„Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge.“
—Novalis, Blüthenstaub (1798), § 1
Warum fällt jetzt dieser Regen? Arno Schmidt, Zettel 10505 zu „Julia“
Arno Schmidt, Zettel 10505 zu „Julia“
Douglas Adams hat eine gute Faustregel für die Reaktion auf neue Technik/Technologien aufgestellt, wie ich gerade lernte:
I’ve come up with a set of rules that describe our reactions to technologies:
1. Anything that is in the world when you’re born is normal and ordinary and is just a natural part of the way the world works.
2. Anything that’s invented between when you’re fifteen and thirty-five is new and exciting and revolutionary and you can probably get a career in it.
3. Anything invented after you’re thirty-five is against the natural order of things.Douglas Adams, The Salmon of Doubt: Hitchhiking the Galaxy One Last Time (2002)
so schrieb er in The Salmon of Doubt – und ich glaube, das ist ziemlich genau und richtig beobachtet – das deckt sich zumindest mit meinen Erfahrungen …
die letzten warmen tage im september. noch ist die sonne nicht
über die höhen und eine dunkelheit streicht um die fenster, als ob
sie sie zu sich nach draußen riefe: wenige laute, keine vögel.
die blauen fernen der schwäbischen alb. es rauscht der traum
verwirrend aus der tiefe. im ersten morgenlicht die königstraße lang
und hoch zum markt, zum schwarzen tor, vorbei am kapuziner und
der gänsbrunnengasse, und erst am hochturm ruht sie auf der bank
wo sich schon eingefärbte blätter um die schuhe ranken. und
stille, wecke nicht, es war, als schliefe in der hochturmgasse noch
der geist der stadt. im konfektionshaus balle steht die stunde still.
geht dort ein mädchen durch die waldtorstraße, vorbei am schild
von viktor hezinger flaschner, vorbei am pflugbräu, alte post, und
nur der grüne heißluftballon grüßt, als schwebe er niemals davon.
sie schlägt den weg zjm münster ein. kurz vor laudes, keine stimmen
hat sie die orgel ganz für sich allein und kann kein kreuz im morgen
schlagen, aber das lechtende rot der gewänder strahlt von den
hohen kirchenfenstern und schiebt sie in die lorenzgasse vor
zur kapelle an die neckarschleife und weckt den leisen strom
von zauberklängen, als ob die bleichen und die mühlen sängen
rings von der alten schönen zeit. vom viadukt ein kurzer blick.
die letzten warmen tage im september. es rauscht der traum
verwirrend aus der tiefe und von den vögeln tönt jetzt ein gesang
im ersten morgenlicht die königstraße lang: es ist, als ob die sonne
sie aus ihrem innern riefe. sie kehrt ins zimmer unterm dach zurück.
―Nadja Küchenmeister (in: Unter dem Wacholder. Frankfurt am Main: Schöffling 2020, S. 91.)
Die Idee trieb mich schon länger um: Wäre es nicht möglich, von Regensburg in die Heimat, also nach Erbach im Odenwald, an einem Tag mit dem Fahrrad zu fahren? Erste Test mit Komoot und BRouter ergaben: Das sind ungefähr 300 Kilometer. Das sollte doch machbar sein! Meine längste Tagesstrecke bisher war 240 Kilometer lang – und von da bis 300 Kilometer sind es ja nur noch ein Katzensprung …
Also habe ich das mal ins Auge gefasst und angefangen, eine Route auszuarbeiten. Wie bei langen Streckentouren habe ich die Route zunächst mit Bikerouter (also BRouter-Web) erstellt (mit dem Rennradprofil für minimalen Verkehr, das hat mir bisher immer gute Dienste geleistet) und den Track danach in Komoot noch minimal bearbeitet. Vor allem bei den Ortsdurchfahrten, gerade bei Dörfern und kleinen Städten, macht BRouter oft etwas unnötige Umwege über Seiten-/Wohnstraßen, wo ich die direktere Durchfahrt bevorzuge. Aber viel habe ich nicht geändert, bevor die Strecke auf meinen Garmin kam. Am Tag zuvor hatte ich die großartige Idee, noch einmal alles zu updaten – und da hat Garmin Express wohl Mist gemacht, denn trotz Erfolgsmeldung hatte ich am nächsten Tag einfach überhaupt keine Karte auf dem Gerät (abgesehen von der Basemap, die ja überhaupt nicht hilft für irgendetwas). Das merkte ich aber natürlich erst, als ich unterwegs war – und dann war es zu spät. Also fuhr ich den ganzen Tag nur mit Brotkrumennavigation. Das ging aber übeerraschend gut: Klar, mit Karte ist es angenehmer, vor allem an unübersichtlichen Stellen und verzwickten Abzweigen. Aber mit nur wenigen Fehlinterpretationen, bei denen mich der Garmin ja schnell auf die Streckenabweichung hinwies, habe ich den Weg auch so gut gefunden.
