Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: thomas mann

Wochenblog 9/2023

Der Win­ter ist also noch ein­mal zurück. Zumin­d­est was die Tem­per­a­turen ange­ht, wenig­stens hat es nicht wieder geschneit — son­st ist das Fahrrad­fahren in der Stadt doch immer kein Spaß. Das schöne, son­nige Wet­ter kon­nte ich allerd­ings vor allem durch das Büro­fen­ster beobacht­en ;-) Und pünk­tlich zum Woch­enende wurde es natür­lich wieder grau, bedeckt und recht düster. Das ewige Schick­sal der Lohnar­bei­t­en­den …

Und son­st hat ein­fach der All­t­ag geherrscht, keine beson­deren Vorkomm­nisse. So eine ganz gewöhn­liche Woche ist aber auch mal nicht schlecht.

Text: Langewi­esches prick­el­nde, inter­es­sante, anre­gende Geschichte Deutsch­lands (Vom viel­staatlichen Reich zum föder­a­tiv­en Bun­desstaat), d.h. vor allem der deutschen Nation und des deutschen Staates, fer­tig gele­sen. Langewi­esche bün­delt hier einiges, was sich in der his­torischen Forschung der let­zten Jahre eigentlich schon angedeutet hat, aber noch immer nicht in die großen Meis­ter­erzäh­lun­gen gelangt ist. Die sehen die Entwick­lung Deutsch­lands als Nation immer noch recht tele­ol­o­gisch, auf das Wil­helminis­che Reich zus­trebend, und zugle­ich gerne als “Son­der­fall”. Langewi­esche dage­gen erzählt anders: Immer wieder die Kontin­genz beto­nend, die Ungewis­senheit oder Offen­heit der weit­eren Entwick­lung (ger­ade im 19. Jahrhun­dert), die beson­ders im Ver­hält­nis von Reich und Staaten/Ländern, in den ver­schiede­nen Aus­prä­gun­gen der föderalen Organ­i­sa­tion, sich deut­lich zeigt. In der Tat sehr anre­gend, ger­ade im Anspruch, nicht alles erzählen zu wollen, son­dern sich auf wichtige Momente, Kern-Entwick­lun­gen zu beschränken — es sind ja auch nur wenig mehr als 100 Seit­en.

Auch been­det: Philip Sarasins großes Buch “1977″ — wirk­lich eine faszinierende Arbeit, die Geschichte der Gegen­wart in wesentlichen Momenten neu zu denken und zu schreiben.

Außer­dem: Sla­ta Roschals kleinen Gedicht­band “Wir tauschen Ansicht­en und Äng­ste wie weiche warme Tiere aus” von 2021 (im wun­der­baren hochroth-Ver­lags-Kollek­tiv), der trotz schö­nen, tre­f­fend­en Versen der Sehn­sucht und Suche im Ganzen dann doch etwas im All­t­ag steck­en­bleibt und in sein­er trock­e­nen Lakonie dabei auch manch­mal fremd und abweisend wirken kann. Ihr Roman “153 For­men des Nicht­seins”, der mit ganz ähn­lichen Meth­o­d­en arbeit­et, war dann doch faszinieren­der für mich.

Eben­falls gele­sen: Peter Stamms klein­er Roman “Das Archiv der Gefüh­le”. Das ist dann doch eher belan­glose Kul­turindus­trieware, die sich den Anstrich kun­sthafter Gestal­tung gibt, das aber in kein­ster Weise (wed­er for­mal noch sprach­lich oder inhaltlich) ein­lösen kann.

Ton: The Bran­den­burg Project: Thomas Daus­gaard hat mit dem Swedisch Cham­ber Orches­tra nicht nur ein­fach eine gute Ein­spielung der Bran­den­bur­gis­chen Konz­erte von Bach vorgelegt, son­dern das mit sechs Auf­tragskom­po­si­tio­nen zeit­genös­sis­ch­er Komponist*innen ergänzt, die jew­eils auf ein Konz­ert direkt Bezug nehmen — motivisch, in der Beset­zung oder eher generell. Vor allem bei Mark-Antho­ny Tur­nage und Olga Neuwirth ist dabei ziem­lich coole Musik ent­standen. Vor allem ergibt das aber drei sehr span­nende und auch unter­halt­same Stun­den.

