apel zu Recht als „Auf­takt der nord­deutschen Orgel­musik […], in dem sich die ganze Pracht und Größe dieser Kun­st in bedeut­samer Weise ankündigt“, charak­ter­isierte. Klaus Beck­mann zeigt nun allerd­ings recht deut­lich, dass das schon mehr als eine Ankündi­gung zukün­ftiger Groß­tat­en ist: Bei ihm ist mit Hierony­mus Prae­to­rius der wichtig­ste Schritt bere­its getan, die erste Real­isierung kün­st­lerich­er Äußerung schon geschehen. Aber dieses Ergeb­nis muss der Leser schon selb­st vol­lziehen – da ist Beck­mann wieder viel zu vor­sichtig, so etwas exlip­iz­it zu äußern.
Anhand von Prae­to­rius‘ Werken charak­ter­isiert er auch schon „Orgel­choral und Choral­fan­tasie als instru­men­tale Kat­e­gorien, die ins­beson­dere für die Orgel­musik der Nord­deutschen Schule spez­i­fisch sind“ (195). Zwar lässt sich der Tas­ten­satz Prae­to­rius‘ (und seines Zeitgenossen Johann Stef­fens in Lüneb­urg) dur­chaus noch als „vokalaf­fin“ beschreiben, doch nicht nur die Analyse der Satz- und Form­struk­turen, auch die Unter­suchung der ver­wen­de­ten Fig­uren erlauben es Beck­mann, von ein­er orgel­spez­i­fis­chen For­ten­twick­lung zu sprechen. Daneben betont er nicht nur die Stan­dar­d­isierung der for­malen Abläufe, die sich hier bere­its zeigt, son­dern vor allem den geschlosse­nen Opus-Charak­ters der drei Zyklen. Darin ist nicht nur für ihn ein ein­deutiges Zeichen der Reper­toire-Schaf­fung für den gottes­di­en­stlichen Gebrauch zu sehen.
Den Unter­suchun­gen der Ham­burg­er Orgelkun­st fol­gt ein kurz­er Besuch in Danzig, um die Danziger Tab­u­latur wenig­stens zu erwäh­nen. Darauf geht es weit­er nach Lüneb­urg, wo Johann Stef­fens lebte und arbeit­ete. Bei der Unter­suchung von Stef­fens‘ Choral­fan­tasien zeigt sich, dass die anhand der Kom­po­si­tio­nen von Prae­to­rius entwick­el­ten Begriffe „Orgel­choral“ und „Choral­fan­tasie“ tragfähig genug sind, um auch Stef­fens‘ For­men zu beschreiben.
Dem fol­gt noch einen kurz­er Abstech­er nach Celle – die dort ent­standene Orgeltab­u­latur von 1601 ist der Grund dafür –, um mit Braun­schweig-Wolfen­büt­tel, wo Michael Prae­to­rius resi­dierte, die Reise vor­erst schon wieder zu been­den. Den Abschluss bildet der Ver­such einiger Über­legun­gen zur „His­torischen Spiel­weise“. Aber diese sehr kurzen, knapp gefassten Hin­weise zur grundle­gen­den Prob­lematik jed­er his­torisch informierten Auf­führung­sprax­is bieten kaum mehr als ein kom­men­tiertes Lit­er­aturverze­ich­nis – und haben im Zusam­men­hang dieses ersten Teils auch keinen recht­en Platz.
Schon diese arg verkürzende Zusam­men­fas­sung zeigt, dass in den ersten Jahren der Nord­deutschen Orgelschule im Grunde kaum von ein­er Schule gesprochen wer­den kann. Das liegt vor allem an dem weni­gen Mate­r­i­al, das über­liefert ist und dementsprechend den weni­gen Verbindun­gen untere­inan­der.
