Der Winter ist also noch einmal zurück. Zumindest was die Temperaturen angeht, wenigstens hat es nicht wieder geschneit — sonst ist das Fahrradfahren in der Stadt doch immer kein Spaß. Das schöne, sonnige Wetter konnte ich allerdings vor allem durch das Bürofenster beobachten ;-) Und pünktlich zum Wochenende wurde es natürlich wieder grau, bedeckt und recht düster. Das ewige Schicksal der Lohnarbeitenden …
Und sonst hat einfach der Alltag geherrscht, keine besonderen Vorkommnisse. So eine ganz gewöhnliche Woche ist aber auch mal nicht schlecht.
Text: Langewiesches prickelnde, interessante, anregende Geschichte Deutschlands (Vom vielstaatlichen Reich zum föderativen Bundesstaat), d.h. vor allem der deutschen Nation und des deutschen Staates, fertig gelesen. Langewiesche bündelt hier einiges, was sich in der historischen Forschung der letzten Jahre eigentlich schon angedeutet hat, aber noch immer nicht in die großen Meistererzählungen gelangt ist. Die sehen die Entwicklung Deutschlands als Nation immer noch recht teleologisch, auf das Wilhelminische Reich zustrebend, und zugleich gerne als “Sonderfall”. Langewiesche dagegen erzählt anders: Immer wieder die Kontingenz betonend, die Ungewissenheit oder Offenheit der weiteren Entwicklung (gerade im 19. Jahrhundert), die besonders im Verhältnis von Reich und Staaten/Ländern, in den verschiedenen Ausprägungen der föderalen Organisation, sich deutlich zeigt. In der Tat sehr anregend, gerade im Anspruch, nicht alles erzählen zu wollen, sondern sich auf wichtige Momente, Kern-Entwicklungen zu beschränken — es sind ja auch nur wenig mehr als 100 Seiten.
Auch beendet: Philip Sarasins großes Buch “1977″ — wirklich eine faszinierende Arbeit, die Geschichte der Gegenwart in wesentlichen Momenten neu zu denken und zu schreiben.
Außerdem: Slata Roschals kleinen Gedichtband “Wir tauschen Ansichten und Ängste wie weiche warme Tiere aus” von 2021 (im wunderbaren hochroth-Verlags-Kollektiv), der trotz schönen, treffenden Versen der Sehnsucht und Suche im Ganzen dann doch etwas im Alltag steckenbleibt und in seiner trockenen Lakonie dabei auch manchmal fremd und abweisend wirken kann. Ihr Roman “153 Formen des Nichtseins”, der mit ganz ähnlichen Methoden arbeitet, war dann doch faszinierender für mich.
Ebenfalls gelesen: Peter Stamms kleiner Roman “Das Archiv der Gefühle”. Das ist dann doch eher belanglose Kulturindustrieware, die sich den Anstrich kunsthafter Gestaltung gibt, das aber in keinster Weise (weder formal noch sprachlich oder inhaltlich) einlösen kann.
Ton: The Brandenburg Project: Thomas Dausgaard hat mit dem Swedisch Chamber Orchestra nicht nur einfach eine gute Einspielung der Brandenburgischen Konzerte von Bach vorgelegt, sondern das mit sechs Auftragskompositionen zeitgenössischer Komponist*innen ergänzt, die jeweils auf ein Konzert direkt Bezug nehmen — motivisch, in der Besetzung oder eher generell. Vor allem bei Mark-Anthony Turnage und Olga Neuwirth ist dabei ziemlich coole Musik entstanden. Vor allem ergibt das aber drei sehr spannende und auch unterhaltsame Stunden.
Bild: Detlev Bucks Verfilmung von Thomas Manns “Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull” — ein behäbiger, konventioneller, ja langweiliger Kostümfilm, der gerade die elegant-spritzigen, unterschwellig subtilen Seiten der Romanvorlage völlig ignoriert und deshalb am Eigentlich erstaunlich deutlich vorbeisegelt.
Draußen: Der Streak hält und es läuft weiterhin (also jeden Tag), aber immer noch in mäßigem Umfang.
Gerhard Falkner: Romeo oder Julia. München: Berlin 2017. 269 Seiten. ISBN 978–3‑8270–1358‑3.
