Es ist Buchmesse. Also muss man auch mal wieder etwas über E‑Books schreiben. Auch wenn man nicht so richtig weiß, was es zu schreiben gibt. Und man – als Journalist! – auch sonst nicht so recht weiß, wie man damit umgehen soll. Dann kommen solche Blüten heraus wie heute in der FAZ, wo Georg Giersberg sich unter dem Titel „Elektronisches Buch: Zahlen aus Amerika schocken die Buchbranche“ damit herumschlägt.
Schauen wir uns das mal an: Zunächst der „Schock“, den die Titelzeile verspricht. Finden lässt er sich nicht: Im Text ist dann nur noch von „aufhorchen“ die Rede (auch nur anonym) – und das ist dann doch ein gewisser Unterschied: In den USA sind also die Taschenbuchverkäufe eingebrochen, die E‑Book-Verkäufe dagegen rasant gestiegen. Nun ja, bis es so weit kommt, wird es in Deutschland wohl noch etwas dauern, da wird ja kräftig dagegen gemauert. Und auch Amazon hat nicht den gleichen Einfluss wie in Amerika auf die Distribution von Inhalten.
Dann wird es spannend: Giersberg sieht das erscheinende Weltbild-Lesegerät als Durchbruch für E‑Books? Das scheint mir (und nicht nur mir) nun dochnoch sehr fraglich, weil das ein Gerät ohne E‑Ink-Display ist – und damit kaum brauchbar … (Es ist ja auch schon Weltbilds zweiter Versuch, der – damals ebenfalls konkurrenzlos billige – Reader vom letzten Jahr wurde so ziemlich mit den gleichen Zielen und Aufgaben angepriesen und konnte dem Hype auch nicht gerecht werden).
Die Geräte sind preiswerter (bei Weltbild 60 Euro), haben Farbdisplays und liegen ergonomisch bequem in der Hand.
Nun ja. Farbdisplays sind kaum lesetauglich, allein schon wegen der kurzen Akkuleistung (Weltbild selbst gibt gerade mal „bis zu acht Stunden“ an – falls das stimmt -, darüber kann jeder Kindle-Besitzer nur lachen …) und der unangenehmen LCD-Bildschirme.
Aber der ganze Text ist einfach schwach und ein echtes Negativbeispiel des „Qualitätsjournalismus“: Giersberg scheint etwa nur mit Gottfried Honnefelder gesprochen zu haben. Der ist Vorsitzender des Börsenvereins und damit natürlich alles andere als neutral – warum sollte er auch? Dann taucht allerdings noch ein zweiter „Experte“ auf – zumindest scheint es so: „Boos“ – wer das ist (ist das überhaupt eine Person?), warum er zitiert wird – keine Erwähnung. Ganz klar, journalistischer Fehler …
Weiter im Text:
Gottfried Honnefelder, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, geht davon aus, dass er in fünf Jahren bei knapp 10 Prozent liegen wird. Das wäre ein großes Wachstum in einem Gesamtmarkt, der im bisherigen Jahresverlauf noch im Minus (2 bis 3 Prozent) liegt.
Das kapiere ich jetzt auch nicht: Weil der Gesamtmarkt schrumpft (also weniger Bücher verkauft werden), ist das prognostizierte Wachstum für die nächsten fünf Jahre (was ja reine Augenwischerei ist, die Zahlen aus den USA hat vor fünf Jahren niemand geahnt, weil keiner weiß, welche Geräte und Inhalteanbieter sich in diesem Zeitraum wirklich durchsetzen bzw. was noch neu kommt …) besonders hoch? Das ist doch Blödsinn: Wenn der Gesamtmarkt schrumpft, brauche ich weniger absolute Verkäufe, um auf 10% Anteil zu kommen!
Dann aber kommt der Kernabsatz:
60 Prozent aller in Deutschland aus dem Netz heruntergeladenen Bücher seien illegal heruntergeladen worden. „Die illegale Entwicklung im Netz ist weiter als die legale“, beklagt Honnefelder.