Dann war nur noch ein geeigneter Termin zu finden … Das es im Juni/Juli sein sollte, war schnell klar – ich brauche ja einen langen, hellen Tag für so eine lange Tour, um möglichst wenig mit Licht fahren zu müssen. Und ein Samstag sollte es werden: Da erwartete ich etwas weniger Verkehr, aber die Läden sind dennoch offen und bieten mir einfache Möglichkeit, mich unterwegs (nach) zu versorgen, so dass ich nicht immer auf Friedhöfe ausweichen muss.
Da ich ja „heim“ fuhr, wollte ich mit minimalem Gepäck fahren und habe Kleidung für die nächsten Tage per Post vorausgeschickt. So hatte ich am Rad nur die kleine Satteltasche und eine Oberrohrtasche für zusätzliche Riegel und eine Powerbank, denn mein Garmin (Edge 520 Plus) hält auf keinen Fall so lange durch, ich brauche also Strom, um unterwegs nachladen zu können. Außerdem habe ich das Varia-Rücklicht (das ich ja vor allem wegen des Radars habe) um ein kleineres, starkes Rücklicht ergänzt und ein Frontscheinwerfer ergänzt, der unten an der Computerhaltung zum Hängen kam.
In gewohnter und erprobter Manier habe ich dann zwei 0,75-Liter-Flaschen im Rahmen gehabt und eine zusätzliche Wasserflasche gleicher Größe im Trikot. Das Trikot trug außerdem einige Cliff-Bars und zusätzlich noch etwas Gel-Vorrat (Hammergels und Sankt Bernhard Liquid Energie Pur in den etwas gewöhnungsbedürftigen Tuben).
Dann ging es also los: Der Wecker klingelte um 4 Uhr, ein kurzes Frühstück und ein Becher Tee sollten schon noch sein. Die Abfahrt war dann doch erst um 4.45 Uhr und nicht wie angepeilt 15 Minuten früher. Das war aber früh genug … Und noch richtig frisch draußen, in kurzer Bib und kurzem Trikot. Auf den ersten Kilometern war ich erst einmal allein, nur an der Eisenbahnbrücke Sinzig arbeitete die Nachtschicht an der Baustelleneinrichtung. Die Router führte mich zunächst entspannt von Regensburg an der Naab entlang nach Etterzhausen. Da ging es dann das erste Mal spürbar bergauf, in Richtung Undorf aus dem Naabtal heraus und hinüber in das Tal der Laaber. Da blieb ich aber auch nicht lang, sondern machte mich auf in Richtung Hemau über Hohenschambach. Da oben, auf der Ebene, wurde es dann ruckartig wärmer: Die Sonne kam über den Horizont und fing an, spürbar zu wärmen. Vom Sonnenaufgang bekam ich allerdings kaum etwas mit, die Sonne war ja in meinem Rücken, denn meine Route führte mich ja nach Westen und Nordwesten.