Bild: Detlev Bucks Ver­fil­mung von Thomas Manns “Beken­nt­nisse des Hochsta­plers Felix Krull” — ein behäbiger, kon­ven­tioneller, ja lang­weiliger Kostüm­film, der ger­ade die ele­gant-spritzi­gen, unter­schwellig sub­tilen Seit­en der Roman­vor­lage völ­lig ignori­ert und deshalb am Eigentlich erstaunlich deut­lich vor­beisegelt.

Draußen: Der Streak hält und es läuft weit­er­hin (also jeden Tag), aber immer noch in mäßigem Umfang.

bücherstapel

Aus-Lese #50

Ger­hard Falkn­er: Romeo oder Julia. München: Berlin 2017. 269 Seit­en. ISBN 978–3‑8270–1358‑3.

falkner, romeo oder julia (cover)Ich kann nicht sagen, dass ich von Romeo oder Julia wirk­lich begeis­tert gewe­sen wäre. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht so recht kapiert habe, was der Text eigentlich (sein) möchte. Dabei hat er unbe­stre­it­bar aus­geze­ich­nete Momente und Seit­en, neben eini­gen Län­gen. Einige der aus­geze­ich­neten Momente find­en auf der Ebene der Sprache statt: Es gibt funkel­nde einzelne Sätze in einem Meer von stilis­tis­chem und gedanklichem Chaos. So habe ich mir das zunächst notiert — aber das stimmt so nicht ganz: chao­tisch (also real­is­tisch) erscheint der Text zunächst nur, er entwick­elt dann aber schon seine Form. Die zumin­d­est stel­len­weise hyper­tro­phe Stilis­tik in der Über­steigerung auf allen Ebe­nen ist dann auch tat­säch­lich lustig.

Uner­müdlich arbeit­eten hin­ter den Din­gen, an denen ich vor­beikam, die Grund­maschi­nen der Exis­tenz, die seit Jahrtausenden mit Men­schen­leben gefüt­tert wer­den, und die Stadt stützte ihre taube und orna­men­tale Masse auf dieses unterirdis­che Mag­ma von Lebens­gi­er, Kampf, Wille, Lust und Bewe­gung. 227

Was wird in Romeo oder Julia erzählt? Das ist eben die Frage. Irgend­wie geht es um einen Schrift­steller, Kurt Prinzhorn (über dessen lit­er­arische Werke nichts zu erfahren ist), der bei einem Hote­laufen­thalt in Inns­bruck von ein­er benutzten Bade­wanne und ver­schwun­de­nen Schlüs­seln etwas erschreckt wird. Rat­los bleibt er zurück und denkt immer wieder über die Rät­sel­haftigkeit des Geschehens nach, während das Autoren­leben mit Sta­tio­nen in Moskau und Madrid weit­erge­ht. Dort nähert sich dann auch die antik­li­mak­tis­che Auflö­sung, die in einem Nach­spiel in Berlin noch ein­mal aus­ge­bre­it­et wird: Der Erzäh­ler wird von ein­er sehr viel früheren kurzzeit­i­gen Fre­undin ver­fol­gt und bedro­ht, die dann beim Ver­such, zu ihm zu gelan­gen (um ihn zu töten), selb­st stirbt … Trotz des Plots, der nach Kri­mi oder Thriller klingt, bleibt Romeo oder Julia bei ein­er unbeschw­erten Rät­sel­haftigkeit, ein Spiel mit Span­nungse­le­menten, sex­is­tis­chem und völk­erpsy­chol­o­gis­chem Unsinn und anderen Pein­lichkeit­en. Immer­hin sind der knappe Umfang und die eher kurzen Kapi­tel (übri­gens genau 42 — wobei ich bei Falkn­er in diesem Fall keine Absicht unter­stelle) sehr leser­fre­undlich. Durch die zumin­d­est eingestreuten stilis­tis­chen Höhen­flüge war das für mich eine dur­chaus unter­halt­same Lek­türe, bei der ich keine Ahnung habe, was das eigentlich sein soll, was der Text eigentlich will. Wed­er die Kri­mi-Ele­mente noch die Poplit­er­aturkom­po­nente oder die mas­siv­en Inter­tex­tu­al­itätssig­nale (die ich nicht alle in vernün­ftige Beziehung zum Text bringe, aber sicher­lich habe ich auch eine Menge schlicht überse­hen) for­men sich bei mein­er Lek­türe zu einem Konzept: Ein schlüs­siges Sinnkon­strukt kann ich nicht so recht erken­nen, nicht lesen und lei­der auch nicht basteln.

