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Schlagwort: sergei rachmaninow

Schwere Kunst: Chopin, Rachmaninow & Prokofjew

Ein­fach gemacht hat er sich nichts. Erst ein­mal alle vier Bal­la­den von Fre­de­ric Cho­pin, dann noch drei Pré­ludes von Ser­gej Rach­ma­ni­now und schließ­lich Ser­gej Pro­kof­jews sechs­te Kla­vier­so­na­te – ein Pro­gramm vol­ler spiel­tech­ni­scher Hür­den und musi­ka­li­scher Schwie­rig­kei­ten. Aber Boris Gilt­burg hat eben auch kei­nen Grund, es sich ein­fach zu machen – tech­nisch hat er sein Reper­toire ganz ein­deu­tig voll im Griff. Aber auch musi­ka­lisch zeigt er sich sei­nem Anspruch durch­aus gewach­sen.

Tat­säch­lich hat das Pro­gramm, das er im Rah­men der Rei­he „Inter­na­tio­na­le Pia­nis­ten“ des SWR im Frank­fur­ter Hof vor­trug, mehr Gemein­sam­kei­ten, als ein flüch­ti­ger Blick den­ken lässt. Alle drei Kom­po­nis­ten sind Emi­gran­ten, denen das Kla­vier und sei­ne Mög­lich­kei­ten beson­ders nahe stand. Und die­se Hei­mat­lo­sig­keit der Kom­po­nis­ten, ihre Ver­lus­te und Erfah­run­gen der Frem­de, ihr Erfolg und ihre Nie­der­la­gen – das alles prägt sich auch in ihre Musik ein. Genau das zeigt Boris Gilt­burg im Frank­fur­ter Hof immer wie­der. Viel­leicht ist es ja auch nur ein Zufall, dass sei­ne Mög­lich­kei­ten, sei­ne Klang­vor­stel­lun­gen und sein Tem­pe­ra­ment dem die­ser Musik so genau ent­spre­chen. Aber egal – es passt jeden­falls.

Die Cho­pin­schen Bal­la­den, der Beginn und gleich schon der Höhe­punkt die­ser Gat­tung, zei­gen das in ihrer gan­zen Viel­falt. Alle ihrer vie­len Stim­mun­gen tre­ten bei Gilt­burg wun­der­bar deut­lich und plas­tisch her­vor. Über­haupt zeich­net sich sei­ne Inter­pre­ta­ti­on, trotz ihrer Vir­tuo­si­tät, durch eine tief­ge­hen­de Klar­heit aus – und gerät doch nie tro­cken oder aka­de­misch lang­wei­lig. Die Mischung aus Prä­zi­si­on und Wär­me, kraft­vol­ler Ton­ge­bung und intel­li­gen­ter Phra­sie­rung, wis­sen­der Gestal­tung und emp­fin­den­dem Aus­druck führt ihn nicht nur in den vier Bal­la­den Cho­pins zum Erfolg. Wie er mit die­sen Mit­teln die Vehe­menz und dra­ma­ti­sche Nar­ra­ti­vi­tät die­ser Musik ent­wi­ckelt, das ist an sich schon sehr über­zeu­gend. Gilt­burg spielt das dabei aber eben nicht nur als for­ma­le Ana­ly­se, son­der auch als leben­di­gen, atmen­den und spre­chen­den Klang.

Das hilft dann auch beson­ders für Pro­kof­jews 1940 kom­po­nier­te sechs­te Kla­vier­so­na­te, auch so ein düs­ter-expres­si­ves Expe­ri­ment zwi­schen Tra­di­ti­on und Gegen­wart, zwi­schen hol­der Kunst und dis­so­nan­ter Wirk­lich­keit. Gilt­burg lässt die­se Musik ganz exzel­lent von Wahn­sinn zu Har­mo­nie und zurück pen­deln. Hier kann die Musik an genau den rich­ti­gen Stel­len kra­chend bers­ten, aber auch hin­ge­bungs­voll sin­gen, ohne dass dabei irgend etwas ver­lo­ren­geht. Ein­fach ist das alles nicht – weder für den Pia­nis­ten noch für das Publi­kum. Aber berüh­rend und über­zeu­gend.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Zufriedene Majestäten: Beethoven und Rachmaninow