So pedalierte ich also durch die Oberpfalz, die Orte wachten langsam auf … Und schon war es Zeit für meine erste Pause. Mein Plan war, ungefähr alle 50 Kilometer eine kurze Pause einzulegen, wenn es sich anbot – um kurz zu entspannen und den Garmin nachzuladen. Das hat genau einmal geklappt, beim ersten Mal – die zweite Pause war dann schon etwas verspätet, bei etwa 120 Kilometer. Und danach habe ich den Plan ganz aufgegeben und eher nach Gefühl pausiert. Also dann, wenn es mir zweckdienlich erschien oder wenn ich Nachschub brauchte. Das hat natürlich zu ungleichmäßigen Pausen geführt. Aber sei’s drum, es zwingt mich ja keiner zu irgend etwas. Na gut, ich mich selbst. Denn sobald ich wirklich unterwegs war, gab es kaum mehr ein Zurück: Ein Abbrechen wurde zunehmend schwierig, je länger ich unterwegs war. Gut, ich kam am Rand von Nürnberg vorbei, da hätte ich auch zum Bahnhof fahren können. Aber später wurde das zunehmend unrealistischer bis unmöglich, weil keine machbaren Verbindungen, weder zurück zum Start noch zum Ziel, mehr an der Strecke erreichbar waren. Ich war mir also selbst ausgeliefert … Zunächst hatte ich ja auch durchaus Zweifel, ob das so alles klappen würde: Die Strecke selbst war ja länger als alles, was ich bis dahin gefahren bin. Und kurz vor Schluss kam noch der längste und höchste Anstieg, der sich leider absolut nicht anders planen ließ, irgendwie musste ich ja in den Odenwald und ins Mümlingtal gelangen. Aber irgendwann am Nachmittag verschwanden die Zweifel zunehmend, gerade jenseits der 200-Kilometer-Marke wurde allmählich klar: Das bekomme ich irgendwie schon hin. Und so war es ja dann auch …
Aber so weit war ich noch nicht. Zunächst ging es weiter ein wenig auf und ab, ich kam gut voran. Zwischendurch wurde es merklich wärmer – in zwei Schüben gegen 11 Uhr und am Nachmittag, gegen 15 Uhr schien die Temperatur jeweils zu springen. Aber trotz Werten um 30 °C war das noch gut auszuhalten. Nur war ich recht viel – mehr als ich erwartete – in der direkten Sonne unterwegs.
Zwischenzeitlich fingen die Radhandschuhe an zu nerven. Nun, da ich unterwegs war, erinnerte ich mich, warum ich doch immer wieder bevorzugt die alten, fast auseinanderfallenden benutzte. Denn die neueren Exemplare von Rose haben die unangenehme Eigenschaft, anch einigen Stunden Tragezeit sich in die Zwischenräume der Finge förmlich hineinzufressen. Und zwar so, dass das durchaus weh tut. Also bin ich über weite Strecken ab späten Vormittag ohne Handschuhe gefahren. Zum Glück hatte ich kurz vor der Tour das Lenkerband neu gewickelt. Mit dem alten, schon fast auseinanderfallenden Exemplar, wäre das nicht so angenehm gewesen. Dennoch, die Hände und, nicht ganz so stark, die Füße wurden im Laufe der Zeit die größten Schmerzpunkte. Die Hände müssen ja viel Gewicht abstützen, dass sind sie nicht so ausdauernd gewöhnt. Und die Füße waren Stunde um Stunde in den Radschuhen eingesperrt. Mit ein wenig Lockerungen in den Pausen ging das dann noch. Immerhin machte mein Hintern mir keine Probleme. Die gute und bewährte Me-Hose von Everve sorgte da für unproblematisches langes Sitzen im Sattel.
Nachmittags hatte ich dann zunehmend und für längere Zeit Gegenwind, meist schräg von links vorne. Das kam mir vor, als würde es gar nicht aufhören … Natürlich war ich zu dem Zeitpunkt auch alles andere als frisch. Die Spritzigkeit und die echte Kraft für den Druck auf den Pedalen war sowieso schnell weg. Ich hatte mir im Wissen um die lange Strecke vorgenommen, so lange wie möglich mit eher mäßiger Kraft zu fahren und gerade kleinere Steigungen und Wellen nicht einfach mit hohem Krafteinsatz wegzudrücken, sondern bewusst herunterzuschalten und die Verlangsamung in Kauf zu nehmen. Das hat auch anscheinend gut geklappt, denn auch nachmittags und in den Abendstunden konnte ich noch problemlos pedalieren. Ergänzend hatte ich immer einen Blick auf den Puls, um den nach Möglichkeit gar nicht erst in die oberen Bereiche zu treiben. Erfahrungsgemäß dauert es dann nämlich, gerade bei großer Wärme, doch recht lange, bis der wieder herunter geht. Das hat sicherlich auch geholfen, die lange Strecke gut durchzustehen.
