am son­ntag war ich sozusagen dazu ver­don­nert, fast dreiein­halb stun­den auf den unbe­que­men bänken des mainz­er domes zu sitzen. dafür gab es aber großar­tige musik zu hören:

Eigentlich war schon nach weni­gen Tak­ten alles klar. Aber es blieb trotz­dem span­nend bis zur let­zten Note. Denn der dicht ver­schlun­gene Ein­gangschor der Matthäus­pas­sion von Bach ist in jed­er Auf­führung ein erster Prüf­stein. Im Mainz­er Dom war sofort zu hören, dass hier erfahrene Musik­er am Werk sind, die ihre Auf­gabe sehr ernst nehmen. Denn was dem Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschaft gelang, war beze­ich­nend: Auf der einen Seite formte er einen klaren, bis ins Detail genau über­schaubaren Ver­lauf. Ander­er­seits aber barst die ganze Pas­sionsver­to­nung von der ersten Note an schi­er vor unge­heur­er Expres­siv­ität. Genau diesen Spa­gat ver­langt Bachs Matthäus­pas­sion vom Diri­gen­ten immer wieder: Ein­er­seits ist da dieses mon­u­men­tale Riesen­werk, diese über­große und über­men­schliche Kom­po­si­tion und die ausufer­n­den Kom­mentare dazu, wie das richtig und in Bachs Sinne aufzuführen sei. Ander­er­seits ist da aber eine Par­ti­tur, die volle Emphase und ganzen Ein­satz ver­langt. Und genau daran hält sich Bre­itschaft. Er bemüht sich nicht um eine akademisch oder his­torische kor­rek­te Auf­führung. Er will verkün­den, er will erzählen und überzeu­gen. Den rhetorischen Charak­ter der Bach­schen Musik macht er zu seinem Maßstab. Und dabei gelin­gen ihm drei Stun­den großar­tige Musik – von Anfang bis zum Ende fasziniert diese Auf­führung mit der Fülle ihrer Raf­fi­nesse im Detail. Das ist vor allem ein Ver­di­enst der Domkan­tor­ei. Wie die Sänger mit ihrem weichen, schmiegsamen Klang, der auf­fäl­lig wand­lungs­fähig ist und vor allem, das ist das entschei­dende über­haupt, immer aus der Tiefe des Herzens zu kom­men scheint, immer wieder ver­führen – das ist ein­fach großar­tig. An einem einzel­nen Wort hängt oft ein ganz­er Choral, eine Silbe gibt allem Bedeu­tung – und alles stimmt per­fekt bis die aller­fe­in­ste Nuance, es ist jet­zt gar nicht mehr anders vorstell­bar. Vor so einem imposan­ten Hin­ter­grund haben es die Solis­ten etwas schw­er. Sie machen ihre Sache aber trotz­dem gut. Während der Chris­tus von Hans-Georg Dechange sou­verän begann, dann aber recht bald sehr deut­lich ermat­tete, benötigte Thomas Dewald eine Weile, um zur Hochform aufzu­laufen. Dann aber gab er einen sehr empathis­chen Evan­ge­lis­ten, der sich per­fekt ins Konzept ein­passte. Neben den soli­den Leis­tun­gen von Clau­dia von Tilz­er und Ali­son Brown­er war es vor allem noch der Bass Patrick Pobeschin, der durch die feinsin­nige Aus­gestal­tung auffiel. Und dann war da natür­lich noch der sin­gende Diri­gent: In Gedanken tut Bre­itschaft dies ja immer – hier durfte er es aber auch ein­mal als „Zweit­er Hohe­p­riester“ wirk­lich tönen.