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Kategorie: geschichte Seite 2 von 6

Positive Nachrichten

Pos­i­tive Nachricht­en aus der Geschichte sind nicht nur bei Min­der­heit­en die Min­der­heit.

Elke Erb: Wer sie spricht, tut es aus Liebe

Historiker

Statt aller leben­strächti­gen Erin­nerung, die neues Leben entwick­eln kön­nte, bleibt nichts zurück als ein dürftiger Haufen Asche, ger­ade noch genug, um eine kleine Kolonie von Bak­te­rien zu nähren, die sich aus­bre­it­en wer­den. Das Men­schen­schick­saml mag für Jahrmil­lio­nen vorbes­timmt sein. Es läßt trotz­dem nichts zurück als diesen Dreck, den dürfti­gen Rest, wom­it er sich selb­st ver­daut hat. Es gibt in der ein­er Beschrei­bung zugänglichen men­schlichen Gesellschaft eine beson­ders niedere Art von Beschäftigten, die diesen Dreck sam­meln, kneten und zu mod­el­lieren vorgeben, die Wis­senschaftler und in diesem beson­deren Fall die His­torik­er.

—Franz Jung, Der Tor­pe­dokäfer, 119f.

Jörn Rüsen: Historik

Für die siebte Aus­gabe der stu­den­tis­chen geschichtswis­senschaftlichen Zeitschrift “Skrip­tum” habe ich Jörn Rüsens His­torik. The­o­rie der Geschichtswis­senschaft mit eini­gen weni­gen Ein­schränkun­gen dur­chaus pos­i­tiv besprochen:

Trotz der hier dargelegten Ein­schränkun­gen legt Rüsen ein dur­chaus zeit­gemäßes sys­tem­a­tis­ches Ver­ständ­nis der Geschichtswis­senschaften mit ihren Möglichkeit­en und Leis­tun­gen vor. Dass vieles davon in den let­zten Jahren und Jahrzehn­ten an anderen Orten – oft aus­führlich­er – schon ein­mal aus­ge­führt wurde, schadet kaum und ist wohl bei einem der­ar­ti­gen opus mag­num unver­mei­dlich. Denn als umfassende „The­o­rie der Geschichtswis­senschaft“ bietet die ‚His­torik‘ eben eine über die Einzel­studie hin­aus­ge­hende sys­tem­a­tisch-syn­op­tis­che Verknüp­fung bekan­nter Konzepte und The­o­riebausteine aus Rüsen’scher Fed­er. Und dazu gehört eben auch, und dies ist ein­er der unbe­d­ingten großen Vorzüge von Rüsens ‚His­torik‘, dass auch die Geschichts­di­dak­tik und das Prob­lem­feld Geschichts­be­wusst­sein im gesamten Raum des kul­turellen Lebens ele­mentar­er Teil sein­er vield­imen­sion­alen His­torik sind – wie es sich für die The­o­rie ein­er Geschichtswis­senschaft, die sich als unmit­tel­bar und unbe­d­ingt leben­sprak­tis­che Wis­senschaft begreift, ja fast von selb­st ver­ste­ht.

Zu der — recht umfan­gre­ichen — Rezen­sion geht es bitte hier ent­lang: klick.

Gedenken und Helden II

Selb­st Absur­ditäten kann man noch ad absur­dum führen — zumin­d­est in Hes­sen. Vor eini­gen Tagen habe ich mich hier über den Plan des hr-fernse­hens, die neue Frank­furter-Tatortkom­mis­sarin nach einem jüdis­chen Opfer des Nation­al­sozial­is­mus zu benen­nen echauffiert. Vor allem die gegenüber der Presse geäußerten Motive und Begrün­dun­gen für diese Namenswahl haben, um es vor­sichtig zu sagen, mein Miss­fall­en erregt. Aber das war lei­der noch nicht das Ende: Weil die zuständi­ge “Fernse­hchefin” beim Hes­sichen Rund­funk bedauert, “die Gefüh­le einzel­ner ver­let­zt zu haben”, nehmen sie in Frank­furt jet­zt doch von der Benen­nung Abstand. Allein diese Begrün­dung ist ja schon wieder genau­so frech und eigentlich dumm wie das ursprüngliche Vorhaben: Erstens wer­den die Geg­n­er damit klein gemacht — es sind ja nur “einzelne”. Zweit­ens wer­den sie noch für nicht voll genom­men, weil es ja nur um ihre “Gefüh­le” geht. Dass die Idee ein­fach Unsinn und unsen­si­bel war, scheint Liane Jessen immer noch nicht zu ver­ste­hen und einzuse­hen.