So führte mich also mein Weg, von Regensburg durch die Oberpfalz vorbei an Parsberg und Neumarkt (wo ich mich beim Eingang zum Firmengelände von Max Bögl kurz ein wenig verhedderte) in den Süden Nürnbergs. Die eigentlich Stadt konnte ich vermeiden, aber die Außenbezirke und dann vor allem der Hafen und das umgebende Gebiet mit den mittelmäßigen Radwegen haben mir schon gereicht. Von Nürnberg aus ging es westwärts durch die Felder und Wiesen, knapp an Bad Windsheim vorbei über die Militärstraßen bei dem amerikanischen Stützpunkt in Illesheim nach Uffenheim. Dort nutzte ich die Gelegenheit für einen kurzen Zwischenstopp im Supermarkt, frischte meine Wasservorräte auf und gönnte mir ein Eis ;-)
Weiter ging es durch eine Baustelle (zum Glück waren die Bürgersteige, im Gegensatz zu der Straße in Gollhofen, nicht aufgerissen) in leichten Bögen oder Zick-Zack-Wendungen nach Nordwesten. Bei Sonderhofen fiel die 200-Kilometer-Marke, der Wind nervte so langsam. So gelangte ich schon bald ins Taubertal und schlich mich an Tauberbischofsheim vorbei. Dieses Mal hatte ich meine Route über Königheim und Schweinberg geplant – aus dem Taubertal wieder herauszukommen, ist immer mit gewissen Anstrengungen verbunden ;-) So auch hier, obwohl das die bessere Variante schien. Denn der Anstieg ist lange recht konstant in einer annehmbaren Steigung, nur gegen Ende wird das mal (aber auch nur verhältnismäßig kurz) deutlich steiler.
Jetzt stieß ich auch wieder in bekannte Gefilde vor. Zwischen Nürnber und Tauberbischofsheim bin ich ziemlich orientierungslos, auch wenn ich Teile der Route von früheren Fahrten immerhin wieder erkannte. Spätestens ab Hardheim – wo ich noch einmal einen schnellen Einkaufsstopp einlegte – hätte ich aber auch ohne Garmin nach Hause gefunden. Dabei führte mich meine Route von Hardheim zunächst über das Erftal nach Miltenberg. Das war, gerade jetzt, nach knapp 260 Kilometern, ein Traum: Konstant in leichtem Gefälle auf guter Straße mit wenig Verkehr bergab. Da konnte ich tatsächlich mal meinen Schnitt etwas hochtreiben. Die Route über Miltenberg ist zwar nicht der direkteste Weg nach Amorbach,aber die Alternative über Walldürn hat einerseits mehr Steigung und andererseits vor allem deutlich mehr Verkehr.
In Miltenberg selbst musste ich mich dann dummerweise mitten durch die Altstadt (und Kopfsteinpflaster!) quälen, weil die Mainstraße wegen Volksfest gesperrt war. Aber auch das ging vorüber und ich war wieder auf dem Weg Richtung Amorbach. Kurz vor Amorbach ging es dann auf die B47 und – nach einer kurzen Verpflegungspause – hinauf in die größte Steigung des Tages. Die ließ sich aber erwartungsgemäß so gut fahren, wie ich das aufgrund der Daten erwartete: Die Steigung ist zwar über mehrere Kilometer konstant, aber recht gleichmäßig und nicht zu extrem. Mit 9–10 km/h ließ sich das noch alles schön gemächlich und gleichmäßig durchgehend im selben Gang pedalierend bewältigen. Die Autos waren auch gar nicht so schlimm, nur ein paar Motorradspinner nervten bei der einsetztenden Dunkelheit mit extrem dichten Überholen und ausgeprägt überhöhten Geschwindigkeiten. Überhaupt waren die allermeisten Autofahrer*innen zumindest bemüht, ausreichend Abstand einzuhalten – nur wenige haben das deutlich unterschritten.
Irgendwann – genauer gesagt, nach einer knappen Dreiviertelstunde, war dann die Höhe von Boxbrunn erreicht. Nach einer letzten Pause am Waldrand ging es dann in den letzten Abschnitt. Zunächst auf der Höhe nach Eulbach und dann geschwind hinunter nach Erbach. Zum Glück war zu dieser Uhrzeit sehr wenig Verkehr, da konnte ich wunderbar meine Geschwindigkeit fahren. Nur ein paar wenige Autos kamen mir entgegen – die dachten sicher, da ist ein ganz schöner Spinner unterwegs, im Dunkeln mit dem Rennrad auf dieser Strecke … Aber der Frontscheinwefer hat sich hier gut bewährt, auch bei über 60 km/h war das hell genug ausgegleuchtet. Der letzte Kilometer in Befriedigung über die vollbrachte Tat keinen Abbruch mehr tun.