Beck­mann bemüht allerd­ings immer wieder die beson­dere Beto­nung der Eigen­ständigkeit der hier begin­nen­den Nord­deutschen Orgelschule, wie sie sich vor allem in Hierony­mus Prae­to­rius und Johann Stef­fens man­i­festiert. In der Tat ist ja die früher gern angenommene Abhängigkeit von Jan Pieter­zoon Sweel­inck kaum und auch nur mit schwachen Indizien zu bele­gen: „Demge­genüber bedarf die deutsche Wurzel ein­er wahrheits­ge­treuen Aufw­er­tung.“ (262) Der Aufar­beitung dieser älteren musik­wis­senschaftlichen Rezep­tion hat Beck­mann viel Raum gegeben. Aber genau diese „vorder­gründi­ge Denkweise“, die Beck­mann der älteren Forschung vor­wirft, find­et dann doch – zumin­d­est in kleinen Dosen – ihren Nieder­schlag auch in sein­er eige­nen Arbeit – wenn er etwa behauptet: „Es liegt nahe anzunehmen, dass Johann Stef­fens und Hierony­mus Prae­to­rius […] eine gute nach­barschaftlich-kol­le­giale Beziehung gepflegt haben, wozu auch der Aus­tausch von Kom­po­si­tio­nen gehört haben dürfte. Eine Rei­he von Übere­in­stim­mungen […] erhärtet jeden­falls diese Ver­mu­tung zur Gewis­se­heit.“ Solche Schlüsse sind let­ztlich genau­so gefährlich wie die Argu­men­ta­tion mit einem his­torischen „Wahrheitswert“. Schließlich weist Beck­mann selb­st oft genug darauf hin, wie entschei­dend sich das Bild durch neue oder lange Zeit ver­nach­läs­sigte Quellen verän­dern kann.
Doch das bet­rifft nur wenige Stellen sein­er Aus­führun­gen. Was dage­gen schw­er­er ins Gewicht fällt, ist die Tat­sache, dass es Beck­mann in diesem ersten Teil sein­er Unter­suchung kaum gelingt, angenommene oder tat­säch­liche his­torische Entwick­lun­gen in ihrem Ver­lauf­scharak­ter darzustellen: Zu sehr sind das (noch) lauter einzelne Wis­sens­brock­en. Aber noch beste­ht ja Hoff­nung, denn dies ist ja aus­drück­lich der erste Teil ein­er größeren Unter­suchung. Und der Haupt­teil seines The­mas, die Hoch­phase der Nord­deutschen Schule, ste­ht eben noch aus. Dieses Manko kann also dur­chaus noch dem Forschungs­ge­gen­stand, ein­er Schule im Entste­hen, geschuldet sein – wobei sich dann doch die Frage stellt, ob diese arg kün­stliche Tren­nung in „Grün­derzeit“ und Hoch­phase wirk­lich sin­nvoll ist.
Über­haupt haftet dem ganzen Band an eini­gen Stellen etwas unfer­tiges und undurch­dacht­es an. Nur ein Beispiel: Gewiss wird hier ein hochgr­a­dig spezielles The­ma abge­han­delt, die Idee eines Glos­sars ist also dur­chaus hil­fre­ich – aber dort dann „Orgel“ oder „Ped­al“ in zwei Sätzen erk­lären zu wollen, mutet doch befremdlich an.
Schließlich hätte man mit dem hier aus­ge­bre­it­eten Wis­sen eine wun­der­bare Geschichte der Nord­deutschen Orgelschule – oder zumin­d­est ihrer Anfänge – schreiben kön­nen. Aber das hat Klaus Beck­mann lei­der kaum getan. Es ist weniger ein Lese­buch, son­dern viel mehr eine Doku­men­ta­tion gewor­den – vor allem aber ein instruk­tives und mate­ri­al­re­ich­es Quel­len­lese- und ‑find­e­buch.
Klaus Beck­mann: Die Nord­deutsche Schule. Orgel­musik im protes­tantis­chen Nord­deutsch­land zwis­chen 1517 und 1755. Teil I: Die Zeit der Grün­derväter. 1517–1629. Mainz u.a.: Schott 2005. 312 Seit­en. 59,95 Euro.
(erschienen in „die tonkun­st”, jg. 1 (2007), heft 3, seite 310–314)