Aber damit ist lei­der immer noch nicht Schluss. Denn gegenüber der FAZ sagte Jessen außer­dem noch:

Die Rolle wäre immer mit dem Holo­caust-Opfer Sel­ma Jaco­bi in Verbindung gebracht wor­den. Eine freie Weit­er­en­twick­lung der Fig­ur wäre unter diesem Aspekt nicht mehr möglich.

- und deshalb sei die Umben­nung auch aus “kün­st­lerischen Grün­den” (als hätte der “Tatort” was mit Kun­st zu tun, aber das ist eine andere Baustelle …) notwendig gewor­den. Wir fassen also zusam­men: Die Schaus­pielerin wollte ihre Fig­ur nach ein­er his­torischen Per­son benen­nen, um sie als Opfer und Per­son zu erin­nern und ehren und wurde dabei durch die lei­t­ende Redak­teurin unter­stützt und bekräftig. Diese unsen­seible Hal­tung miss­fällt nicht weni­gen Men­schen, weswe­gen die Inanspruchn­nahme des his­torischen Namens nun fall­en gelassen wird — mit der Begrün­dung, die Erin­nerung an eine his­torische Per­son ste­he ein­er “freie[n] Weit­er­en­twick­lung der Fig­ur” im Wege. Da stellt sich mir dann doch die Frage: Wie wird man eigentlich “Lei­t­erin Fernsehspiel und Spielfilm” beim hr-fernse­hen? Welche Qual­i­fika­tio­nen sind dafür notwendig? Die Fähigkeit, denken zu kön­nen gehört offen­bar nicht zum Anforderung­spro­fil. Von his­torisch­er Sen­si­bil­ität ganz zu schweigen.

Gedenken und Helden

Ich kon­nte eben meinen Augen ja kaum trauen: Das hr-fernse­hen hat seine neue “Tatort”-Kommissarin nach ein­er von den Nation­al­sozial­is­ten deportierten und ermorde­ten jüdis­chen Deutschen benan­nt. Der einzige Grund dafür: Die Schaus­pielerin Mar­gari­ta Broich — in Berlin lebend — hat den Namen auf einem “Stolper­stein” vor ihrer Haustür gele­sen und find­et, die Benen­nung ein­er fik­tiv­en (und wie ich den “Tatort” kenne, regelmäßig deutsche Geset­ze brechen­den) Fig­ur sei eine tolle Erin­nerung und Ehrung für diese Frau.

Selt­sam daran ist: Was hat die Frank­furter Kom­mis­sarin mit ein­er Berliner­in zu tun? Wieso soll das eine angemessene Form der Erin­nerung sein? Ganz schlimm wird es, wenn die Redak­teurin des Hes­sis­chen Rund­funks, Liane Jessen, die Idee vertei­di­gen will. Gegenüber dem “Tagesspiegel” — dem ich diesen Vor­gang ent­nahm — argu­men­tiert sie:

Ich wäre glück­lich in meinem Grab, wenn auf diese Art und Weise an mich erin­nert wer­den würde

Selb­st wenn dem so wäre — üblicher­weise ist man in einem Grab ja nicht mehr unbe­d­ingt solch­er Gefüh­le fähig -: Wieso geht sie ein­fach davon aus, dass das auch für andere Per­so­n­en und gar noch Per­so­n­en der Ver­gan­gen­heit gel­ten soll?
Aber sie kann die Absur­dität noch steigern. Sie sagte näm­lich außer­dem noch:

‚Tatort‘-Kommissare sind schließlich die mod­er­nen Helden unser­er Zeit, und wir lassen Sel­ma Jaco­bi als Heldin wieder­aufer­ste­hen.

Jet­zt wird es vol­lkom­men ver­quer: Seit wann sind “Tatort”-Kommissare (hier han­delt es sich übri­gens um eine Kom­mis­sarin, aber das macht ja nichts …) “mod­erne Helden”? Und wieso lassen sie beim Hes­sis­chen Rund­funk eine Ver­fol­gte als Heldin wieder­aufer­ste­hen? Wie darf man sich das vorstellen — hat die Kom­mis­sarin dann Erin­nerun­gen an ihr früheres Leben, in dem sie deportiert und ermordet wurde?