Die Daten:
- 307 Kilometer
- +2.047/-2.162 Höhenmeter (Garmin hat mehr, ca. 2.400 m Anstieg)
- 13:27:50 gefahrene Zeit
- 17:46:59 verstrichene Zeit (also mit Pausen – das macht sich, obwohl ich die auf 15–20 Minuten beschränkte, doch sehr bemerkbar …)
- 3 Bundesländer ;-)
Die Strecke:

Einige wenige subjektive und ungeordnete An- und Bemerkungen zu meinem Besuch der Tage Alter Musik (TAM) in Regensburg in der vierzigsten Ausgabe an Pfingsten 2025.
- Das Festival bot wieder eine wunderbare Vielfalt im Programm zwischen gewaltig-bombastisch-pompösen Prunkmusiken und intimen Kammermusiksettings.
- Meine Tage waren dieses Mal sehr katholisch ;-).
- Es nervte micht erstaunlich stark, wenn die angegebene Konzertdauer so überhaupt nicht stimmte. Ich war in einigen Konzerten, bei denen die Musiker*innen deutlich überzogen. Eigentlich ist das ja zunächst mal überhaupt nicht schlimm, irgendwie hat es mich – und auch einige andere, mit denen ich sprach – doch ein wenig verstimmt. Vermutlich, weil die Erwartungshaltung dann einfach nicht mehr passte. Meistens war das ja auch nicht wild: 90 Minuten statt 70 sind ja kein Weltuntergang (sondern mehr gute Musik!). Am Samstag Abend, bei Solomon’s Knot, war mit 2,5 Stunden der Bogen allerdings deutlich überspannt.
- Die kleineren, unscheinbareren Programme haben mir dieses Mal durch die Bank deutlich besser gefallen als die ganz „großen“ Acts.
- Viele Programme spielen mit oder versuchen zumindest eine irgendwie historische Überhöhung der Musik: Verboten, vergessen, verhindert, versteckt, – und dann einmalig und ganz besonders in der Wiederauflebung und so weiter. Das wird durch die musikalische Substanz aus meiner Perspektive nicht immer wirklich gedeckt, kann man aber als Werbemaßnahme auch getrost einfach ignorieren.
- Historische Räume haben oft erstaunlich unbequeme Sitzgelegenheiten, Bänke und Stühle gleichermaßen. Die Kirchenbänke der Dreieinigkeitskirche aus dem 17. Jahrhundert stechen da besonders heraus.
- Drei Nachtkonzerte hintereinander mit Beginn jeweils um 22.45 Uhr sind für mich, der ich um diese Zeit normalerweise schon schlafe, doch anstrengend.
- Die Organisation der TAM ist sehr souverän, die haben das alles perfekt im Griff. Kein Wunder, das war ja auch schon das vierzigste Mal.
- Das Programmheft mit 160 Seiten im A4-Format ist für mich etwas unpraktisch und unhandlich. Ich hätte mir eine pdf-Version gewünscht. Und bei so einigen Programmeinführungen ein bisschen mehr Tiefgang in analytischer und musikgeschichtlicher Hinsicht. Ich bin mir recht sicher, das Publikum der TAM würde das verkraften. Und: Ich habe irgendwie im Gedächtnis, das früher die Programmfolge auch ohne das offizielle Programm (auf der Website?) zugänglich war. Die am Eingang jeweils ausgeteilten gesungenen Texte sind aber eine große Hilfe.
- Das/Der Hathor Consort mit den Sopranistinnen Dorothee Mields und Hanna Blažíková mit einer Auswahl von Barbara Strozzi, eine der wenigen Komponistinnen der Alten Musik, war ein wunderbarer Auftakt für mich im ersten Nachtkonzert am Freitag. Das war ein stimmiges Programm mit guter Dramaturgie, präzise, lebendig und sehr farbig gesungen war das eine große Freude mit (mir) unbekannter Musik.
- Samstag Nacht, im zweiten Nachtkonzert, feierte der Tenebrae Choir Palestrinas 500. Geburtstag mit seine Missa Viri Galilaei im Mittelpunkt. Ein sehr schönes und ausgewogenes Programm, in dem der wunderbar intonierende Tenebrae Choir in der schönen frühgotischen St. Blasius klare Linien in gelassener Ruhe und klanglicher Schönheit entfaltete – ein ruhiger, fast meditativer Abschluss des Tages.
