Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: veranstalter

jörg widmann, neue musik & kritik

das ist mal eine abrech­nung: unter dem titel “halb­bil­dung, schwärmerei, leere” ste­ht sie im bad blog of musick der neuen musikzeitung. da geht es zunächst um wid­mann, seine (inzwis­chen) leere, belan­glose, aus ver­satzstück­en geschus­terte musik (ich kon­nte den hype um ihn noch nie so recht ver­ste­hen — ein­fach, weil seine musik mich nur sel­ten berührte oder faszinierte. vielle­icht war das ja intu­itiv richtig …). dann aber auch um die ver­strick­un­gen im musik­be­trieb, um die ver­gabe von preisen etc., um fes­ti­vals und der­gle­ichen — anhand von wid­mann und wolf­gang rihm. und dann auch noch um die nicht (mehr) vorhan­dene musikkri­tik. und sog­ar die musik­wis­senschaft ent­täuscht arno lück­er (der auch mal selb­st kom­poniert) mit inhalt­sleere und unge­nauigkeit bei der unter­suchung wid­mannsch­er musik. er ver­sucht sich stattdessen selb­st an ein­er analyse. da kommt weniger gutes bei raus:

Wid­mann kommt es nicht auf Struk­tur, auf Form, auf Reflex­ion, auf Tiefe, son­dern auf Wirkung, Aus­druck, Effekt, Gefüh­ligkeit und auf den „span­nen­den“ Moment im Konz­ert an, mit dem er das – wie er: naive – Pub­likum beein­druck­en kann

und kurz darauf, am ende der fün­ften these, kom­men noch so ein paar schöne, tre­f­fende sätze:

Wid­manns kom­pos­i­torische Ästhetik ist unre­flek­tiert, juve­nil, affir­ma­tiv bis zur Anbiederung, schein­au­then­tisch und ohne Utopie. Wid­mann sehnt sich ins 19. Jahrhun­dert zurück. Zurück zu den Schwärmern, zurück zum Bie­der­meier. Seine Ästhetik ist ver­al­tet, aber genau das ist es, was seinen Erfolg aus­macht, was ihn – aus der Gruppe jün­ger­er Neue-Musik-Kom­pon­is­ten – zum Pub­likum­sliebling der Phil­har­monieabon­nen­ten Deutsch­lands wer­den ließ.

hach, das sitzt. und gefällt mir … auch das: “Was hier in Wahrheit ver­mit­telt wird, ist schlechte, prim­i­tiv-mon­u­men­tale Naiväs­thetik mit unaufgek­lärtem, geschichtlich blin­dem Spaß­fak­tor.”

und sehr schön auch noch der nach­trag, daraus muss ich noch ein­mal zitieren:

… der Autor des Textes schätzt Jörg Wid­mann, als jeman­den, der – würde er nicht von der ihn umar­menden Öffentlichkeit zeitlich und dadurch auch kün­st­lerisch über­fordert wer­den – dur­chaus das Poten­tial hätte, gute Musik zu kom­ponieren. Vielmehr weiß er von eini­gen Kom­pon­is­ten, deren Per­sön­lichkeit­en nicht der­art strom­lin­ien­för­mig justiert wur­den, dass sie sich an alles und jeden anzu­passen gewil­lt sind, dabei aber kün­st­lerisch unsag­bar Wert- und Span­nungsvolles zu sagen, zu kom­ponieren haben. Diesen Kom­pon­is­ten wird zu wenig Aufmerk­samkeit geschenkt.

