Ins Netz gegangen am 9.11.:
- Auf den Spuren der RevolutionärInnen | Skug → ein schöner fotoessay von anton tantner.
Langsam bemächtigt sich hier die Natur der nur selten mit Blumen geschmückten Gräber, die Denkmäler von Rotarmisten und Strommasten rotten vor sich hin, an den roten Sternen, so sie denn noch vorhanden sind, blättert die Farbe ab. Das Zeugnis vergangener Sowjetmacht liegt bewusst dem Verfall preisgegeben, und doch, all dem Moder und Rost zum Trotz: Vereinzelt brennt eine Kerze – als ob sich Karl Liebknechts pathetische Ankündigung, die Leichen der hingemordeten Kämpfer würden wieder auferstehen, dereinst erfüllen werde, als ob den Toten bestimmt sei, in einer kommunistischen Zukunft auferweckt zu werden.
- Durchsetzung von Verkehrsregeln | Zukunft Mobilität → martin randelhoff beginnt eine serie über die gestaltung der mobilitätswende mit einem plädoyer für eine bessere durchsetzung der verkehrsregeln, vor allem zum schutz schwächerer verkersteilnehmer wie etwa den fußgängern
- Die Sache mit dem Leserschwund | BR → knut cordsen denkt über den buchmarkt und seine veränderungen nach — nicht völlig pessimistisch, aber doch in ziemlich grauen farben — allerdings v.a. aus einer ökonomischen perspektive
- Das gefährliche Raunen | Zeit → bernhard pörksen mit einem (auch eher pauschalen) text zur gefahr der pauschalen, sich anscheinend verbreitenden kritik an den medien (insgesamt):
Gemeinsam ist ihnen die Annahme, die etablierten Medien in Deutschland seien ein im Grunde autoritäres Regime, eine Anstalt zur Produktion geistigen Anpassertums. Gemeinsam ist ihnen auch die Behauptung, man selbst gehöre zu einer bedrohten Meinungsminderheit, die im Zweifel verfolgt und brutal geächtet werde. […] Die gegenwärtig kursierenden Theorien der Entmündigung und der Manipulation, Chiffren eines antiliberalen Denkens und einer heimlichen Sehnsucht nach der Revolte, helfen niemand. Und sie ruinieren das Vertrauensklima, das guter Journalismus bräuchte, gerade jetzt und gerade heute.
- Das Muster der Verschwörung | FAZ → durchaus interessant, auch wenn ich immer noch etwas fassunglos bin: eine ehemalige anhängerin chemtrail und anderen verschwörungstheorien erzählt
- Lutherland ist abgebrannt | Mein Jahr mit Luther → achim landwehrs unbedingt lesenswerte “abrechnung” mit dem reformationsjubiläum 2017 und überlegungen, was daraus für jubiläen udn unsere geschichtskultur überhaupt folgt:
was bleibt da vom Reformationsjubiläum? Es bleibt eine große Leere – eine Leere, die sich aber nicht breitmacht, weil das Jubiläum nun zu Ende gegangen ist. Diese Leere ist durch das Reformationsjubiläum selbst produziert worden. […] Fast zwangsläufig hängt diese inhaltliche Aushöhlung mit dem Versuch zur nahezu hemmungslosen wirtschaftlichen Verwertung des Jubiläums zusammen. Die Feier zu 500 Jahren Reformation fand sich eingeklemmt zwischen Kirche und Kommerz, zwischen Ökumene und Ökonomie. Nein, falsch. Das Reformationsjubiläum war nicht eingeklemmt. Es hat versucht, sich dort bequem einzurichten. […] Der Leerlauf des Jubiläumsgeschehens ergab sich nicht, weil es ein Zuviel an Reformation gegeben hätte, sondern weil zu wenig Reformation in diesem Jubiläum war. Und der Mangel an Reformation kam dadurch zustande, dass man das historische Ereignis mitsamt seinen konkreten Umständen nur in recht homöopathischen Dosen zum Thema machte. […] Unter dem Zwang zur Aktualisierung verschwand die Individualität und das historisch Spezifische bis zu Unkenntlichkeit. […] Womit wir es hier zu tun haben, hört auf den Namen ‚flache Geschichte‘: der möglichst geräuscharme, hindernisfreie und vor allem unkomplizierte Gebrauch (oder eher Missbrauch) von Vergangenem für gegenwärtige Zwecke. Flache Geschichte wird allenthalben verwendet. Es ist das vermeintlich historische Stammtischargument, das zur Erklärung heutiger Zustände herhalten muss, es ist die knapp erzählte Vorgeschichte, die Vergangenes genau soweit zurichtet, dass es sich in eine lineare Kausalität einordnet, und es ist das kurze Aufblitzen eines Relikts aus dem Vorgestern, vielleicht ein Bild, ein Zitat, ein Filmausschnitt oder ein bekannter Name, mit denen Vertrautheit hergestellt und die Sicherheit evoziert werden soll, dass es genauso war. Flache Geschichte zielt drauf ab, sich der Mühen der Komplexität zu entledigen, die Gebirge der Zeiten in aller Eile abzutragen, um freie Sicht auf die Vergangenheit zu erhalten.
- Wikipedia baut ab, oder: Was von „open“ übrig bleibt II | albatros → jürgen fenn über die negativen auswirkungen der entwicklung des webs auf die (offene) organisation von wissen:
Es bedarf keiner Erörterung, dass sich dies auch noch weiter auf die hergebrachten Mitmachprojekte des Web 2.0 auswirken wird. Wer an diese Technik aus Apps plus Endgeräte gewöhnt ist und damit aufwächst, wird nie auf die Idee kommen, an einem Massenprojekt wie Wikipedia teilzunehmen, weil er sich so etwas gar nicht mehr vorstellen kann. Normal ist, dass man auf riesige Datenbestände zugreift, die automatisiert erstellt oder jedenfalls automatisiert ausgewählt worden sind, aber nicht, dass man sie als Autor eigenhändig mit schreibt, kuratiert, pflegt und kollektiv verwaltet. Das liegt alles zentral bei der Firma, die es anbietet. Top-down, also nicht in den Händen einer Community, bottom-up.