- Für das dritte Nachtkonzert luden Cappella Pratensis und das mir schon von früher als famos bekannte Sollazzo Ensemble ins Brauhaus am Schloss. Nunja, das Setting war zwar von der Idee her passend und naheliegend: Das Programm war eine Rekonstruktion des „Schwanenmahls“ der Mariengilde in ’s‑Hertogenbosch. Aber mich hat das ein wenig gestört. Der Raum war arg überbelegt, es war schon im Normalzustand kaum ein Durchkommen zwischen den Tischen. Was hier passiert wäre bei einem Unglück mag ich mir kaum ausmalen, zumal auch der einzige Notausgang mit einem Tisch zugestellt war (die ganze Belegung kann meines Erachtens feuerpolizeilich nicht genehmigungsfähig gewesen sein). Die Bedienungen haben trotz anderslautender Ankündigung im Programm noch die ersten 15 Minuten des Konzertes (das es ja doch war und auch sein sollte!) bedient, das war sehr störend. Aber die Musik! Die fünf Männer der Cappella Pratensis sangen Messteile, direkt aus Faksimiles der originalen Quellen (und nicht aus modernen Transkriptionen). Das heißt ja auch, dass sie alle aus einem Exemplar sangen, sich also dort herum versammeln. Und das setzt natürlich voraus, dass alle die historischen Notationen (die ja nach heutigen Standards eher rudimentär sind und viel Zusatzwissen um die korrekte Lesart erfordern) genauso beherrschen wie die Umsetzung in Klang. Ich weiß nicht, ob das wirklich einen entscheidenden Unterschied macht, aber sie beherrschen die Kunst und ihre reinen Stimmen auf jeden Fall bis ins letzte Detail. Das war wirklich faszinierend in jedem Augenblick und jedem Detail. Und zusammen mit dem Sollazzo Ensemble ergeben sich noch zusätzliche wunderbare Farbkombinationen, die auch sehr intensiv und direkt miteinander agieren. Das gilt natürlich gnaz besonders, wenn sie so etwas wie Scherzcouplets mit schlüpfrigen Andeutungen aufführen. Ein wirklich wunderbarer Ausflug ins 15. und 16. Jahrhundert, der mich sehr entzückte!
- Meine Skepsis gegenüber Rekonstruktionen verloren gegangener Musik hat sich zumindest teilweise bestätigt. Schon im letzten Jahr hatte mich die Bach-Rekonstruktion nur halb überzeugt, in diesem Jahr gar nicht: Für Solomon’s Knot hat Chad Kelley die Trauermusik Bachs für Leopold von Köthen, seinen ehemaligen Dienstherren, rekonstruiert oder neu geschrieben. Überliefert ist nur das Libretto von Picander und der Hinweis, dass Bach für die Trauermusik (unter anderem) aus der Matthäuspassion parodiert hat. Das war ja gängige Praxis und gibt heutigen Spezialisten viel Möglichkeit, Pseudo-Bach neu zu schreiben. Ob es dann tatsächlich so klang, ist in der Regel reine Spekulation – was genau er und vor allem wie parodiert hätte, ist ja gerade nicht bekannt. Jedenfalls hat die Köthener Trauermusik also einige Hits aus der Matthäuspassion. Da kann man lustiges Erkennen spielen. Aber der Text ist halt doch rein situationsbezogen, weist eigentlich nie wirklich über den konkreten Anlass, das Begräbnis des Fürsten, hinaus, transzendiert das also überhaupt nicht vom konkreten Trauerfall in allgemeinere Ideen, Glaubenssätze oder Inhalte zu Tod oder Trauer. Die Kombination dann, also rein situativer Text mit Musik, die aus anderen Kontexten sehr gut bekannt ist, machte das Werk für mich weitgehend uninteressant (zumal das auch noch recht umfangreich war). Obwohl Solomon’s Knot das ausgesprochen großartig musiziert haben! Die vorangestellte Trauer-Ode fand ich wesentlich intensiver, faszinierender und berührender.