Ich kann nicht sagen, dass ich von Romeo oder Julia wirklich begeistert gewesen wäre. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht so recht kapiert habe, was der Text eigentlich (sein) möchte. Dabei hat er unbestreitbar ausgezeichnete Momente und Seiten, neben einigen Längen. Einige der ausgezeichneten Momente finden auf der Ebene der Sprache statt: Es gibt funkelnde einzelne Sätze in einem Meer von stilistischem und gedanklichem Chaos. So habe ich mir das zunächst notiert — aber das stimmt so nicht ganz: chaotisch (also realistisch) erscheint der Text zunächst nur, er entwickelt dann aber schon seine Form. Die zumindest stellenweise hypertrophe Stilistik in der Übersteigerung auf allen Ebenen ist dann auch tatsächlich lustig.
Unermüdlich arbeiteten hinter den Dingen, an denen ich vorbeikam, die Grundmaschinen der Existenz, die seit Jahrtausenden mit Menschenleben gefüttert werden, und die Stadt stützte ihre taube und ornamentale Masse auf dieses unterirdische Magma von Lebensgier, Kampf, Wille, Lust und Bewegung. 227
Was wird in Romeo oder Julia erzählt? Das ist eben die Frage. Irgendwie geht es um einen Schriftsteller, Kurt Prinzhorn (über dessen literarische Werke nichts zu erfahren ist), der bei einem Hotelaufenthalt in Innsbruck von einer benutzten Badewanne und verschwundenen Schlüsseln etwas erschreckt wird. Ratlos bleibt er zurück und denkt immer wieder über die Rätselhaftigkeit des Geschehens nach, während das Autorenleben mit Stationen in Moskau und Madrid weitergeht. Dort nähert sich dann auch die antiklimaktische Auflösung, die in einem Nachspiel in Berlin noch einmal ausgebreitet wird: Der Erzähler wird von einer sehr viel früheren kurzzeitigen Freundin verfolgt und bedroht, die dann beim Versuch, zu ihm zu gelangen (um ihn zu töten), selbst stirbt … Trotz des Plots, der nach Krimi oder Thriller klingt, bleibt Romeo oder Julia bei einer unbeschwerten Rätselhaftigkeit, ein Spiel mit Spannungselementen, sexistischem und völkerpsychologischem Unsinn und anderen Peinlichkeiten. Immerhin sind der knappe Umfang und die eher kurzen Kapitel (übrigens genau 42 — wobei ich bei Falkner in diesem Fall keine Absicht unterstelle) sehr leserfreundlich. Durch die zumindest eingestreuten stilistischen Höhenflüge war das für mich eine durchaus unterhaltsame Lektüre, bei der ich keine Ahnung habe, was das eigentlich sein soll, was der Text eigentlich will. Weder die Krimi-Elemente noch die Popliteraturkomponente oder die massiven Intertextualitätssignale (die ich nicht alle in vernünftige Beziehung zum Text bringe, aber sicherlich habe ich auch eine Menge schlicht übersehen) formen sich bei meiner Lektüre zu einem Konzept: Ein schlüssiges Sinnkonstrukt kann ich nicht so recht erkennen, nicht lesen und leider auch nicht basteln.
Es war Sonntagvormittag, und es gab kaum Leute auf der Straße. Straßen auf den Leuten gab es erst recht nicht. es gab auch keine Busse, die man sich auf der Zunge hätte zergehen lassen können, oder Friseure, die aufgrund einer ungestümen Blümeranz der Ohnmacht nahe gewesen wären. Auch nicht die Heldenfriedhöfe, die in wilden und ausufernden Vorfrühlingsnächten von den Suchmaschinen auf die Bildschirme gezaubert werden, um mit ihren schneeweißen und christuslosen Kreuzen die Surfer in ihre leere Erde zu locken. Es gab nicht einmal die feuchte, warme Hand der katholischen Kirche oder das tröstliche Röcheln des Drachens, dem sein beliebtester Gegner, der heilige Georg, gerade die eiserne Lanze in den Rachen gestoßen hat. Es gab einfach wirklich nur das, was da war, was wir unmittelbar vor Augen hatten, und die Tatsache, dass ich in Kürze losmusste. 78
Alina Herbing: Niemand ist bei den Kälbern. Zürich, Hamburg: Arche 2017. 256 Seiten. ISBN 9783716027622.
