Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: swing

Taglied 21.11.2014

wun­der­bar cool: Annie Ross singt “Twist­ed” — und “Every­day I Have The Blues” — mit Count Basie:

ANNIE ROSS sings Twist­ed and Every­day I Have The Blues 1959

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von der alten zur neuen synagoge

„glück­lich unper­fekt“ — darauf muss man erst ein­mal kom­men. vor allem, wenn man sein meti­er so gut beherrscht. von „unper­fekt“ kann man bei sän­gerin sharon brauner eigentlich nicht sprechen. aber glück­lich macht sie ihr pub­likum in der mainz­er syn­a­goge schon. vor allem fühlt sie sich offen­bar wohl auf der schrä­gen bühne im schrä­gen bau – nur die schrä­gen töne blieben aus.

sharon brauner, die berlin­er sän­gerin, ist dabei fast allein. nur eine ganz min­i­mal­is­tis­che band hat sie dabei – einen ural­ten e‑bass, ein ganz, ganz kleines schlagzeug und ein klavier – mehr ist nicht nötig. na ja, ab und an schon: wenn sharon brauner zwis­chen­drin mal eben zur jane hen­drix von berlin wird und sich für eine kurze weile auf der ukulele aus­to­bt. zum beispiel im verkup­plungslied über die jüdis­che mut­ter, die nicht nur obst und gemüse, son­dern immer wieder auch einen heiratskan­di­dat­en für ihre tochter vom markt mit nach hause bringt. oder wenn sie till brön­ner, der lei­der, lei­der nicht mehr ins auto passte, mit der spielzeugtrompete so gut erset­zt, dass man ihn fast gar nicht ver­misst.

immer ist das lebendi­ge energiebün­del nett bis in die zehen­spitzen und immer singt sie entspan­nt mit viel spaß, ohne nach­läs­sig zu wer­den. und immer wird sie sorgsam unter­stützt von ihrer band, vor allem dem inspiri­erten hel­mut bruger am klavier.

nett – und größ­ten­teils unver­fänglich – auch ihre musik: alte jid­dis­che lieder, etwas chan­son, eine menge swing: ein wilder stilmix ist ihr pro­gramm, der auch vorm tan­go nicht halt macht. der aber, vor allem durch die pro­fes­sion­al­ität der musik­er, die über­all fit sind, eine runde mis­chung ergibt — eine wohltuend lebendi­ge sog­ar, die wun­der­bar für einen abend angenehmer unter­hal­tung geeignet ist. und die neben­bei noch eine kleine ein­führung oder auf­frischung ins jid­dis­che liefert.

das passiert mal aus­ge­sprochen furios oder auch etwas der­ber, ein anderes mal auch einüh­lend und behut­sam, wie in ihrer ver­sion von bodo wartkes „an dich“. und auch die ein oder andere schnulze dazwis­chen darf nicht fehlen. schließlich geht es vor allem um eines: die liebe mit­samt ihren höhen und tiefen, ihren launen und über­raschun­gen. und davon weiß sharon brauner eine ganze menge lieder zu sin­gen und geschicht­en zu erzählen.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

angebissen: der don-camillo-chor auf cd

Musik dazu ver­wen­den, jeman­den zu ver­führen, ist keine neue Idee. Das Opfer mit der Musik als Köder zur Musik zu begehren, ist schon etwas ungewöhn­lich­er. Und wenn ein Chor das dann auch noch so offen und direkt untern­immt wie der „Don-Camil­lo-Chor“ aus dem Münch­n­er Umland, dann gehen jed­er Zielper­son schnell die Argu­mente für den Wider­stand aus.

Das liegt, wie ihre neueste (und erste) CD mit dem passenden Titel „Good Bait“ beweist, zu großem Teil an der jugendlichen Frische und dem unbändi­gen Über­schwang, mit dem der gesamte Chor sich auf sein Reper­toire vor­wiegend aus Jazz und Pop stürzt. So eine freizügige Freude teilt sich dem Hör­er in jedem Moment mit, dass er mit dem größten Vergnü­gen anbeißt.

Das Vergnü­gen ist allerd­ings nicht nur ein Ver­di­enst der Sänger und ihres Chor­leit­ers, der sie immer wieder knack­ig auf den Punkt fokussiert. Es liegt zu einem großen Teil auch an den angenehm ein­fall­sre­ichen Arrange­ments, die mehrheitlich vom Diri­gen­ten selb­st oder aus der bewährten Fed­er des um keine Pointe ver­lege­nen Oliv­er Gies stam­men.

