Thomas Lehr, Größenwahn passt in die kleinste Hütte

Tho­mas Lehr, Grö­ßen­wahn passt in die kleins­te Hüt­te

Viel steht ja nicht drin. Aber das weni­ge macht Freu­de. Denn auf den 107 Sei­ten (mit viel Weiß­raum …) von Tho­mas Lehr steht unter dem Titel Grö­ßen­wahn passt in die kleins­te Hüt­te. Kur­ze Pro­zes­se viel Zustim­mungs­fä­hi­ges, viel Kopf­ni­cker­for­dern­des (man bekommt fast Genick­schmer­zen). Und vie­le, ganz ganz vie­le Pun­ch­li­nes. Man­cher Witz, man­cher Hieb ist (natür­lich) arg bil­lig, man­ches sind blo­ße Bin­sen­weis­hei­ten, aber vie­les trifft der spitz bis spitz­fin­dig for­mu­lie­ren­de Tho­mas Lehr genau. Die Spra­che die­ser Minia­tu­ren, die­ser Sät­ze – viel mehr ist es of nicht – ist immer poin­tiert. Vie­le von Lehrs Sät­zen sind frech und unge­niert sprach­spie­le­risch. Gna­den- und rück­sicht­los arbei­tet er sich durch Welt und Kunst, Lite­ra­tur und Leben, Moral und Mensch, Geld und Geist und vie­le ande­re Gebie­te.

Hin und wie­der ist das auch herr­lich alt­mo­disch – wenn er sich über Com­pu­ter lus­tig macht, über digi­ta­le Foto­gra­fie spöt­telt und das Inter­net als Müll­hal­de, die es manch­mal ja auch ist (und sein will bzw. soll), bloß­stellt: „Lebt län­ger, lest Bücher.“ (26) steht dann ein­fach nur noch da. Und stimmt für sich erst ein­mal. Und bleibt auch ein­fach so ste­hen.

Immer wie­der schim­mert und blitzt die Bril­lanz durch, für die man Tho­mas Lehr sowie­so lie­ben muss. Nur dass sie hier extrem kon­zen­triert ist – man wird geblen­det, fast blind …:

Das Licht des Apho­ris­mus fun­kelt in einem Tau­trop­fen und blitzt im Mün­dungs­feu­er des Stand­ge­richts. So weit ist manch­mal der Weg von Lich­ten­berg zu Kraus.“ (49)

Das ist eine schnel­le Lek­tü­re für zwi­schen­durch, die aber die Kraft und Indi­vi­dua­li­tät hat, nach­zu­hal­len. Vor allem gefällt mir dar­an (noch mehr als z.B. an Hen­ning Rit­ters Notiz­hef­ten) die Klar­heit der Gedan­ken und ihre direk­te Wider­spie­ge­lung im sprach­li­chen Aus­druck. Sicher, das sind kei­ne gro­ßen Sys­tem, die hier gedacht wer­den, kei­ne weit ent­wi­ckel­ten Theo­re­me. Aber in ihrer Knapp­heit und Prä­gnanz sind sie immer wie­der (auch schmerz­haft) tref­fend. Und das ist sicher­lich nicht das schlech­tes­te. Dafür kann ich die­ses klei­ne Büch­lein auf jeden Fall voll­kom­men emp­feh­len.

Nicht die Wahr­heit siegt, son­dern die Klar­heit, mag die­se auch noch so falsch sein. Die Leh­re gilt von Pla­ton zu Nietz­sche, und um zu wis­sen, wir es heu­te um sie steht, fragt man sich nur, es einem völ­lig ein­leuch­tend und gewiss erscheint. (86)

Übri­gens auch gut (und natür­lich voll­kom­men rich­tig):

Jedes Auto­mo­bil ist auch ent­wen­de­ter öffent­li­cher Raum. Schier weg­ge­stoh­le­ne Stra­ßen und Plät­ze, gan­ze Innen­städ­te, die zeit­wei­lig ver­schwin­den. (26)

Noch mehr zu emp­feh­len sind aber übri­gens alle ande­ren Texte/​Romane von Tho­mas Lehr ;-)

Tho­mas Lehr: Grö­ßen­wahn passt in die kleins­te Hüt­te. Kur­ze Pro­zes­se. Mün­chen: Han­ser 2012. 107 Sei­ten. ISBN 978−3−446−23983−8. 12,90 Euro.