Das ist mal ein ziemlich trostloses Buch über eine junge Bäuerin aus Alternativlosigkeit, die auch in den angeblich so festen Werten und sozialen Netzen des Landlebens (der „Heimat“) keinen Halt findet, keinen Sinn für ihr Leben. Stattdessen herrscht überall Gewalt — gegen Dinge, Tiere und Menschen. Einerseits ist da also die Banalität des Landlebens, der Ödnis, der „Normalität“, dem nicht-besonderen, nicht-individuellen Leben. Andererseits brodelt es darunter so stark, dass auch die Oberfläche in Bewegung gerät und Risse bekommt. Natürlich gibt es die Schönheit des Landes, auch in der beschreibenden Sprache (die freilich nicht so recht zur eigentlichen Erzählhaltung passt und mit ihren angedeuteten pseudo-umgangssprachlichen Wendunge („nich“, “glaub ich”) auch viele schwache Seiten hat und nerven kann). Aber genauso natürlich gibt es auch die Verletzungen, die die Menschen sich gegenseitig und der “natürlichen” Umwelt gleichermaßen zufügen.
Die Absicht von Niemand ist bei den Kälbern ist schnell klar (schon mit dem Umschlag, sonst spätestens auf der ersten Seite, wenn das Rehkitz beim Mähen getötet wird): Heimat, v.a. aber das Landleben entzaubern — denn es ist auch nur eine Reihe von Banalitäten und Einsamkeiten (auch & gerade zu zweit) und suche nach Liebe, Nähe, Emotionen. Die Natur bleibt von all dem unbeteiligt und eigentlich unberührt. Mich nerven aber so Hauptfiguren wie diese Christin, die — obwohl vielleicht nicht direkt defätistisch — alles (!) einfach so hinnehmen, ohne Gefühlsregung, ohne Gestaltungswillen, ja fast ohne Willen überhaupt, denen alles nur passiert, die alles mit sich geschehen lassen. Dass da dann kein erfüllter Lebensentwurf herauskommt, ist abzusehen. Mir war das unter anderem deshalb zu einseitig, zu eindimensional.
Manchmal glaub ich, jedes Flugzeug, das ich sehe, existiert überhaupt nur, um mich daran zu erinnern, dass ich einer der unbedeutendsten Menschen der Welt bin. Wieso sollte ich sonst in diesem Moment auf einem halb abgemähten Feld stehen? Nicht mal in einer Nazi-Hochburg, nicht mal an der Ostsee oder auf der Seenplatte, nicht mal auf dem Todesstreifen, sondern kurz davor, daneben, irgendwo zwischen alldem. Genau da, wo es eigentlich nichts gibt außer Gras und Lehmboden und ein paar Plätze, die gut genug sind, um da Windräder hinzustellen. 11
Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion. Reinbek: Rowohlt 2017. 524 Seiten. ISBN 9783498006761.
Das ist tatsächlich ein ziemlich lustiger Roman über Roland Barthes, die postmoderne Philosophie, Sprachwissenschaft und Psychologie in Frankreich, auch wenn der Text einige Längen hat. Vielleicht ist das aber wirklich nur für Leser lustig, die sich zumindest ein bisschen in der Geschichte der französischen Postmoderne, ihrem Personal und ihren Ideen (und deren Rezeption in den USA und Europa) auskennen. Und es ist auch ein etwas grotesker Humor, der so ziemlich alle Geistesheroen des 20. Jahrhunderts körperlich und seelisch beschädigt zurücklässt.