Es war Son­ntagvor­mit­tag, und es gab kaum Leute auf der Straße. Straßen auf den Leuten gab es erst recht nicht. es gab auch keine Busse, die man sich auf der Zunge hätte zerge­hen lassen kön­nen, oder Friseure, die auf­grund ein­er ungestü­men Blümer­anz der Ohn­macht nahe gewe­sen wären. Auch nicht die Helden­fried­höfe, die in wilden und ausufer­n­den Vor­früh­lingsnächt­en von den Such­maschi­nen auf die Bild­schirme geza­ubert wer­den, um mit ihren schneeweißen und chris­tus­losen Kreuzen die Surfer in ihre leere Erde zu lock­en. Es gab nicht ein­mal die feuchte, warme Hand der katholis­chen Kirche oder das tröstliche Röcheln des Drachens, dem sein beliebtester Geg­n­er, der heilige Georg, ger­ade die eis­erne Lanze in den Rachen gestoßen hat. Es gab ein­fach wirk­lich nur das, was da war, was wir unmit­tel­bar vor Augen hat­ten, und die Tat­sache, dass ich in Kürze los­musste. 78

Ali­na Herb­ing: Nie­mand ist bei den Käl­bern. Zürich, Ham­burg: Arche 2017. 256 Seit­en. ISBN 9783716027622.

herbing, niemand ist bei den kälbern (cover)Das ist mal ein ziem­lich trost­los­es Buch über eine junge Bäuerin aus Alter­na­tivlosigkeit, die auch in den ange­blich so fes­ten Werten und sozialen Net­zen des Landlebens (der „Heimat“) keinen Halt find­et, keinen Sinn für ihr Leben. Stattdessen herrscht über­all Gewalt — gegen Dinge, Tiere und Men­schen. Ein­er­seits ist da also die Banal­ität des Landlebens, der Ödnis, der „Nor­mal­ität“, dem nicht-beson­deren, nicht-indi­vidu­ellen Leben. Ander­er­seits brodelt es darunter so stark, dass auch die Ober­fläche in Bewe­gung gerät und Risse bekommt. Natür­lich gibt es die Schön­heit des Lan­des, auch in der beschreiben­den Sprache (die freilich nicht so recht zur eigentlichen Erzählhal­tung passt und mit ihren angedeuteten pseu­do-umgangssprach­lichen Wen­dunge („nich“, “glaub ich”) auch viele schwache Seit­en hat und ner­ven kann). Aber genau­so natür­lich gibt es auch die Ver­let­zun­gen, die die Men­schen sich gegen­seit­ig und der “natür­lichen” Umwelt gle­icher­maßen zufü­gen.

Die Absicht von Nie­mand ist bei den Käl­bern ist schnell klar (schon mit dem Umschlag, son­st spätestens auf der ersten Seite, wenn das Rehkitz beim Mähen getötet wird): Heimat, v.a. aber das Landleben entza­ubern — denn es ist auch nur eine Rei­he von Banal­itäten und Ein­samkeit­en (auch & ger­ade zu zweit) und suche nach Liebe, Nähe, Emo­tio­nen. Die Natur bleibt von all dem unbeteiligt und eigentlich unberührt. Mich ner­ven aber so Haupt­fig­uren wie diese Christin, die — obwohl vielle­icht nicht direkt defätis­tisch — alles (!) ein­fach so hin­nehmen, ohne Gefühlsre­gung, ohne Gestal­tungswillen, ja fast ohne Willen über­haupt, denen alles nur passiert, die alles mit sich geschehen lassen. Dass da dann kein erfüll­ter Lebensen­twurf her­auskommt, ist abzuse­hen. Mir war das unter anderem deshalb zu ein­seit­ig, zu eindi­men­sion­al.

Manch­mal glaub ich, jedes Flugzeug, das ich sehe, existiert über­haupt nur, um mich daran zu erin­nern, dass ich ein­er der unbe­deu­tend­sten Men­schen der Welt bin. Wieso sollte ich son­st in diesem Moment auf einem halb abgemäht­en Feld ste­hen? Nicht mal in ein­er Nazi-Hochburg, nicht mal an der Ost­see oder auf der Seen­plat­te, nicht mal auf dem Todesstreifen, son­dern kurz davor, daneben, irgend­wo zwis­chen all­dem. Genau da, wo es eigentlich nichts gibt außer Gras und Lehm­bo­den und ein paar Plätze, die gut genug sind, um da Win­dräder hinzustellen. 11

Lau­rent Binet: Die siebte Sprach­funk­tion. Rein­bek: Rowohlt 2017. 524 Seit­en. ISBN 9783498006761.