Es sieht reich­lich selt­sam aus, was für einen kurio­sen Tanz Hän­de und Arme von Yakov Kreiz­berg da auf­füh­ren. Aber es funk­tio­niert: Der Diri­gent hat das SWR Sin­fo­nie­or­ches­ter Baden-Baden und Frei­burg beim Meis­ter­kon­zert in der Rhein­gold­hal­le in jedem Moment fest im Griff – auch wenn sei­ne Schlag­tech­nik das nicht unbe­dingt ver­rät.

Mit rie­si­gen, weit aus­ho­len­den Bewe­gun­gen schwingt der Diri­gent sei­nen extra­lan­gen Stab und steht dann kurz dar­auf minu­ten­lang fast wie ein­ge­fro­ren und steu­ert die Orches­ter­mu­si­ker mit win­zigs­ten Bewe­gun­gen zwei­er Fin­ger der lin­ken Hand. Dabei hat er aller­dings auch Unter­stüt­zung: Kirill Ger­stein am Kla­vier gibt im fünf­ten Kla­vier­kon­zert von Lud­wig van Beet­ho­ven ger­ne auch den einen oder ande­ren Impuls. Über­haupt ergän­zen die bei­den sich hier sehr ange­nehm: Diri­gent und Pia­nist bevor­zu­gen für das letz­te Kla­vier­kon­zert Beet­ho­vens, das vor fast genau 200 Jah­ren urauf­ge­führt wur­de, eine weich abge­run­de­te, har­mo­nisch aus­ge­füll­te Les­art, die garan­tiert nir­gend­wo aneckt.

Rund­um satt und zufrie­den tönt der doch oft so rebel­li­sche Beet­ho­ven hier, ertrinkt fast in der Har­mo­nie, Ein­tracht und Schön­heit die­ser Musik. Ger­stein spielt das sehr sau­ber und immer mit unauf­dring­li­cher, fast ver­steck­ter Bril­lanz. Dabei ver­birgt er sich und auch die meis­ten Akzen­te sei­nes Parts hin­ter wei­chem Eben­maß. Die Musik, die da in der Rhein­gold­hal­le erklingt, ist nicht von die­ser Welt – sie küm­mert sich aber auch gar nicht dar­um, sie ist mit sich selbst und ihrer rei­nen Schön­heit schon mehr als zufrie­den.
Auch das Orches­ter lässt sich da nicht lan­ge bit­ten und schmei­chelt auf allen Ebe­nen. So rich­tig dre­hen die Musi­ker des SWR-Orches­ters aber erst bei Ser­gej Rach­ma­ni­nows zwei­ter Sin­fo­nie auf
Auch die wie­der­um kei­ne im eigent­li­chen Sin­ne span­nen­de oder anre­gen­de Musik.

Denn Kreiz­berg bleibt sei­ner Metho­de – und sei­nem Diri­gier­stil – treu: Mit gleich­zei­tig ecki­gen und sanft wogen­den Bewe­gun­gen lässt er die Sin­fo­nie zugleich feder­leicht schwe­ben und erwar­tungs­voll vibrie­ren. Das tost und dröhnt oft ganz gewal­tig, schwellt immer wie­der wun­der­bar auf und ab – denn wenn Kreiz­berg etwas kann, dann ist es das geschick­tes­te Phra­sie­ren: Nie kommt die Musik zur Ruhe, nie erschöpft sich sein Drang zum ewi­gen Wei­ter. Das ebnet die monu­men­ta­le Sin­fo­nie aller­dings auch hin und wie­der ein biss­chen ein – alles liegt sozu­sa­gen glei­cher­ma­ßen auf dem Weg, der immer wei­ter vor­wärts führt und nie ankommt. Aber die­ser Weg ist ein unbe­dingt schö­ner, ein Rei­gen seligs­ter Melo­dien­kunst in purer Prä­senz. Und das klingt groß­ar­tig – auch wenn es manch­mal selt­sam anzu­schau­en ist.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Schön langweilig: Beethoven & Rachmaninov

Es sieht reich­lich selt­sam aus, was für einen kurio­sen Tanz Hän­de und Arme von Yakov Kreiz­berg da auf­füh­ren. Aber es funk­tio­niert: Der Diri­gent hat das SWR Sin­fo­nie­or­ches­ter Baden-Baden und Frei­burg beim Meis­ter­kon­zert in der Rhein­gold­hal­le in jedem Moment fest im Griff – auch wenn sei­ne Schlag­tech­nik das nicht unbe­dingt ver­rät.