Ausgangspunkt der mehr als 500 Seiten, die aber schnell gelesen sind, ist der Tod des Strukturalisten und Semiotikers Roland Barthes, der im Februar 1980 bei einen Unfall überfahren wurde. Für die Ermittlungen, die schnell einerseits in das philosophisch geprägte Milieu der Postmoderne führen, andererseits voller Absurditäten und grotesker Geschehnisse sind, verpflichtet der etwas hemdsärmelige Kommissar einen Doktorand, der sich in diesem Gebiet gut auszukennen scheint. Ihre Ermittlungen führt das Duo dann in fünf Stationen von Paris über Bologna nach Ithaca/USA und zurück zu Umberto Eco (der einzige, der einigermaßen unversehrt davonkommt), womit die Reise, die Ermittlung und der Text das Netzwerk europäischen Denkens (mit seinen amerikanischen Satelliten der Ostküste) in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nachzeichnen. Das ist so etwas wie ein Pop-Philosophie-Thriller, der für mich doch recht zügig seinen Reiz verlor, weil das als Romantext eher banal und konventionell bleibt. Interessant sind höchstens die Metaebenen der Erzählung (die es reichlich gibt) und die Anachronismen (die auch gerne und mit Absicht verwendet werden), zumal die Theorie und ihr Personal immer mehr aus dem Blick geraten
Die im Titel verhießene siebte Sprachfunktion bleibt natürlich Leerstelle und wird nur in Andeutungen — als unwiderstehliche, politisch nutzbare Überzeugungskraft der Rede — konturiert. Dafür gibt es genügend andere Stationen, bei denen Binet sein Wissen der europäischen und amerikanischen Postmoderne großzügig ausbreiten kann.
Während er rückwärtsgeht, überlegt Simon: Angenommen, er wäre wirklich eine Romangestalt (eine Annahme, die weitere Nahrung erhält durch das Setting, die Masken, die mächtigen malerischen Gegenstände: in einem Roman, der sich nicht zu gut dafür wäre, alle Klischees zu bedienen, denkt er), welcher Gefahr wäre er im Ernst ausgesetzt? Ein Roman ist kein Traum: In einem Roman kann man umkommen. Hinwiederum kommt normalerweise die Hauptfigur nicht ums Leben, außer vielleicht gegen Ende der Handlung. / Aber wenn es das Ende der Handlung wäre, wie würde er das erfahren? Wie erfährt man, wann man auf der letzten Seite angekommen ist? / Und wenn er gar nicht die Hauptfigur wäre? Hält sich nicht jeder für den Helden seiner eigenen Existenz? 420
Dieter Grimm: “Ich bin ein Freund der Verfassung”. Wissenschaftsbiographisches Interview von Oliver Lepsius, Christian Waldhoff(span> und Matthias Roßbach mit Dieter Grimm. Tübingen: Mohr Siebeck 2017. 325 Seiten. ISBN 9783161554490.
Ein feines, kleines Büchlein. Mit “Interview” ist es viel zu prosaisch umschrieben, denn einerseits ist das ein vernünftiges Gespräch, andererseits aber auch so etwas wie ein Auskunftsbuch: Dieter Grimm gibt Auskunft über sich, sein Leben und sein Werk. Dabei lernt man auch als Nicht-Jurist eine Menge — zumindest ging es mir so: Viel spannendes zur Entwicklung von recht und Verfassung konnte ich hier lesen — spannend vor allem durch das Interesse Grimms an Nachbardisziplinen des Rechts, insbesondere der Soziologie. Deshalb tauchen dann auch ein paar nette Luhmann-Anekdoten auf. Außerdem gewinnt man als Leser auch ein bisschen Einblick in Verfahren, Organisation und Beratung am Bundesverfassungsgericht, an dem Grimm für 12 Jahre als Richter tätig war. Schön ist schon die nüchterne Schilderung der der nüchternen Wahl zum Richter — ein politischer Auswahlprozess, den Grimm für “erfreulich unprofessionell” (126) hält. Natürlich gewinnt das Buch nicht nur durch Grimms Einblick in grundlegende Wesensmerkmale des Rechts und der Jurisprudenz, sondern auch durch seine durchaus spannende Biographie mit ihren vielen Stationen — von Kassel über Frankfurt und Freiburg nach Paris und Harvard wieder zurück nach Frankfurt und Bielefeld, dann natürlich Karlsruhe und zum Schluss noch Berlin — also quasi die gesamte Geschichte der Bundesrepublik Deutschland — Grimm ist 1937 geboren — in einem Leben kondensiert.