Auch die Behaup­tung Jessens

Das kann doch nur im Sinne des Opfers sein, das sich­er nicht vergessen wer­den will.

würde ich so nicht ste­hen lassen: Vielle­icht will sie das ja ger­ade? Wer weiß das denn? Und ist es nicht eine unge­heure Anmaßung, für eine ver­stor­bene Per­son so zu sprechen? Sie hat sich ihr Schick­sal, dessen­we­gen sie hier erin­nert wer­den soll, ja nicht aus­ge­sucht.

In der Summe also: Zwei Men­schen maßen sich an, wie sich eine Per­son der Geschichte zu fühlen hat und was sie freuen soll. Ganz zu schweigen von der Ober­fläch­lichkeit und Pietät­losigkeit, die hin­ter diesem “Gedenken” und der Verknüp­fung von Opfer und ange­blichen Helden ste­ht.

Subventionen

Schon im 19. Jahrhun­derts war das Prob­lem der sinnlosen Wirtschaft­spoli­tik und fehlgeleit­eter Sub­ven­tio­nen zur ökonomis­chen Förderung ein­er Region und Hebung ihres all­ge­meinen Wohl­stands offen­bar nicht unbekan­nt. Wol­fram Sie­mann schreibt in seinem kleinen Met­ter­nich-Büch­lein:

Mit dem für ihn nicht sel­te­nen iro­nis­chen Sarkas­mus geißelte er die bish­erige irregeleit­ete Wirtschaft­spoli­tik. Deren Resul­tat seien «Pfer­deren­nen, Casi­nos, ungarisches The­ater und eine Mil­lio­nen kos­tende Brücke, zu der keine fahrbaren Straßen führen». (104)

— und zitiert dabei Met­ter­nichs Denkschrift “Über die Ungarischen Zustände” aus dem Jahre 1844. So viel also zum dem “aus der Geschichte ler­nen” — Brück­en, die ohne Straße­nan­schluss im Nir­gend­wo der (Provinz-)Landschaft herum­ste­hen, das habe ich auch am Ende des zwanzig­sten Jahrhun­derts mit­ten in der Bun­desre­pub­lik noch ken­nen gel­ernt. Ob man freilisch (ungarisches) The­ater unbe­d­ingt als nut­zlose Investi­tion anse­hen will, das kommt wohl doch sehr auf den per­sön­lichen Stand­punkt an. Heute ist das ja wieder Mode — ich bin aber doch der Mei­n­ung, dass öffentlich finanzierte The­ater in einem der reich­sten Län­der der Erde eine Selb­stver­ständlichkeit sein soll­ten.

Geschichte für Programmierer

(oder vielle­icht auch umgekehrt …) — jeden­falls mal wieder eine schöne Idee von “Geek & Poke”, dieser “Famous Fork”:

Famous Forks (1521)

Famous Forks (1521)

Wiener Kongress

… als ver­frühter Auf­takt zum 200-jähri­gen Jubiläum des Wiener Kongress schon mal eine Ein­schätzung von Arno Schmidt:

Damals in Wien wurde seit­ens der Monar­chen und ihrer Kan­zler organ­isiert: die Restau­ra­tion, die Große Läh­mung, die »Heilige Allianz« — das Windei, an dem wir auch heute wieder saugen. Unser dummes Volk freilich — zu dessen Merk­malen es gehört, daß es kitschi­gen For­mulierun­gen gegenüber beson­ders wider­stand­s­los ist — hat sich die sin­istren Fak­ten dessen, was damals mit ihm gemacht wurde, durch fol­gende Über­schrift aus dem Gedächt­nis weg=eskamotieren lassen: »Der Kon­greß tanzt«: so bringt man dem »Unter­tan« Geschichte bei: es lebe die Mnemotech­nik!Arno Schmidt, Aus dem Leben eines Fauns

Der “echte” Rand

In Edgar Wol­frums Die geglück­te Demokratie. Geschichte der Bun­desre­bub­lik Deutsch­land von ihren Anfän­gen bis zur Gegen­wart heißt es auf Seite 641:

Hin­sichtlich der Anti-Sys­tem­partein am echt­en und linken Rand des poli­tis­chen Spek­trums erwiesen sich Parteien­ver­bote der wehrhaften Demokratie als ein pro­bates Mit­tel, die Repub­lik zu kon­so­li­dieren.