Mit rie­si­gen, weit aus­ho­len­den Bewe­gun­gen schwingt der Diri­gent sei­nen extra­lan­gen Stab und steht dann kurz dar­auf minu­ten­lang fast wie ein­ge­fro­ren und steu­ert die Orches­ter­mu­si­ker mit win­zigs­ten Bewe­gun­gen zwei­er Fin­ger der lin­ken Hand. Dabei hat er aller­dings auch Unter­stüt­zung: Kirill Ger­stein am Kla­vier gibt im fünf­ten Kla­vier­kon­zert von Lud­wig van Beet­ho­ven ger­ne auch den einen oder ande­ren Impuls. Über­haupt ergän­zen die bei­den sich hier sehr ange­nehm: Diri­gent und Pia­nist bevor­zu­gen für das letz­te Kla­vier­kon­zert Beet­ho­vens, das vor fast genau 200 Jah­ren urauf­ge­führt wur­de, eine weich abge­run­de­te, har­mo­nisch aus­ge­füll­te Les­art, die garan­tiert nir­gend­wo aneckt.

Rund­um satt und zufrie­den tönt der doch oft so rebel­li­sche Beet­ho­ven hier, ertrinkt fast in der Har­mo­nie, Ein­tracht und Schön­heit die­ser Musik. Ger­stein spielt das sehr sau­ber und immer mit unauf­dring­li­cher, fast ver­steck­ter Bril­lanz. Dabei ver­birgt er sich und auch die meis­ten Akzen­te sei­nes Parts hin­ter wei­chem Eben­maß. Die Musik, die da in der Rhein­gold­hal­le erklingt, ist nicht von die­ser Welt – sie küm­mert sich aber auch gar nicht dar­um, sie ist mit sich selbst und ihrer rei­nen Schön­heit schon mehr als zufrie­den.

Auch das Orches­ter lässt sich da nicht lan­ge bit­ten und schmei­chelt auf allen Ebe­nen. So rich­tig dre­hen die Musi­ker des SWR-Orches­ters aber erst bei Ser­gej Rach­ma­ni­nows zwei­ter Sin­fo­nie auf. Auch die ist wie­der­um kei­ne im eigent­li­chen Sin­ne span­nen­de oder anre­gen­de Musik. Denn Kreiz­berg bleibt sei­ner Metho­de – und sei­nem Diri­gier­stil – treu: Mit gleich­zei­tig ecki­gen und sanft wogen­den Bewe­gun­gen lässt er die Sin­fo­nie zugleich feder­leicht schwe­ben und erwar­tungs­voll vibrie­ren. Das tost und dröhnt oft ganz gewal­tig, schwellt immer wie­der wun­der­bar auf und ab – denn wenn Kreiz­berg etwas kann, dann ist es das geschick­tes­te Phra­sie­ren: Nie kommt die Musik zur Ruhe, nie erschöpft sich sein Drang zum ewi­gen Wei­ter. Das ebnet die monu­men­ta­le Sin­fo­nie aller­dings auch hin und wie­der ein biss­chen ein – alles liegt sozu­sa­gen glei­cher­ma­ßen auf dem Weg, der immer wei­ter vor­wärts führt und nie ankommt. Aber die­ser Weg ist ein unbe­dingt schö­ner, ein Rei­gen seligs­ter Melo­dien­kunst in purer Prä­senz. Und das klingt groß­ar­tig – auch wenn es manch­mal selt­sam anzu­schau­en ist.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