laurent binet, die siebte sprachfunktion (cover)Das ist tat­säch­lich ein ziem­lich lustiger Roman über Roland Barthes, die post­mod­erne Philoso­phie, Sprach­wis­senschaft und Psy­cholo­gie in Frankre­ich, auch wenn der Text einige Län­gen hat. Vielle­icht ist das aber wirk­lich nur für Leser lustig, die sich zumin­d­est ein biss­chen in der Geschichte der franzö­sis­chen Post­mod­erne, ihrem Per­son­al und ihren Ideen (und deren Rezep­tion in den USA und Europa) ausken­nen. Und es ist auch ein etwas grotesker Humor, der so ziem­lich alle Geis­tesheroen des 20. Jahrhun­derts kör­per­lich und seel­isch beschädigt zurück­lässt.

Aus­gangspunkt der mehr als 500 Seit­en, die aber schnell gele­sen sind, ist der Tod des Struk­tu­ral­is­ten und Semi­otik­ers Roland Barthes, der im Feb­ru­ar 1980 bei einen Unfall über­fahren wurde. Für die Ermit­tlun­gen, die schnell ein­er­seits in das philosophisch geprägte Milieu der Post­mod­erne führen, ander­er­seits voller Absur­ditäten und grotesker Geschehnisse sind, verpflichtet der etwas hemd­särmelige Kom­mis­sar einen Dok­torand, der sich in diesem Gebi­et gut auszuken­nen scheint. Ihre Ermit­tlun­gen führt das Duo dann in fünf Sta­tio­nen von Paris über Bologna nach Ithaca/USA und zurück zu Umber­to Eco (der einzige, der einiger­maßen unversehrt davonkommt), wom­it die Reise, die Ermit­tlung und der Text das Net­zw­erk europäis­chen Denkens (mit seinen amerikanis­chen Satel­liten der Ostküste) in der zweit­en Hälfte des ver­gan­genen Jahrhun­derts nachze­ich­nen. Das ist so etwas wie ein Pop-Philoso­phie-Thriller, der für mich doch recht zügig seinen Reiz ver­lor, weil das als Roman­text eher banal und kon­ven­tionell bleibt. Inter­es­sant sind höch­stens die Metaebe­nen der Erzäh­lung (die es reich­lich gibt) und die Anachro­nis­men (die auch gerne und mit Absicht ver­wen­det wer­den), zumal die The­o­rie und ihr Per­son­al immer mehr aus dem Blick ger­at­en

Die im Titel ver­hießene siebte Sprach­funk­tion bleibt natür­lich Leer­stelle und wird nur in Andeu­tun­gen — als unwider­stehliche, poli­tisch nutzbare Überzeu­gungskraft der Rede — kon­turi­ert. Dafür gibt es genü­gend andere Sta­tio­nen, bei denen Binet sein Wis­sen der europäis­chen und amerikanis­chen Post­mod­erne großzügig aus­bre­it­en kann.

Während er rück­wärts­ge­ht, über­legt Simon: Angenom­men, er wäre wirk­lich eine Romangestalt (eine Annahme, die weit­ere Nahrung erhält durch das Set­ting, die Masken, die mächti­gen malerischen Gegen­stände: in einem Roman, der sich nicht zu gut dafür wäre, alle Klis­chees zu bedi­enen, denkt er), welch­er Gefahr wäre er im Ernst aus­ge­set­zt? Ein Roman ist kein Traum: In einem Roman kann man umkom­men. Hin­wiederum kommt nor­maler­weise die Haupt­fig­ur nicht ums Leben, außer vielle­icht gegen Ende der Hand­lung. / Aber wenn es das Ende der Hand­lung wäre, wie würde er das erfahren? Wie erfährt man, wann man auf der let­zten Seite angekom­men ist? / Und wenn er gar nicht die Haupt­fig­ur wäre? Hält sich nicht jed­er für den Helden sein­er eige­nen Exis­tenz? 420

Dieter Grimm: “Ich bin ein Fre­und der Ver­fas­sung”. Wis­senschafts­bi­ographis­ches Inter­view von Oliv­er Lep­sius, Chris­t­ian Wald­hoff(span> und Matthias Roßbach mit Dieter Grimm. Tübin­gen: Mohr Siebeck 2017. 325 Seit­en. ISBN 9783161554490.