60 Prozent? Woher kommt diese Zahl? Wie misst man den illegale Downloads? Über die zweite Aussage brauchen wir kaum streiten, die legalen E‑Book-Läden sind wirklich ziemlich grausig.
Dass dies ein internationales Problem ist, belegt Boos mit den Worten, in einigen Ländern übersteige die Zahl der elektronischen Lesegeräte (E‑Reader) die der legal heruntergeladenen elektronischen Bücher um das 100fache.
Da ist er wieder, der mysteriöse „Boos“. Was er „belegt“, ist mir aber unklar. Um welche Länder geht es? Das wäre doch spannend: Die Zahl der Geräte ist um das 100fache (!) größer als die der legalen Downloads. Gut, man muss E‑Reader ja nicht nur für elektronische Bücher verwenden, man kann ja z.B. auch pdf-Dateien betrachten. Ich vermute aber fast, dass hier einfach die Tablet-PCs als E‑Reader gezählt wurden, anders kann ich mir diese Rechnung überhaupt nicht erklären. Und das wäre natürlich wiederum ausgesprochener Blödsinn. Aber nichts davon erklärt der Text, der Journalist hat das einfach so hingenommen und lässt es auch einfach so stehen …
Dann kommt natürlich noch der Evergreen:
Honnefelder forderte auf der Messe die Politik auf, die Internetanbieter zu verpflichten, Warnhinweise anzubringen, die den Nutzern sagen, was legal und was illegal ist. In Umfragen hätten 81 Prozent derjenigen, die illegal Inhalte herunterladen, die Meinung vertreten, dass Warnhinweise das illegale sogenannte Filesharing eindämmen würden.
Mal abgesehen davon, dass wieder ungenannte Umfragen mit undurchschaubaren Zahlen angeführt werden (so eine Umfrage kann ich auch schnell produzieren …), haben wir hier natürlich wieder den Wunsch nach Totalüberwachung, die auch noch die Provider übernehmen sollen. Inzwischen sollte doch eigentlich jedem klar sein, dass das erstens technisch ziemlich komplex wird, zweitens nicht durchsetzbar ist und drittens gegen so einige Grundrechte verstößt. Man muss ja schon fast dankbar sein, dass er kein Strike-Modell fordert ;-)
Aber davon lassen weder Journalist noch Befragte sich weiter stören. Auch im nächsten Argument nicht. Da heißt es:
Bisher sei er rein linear organisiert gewesen: Der Autor schreibt ein Buch, der Verleger verlegt es, der Händler verkauft die Rechte, der Leser liest, dann interessierte sich ein Filmemacher dafür.
Da sieht man natürlich so nebenbei sehr schön, wie sich der geheimnisvolle „Boos“ die Welt schöndenkt: „der Händler verkauft die Rechte“. Das tut er – bisher – eben nicht: Er verkauft das Buch, als materiellen Gegenstand. Bei E‑Books ist das freilich zumindest teilweise anders, da wird oft nur ein Nutzungsrecht erworben – und gerade das ist einer der Gründe, warum so viele illegal herunterladen: Weil sie nicht nur Nutzungsrechte erwerben wollen (momentan in der Regel noch dazu für unverhältnismäßig viel Geld), sondern ein mit gedruckten Texten vergleichbares Eigentum, dass man z.B. verleihen oder verschenken kann …
Irgendwie ist da im Qualitätsmanagement der FAZ etwas schiefgegangen. Schließlich wird der Autor als Wirtschaftsredakteur vorgestellt – einem Volontär hätte man so einen Artikel wohl nicht durchgehen lassen.
Nachtrag: Beim Gedankenstrich gibt es zumindest so etwas ähnliches wie Zahlen (auch nur Schätzungen).
Schreibe einen Kommentar