30 Jahre Krieg als Trauma und integrierender Faktor für Deutschland

„der dreißigjährige krieg ist das bis ins 20. jahrhun­dert nach­wirk­ende trau­ma des deutschen volkes.“ (83) heißt es in georg schmidts klein­er abhand­lung der dreißigjährige krieg (münchen: beck 6/2003). als solch­er hat er natür­lich entsprechend viele (um-)deutungen und vere­in­nah­mungen erfahren. georg schmidt, ein aus­gewiesen­er ken­ner der deutschen geschichte und spezial­ist für das alte reich hat sich davon nur insofern beein­druck­en lassen, als er sich um ein möglichst sach­liche und zunächst wert­neu­trale darstel­lung der abläufe und geschehnisse bemüht. beson­deren stel­len­wert erfahren in sein­er darstel­lung immer wieder die vielfälti­gen kreuz- und quer liegen­den verbindun­gen, die eine wirk­liche kausal­ität der geschehnisse ger­ade dieser zeit so schw­er erken­nen lassen und leicht für ver­wirrung sor­gen. schmidt hat das prob­lem ziem­lich gut und überzeu­gend gemeis­tert, sein klein­er text ist trotz der enor­men konzen­tra­tion noch erstaunlich gut les­bar und leicht ver­ständlich – auch ohne allzu großes vor­wis­sen.

tre­f­fend schon die sich verbinden­den ursachen, die ver­kno­ten­den lin­ien der auflö­sung der reichs­ge­walt oder der kohä­sion des reich­es durch die von der kon­fes­sion­al­isierung und ihrer immer wieder auf­flam­menden rival­itäten sowie der ver­härteten lager­bil­dung in katholis­che liga und protes­tantis­che union erre­icht­en block­ade der entschei­den­den insti­tu­tio­nen (reich­skam­merg­ericht, reichsver­samm­lung, reich­stag etc.). was insofern beson­ders prob­lema­tisch ist, als das reich in sein­er kom­pliziert aus­tari­erten ver­fass­theit ganz beson­ders auf den kon­sens aller beteiligten angewiesen war. in dem zusam­men­hang spielt natür­lich vor allem das recht­sys­tem des reich­es eine beson­dere rolle: mit dem eher protes­tantisch aus­gerichteten reich­skam­merg­ericht und dem eher kaiser­na­hen reichshofrat standen zwei große juris­tis­che reg­u­lar­ien zur ver­fü­gung, die auch rege genutzt wur­den. der dreißigjährige krieg führt also zu ein­er (erneuten) ver­rechtlichung des deutschen staatenge­bildes, die jet­zt mit den para­graphen der west­fälis­chen friede vor allem die macht des kaisers und damit eines ein­heitlichen, zen­tralen monar­chis­chen sys­tems in deutsch­land erhe­blich ein­schränkt, ander­er­seits auch – wieder – die grund­la­gen für die abso­lutis­tis­che territorialherrschaft(en) sichert – zwar unter ein­bezug der stände, aber eben im großen und ganzen mit der später offen­bar wer­den­den ten­denz zur zer­split­terung des reichs-gebi­etes. schmidt zeigt dabei ins­beson­dere die kon­ti­nu­itäten zur zeit vor dem dreißigjähri­gen krieg auf: „all dies hat­te sich bere­its vor dem dreißigjähri­gen krieg eingepen­delt, und all dies ließ der west­fälis­che frieden unange­tastet.“ (82) – schmidt spricht deshalb auch von einem „beina­he per­fek­ten poli­tis­chen sys­tem, das allen beteiligten grup­pen rechte, freiräume und teil­habe­möglichkeit­en garantierte, ohne deswe­gen seine hand­lungs­fähigkeit einzbüßen.“ (98) und er weist darauf hin, dass ins­beson­der die zer­störung der „alten über­re­gionalen wirtschafts­beziehun­gen“ durch die kriegsereignisse wesentlich zum auf­stieg des abso­lutismus beitru­gen: jed­er lan­des­fürst musste nun selb­st „reg­ulierend in das sozial- und wirtschaftssys­tem ein­greifen“ (92), um das land aus der ökonomis­chen starre der kriegszeit wieder zu erweck­en. dabei ist allerd­ings auch wieder zu beacht­en: „in deutsch­land fand allerd­ings wed­er während noch nach dem krieg eine großflächige wirtschaftliche mod­ernisierung statt.“ (93) dementsprechend kam es ende der 1640er auch nicht zum ökonomis­chen boom (angesichts der zer­störun­gen ein­er­seits und des bevölkerungsrück­gangs ander­er­seits dur­chaus denkbar), son­dern nur zu ein­er müh­samen wieder­bele­bung. analoges kann schmdit für das soziale sys­tem kon­sta­tieren: „der dreißigjährige krieg erscheint mit blick auf das gesellschaftssys­tem als stör­fall ohne große nach­wirkun­gen: aus der aus­nahme­si­t­u­a­tion wech­sel­ten die men­schen zurück in ihren all­t­ag“ (95).