grimm, freund der verfassung (cover)Ein feines, kleines Büch­lein. Mit “Inter­view” ist es viel zu pro­saisch umschrieben, denn ein­er­seits ist das ein vernün­ftiges Gespräch, ander­er­seits aber auch so etwas wie ein Auskun­fts­buch: Dieter Grimm gibt Auskun­ft über sich, sein Leben und sein Werk. Dabei lernt man auch als Nicht-Jurist eine Menge — zumin­d­est ging es mir so: Viel span­nen­des zur Entwick­lung von recht und Ver­fas­sung kon­nte ich hier lesen — span­nend vor allem durch das Inter­esse Grimms an Nach­bardiszi­plinen des Rechts, ins­beson­dere der Sozi­olo­gie. Deshalb tauchen dann auch ein paar nette Luh­mann-Anek­doten auf. Außer­dem gewin­nt man als Leser auch ein biss­chen Ein­blick in Ver­fahren, Organ­i­sa­tion und Beratung am Bun­desver­fas­sungs­gericht, an dem Grimm für 12 Jahre als Richter tätig war. Schön ist schon die nüchterne Schilderung der der nüchter­nen Wahl zum Richter — ein poli­tis­ch­er Auswahl­prozess, den Grimm für “erfreulich unpro­fes­sionell” (126) hält. Natür­lich gewin­nt das Buch nicht nur durch Grimms Ein­blick in grundle­gende Wesens­merk­male des Rechts und der Jurispru­denz, son­dern auch durch seine dur­chaus span­nende Biogra­phie mit ihren vie­len Sta­tio­nen — von Kas­sel über Frank­furt und Freiburg nach Paris und Har­vard wieder zurück nach Frank­furt und Biele­feld, dann natür­lich Karl­sruhe und zum Schluss noch Berlin — also qua­si die gesamte Geschichte der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land — Grimm ist 1937 geboren — in einem Leben kon­den­siert.

Das Buch hat immer­hin auch seine Selt­samkeit­en — in einem solchen Text in zwei Stich­wörtern in der Fußnote zu erk­lären, wer Kon­rad Ade­nauer war, hat schon seine komis­che Seite. Bei so manch anderem Namen war ich aber froh über zumin­d­est die grobe Aufk­lärung, um wen es sich han­delt. Die andere Selt­samkeit bet­rifft den Satz. Dabei hat jemand näm­lich geschlampt, es kom­men immer wieder Pas­sagen vor, die ein Schrift­grad klein­er geset­zt wur­den, ohne dass das inhaltlich motiviert zu sein scheint — offen­sichtlich ein unschön­er Fehler, der bei einem renom­mierten und tra­di­tion­sre­ichen Ver­lag wie Mohr Siebeck ziem­lich pein­lich ist.

Adorno ver­stand ich nicht. Streck­en­weise unter­hielt ich mich ein­fach damit zu prüfen, ober er seine Schach­tel­sätze kor­rekt zu Ende brachte. Er tat es. 41

Con­stan­ti­jn Huy­gens: Euphra­sia. Augen­trost. Über­setzt und her­aus­ge­ge­ben von Ard Post­hu­ma. Leip­zig: Rei­ne­cke & Voß 2016. [ohne Sei­ten­zäh­lung]. ISBN 9783942901222.

Zu diesem schö­nen, wenn auch recht kurzen Vergnü­gen habe ich vor einiger Zeit schon etwas geson­dert geschrieben: klick.

außer­dem gele­sen:

  • Dirk von Peters­dorff: In der Bar zum Krokodil. Lieder und Songs als Gedichte. Göt­tin­gen: Wall­stein 2017 (Kleine Schriften zur lit­er­arischen Ästhetik und Hermeneu­tik, 9). 113 Seit­en. ISBN 978–3‑8353–3022‑1.
  • Hans-Rudolf Vaget: “Wehvolles Erbe”. Richard Wag­n­er in Deutsch­land. Hitler, Knap­perts­busch, Mann. Frank­furt am Main: Fis­ch­er 2017. 560 Seit­en. ISBN 9783103972443.

Ins Netz gegangen (21.9.)

Ins Netz gegan­gen am 21.9.:

Ins Netz gegangen (15.12.)

