Tino Hanekamp: So was von da. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2011. 302 Seiten.
Der Klappentext verheißt großes: “Hamburg, St. Pauli, 31.12. Auf dem Kiez beginnt die irrste Nacht des Jahres. Nur Oskar Wrobel würde lieber liegen bleiben. Geht aber nicht. Weil ihm gleich sein Leben um die Ohren fliegt.” Hanekamps sprachlich und formal nicht weiter bemerkenswerter Roman ist eine schnelle Lektüre, die mit durchaus packendem Drive die Geschichte der letzten Party eines Clubs in Hamburg erzählt. Ganz schön die Deckung von erzählter Zeit und Tempo der Erzählung, die sich in der Steigerung bis zum Kollaps im Rausch (der Vernichtung) niederschlägt — dann folgen einige leere/blanke Seiten, bevor der Erzähler in einerresümierenden Abschlussbemerkung, die leider total schwach und banal ist, noch einmal das Wort ergreift. Viel bleibt davon nicht, aber eine nette Zeit kann man mit dem Buch schon verbringen.
Henning Ahrens: Kein Schlaf in Sicht. Frankfurt am Main: S. Fischer 2008. 92 Seiten.
Die ersten Seiten empfangen mich mit lauter Plattheiten in banaler Sprache — eigentlich ist das (im Kern) Prosa, noch dazu prätentioös und leer. Und so geht es leider weiter: Man schleppt sich als Leser fort durch den Band, ein paar (sehr) wenige ordentlich Gedichte sind dabei, aber viel als Mittelmaß noch gelobtes prägt den Leseeindruck. “Stille satt”, aus dem die Titelzeile kommt, gehört noch zu den besten Gedichten hier. Und Kein Schlaf in Sicht stimmt leider überhaupt nicht — einer der langweiligsten und einschläferndsten Lyrikbände, die ich las: Nichts zündet, alles bleibt irgendwie reine Deskription, die auch sprachlich überhaupt nicht imaginativ scheint, keine neuen (Denk-/Vorstellungs-)Räume öffnet, sondern nur „Welt“ ohne Poetisierung bietet. Das hat mich überrascht, den als Erzähler habe ich Henning Ahrens durchaus schätzen gelernt.
Reinhard Jirgl: Nichts von euch auf Erden. München: Hanser 2012. 510 Seiten.
Hm, irgendwie verlässt er mich hier: Selbst als Jirgl-Fan kann ich damit wenig anfangen. Klar, das ist durchaus handwerklich geschickt. Aber auch reichlich langweilig. Das liegt unter anderem daran, dass es in wesentlichen Teilen furchtbar langatmig und weitschweifig ist. Auch seine orthografische Stilistik (oder stilistische Orthografie) hilft hier nur beschränkt — irgendwie passt sie in ihrer Verlangsamungs- und Intensivierungstendenz nicht zum Stoff, der eher nach Tempo und Geschwindigkeit verlangt. Zu durchschaubar erscheint mir auch die Projektion heutiger Probleme (ökologische, gesellschaftliche, politische) gleich ins 25. Jahrhundert. Anderes missfällt einfach — so bleiben die Geschlechterrollen etwa total im Klischee: Frauenfiguren gibt es eh‘ nur wenige, dazu noch totale altmodische Rollenklischees, wie “die-eine” oder auch die begegnung mit der Marsianerin IO, die Erfüllung dann nur im „weiblichen“ findet und sich dem Mann/Sohn opfert ..
Der ganze Text scheint mir durchzogen von einem (kultur-)pessimistischen Menschenbild, vor allem eine deutliche Verachtung der Menge & Masse, die hier eher als Art Pöbel auftaucht — und Objekt der Manipulation der Herrschenden (auf allen Ebenen) ist, bricht sich immer wieder Bahn. Das gipfelt dann in einer Endzeit, der totalen Hybris der Menschen: Die Flucht ins All vor den Problemen der Menschheit (die vor allem aus ihren Massen resultieren …) schlägt fehlt, kippt in eine Art Apokalypse. Überlebt werden Untergang von Mars & Erde nur von den sich selbst (fort-)schreibenden “morfologischen Büchern” im “Roman der Zukunft”.
Hans-Ulrich Thamer: Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon. München: Beck 2013 (C.H.Beck Wissen). 126 Seiten.
Thamer beginnt seine kleine Geschichte der Völkerschlacht mit einer sehr umfassenden und präzisen Schilderung der Hintergründe, alsoe die Entwicklungen und Stellungen Europas am Beginn des 19. Jahrhunderts. So beschreibt er die Völkerschlacht im Rahmen der Befreiungskriege, die Thamer vor allem als Kabinetts- und Koalitionskriege wertet und dabei insofern „neue“ Kriege darstellen, als sie Massenkriege sind, die neue Brutalität freisetzen und in der Folge eine neue Erinnerungskultur, worauf Thamer ebenfalls Wert legt: Der “Wandel der Kriegsdeutung und Kriegserfahrung” (115) zu einer “Ideologisierung des Krieges” im vaterländischen Interesse ist ein zentraler Punkt seiner Darstellung.
Die eigentliche Schlacht wird dabei sehr gedrängt geschildert, ein oder zwei Karten hätten dem noch ganz gut getan. Zum Glück bleibt er aber nicht dabei stehen, sondern fügt ein kurzes Kapitel zu den “Kulturen der Gewalt” an und schließt eben mit einem großen Überblick über die Entwicklung “vom Schlachtfeld zum Erinnerungort”, das sich vor allem mit der zeitenössischen und späteren Sinngebung und Mythifizierung, der Einbettung in und Nutzung der Völkerschlacht für politisch-religiöse nationalistische und liberale Diskurse beschäftigt.
außerdem gelesen:
- Zeit Geschichte #3–2013 mit dem Thema “Faschismus”
- Text+Kritik 201: Ulrike Draesner