20 jahre upart in mainz: grund zum feieren. mit vandermark & brötzmann

Gemein­sames Musikhören und die dazu gehören­den Diskus­sio­nen waren und sind die Keimzelle dieses Vere­ins. Vor zwanzig Jahren fan­den sich einige Ide­al­is­ten zusam­men, um den Jazz, die freie impro­visierte Musik häu­figer nach Mainz zu brin­gen: Der Upart-Vere­in war gegrün­det. Im Kern ist das seit damals vor allem eine basis­demokratisch organ­isierte Vere­ini­gung von Ide­al­is­ten und Fans. Ange­fan­gen hat alles an der Uni­ver­sität, im Asta, der 1987 das erste „Akut-Fes­ti­val“ ver­anstal­tete. Und der harte Kern machte dann nach dem Ende des Studi­ums ein­fach weit­er – jet­zt eben als Vere­in. Die knapp zwanzig Mit­glieder – viel größer ist der Vere­in auch heute nicht, trotz des steti­gen Kom­mens und Gehens – über­nah­men das Akut-Fes­ti­val und führten es in Eigen­regie fort.
Das ist auch heute noch der Kern der Ver­anstal­tungsar­beit von Upart. Auch wenn sie vor eini­gen Jahren den schw­eren Entschluss fassen mussten, nur noch im zwei­jähri­gen Tur­nus große Namen der impro­visierten Musik nach Mainz zu holen. Das lag, natür­lich, am Geld: Das Pub­likum­sin­ter­esse an exper­i­menteller, freier Musik ist in den bei­den Dekaden deut­lich zurück­ge­gan­gen, wie Grün­dungsmit­glied Uwe Saß­mannshausen weiß: „Es ist nicht ein­fach­er gewor­den.“ Auch die Zuschüsse von Stadt und Land sind immer weit­er geschrumpft. Und doch machen sie immer weit­er, ver­sichtert Saß­mannshausen: „Wir sind halt unver­drossene Ide­al­is­ten. So lange es irgend­wie geht und wir noch Spaß daran haben, wird es Upart weit­er geben.“
Und das ist ein großes Glück für Mainz, wie man beim Jubiläum­skonz­ert in der Alten Patrone erfahren kon­nte. Dafür hat­te sich der Vere­in zwei große Meis­ter des zeit­genös­sis­chen Jazz geleis­tet: Den deutschen Sax­o­phon­is­ten Peter Brötz­mann und seinen amerikanis­chen Kol­le­gen Ken Van­der­mark. Zunächst vergnügten sich die bei­den Bläs­er im inti­men Duo. Aus­gerüstet mit ver­schiede­nen Sax­o­pho­nen und Klar­inet­ten stürzten sie sich ins Vergnü­gen – nicht nur für das Pub­likum, son­dern offen­bar auch für die bei­den Bläs­er. Mit großer, nie nach­lassender Inten­sität, wahnsin­nigem Ideen­re­ich­tum und natür­lich der ger­ade für Brötz­mann typ­is­chen unge­bändigten Energie.
In ganz andere Gefilde stürmte das Frame-Quar­tett, Van­der­marks Kern­truppe aus Chica­go mit Fred Lon­berg-Holm am elek­tro­n­isch ver­stärk­ten und gewan­del­ten Cel­lo, Nate McBride am eben­falls elek­tro­n­isch behan­del­ten Bass und Tim Daisy am – ganz klas­sis­chen – Schlagzeug. Mit ver­track­ten Arrange­ments, per Handze­ichen abgerufe­nen Schnit­ten, exper­i­men­tieren diese vier an der Gren­ze zwis­chen teil­weise notiert­er und impro­visiert­er Musik. Sie begin­nen mal mit verträumten Stre­ich­er-Intro, lassen krachende Gewit­ter fol­gen, unter­brechen das mit harten Beats oder syn­thetis­chem Gefrick­el aus den Effek­t­geräten – und sie find­en aus den unwegsam­sten Gebi­eten immer auf fast wun­der­same Weise wieder zusam­men. Mit solch­er Musik kann man zwar keine großen Massen anziehen, am immer­hin die Alte Patrone ganz gut füllen. Und Geld ver­di­enen muss Upart mit ihren Konz­erten ja nicht – der unschlag­bare Vorteil ehre­namtlich­er Ini­tia­tiv­en.

(mein text für die mainz­er rhein-zeitung. eine aus­führlichere betra­ch­tung des konz­ertes ste­ht schon seit vorgestern im blog.)

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