Ich glaube, einen schöneren Flüchtigkeits­fehler habe ich bish­er noch nicht wahrgenom­men: Der “echte Rand” hat schon seine ganz eige­nen Qual­ität (ich möchte jet­zt nicht darüber spekulieren, ob — und was — uns dieser Fehler über die Ein­stel­lung oder den Stan­dort des Ver­fassers ver­rät …).

Show 1 foot­note

  1. Ich benutze die Aus­gabe der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung, Bonn 2007, die aber wohl seit­eniden­tisch ist mit der Erstau­flage bei Klett-Cot­ta, Stuttgart 2006.

Revolutionär? Die Darmstädter Büchnerausstellung

“Rev­o­lu­tion mit Fed­er und Skalpell” ist die große Ausstel­lung zum 200. Geburt­stag von Georg Büch­n­er unter­titelt. Das ist bemerkenswert (weil momen­tan das Rev­o­lu­tionäre in Leben und Werk Büch­n­ers keine beson­dere Kon­junk­tur hat …) und son­der­bar, weil es die Ausstel­lung nicht wider­spiegelt. Offen­bar war die Lust nach einem grif­fi­gen Slo­gan aber größer als der Wun­sch, dem Besuch­er zu sig­nal­isieren, was ihn erwartet …

Ganz Darm­stadt büch­n­ert dafür, für die Gele­gen­heit “seinen” Dichter zu ehren. Über­all wird für ihn und vor allem die Ausstel­lung gewor­ben. Auch das übri­gens viel bunter, pep­piger und pop­piger als in den Hallen selb­st — da herrscht klas­sis­che Typogra­phie in Schwarz auf Weiß bzw. Weiß auf Schwarz vor. Son­st tun sie das ja eher nicht oder doch zumin­d­est deut­lich zurück­hal­tender. Sei’s drum …

"wir alle haben etwas mut und etwas seelengröße notwendig" - Büchner-Zitat-Installation am Darmstädter Hauptbahnhof

“wir alle haben etwas mut und etwas see­len­größe notwendig” — Büch­n­er-Zitat-Instal­la­tion am Darm­städter Haupt­bahn­hof

Im Darm­stadtium hat die ver­anstal­tende Mathilden­höhe mit der Ausstel­lung Raum gefun­den, Georg Büch­n­er zu erin­nern und zu verge­gen­wär­ti­gen. Wobei Raum schon schwierig ist — das sind offen­bar ein paar Eck­en, die bish­er ungenutzt waren, ver­winkelt und ver­schachtelt — was der Ausstel­lung nur mäßig gut­tut, Über­sicht oder logis­che Abläufe oder auch bloße Entwick­lun­gen gibt es hier wenig.

Was gibt es aber in der Ausstel­lung zu erfahren und zu sehen? Zuerst mal gibt es unheim­lich viel zu sehen — und viele schöne, span­nende Sachen. Zum Beispiel das nachge­baute Wohnz­im­mer der Büch­n­ers — nicht rekon­stru­iert, aber schön gemacht (schon die Wände haben mir gefall­en). Sehr schön auch die Rekon­struk­tion sein­er let­zten Woh­nung in Zürich (Spiegel­gasse 12 — ganz in der Nähe wird später auch Lenin resi­dieren), seines Ster­bez­im­mers (zwar hin­ter Glas, aber den­noch sehr schön). Auch die Büchner’sche Haar­locke darf natür­lich nicht fehlen.

Büchner auf der Treppe zur Ausstellung (keine Angst, der Rest der Ausstellung ist nicht so wild ...)