- Musikalische Witze können auch nervend werden. Das italienische Ensemble Zefiro unter dem Oboisten Alfredo Bernardini hat ein Program „Follia“ präsentiert, das mir ein wenig arg auf die komische und witzige Variante hinauslief, die – vor allem in der wiederholten Kombination – dann doch etwas platt geriet. Vielleicht bin ich dafür aber nur zu sauertöpfisch, die Musiker*innen selbst und das Publikum schienen viel Spaß zu haben …
- Immer wieder aber großartig die Ensembles, die sich mit viel Einsatz und Genauigkeit der Musik und ihren Programm verschrieben. The Beggar’s Ensemble mit/unter Augustin Lusson präsentieren „Meister des französischen Barocks“ – Orchesterstücke von Rameau und Violinkonzerte von Jean-Marie Leclair und Joseph Bodin die Boismortier. Das war nicht nur (gerade in den Konzerten) hochvirtuos, sondern vor allem ausgesprochen farbig, obwohl ein reines Streicherensemble. Aber die Plasizität und Ausdruckskraft, die The Beggar’s Ensemble aus ihrem Program herausholten, hat mich durchweg begeistert. Grandios.
- Wirklich schön auch das Programm „Il Concerto Segreto“ von La Néréide. Mit drei Sopranistinnen und eher zurückhaltender (und klein besetzter) Begleitung führten sie eine schöne Auswahl der Madrigale von Luzzasco Luzaaschi und Kollegen aus Italien kurz vor 1600 auf. Das war mir ein völlig unbekanntes Repertoire, das die Minoritenkirche aber schön, feinsinnig und im durchaus virtuosen Gesang auch sehr klangsinnig füllte. Zum Glück störte das Martinshorn erst beim Ende der zweiten Zugabe.
- Nicht alle Ausgrabungen sind besonders zwingend. Xenia Löffler und die Batzdorfer Hofkapelle haben sich in der Bibliothek der Thurn-und-Taxi’schen Hofkapelle umgesehen und eine Auswahl sinfonischer Musik mit besonderer Berücksichtigung der Oboen in St. Emeram aufgeführt (also fast am historischen Ort der Uraufführung im Schloss Thurn und Taxis). Insbesondere Theodore von Schachts Concertante mit 3 Oboen ist in Bezug auf die verlangte und hier tadellos vorgeführte Viruosität durchaus beindruckend. Sowohl Haydns „Schulmeister“-Sinfonie als auch die Sinfonia von Johann Gottlieb Graun waren für mich nun aber keine unbedingt zwingende Ausgrabungen.
- Immer wieder wahr: Begeisterung und Hingabe der Ausführenden erzeugt fast zwangsläufig Begeisterung auch beim Publikum.
- Das Prunkprogramm „Splendor Austriae“ von Ars Antiqua Austria und den St. Florianer Sängerknaben unter Gunar Letzbor mit Messen und anderen geistlichen Werken von Benedikt Aufschnaiter und Heinrich Ignaz Franz Biber hat mich nur teilweise begeistert. Gerade die 32-stimmige Vesperae von Biber konnte sich für mich nicht so recht entfalten, da ging mir zu viel verloren – was vielleicht auch an meinem Platz auf der Empore lag. Das war keinesfalls schlecht, sondern in der Ernsthaftigkeit durchaus auch beeindruckend (auch wenn Letzbor mir ein wenig zu sehr Rampensau war), hat mich aber jenseits der technischen Exekution nicht so recht berührt oder erreicht.
- Die diesjährigen TAM hatten einen sehr spektakuläre Schluss mit Le Concert Spirituel, die unter Hervé Niquet die Rekonstruktion der musikalischen Teile einer Festmesse in den schönen Raum von St. Blasius brachten. Fünf jeweils achtstimmige Chöre (also 40 Sängerinnen und Sänger) und ein bläserlastiges Instrumentalensemble füllten die Kirche mit sehr erhabenen und erhebenden Klängen. Schon die Eingangsprozession der Musiker*innen mit einem gregorianischen Choral und dann auch der ganze Rest vermittelt mehr als eine Andeutung dessen, was die Florentiner*innen bei einer Messe zum Johannisfest um 1560 gehört haben könnten. Im Detail ging für mich im hinteren Drittel des Publikums aber viel verloren, die Mehrchörigkeit war dort nur noch andeutungsweise wirklich zu erleben.
Das ist ja ein generelles Problem dieser oft extrem artistisch ausgefeilten Musiken, sei es in italienischen Städten oder in Kirchen des Reichs. Das ist oft an sehr bestimmte architektonische und akustische Gelegenheien gebunden (das Musterbeispiel ist natürlich S. Marcus in Venedig mit seinen mehreren Emporen) und lässt sich so heute kaum entsprechend rekonstruieren. Zumal auch schon unter originalen Gegebenheiten das natürlich nur für verhältnismäßig wenige genau so wie intendiert erfahrbar war. Es bleibt aber im Idealfall doch genügend große und großartige Musik, die auch unter suboptimalen Hörbedingungen berühren und gefallen kann. Und das gelang Le Concert Spirituel definitiv.