Das reicht vom feuri­gen „Chili con Carne“ aus dem Fun­dus der „Real Group“ über aufge­frische Swing-Klas­sik­er bis zu – in ihren kom­plex­en Arrange­ments kaum noch erkennbaren – Pop-Hits der let­zten Jahrzehnte. Mit ein­er recht freien Bear­beitung von Brahms’ „Guten Abend, gut’ Nacht“ beweist der Don-Camil­lo-Chor dann neben­bei auch noch, dass er mehr als nur rein­er Jazz-Pop-Chor ist: Diese jun­gen Sänger und Sän­gerin­nen fühlen sich in vie­len Gefilden zu Hause. Mit Recht. Denn „Good Bait“ ist nicht nur eine schöne, gelun­gene Leis­tungss­chau, son­dern auch ein­fach gute Unter­hal­tung.

Don Camil­lo Chor: Good Bait. Spek­tral SRL4-09049, 2009.

(geschrieben für die neue chorzeit)

mal wieder: jazz und sinfonik gemixt (oder auch nicht)

Sin­fonieorch­ester und Jazz – das sind zwei Wel­ten, die sich oft sehr fremd sind. Und wenn es dann doch zu einem Ren­dezvous kommt, darf natür­lich George Gersh­wins „Rhap­sody in Blue“ auf keinen Fall fehlen. Aber der Klas­sik­er ist wohl nie so zu hören wie beim Konz­ert des Phil­har­monis­chen Staat­sor­ch­esters in der Phönix­halle. Doch schon in der ersten Hälfte war eine Menge guter Musik auf der Gren­ze zwis­chen Jazz und Sin­fonik zu hören. Ohne großes Vorge­plänkel stiegen das Orch­ester mit der Unter­stützung einiger Jazz-Solis­ten sofot in Ear­le Hagens „Harlem Noc­turne“ ein. Und schon waren sie und das Pub­likum mit­ten­drin im Hörki­no, das direkt nach New York führte – ein­er Stadt, der die Musik­er an diesem Abend noch öfters einen Besuch abstat­ten wür­den. Zunächst also Harlem bei Nacht, zu erleben beim ele­gan­ten Cruisen durch mehr oder weniger belebte Straßen. Reiche Bilder ziehen hier vorm inneren Auge vor­bei. Und das liegt nicht nur am Kom­pon­is­ten, son­dern vor allem an zwei Din­gen: Den Arrange­ments von Sebas­t­ian Her­nan­dez-Lav­erny, die die Imag­i­na­tion mit ihrer ver­schwen­derischen Ideen­fülle immer wieder zu Höch­stleis­tung anfeuern. Und an den Musik­ern. Nicht nur das Orch­ester spielt engagiert swin­gend auf, auch Sax­o­pho­nis Oleg Berlin sorgt mit glasklarem Ton und präg­nan­ter Phrasierung für Jaz­zfeel­ing und Kurzweil. Drum­mer Ger­hard Stütz und Bassist Götz Ommert liefern der­weil ein solides Fun­da­ment und Her­nan­dez-Lav­erny springt zwis­chen Diri­gen­ten­pult und Klavier flink hin und her, ergänzt sein Arrange­ment immer wieder durch kurze pianis­tis­che Ein­würfe.

Für mehr beson­dere Momente sorgt auch Malte Schäfer bei den Stan­dards „Come, fly with me“ und „Fly me to the moon“. Der Bratsch­er ist dies­mal auss­chließlich als Sänger im Ein­satz – aber dass dies nicht sein Haupt­beruf ist, merkt man ihm nicht an: Lock­er und geschmei­dig bringt er die Stim­mung wun­der­bar auf den Punkt. Genau wie der Mainz­er Klar­inet­tist Ates Yil­maz, der bei Jorge Calan­drel­lis vir­tu­osem „Solfeggietto/Metamorphosis“ nach ein­er Vor­lage von Carl Philipp Emanuel Bach ein echt­es Heim­spiel hat.