Büch­n­er auf der Treppe zur Ausstel­lung (keine Angst, der Rest der Ausstel­lung ist nicht so wild …)

Über­haupt, das kann man nicht oft genug beto­nen: Zu sehen gibt es unendlich viel: Unzäh­lige Stiche, Radierun­gen, Bilder — von Darm­stadt und Straßburg vor allem. Gießen zum Beispiel ist extrem unter­repräsen­tiert. Und natür­lich gibt es Texte über Texte: Schriften, die Büch­n­er gele­sen hat, die er benutzt hat, die er ver­ar­beit­et hat — sie tauchen (fast) alle in den enst­prechen­den Druck­en der Büch­n­erzeit hier auf, von Shake­speare bis zu den medi­zinis­chen Trak­tat­en, von Descartes bis Goethe und Tieck.
Auch Büch­n­er selb­st ist mit seinen Schriften vertreten — naturgemäß weniger mit Druck­en — da ist außer “Danton’s Tod” ja wenig zu machen -, son­dern mit Hand­schriften. Die sind in der Ausstel­lung zwar reich­lich in Orig­i­nalen zu bewun­dern, aber Tran­skrip­tio­nen darf man nicht erwarten. Und lesen, das ist bei Büch­n­ers Sauk­laue oft nicht ger­ade ein­fach. Zumal mir da noch ein ander­er Umstand arg aufgestoßen ist: Die Exponate in der (aus kon­ser­va­torischen Grün­den) sehr dämm­ri­gen Ausstel­lung sind in der Regel von schräg oben beleuchtet — und zwar in einem sehr ungün­sti­gen Winkel: Immer wenn ich mir einen Brief an oder von Büch­n­er genauer betra­cht­en wollte, um ihn zu entz­if­fern, stand ich mir mit mein­er Rübe selb­st im Licht.

Son­st bietet die Ausstel­lung so ziem­lich alles, was mod­erne Ausstel­lungs­plan­er und ‑bauer so in ihrem Reper­toire haben: Pro­jek­tio­nen, Mul­ti­me­di­ain­stal­la­tio­nen, Ani­ma­tio­nen, überblendete Bilder, eine Art Nachrich­t­entick­er (der schw­er zu bedi­enen ist, weil er dazu tendiert, in irrem Tem­po durchzurasen), mit Vorhän­gen abge­tren­nte Sep­a­rées (während das beim Sezieren/der Anatomie unmit­tel­bar Sinn macht, hat mir das ero­tis­che Kabi­nett ins­ge­samt nicht so recht ein­geleuchtet …) und sog­ar einen “Lenz-Tun­nel” (von dem man sich nicht zu viel erwarten darf und sollte). Der let­zte Raum, der sich der Rezep­tion der let­zten Jahrzehnte wid­met, hat das übliche Prob­lem: So ganz mag man die Rezep­tion nicht weglassen, eine verün­ftige Idee dafür hat­te man aber auch nicht. Da er auch deut­lich vom Rest der Ausstel­lung getren­nt ist und qua­si schon im Foy­er liegt, ver­liert er zusät­zlich. Viel span­nen­des gibt es da aber eh’ nicht zu sehen, so dass man dur­chaus mit Recht hin­durcheilen darf (wie ich es getan hab — Wern­er Her­zog kenne ich, Alban Berg kenne ich, Tom Waits auch, die Her­bert-Gröne­mey­er-Bear­beitung von “Leonce und Lena” sollte man sowieso mei­den …).

Bei manchen Wer­tun­gen bin ich naturgemäß zumin­d­est unsich­er, ob das der Wahrheit let­zter Schluss ist — etwa bei der Beto­nung der Freude und des Engage­ments, das Büch­n­er für die ver­gle­ichende Anatomie entwick­elt haben soll — was übri­gens in der Ausstel­lung selb­st schon durch entsprechende Zitate kon­terkari­ert wird und in mein­er Erin­nerung in Hauschilds großer Büch­n­er-Biografie nicht von unge­fähr deut­lich anders dargestellt wird. Unter den Experten und Büch­n­er-Biografen schon immer umstrit­ten war die Rolle des Vaters — hier taucht er über­raschend wenig auf. Über­haupt bleibt die Fam­i­lie sehr im Hin­ter­grund: Sie bietet nur am Anfang ein wenig den Rah­men, in dem Georg aufwächst — mehr Wert als auf die Fam­i­lie und per­sön­liche Beziehun­gen über­haupt legt die Ausstel­lung aber auf Erfahrun­gen und Rezep­tio­nen von Kun­st (Lit­er­atur, The­ater, Gemälde und andere mehr oder weniger muse­ale Gegen­ständlichkeit­en) und geo-/to­pographis­chem Umfeld.