Das Buch hat immerhin auch seine Seltsamkeiten — in einem solchen Text in zwei Stichwörtern in der Fußnote zu erklären, wer Konrad Adenauer war, hat schon seine komische Seite. Bei so manch anderem Namen war ich aber froh über zumindest die grobe Aufklärung, um wen es sich handelt. Die andere Seltsamkeit betrifft den Satz. Dabei hat jemand nämlich geschlampt, es kommen immer wieder Passagen vor, die ein Schriftgrad kleiner gesetzt wurden, ohne dass das inhaltlich motiviert zu sein scheint — offensichtlich ein unschöner Fehler, der bei einem renommierten und traditionsreichen Verlag wie Mohr Siebeck ziemlich peinlich ist.
Adorno verstand ich nicht. Streckenweise unterhielt ich mich einfach damit zu prüfen, ober er seine Schachtelsätze korrekt zu Ende brachte. Er tat es. 41
Constantijn Huygens: Euphrasia. Augentrost. Übersetzt und herausgegeben von Ard Posthuma. Leipzig: Reinecke & Voß 2016. [ohne Seitenzählung]. ISBN 9783942901222.
Zu diesem schönen, wenn auch recht kurzen Vergnügen habe ich vor einiger Zeit schon etwas gesondert geschrieben: klick.
außerdem gelesen:
Dirk von Petersdorff: In der Bar zum Krokodil. Lieder und Songs als Gedichte. Göttingen: Wallstein 2017 (Kleine Schriften zur literarischen Ästhetik und Hermeneutik, 9). 113 Seiten. ISBN 978–3‑8353–3022‑1.
Hans-Rudolf Vaget: “Wehvolles Erbe”. Richard Wagner in Deutschland. Hitler, Knappertsbusch, Mann. Frankfurt am Main: Fischer 2017. 560 Seiten. ISBN 9783103972443.
Richtig falsches Deutsch zu schreiben ist sehr schwer — Geisteswissenschaften — FAZ — Bemerkenswertes Experiment: Eine Sprachwissenschaftlerin des Bundeskriminalamtes stellte 98 Muttersprachlern die Aufgabe, einen Erpresserbrief zu schreiben und dabei eine ausländische Identität vorzutäuschen. Das Ergebnis war ernüchternd.
Und doch wird man Kenny Wheeler vor allem als abgeklärten Lyriker in Erinnerung behalten, der im Zeichen von Post-Bop und Post-Free-Jazz eine melancholische Eleganz pflegte.
John Bulmer: Black Country Series — Telegraph — “England’s Hard Centre: The Black Country” — tolle fotografien von john bulmer aus dem trüben, dunklen, schwarzen england ende der 1950er/anfang der 1960er
Thomas Mann im Tonfilm: Der audiovisuelle Urknall unserer Literatur — FAZ — die faz mal wieder ganz bescheiden: “audioviusellen urknall unserer literatur” (das ist natürlich hochgradiger unsinn) nennt sie ein gefundenes knapp vierminütiges tonfilmstück, in dem thomas mann spricht — über das “entrückte” publikum der neuen medien und (das eigentliche thema): über lessing mit dem titel “worte zum gedächtnis lessings” — aber da bricht der ausschnitt leider ab
Massentierhaltung: Das Wasser wird schlecht | ZEIT ONLINE — Das Wasser wird schlecht. 160 Millionen Kubikmeter Gülle: In Deutschland verdreckt die Massentierhaltung das Grundwasser. Weil Berlin nichts dagegen tut, droht Brüssel mit Konsequenzen. (leider rhetorisch etwas arg aufgebauscht …)
Wenn ein Mozart schlecht aufgeführt wird, gibt man dem Dirigenten die Schuld – denn alle kennen das Stück und wissen, wie es eigentlich klingen müsste. Wenn aber ein Nono schlecht aufgeführt wird, halten die meisten den Komponisten für schlecht.
Nett auch der Seitenhieb auf Thomas Mann (wegen der Kontroverse um den “Doktor Faustus”):
Aber ich glaube, hätte er sich nicht so über Thomas Mann ärgern müssen, hätte er länger gelebt.
Überhaupt liegt der Protest quer zu allen Lagern und Nationalitäten. Die Konfliktlinie ist trotzdem völlig klar: Bürger gegen Institutionen. Und nicht nur Bürger gegen Staat, es geht auch um Konzerne. Es geht um den Konflikt zwischen dem Einzelnen und der absoluten Macht unter den neuen Bedingungen des Informationszeitalters.
