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Schlagwort: robert musil

Wirklichkeit

Die Wirk­lichkeit ist ein ver­patztes Ideenkonzept.”
Robert Musil, Ideen­blatt zum Mann ohne Eigen­schaften

Ulrich-Tag

Heute ist “Ulrich-Tag” — das schlägt die Lit­er­atur­wis­senschaft­lerin Inka Mülder-Bach vor. In Anlehnung an den Blooms­day wird heute der “Mann ohne Eigen­schaften — also Ulrich — gefeiert.

Ich glaube, damit ich ver­ste­he

Der Roman von Robert Musil (bzw. das unvol­len­det gebliebene Frag­ment) ist zwar erst vor gut 80 Jahren erschienen, spielt aber im August 1913 — also genau vor hun­dert Jahren, auch wenn der genaue Tag des Monats nicht spez­i­fiert wir. Da hil­ft auch die wohl berühmteste Wet­terbeschrei­bung der (deutschen) Lit­er­aturgeschichte nicht weit­er, mit der Musil seinen Roman begin­nt. Dort heißt es zwar:

Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Min­i­mum; es wan­derte ost­wärts, einem über Ruß­land lagern­den Max­i­mum zu, und ver­ri­et noch nicht die Nei­gung, diesem nördlich auszuwe­ichen. Die Isother­men und Isotheren tat­en ihre Schuldigkeit. Die Luft­tem­per­atur stand in einem ord­nungs­gemäßen Ver­hält­nis zur mit­tleren Jahrestem­per­atur, zur Tem­per­atur des käl­testen wie des wärm­sten Monats und zur ape­ri­odis­chen monatlichen Tem­per­aturschwankung. Der Auf- und Unter­gang der Sonne, des Mon­des, der Lichtwech­sel des Mon­des, der Venus, des Sat­urn­ringes und viele andere bedeut­same Erschei­n­un­gen entsprachen ihrer Voraus­sage in den astronomis­chen Jahrbüch­ern. Der Wasser­dampf in der Luft hat­te seine höch­ste Spannkraft, und die Feuchtigkeit der Luft war ger­ing. Mit einem Wort, das das Tat­säch­liche recht gut beze­ich­net, wenn es auch etwas alt­modisch ist: Es war ein schön­er August­tag des Jahres 1913.

- aber dum­mer­weise hat sich die Real­ität des Augusts 1913 daran nicht gehal­ten, so dass sich auch aus den meterol­o­gis­chen Dat­en kein genauer “Ulrich-Tag” eruieren lässt. Nichts­destotroz ist der “Mann ohne Eigen­schaften” natür­lich auch heute noch eine großar­tig ins­prierende Lek­türe.

Kakanien als Gesellschaftskonstruktion

Über den Adress­comp­toir erfuhr ich ger­ade, dass der Böh­lau-Ver­lag die volu­minöse Habil­i­ta­tion­ss­chrift aus dem Berlin­er Son­der­forschungs­bere­ich “Ästhetis­che Erfahrung im Zeichen der Ent­gren­zung der Kün­ste” von Nor­bert Chris­t­ian Wolf mit dem Titel auch als open-access-pdf (der link führt zum direk­ten Down­load) zur Ver­fü­gung stellt (bzw. wohl stellen muss, auf­grund von erhal­te­nen Fördergeldern). Der Ver­lag schreibt zu dem Buch:

Das Buch ist eine Gesamt­in­ter­pre­ta­tion von Musils Roman „Der Mann ohne Eigen­schaften“ mit dem Fokus auf dessen gesellschaft­s­an­a­lytis­che Leis­tung. Es stützt sich auf Pierre Bour­dieus Konzept ein­er Sozio­analyse lit­er­arisch­er Texte, das durch Anlei­hen aus der Diskurs‑, Erzähl‑, Gen­der- und Medi­en­the­o­rie ergänzt sowie durch Befunde der Sozial- und Kul­turgeschichtss­chrei­bung empirisch gesät­tigt wird.
Der feld­sozi­ol­o­gis­che Ansatz wird erst­mals kon­se­quent auf einen deutschsprachi­gen Roman angewen­det. Eine Beson­der­heit beste­ht in der kul­turgeschichtlichen Kon­tex­tu­al­isierung genauer Tex­t­analy­sen, die sich nicht nur auf Musils Essays und Nach­lass, son­dern auch auf die zeit­genös­sis­che Lit­er­atur, Wis­senschaft und Poli­tik erstreckt. „Der Mann ohne Eigen­schaften“ wird als mod­ern­er Klas­sik­er les­bar, der die Wurzeln der Katas­tro­phengeschichte des 20. Jahrhun­derts offen legt.

Das Inhaltsverze­ich­nis — mehr habe ich noch nicht gele­sen … — sieht auf jeden Fall inter­es­sant aus, ger­ade in der Verbindung von the­o­retis­chem Konzept, kul­turgeschichtlich­er Ein­bet­tung und detail­li­eter Tex­tun­ter­suchung. Aber ob ich in der näch­sten Zeit dazu kom­men, mal so 1222 Seit­en am Bild­schirm zu lesen?

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