Apro­pos Heim­spiel: Das hat auch Nick Ben­jamin, der mit lau­ni­gen Mod­er­a­tio­nen dafür sorgt, dass Pub­likum entspan­nt und gut gelaunt bleibt – was angesichts der Menge guter Musik gar nicht nötig gewe­sen wäre. Das ganze kulu­miniert schließlich in Gersh­wins „Rhap­sody in Blue“. Die alleine wäre Her­nan­dez-Lav­erny aber offen­bar zu lang­weilig gewe­sen. Deswe­gen unter­bricht er das Orig­i­nal immer wieder, um gemein­sam mit Ommert und Stütz mit weit aus­holen­den Impro­vi­sa­tio­nen über Gersh­wins The­men dem ganzen noch mehr Jazz einzu­ver­leiben. Ein sehr sym­phatis­ch­er Ein­fall, der – vor allem durch die phan­tasiere­iche, ener­gis­che und konzen­tri­erte Impro­vi­sa­tion­skun­st der drei Musik­er – das Pub­likum zu Recht zu standig ova­tions hin­reißt.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

Lyambiko: Selbsthilfegruppe für angstfreies Musizieren

Wenn ein Musik­er seine Band „Selb­sthil­fe­gruppe für angst­freies Musizieren” nen­nt, ver­fügt er wahrschein­lich über eine gute Por­tion Humor. Wenn der Schlagzeuger von Lyam­biko, Torsten Zwin­gen­berg­er, das tut, hat er vor allem Recht. Denn Angst haben Sän­gerin Lyam­biko und ihr Trio im Frank­furter Hof sicher­lich nicht: Son­st wür­den sie wohl kaum so relaxt und lock­er arbeit­en.

Aber entspan­ntes Musizieren ohne Angst macht allein noch keine gute Musik aus. Denn bei Lyam­biko wird die Sicher­heit auf der Bühne durch einen weit­ge­hen­den Verzicht auf Risiken erkauft. Was gibt es schon zu hören: Eine junge, tal­en­tierte Sän­gerin mit angenehmer Stimme und ein ver­siertes All­round-Trio. Hem­mungslose Ekklezi­tis­ten sind sie alle, wie sie da auf der Bühne ste­hen. Aus allen Eck­en suchen sie sich ihr Mate­r­i­al zusam­men: Ein wenig Swing, eine gute Por­tion Blues, dann noch ein biss­chen Latin, ergänzt um eine Prise Eth­no-Pop und abgeschmeckt mit ein­er Prise Mod­ern Jazz – fer­tig ist der Ein­topf. Dumm ist nur, dass aus dem ganzen Mis­chmasch nichts Neues entste­ht. So bleibt eben gute, ungewöhn­lich erfol­gre­iche Unter­hal­tung. Und deshalb ist es auch nicht ver­wun­der­lich, dass die CD von Lyam­biko in den Pop-Charts notiert wird. Vom Geist des Jazz, von sein­er Kraft und Aus­drucks­fähigkeit, ist das näm­lich schon ein ganzes Stück ent­fer­nt.

Dabei sind die Musik­er wirk­lich nicht schlecht. Neben den flinken Fin­gern des Pianis­ten Mar­que Lowen­thal ist es vor allem Schlagzeuger Torsten Zwin­gen­berg­er, der ab und an doch aufhorchen lässt. Wie er Stöcke und Besen über Trom­mel und die riesi­gen, hal­len­den Beck­en tanzen lässt, wie er rast­los zwis­chen Per­cus­sions und Drum­set pen­delt — das alles weist ihn deut­lich als feinsin­ni­gen Klangtüftler aus.

Lyam­biko selb­st, ganz unbeschei­den als „the most beau­ti­ful voice“ angekündigt, ist ja dur­chaus nett anzuse­hen und anzuhören. Eine gefäl­lige, wohltö­nende Stimme, die aber bis jet­zt mehr von ihren poten­tiellen als den tat­säch­lichen Qual­itäten prof­i­tiert. Denn bei aller Gewandtheit und Aus­drucks­fähigkeit: Inspi­ra­tion und Inno­va­tion sind ihre Stärken nicht. Als Jazz ist die Musik denn auch recht belan­g­los: Friedlich mäan­dert das in gewohnt-belan­glos­er Form vor sich hin. Als Unter­hal­tungsmusik ist es solides Kun­sthandw­erk – und das ist ja auch schon was.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung)

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