Über „Nureinblog“ und „Jansens Pott“ bin ich auf die Idee gebracht worden, meine fünf wichtigsten selbst-gehosteten Softwwarepaket vorzustellen.
Das ist meine Liste:
- Miniflux: Ein schöner, zuverlässiger RSS-Reader für den es auch passende Android-Apps gibt. Vor langer Zeit hatte ich zunächst Tiny-Tiny-RSS im Einsatz, da ist der Entwickler dann aber etwas seltsam abgebogen, wesehalb ich wechselte.
- Grocy: ERP für den Kühlschrank: Sehr cooles Tool zur Verwaltung von Lebensmitteln, Einkäufen und Listen, aber auch Rezepten. Erfordert zunächst etwas Arbeit und Eingewöhnung, ist aber wirklich hilfreich für mich.
- Wallabag: als Read-Later-Service, funktioniert sehr gut, auch wenn die Installation ein paar Eigenheiten hat.
- Dokuwiki: Dieses Datei-basierte Wiki benutze ich schon lange als Tagebuch und Wissensarchiv – das läuft einfach und läuft und läuft …
- Pi-hole: Das habe ich noch nicht so lange im Einsazt, ist aber inzwischen auch unverzichtbar: Über zwischengeschaltetes DNS wird dadurch Werbung und Tracking radikal unterbunden – bei mir fängt Pi-hole momentan über 70 % (!) aller Requests ab. Das ist Wahnsinn, wenn man sieht, wer da so alles rumspäht und überwacht …
Pi-hole ist dabei als einziges im strengen Sinne komplett selbstgehosted, nämlich auf einen Raspberry Pi neben der Friz.Box. Alle anderen Dienste laufen auf Uberspaces, also eigentlich in Shared-Hosting-Umgebungen.
Und das sind meine zusätzlichen Bonus-Fünf (damit ist die Liste dann auch wirklich fast komplett):
- Nextcloud: Kalender, Kontakte, ein wenig Dateisynchronisation (das meiste der Synchronisation erledigt aber Syncthing im lokalen Netz direkt zwischen den Geräten). Bin inzwischen am Überlegen, ob ich Nextcloud nicht aufgeben und auch auf spezilaisiertere Dienste wechsle (z.B. Baikal und Seafile)
- WordPress für das Blog hier und einige Nebenprojekte. Eigentlich will ich das auch aufgeben und migrieren, vorzugsweise zu einem Static-File-Generator wie Hugo, das liegt im Moment aber auf Halde.
- Snappymail als schönes Webmail-Frontend für meine diversen E‑Mail-Konten.
- Firefly-III als Buchhaltung, bisher und momentan nur sehr rudimentär genutzt.
- Kimai als Zeiterfassungstool, nur fallweise für Projekte und ähnliches genutzt
Ich bin gerade noch am Überlegen, eine Fediverse-Instanz für mich selbst zu hosten (z.B. GoToSocial). Da bin ich aber noch nicht ganz mit mir selbst im Reinen, ob das den Aufwand wert ist …
Pflichthörprogramm für den 3. Februar:
Beim Klicken auf das und beim Abspielen des von YouTube eingebetteten Videos werden (u. U. personenbezogene) Daten wie die IP-Adresse an YouTube übertragen.
Ein Stück Draht, krumm
ausgespannt, zwischen zwei
kahlen Bäumen, die
bald wieder Blätter
treiben, früh am Morgen
hängt daran eine
frisch gewaschene
schwarze Strumpfhose
aus den verwickelten
langen Beinen tropft
das Wasser in dem hellen
frühen Licht auf die Steine.
―Rolf Dieter Brinkmann
schwerfälliger mahlt
der grosse motor sommer
gedanken kauender tor
zum abend geneigt
steht mittag im feld
pracktvoll sinkt rot
unterm wolkenbrokat
schon am herbstsaum
treiben die wiesen
das tor in den tag
angelehnt
du ich zwischen
tür und angel
―Stefan Döring (aus: Monate Jahre (in: WENN WELT. Berlin, Schupfart 2024 (roughbooks 064), S. 83.))

