beim nachdenken über alexander von schippenbachs konzert ist mir aufgefallen: der free jazz und vor allem seine macher kommt mittlerweile ganz schön in die jahre — schlippenbach wird nächstes jahr 70, seine mitstreiter sind kaum jünger. auch die anderen großen ikonen sind inzwischen alt und weise: ornette coleman, anthony braxton, cecil taylor und wer auch immer … und das wird mittlerweile auch deutlich — oder mir fällt es gerade auf. zum beispiel gibt es jetzt offenbar vermehrt (so zumindest mein eindruck) porträt-cds, rückschauen, person-sampler oder wie man sie nennen will. zum beispiel irène schweizer. oder barry guy. oder .…
und von dort aus ist es nicht weit zur frage: wird der free jazz alt? kommt er ins pensions-alter? strebt er seinem (natürlichen) ende zu? denn mir scheint es so, als gäbe es momentan kaum bis gar keine jungen musiker, die diese tradition in diesem maße am leben erhalten, die weiterhin „klassischen”, reinrassigen free jazz spielen und weiterbetreiben. so formationen wie das schlippenbach-trio, das globe-unity-orchestra oder das london composer orchestra, um ganz willkürlich mal ein paar zu nennen, gibt es offenbar nicht mehr. das heißt ja keinesfalls, dass die nachwachsenden musiker schlechter oder fauler oder ängstlicher sind. ein großer teil von ihnen orientiert sich natürlich nach wie vor am harmlosen mainstream-gedudel (beispiele hier im blog: das und das z.b.). andere setzen die tradition des free jazz zumindest in einer hinsicht fort: sie improvisieren. aber ihre freiheit ist eine andere. oft kompositorische wieder stärker strukturiert — zumindest zeitweise in ihren abläufen. und sie suchen nach anderen ausdrucksmöglichkeiten, nach anderen klanggestalten — mit synthesizern, mit elektronik natürlich (die electronica ist ja zumindest teilweise auch hier einzuordnen), aber auch ganz klassisch mit neuen spielweisen auf herkömmlichen instrumenten (mein lieblingsbeispiel: frank gratkowski). und doch klingen sie ganz anders. ein wesentliches moment dabei: ihnen fehlt die wut, die berstende energie, die oft zunächst destruktive kraft, die sich bei den alten herren (damen gibt’s ja wieder mal viel zu wenige) zwar in der regel in eine dekonstruktive wandelt, aber das de- nie verliert. das ist bei den jüngeren musikern so nicht mehr so unbedingt zu erfahren …
vielleicht spielt auch eine rolle, das — wiederum gilt das nur aus meiner sicht, die fakten dazu kenne ich nicht — solche musik noch stärker an die ränder gedrängt wurde als vor 30, 40 jahren. die veränderung der medienlandschaften, der rezeptionsgewohnheiten durch und mit dem internet haben da sicherlich eine große rolle gespielt. denn gerade in diesem zeitraum und verstärkt in den letzten 10 jahren ist eine immer stärkere, mittlerweile extrem auftretende fragmentiesierung, ja segretierung der publika nicht mehr zu übersehen. und das hat natürlich folgen für die musiker. aber auch für hörer: überblick behalten wird immer schwieriger — wer kann schon die ganzen kleinst- und miniatur-label und ihre mini-auflagen noch verfolgen? nicht einmal rigo dittmann. es ist, um es anders zu fassen, eindeutig ein verlust des vorherrschenden stils zu konstatieren. abweichungen davon gab es natürlich stets, aber selten wohl war das pluralistische durcheinander so groß und a‑hierarchisch wie heute: das ist schließlich ein unfruchtbare mehr oder weniger kontaktlos nebeneinander und vor sich hin blubberndes süppchen (insbesondere die electronica und ihre diversen unterabteilungen sind hierfür gutes beispiel). es gibt einfach keine öffentlichkeit mehr — nicht nur für diese musik, sondern auch in vielen anderen bereichen. das heißt aber auch: es gibt recht eigentlich kein publikum mehr — sondern nur noch immer kleinere sparten, peer groups, zirkel — und damit beißt sich die katze noch einmal in den schwanz …
und doch: es gibt einfach wahnsinnig viel gute musik — es wird nur (scheinbar?) immer schwerer, sie zu finden. und neues zu entdecken …
Schreibe einen Kommentar