Die FAZ berichtet heute im Feuilleton (S. 31, leider nicht online), dass das Thomas-Mann-Archiv in Zürich ungefähr dreitausend Briefe aus dem Nachlass des Autors bzw. seiner Frau Katia bis zum Dezember 2012 einfach “vergessen” hat. Das sind schlappe 13 Kisten, die die Archivare dort in den letzten Jahrzehnten komplett “übersehen” haben: Die wurden nicht erfasst, nicht katalogisiert, nicht ausgewertet und waren auch niemandem zugänglich — nicht den Forschern, aber auch nicht den Familienmitgliedern. Schon die Umstände, wie die Briefe ins Archiv gelangt sind, sind seltsam (für Schriftsteller-Nachlässe allerdings wiederum gar nicht so sehr …):
Derzeit bemüht man sich im TMA, die Herkunft der aufgetauchten Briefbestände zu rekonstruieren – auch das führt auf dunkle Pfade. Ein Teil der Briefe sei wohl bereits 1981 ins Archiv gelangt, gebracht von Anita Naef, der Sekretärin erst von Erika, später von Golo Mann; der größere Teil sei 1994 geschenkt worden, ebenfalls aus der Hand von Anita Naef. […] Nach den heutigen Recherchen des TMA brachte sie den größten Teil des jetzt aufgetauchten Briefbestands 1994, im Todesjahr Golo Manns, als „Schenkung“ ins TMA, ohne dass dies verzeichnet oder im Jahresbericht des Archivs vermerkt worden wäre.
Das ist schon eine ganz schöne Schlamperei — auch wenn Tilmann Lahme in der FAZ sicherlich zu recht darauf hinweist, dass das TMA sich mehr als Forschungsstätte denn als klassisches Archiv verstand:
Demgegenüber sind Erfassung, Erschließung und Sicherung der Archivalien nicht auf dem Stand eines modernen Archivs.
Immerhin scheint sich nun etwas zu tun:
Die Leitung der Hochschule hat nun, nach der Eingliederung des TMA und unter dem Eindruck des Auftauchens der dreitausend Katia-Mann-Briefe, kurzfristig ein größeres Projekt bewilligt. Mehr als eine halbe Million Schweizer Franken stehen von sofort an für Erschließung und Digitalisierung der Archivbestände zur Verfügung. Bis zum Ende des kommenden Jahres sollen die Bestände komplett in einem modernen, online abrufbaren System erfasst und digitalisiert sein
Andererseits gehen die Merkwürdigkeiten aber gleich weiter: Frido Mann, Enkel Thomas’, hat — offenbar als eine Art “Entschädigung” für das lange währende Versäumnis des Archivs, “etwa fünfzig Briefe seines Vaters Michael an Katia Mann” ausgehändigt bekommen. Die sind also aus dem Archiv gleich wieder verschwunden …
Das Archiv selbst scheint auch sonst eher nachlässig geführt zu werden, der FAZ-Artikel lässt da einiges anklingen (und macht darauf aufmerksam, dass das nicht unbedingt die Schuld der beteiligten Personen sein muss, sondern auch in seiner Konstruktion und der mangelnden Wertschätzung durch die Hochschul-Leitung geschuldet sein kann). Die Internetseite des Archivs jedenfalls gibt keinen Hinweis auf den Fund der Manuskripte …
Goethe hätte Wagner als grundwiderwärtige Erscheinung empfinden müssen. Freilich war er großen Tatsachen und Wirkungen gegenüber moralisch sehr tolerant und zuweilen frage ich mich, ob er nicht geantwortet hätte: “Der Mann ist euch zu groß.” Aber das wäre eine Sache. Die Deutschen sollte man vor die Entscheidung stellen: Goethe oder Wagner. Beides zusammen geht nicht. Aber ich fürchte, sie würden “Wagner” sagen. Oder doch vielleicht nicht? Sollte nicht doch vielleicht jeder Deutsche im Grunde seines Herzens wissen, daß Goethe ein unvergleichlich verehrungs- und vertrauenswürdigerer Führer und Nationalheld ist als dieser schnupfende Gnom aus Sachsen mit dem Bombentalent und dem schäbigen Charakter?