mit viel gefühl und genauigkeit: tschaikovskij und rachmaninov im staatstheater

Die ers­ten Töne kennt wahr­schein­lich jeder im aus­ver­kauf­ten Gro­ßen Haus des Staats­thea­ters. Tschai­kow­skijs ers­tes Kla­vier­kon­zert ist ein ewi­ger Hit, der immer für vol­le Säle sorgt. Vor allem, wenn er von einer Pia­nis­tin wie Evge­nia Rubi­no­va – auch in Mainz kei­ne unbe­kann­te Grö­ße mehr – vor­ge­tra­gen wird. Die ers­ten Töne also. Sie sind nicht nur ein Zei­chen des Wer­kes, son­dern sie zei­gen auch immer schon sehr deut­lich die Rich­tung, die die Inter­pre­ten neh­men. Im Staats­thea­ter wer­den meh­re­re Din­ge erkenn­bar. Ein­mal wird hier mit gro­ßer Genau­ig­keit und wirk­li­cher Lust am dif­fe­ren­zier­ten Klang musi­ziert. Ande­rer­seits der Klang an sich: Schon die ers­ten Töne der Pia­nis­ten zei­gen ihre geschmei­di­ge Kraft, ihre Fähig­keit, aus dem simp­len Flü­gel eine Unzahl an Klang­va­ria­tio­nen auf­stei­gen zu las­sen. Und schließ­lich die Ver­sen­kung in die Tie­fen der ima­gi­nä­ren Welt des Kla­vier­kon­zer­tes. Das sind alles alt­mo­di­sche, fast selbst­ver­ständ­li­che Tugen­den, die gera­de bei die­sem Kon­zert vie­le Musi­ker aber auf dem Altar der ober­fläch­li­chen Bril­lanz opfern. Nicht so die­ses Duo an den Tas­ten und auf dem Pult. Und das nicht aus Ver­le­gen­heit. Gera­de die bei­läu­fi­ge Non­cha­lance, mit der Rubi­no­va sich der vir­tuo­sen Pas­sa­gen ent­le­digt, zeigt ihre Fähig­kei­ten. Aber ihr geht es eben um etwas ande­res: Um die sub­ti­len Klang­fel­der und ihre viel­fäl­ti­gen Strö­mun­gen, die aus dem radi­kal nach innen gewand­ten Kampf zwi­schen Orches­ter und Solo­in­stru­ment erwach­sen. Die Genau­ig­keit, mit der sie sich dem poe­ti­schen Fein­zeich­nen hin­gibt, bringt immer wie­der erstaun­li­che Ergeb­nis­se und rich­ti­ge Ent­de­ckun­gen her­vor. So unmit­tel­bar leben­dig und andäch­tig-imit­füh­lend hört man das Seh­nen, die nie an ihre Ziel kom­men­de Suche nach Ver­hei­ßung und Erlö­sung aus der Unge­wiss­heit nur sel­ten.
Die zwei­te Kon­zert­hälf­te kehr­te die Ver­hält­nis­se voll­kom­men um. Zumin­dest was die Bekannt­heit der Musik angeht: Ser­gej Rach­ma­ni­nows „Sin­fo­ni­sche Tän­ze“, sei­ne letz­te Kom­po­si­ti­on, dürf­ten nur die wenigs­ten ken­nen – zumal das Phil­har­mo­ni­sche Staats­or­ches­ter sie hier zum ers­ten Mal spielt. Das ändert aber wenig an der Hin­ga­be, mit der Cathe­ri­ne Rück­wardt den Fluss die­ser Musik aus­brei­tet. Und es ist nicht ganz ein­fach, das zusam­men­zu­hal­ten. Aber es gelingt ihr trotz der klein­tei­lig auf­ge­lös­ten Struk­tur und der sehr abwechs­lungs­rei­chen Instru­men­ta­ti­on. Denn statt den momen­ta­nen Ner­ven­kit­zel und Ohren­schmei­che­lei­en zu erlie­gen, hält sie das kunst­vol­le Gleich­ge­wicht immer auf­recht. Und damit kommt Rach­ma­ni­now genau­so zu sei­nem Recht wie Tschai­kow­skij.
(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

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