weit­er­hin legt er beson­deren wert auf die verknüp­fung der (eigentlich) deutschen prob­leme mit let­ztlich ganz europa, unter beson­der­er beach­tung der auswirkun­gen auf deutsche staatlichkeit. deshalb untern­immt schmidt auch die abwehr des 1998 aufgekomme­nen schlag­wortes vom „europäis­chen frieden“ – ihm geht es v.a. darum, „krieg und frieden als inte­gri­erende fak­toren der deutschen nation­algeschichte zu begreifen“ (103) das schlägt sich entschei­dend in der darstel­lung nieder. ins­beson­dere die motive erfahren eine entsprechende würdi­gung: es geht nicht darum, richtig oder falsch zu kon­sta­tieren, son­dern (mögliche) grün­des dieses und jenes han­dlens aufzuzeigen – darin ist schmidt sehr kon­se­quent. was man evtl. bemän­geln kön­nte, ist sein hang, alle oder doch zumin­d­est die meis­ten geschehen und ver­wick­lun­gen nicht nur in ihrer (ver­muteten) kausal­ität zu beschreiben, son­dern dies so zu tun, dass sie gerne als zwangsläu­fige, einzig mögliche entwick­lun­gen daste­hen. am schlecht­esten komm dabei fer­di­nand II. weg, der immer wieder vorge­hal­ten bekommt, dass er mit seinem stur katholizis­tis­chem behar­ren auf dem rekon­sti­tu­tionsedikt viele chan­cen zum früheren frieden ver­spielt habe. so schreibt schmidt den krieg dann vor allem als geschichte von macht­drän­gen, nicht einge­hal­te­nen absprachen und gegen­seit­i­gen ver­suchen der übertrump­fung bzw. auss­chal­tung zwis­chen den fürsten, in denen die kon­fes­sion bald und oft genug kaum mehr als ein anlass war – allerd­ings auf bei­den seit­en…

ein beson­deres augen­merk erfährt natür­lich wal­len­stein, der hier als (let­zer) krieg­sun­ternehmer mit maßge­blichem ein­fluss auf das geschehen in deutsch­land porträtiert wird – nicht nur mil­itärisch, son­dern auch poli­tisch (durch sein eigenes macht­streben und vor allem als angstkulisse für kaiser, hab­s­burg­er und den rest der liga). das ist angenehm sach­lich und ohne unnötige über­höhung oder dämon­isierung, ander­er­seits auch ohne allzu denkmal­stürz­erischen ges­tus. ähn­lich­es gilt für den nüchtern-skep­tis­chen blick auf gus­tav adolf (genau, den „löwen aus mit­ter­nacht“).

zusam­men genom­men „…wird deut­lich, wie wichtig das lock­er gefügte poli­tis­che sys­tem des heili­gen römis­chen reich­es deutsch­er nation für die europäis­che ord­nung war. das nicht expan­sive reich stellte keine gebi­et­sansprüche an seine nach­barn und paßte sich jed­er ver­schiebung im mächt­esys­tem an. es wirk­te als überdi­men­sion­aler puffer zwis­chen den staat­en und mächt­en: jed­er suchte und fand hier ver­bün­dete. das reich und die vor­mod­erne europäis­che frieden­sor­d­nung bed­ingten einan­der.“ (64)
der sehr zu empfehlende band wird dann noch durch eine aus­führliche, gut kom­men­tierte bib­li­ogra­phie, die lei­der etwas unüber­sichtlich gewor­den ist, abgerun­det.

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