Ins Netz gegan­gen am 15.12.:

Vergessen: 3000 unbekannte Briefe im Thomas-Mann-Archiv

Die FAZ berichtet heute im Feuil­leton (S. 31, lei­der nicht online), dass das Thomas-Mann-Archiv in Zürich unge­fähr dre­itausend Briefe aus dem Nach­lass des Autors bzw. sein­er Frau Katia bis zum Dezem­ber 2012 ein­fach “vergessen” hat. Das sind schlappe 13 Kisten, die die Archivare dort in den let­zten Jahrzehn­ten kom­plett “überse­hen” haben: Die wur­den nicht erfasst, nicht kat­a­l­o­gisiert, nicht aus­gew­ertet und waren auch nie­man­dem zugänglich — nicht den Forsch­ern, aber auch nicht den Fam­i­lien­mit­gliedern. Schon die Umstände, wie die Briefe ins Archiv gelangt sind, sind selt­sam (für Schrift­steller-Nach­lässe allerd­ings wiederum gar nicht so sehr …):

Derzeit bemüht man sich im TMA, die Herkun­ft der aufge­taucht­en Brief­bestände zu rekon­stru­ieren – auch das führt auf dun­kle Pfade. Ein Teil der Briefe sei wohl bere­its 1981 ins Archiv gelangt, gebracht von Ani­ta Naef, der Sekretärin erst von Eri­ka, später von Golo Mann; der größere Teil sei 1994 geschenkt wor­den, eben­falls aus der Hand von Ani­ta Naef. […] Nach den heuti­gen Recherchen des TMA brachte sie den größten Teil des jet­zt aufge­taucht­en Brief­be­stands 1994, im Todes­jahr Golo Manns, als „Schenkung“ ins TMA, ohne dass dies verze­ich­net oder im Jahres­bericht des Archivs ver­merkt wor­den wäre.

Das ist schon eine ganz schöne Schlam­perei — auch wenn Tilmann Lahme in der FAZ sicher­lich zu recht darauf hin­weist, dass das TMA sich mehr als Forschungsstätte denn als klas­sis­ches Archiv ver­stand:

Demge­genüber sind Erfas­sung, Erschließung und Sicherung der Archiva­lien nicht auf dem Stand eines mod­er­nen Archivs.

Immer­hin scheint sich nun etwas zu tun:

Die Leitung der Hochschule hat nun, nach der Eingliederung des TMA und unter dem Ein­druck des Auf­tauchens der dre­itausend Katia-Mann-Briefe, kurzfristig ein größeres Pro­jekt bewil­ligt. Mehr als eine halbe Mil­lion Schweiz­er Franken ste­hen von sofort an für Erschließung und Dig­i­tal­isierung der Archivbestände zur Ver­fü­gung. Bis zum Ende des kom­menden Jahres sollen die Bestände kom­plett in einem mod­er­nen, online abruf­baren Sys­tem erfasst und dig­i­tal­isiert sein

Ander­er­seits gehen die Merk­würdigkeit­en aber gle­ich weit­er: Fri­do Mann, Enkel Thomas’, hat — offen­bar als eine Art “Entschädi­gung” für das lange währende Ver­säum­nis des Archivs, “etwa fün­fzig Briefe seines Vaters Michael an Katia Mann” aus­ge­händigt bekom­men. Die sind also aus dem Archiv gle­ich wieder ver­schwun­den …

Das Archiv selb­st scheint auch son­st eher nach­läs­sig geführt zu wer­den, der FAZ-Artikel lässt da einiges anklin­gen (und macht darauf aufmerk­sam, dass das nicht unbe­d­ingt die Schuld der beteiligten Per­so­n­en sein muss, son­dern auch in sein­er Kon­struk­tion und der man­gel­nden Wertschätzung durch die Hochschul-Leitung geschuldet sein kann). Die Inter­net­seite des Archivs jeden­falls gibt keinen Hin­weis auf den Fund der Manuskripte …

Grundwiderwärtige Erscheinung

Goethe hätte Wag­n­er als grund­wider­wär­tige Erschei­n­ung empfind­en müssen. Freilich war er großen Tat­sachen und Wirkun­gen gegenüber moralisch sehr tol­er­ant und zuweilen frage ich mich, ob er nicht geant­wortet hätte: “Der Mann ist euch zu groß.” Aber das wäre eine Sache. Die Deutschen sollte man vor die Entschei­dung stellen: Goethe oder Wag­n­er. Bei­des zusam­men geht nicht. Aber ich fürchte, sie wür­den “Wag­n­er” sagen. Oder doch vielle­icht nicht? Sollte nicht doch vielle­icht jed­er Deutsche im Grunde seines Herzens wis­sen, daß Goethe ein unver­gle­ich­lich verehrungs- und ver­trauenswürdi­ger­er Führer und Nation­al­held ist als dieser schnupfende Gnom aus Sach­sen mit dem Bomben­tal­ent und dem schäbi­gen Charak­ter?

Thomas Mann an Julius Bab, 14.9.1911

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