Nicht zu vergessen sind bei den Exponat­en aber die kür­zlich ent­deck­te Zeich­nung August Hoff­mann, die wahrschein­lich Büch­n­er zeigt. Auch wenn ich mir dabei wiederum nicht so sich­er bin, dass sie das Büch­n­er-Bild wirk­lich so radikal verän­dert, wie etwa Ded­ner meint (in der Ausstel­lung wird sie nicht weit­er kom­men­tiert). Und die erste “echte” Guil­lo­tine, die ich gese­hen habe, auch wenn es “nur” eine deutsche ist.

Gestört hat mich ins­ge­samt vor allem die Fix­ierung auf den Audio­gu­ide — ich hätte gerne mehr Text an der Wand gehabt (zum Beispiel, wie erwäh­nt, die Tran­skrip­tio­nen der Hand­schriften — die muss man mir nicht vor­lesen, da gibt es wesentlich ele­gan­tere Lösun­gen, die ein­er Ausstel­lung über einen Schrift­steller auch angemessen­er sind). Zumal die Sprech­er manch­mal arg gekün­stelt wirken.

Und wieder ist mir aufge­fall­en: Büch­n­er selb­st ist fast so etwas wie das leere Zen­trum der Ausstel­lung (auch wenn das jet­zt etwas über­spitzt ist). Es gibt hier unheim­lich viel Mate­r­i­al aus seinem näheren und weit­eren Umkreis, zu sein­er Zeit­geschichte und sein­er Geo­gra­phie — aber zu ihm selb­st gar nicht so viel. Das ist natür­lich kein Zufall, son­dern hängt eben mit der Über­liefer­ungs- und Rezep­tion­s­geschichte zusam­men. Aber als Panora­ma des Vor­märz im Großher­zog­tum Hes­sen (und Straßburg) ist die Ausstel­lung dur­chaus tauglich. Jet­zt, wo ich darüber nach­denke, fällt mir allerd­ings auf: Wed­er “Vor­märz” noch “Junges Deutsch­land” sind mir in der Ausstel­lung begeg­net. Von der Ein­bet­tung sollte man sich auch über­haupt wed­er in lit­er­aturgeschichtlich­er noch in all­ge­mein­his­torisch­er Hin­sicht zu viel erwarten: Das ist nur auf Büch­n­er selb­st bezo­gen, nachträgliche Erken­nt­nisse der Forschung oder nicht von Büch­n­er selb­st explizierte Zusam­men­hänge ver­schwinden da etwas.

Und noch etwas: eines der über­raschend­sten Ausstel­lungsstücke ist übri­gens Rudi Dutschkes Han­dex­em­plar der Enzens­berg­er-Aus­gabe des “Hes­sis­chen Land­boten”, mit sehr inten­siv­en Lek­türe­spuren und Anmerkun­gen …

Hoch geht's zu Büchner

Hoch geht’s zu Büch­n­er

Aber dass der Kat­a­log — ein gewaltiger Schinken — die Abbil­dun­gen aus irgend ein­er ver­sponnenen Design-Idee alle auf den Kopf gestellt hat, halte ich gelinde gesagt für eine Frech­heit. Ein Kat­a­log ist meines Eracht­ens nicht der Platz für solche Spiel­ereien (denen ich son­st ja über­haupt nicht abgeneigt bein), weil er dadurch fast unbe­nutzbar wird — so einen Brock­en mag ich eigentlich nicht ständig hin und her drehen, so kann man ihn nicht vernün­ftig lesen.

Aber trotz­dem bietet die Ausstel­lung eine schöne Möglichkeit, in das frühe 19. Jahrhun­dert einzu­tauchen: Sel­ten gibt es so viel Aura auf ein­mal. Die Ausstrahlung der Orig­i­nale aus Büch­n­ers Hand und der (Druck-)Erzeugnisse sein­er Gegen­wart, von denen es hier ja eine fast über­mäßige Zahl gibt, ist immer wieder beein­druck­end — und irgend­wie auch erhebend. Fast so ein­drück­lich übri­gens wie die Lek­türe der Texte Büch­n­ers selb­st — dadrüber kommt die Ausstel­lung auch mit ihrer Masse an Exponat­en nicht.

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