gut, es gibt den tan­go — der aber auch keine gen­uine klavier­musik ist. aber son­st? da ken­nt man eigentlich nix weit­er. vom konz­ert des mainz­er pianis­ten oscar vetre war auch mir vieles nicht bekan­nt — was ja nichts über die qual­ität aus­sagt.

wer argen­tinien sagt, muss auch tan­go sagen. das geht ein­fach nicht anders. also musste oscar vetre auch tan­gos mit in sein konz­ert argen­tinis­ch­er klavier­musik aufnehmen. er hat­te aber noch wesentlich mehr zu bieten: viel musik aus dem späten 19. jahrhun­dert, als sich in argen­tinien eine eigen­ständi­ge musikkul­tur entwick­elte.
europäisch geprägt blieb sie allerd­ings noch eine weile – fast alle kom­pon­is­ten wur­den in frankre­ich oder spanien aus­ge­bildet. und so wun­dert es kaum, dass etwa alber­to williams kleine klavier­stücke zwar argen­tinis­che land­schaften und melo­di­en auf­greifen, im grunde aber von frühen impres­sion­is­tis­chen werken aus frankre­ich kaum zu unter­schei­den sind. oscar vetre, in buenos aires geboren und seit eini­gen jahren klavier­pro­fes­sor an der mainz­er musikhochschule, ist nicht nur biographisch bestens vor­bere­it­et für diese musik. er ist zwar nur ein klein­er mann, aber seine kraft reicht alle­mal, das foy­er der lbs mit sein­er gräßlichen akustik zum bersten zu brin­gen. die fen­ster­scheiben hal­ten stand­haft den schall der attack­en aus dem flügel im raum, das pub­likum wird vom klavierk­lang umtost wie im zen­trum eines orkans. es geht allerd­ings auch so manch­es mal wild zur sache in der argen­tinis­chen musik. juan joase cas­tros „toc­ca­ta“ war dafür ein ganz beson­ders deut­lich­es beispiel: aben­teuer­lich und unge­bändigt fordert der kom­pon­ist den pianis­ten zu ein­er unwahrschein­lichen expe­di­tion in die wild­nis her­aus. wild sind nicht nur die anforderun­gen an die vir­tu­osität, wild ist auch die klan­gliche expres­siv­ität, die aufgewühlte stim­mung. vetre gibt sich aber auch alle mühe, diese fast besin­nungslose getaumel in aller schärfe zu zeigen: da ist selb­st im absur­desten notengetüm­mel noch jed­er ton klar und deut­lich, nichts über­sieht er und über nichts lässt er die zuhör­er im ungewis­sen.
vetres chirur­gen­mess­er des glasklaren, ana­lytis­chen spiels, das sich in faszinieren­der weise mit der lei­den­schaft der musik verbindet, machen dann auch die tan­gos zum genuss. natür­lich darf da astor piaz­zol­la nicht fehlen. forsch stürzt sich der pianist auch in bekan­nte stücke wie „sen­ti­do úni­co“ oder „ver­a­no porteno“. am besten zeigt sich sein draufgän­gerisches kraf­spiel bei alber­to ginasteras „tres dan­zas argenti­nas“, in denen sich mod­ernis­men mit folk­loree­in­flüssen verbinden. diese vielschichtige musik gibt vetre zum schluss noch ein­mal gele­gen­heit, die aus­druckspalette ganz auszureizen und seine befähi­gung zum uni­ver­salpi­anis­ten noch ein­mal zu bekräfti­gen.