Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: oliver gies

Wunschzettel zum Singen

gies, wunschzettelWenn Oli­ver Gies sei­nen Wunsch­zet­tel selbst abar­bei­tet, dann dür­fen sich die Chö­re und ihre Chor­lei­te­rin­nen freu­en: Denn dann gibt es fei­ne neue Musik. Das gilt natür­lich auch für das Chor­heft „Wunsch­zet­tel. Neue Weih­nachts­lie­der für gemisch­ten Chor“, in dem Gies das auf­ge­schrie­ben hat, was er an Weinhan­ch­ten selbst ger­ne hören (und sin­gen) wür­de. Trotz des Unter­ti­tels haben sich dann doch drei tra­di­tio­nel­le Weih­nachts­lie­der in das neun Songs star­ke Heft ein­ge­schli­chen. Die sind aller­dings von Oli­ver Gies einer Gene­ral­über­ho­lung unter­zo­gen wor­den, so dass sie durch­aus wie­der (oder noch) als neu durch­ge­hen kön­nen: „Es kommt ein Schiff gela­den“, „Hört der Engel hel­le Lie­der“ und „Josef, lie­ber Josef mein“, das neben dem vier­stim­mi­gen Chor auch noch zwei Solis­ten benö­tigt, muss­ten ihren Staub und zumin­dest teil­wei­se auch ihre Tra­di­ti­on auf­ge­ben und sich ein neu­es Klang­ge­wand über­stül­pen las­sen. Eine Frisch­zel­len­kur nennt der Arran­geur das – und frisch klin­gen sie tat­säch­lich, die alten Lie­der. Am deut­lichs­ten wird das bei „Es kommt ein Schiff gela­den“, das viel von sei­ner alter­tüm­li­chen Fremd­heit ver­lo­ren hat: Die Melo­die wur­de rhyth­misch über­holt und die Har­mo­nik radi­kal moder­ni­siert. Vor allem aber hat Gies in sei­nem Arran­ge­ment mit etwas Klang­ma­le­rei jeder Stro­phe und den kur­zen Zwi­schen­stü­cken einen jeweils eige­nen Cha­rak­ter ver­passt, der dem Text – den wogen­den Wel­len, dem siche­ren Hafen und dem Erlö­ser (der natür­lich im rei­nen Dur erscheint) – ganz treu entspricht.

Frisch klin­gen aber auch die neu­en Lie­der von Oli­ver Gies eigent­lich durch­weg. Am wenigs­ten viel­leicht „Der alte Mann“, in dem Gies recht aus­führ­lich Glo­cken­klän­ge ver­ar­bei­tet und den alten Mann und die Zuhö­rer eine har­mo­nisch Fest­mes­se erle­ben lässt. Schick ist auch die „Wei­se aus dem Mor­gen­land“, deren Titel nicht ganz unab­sicht­lich dop­pel­deu­tig zu lesen ist, denn hier geht es um die Hei­li­gen Drei Köni­ge. Die prä­sen­tie­ren sich hier nicht nur mit einer ori­en­ta­lisch klin­gen­den Melo­die, son­dern vor allem als aus­ge­spro­chen rei­se­mü­de Köni­ge, mür­risch und gereizt – und müs­sen ohne ein Hap­py End aus­kom­men. Das ist in die­sem Heft aber sel­ten, denn Freu­de und Fröh­lich­keit herr­schen natür­lich auch dann vor, wenn Aus­wüch­se des Weih­nachts­fests the­ma­ti­siert wer­den wie die Hek­tik des Geschen­ke­kau­fens in „Weih­nachts­lie­der sin­gen“ oder die kuli­na­ri­sche Völ­le­rei bei „Hap­py Meal“. Das ist trotz sei­nes Titels ein gut-deut­sche Ange­le­gen­heit, mit Wild­schwein­bra­ten, Schnit­zel und natür­lich der unver­meid­li­chen Weih­nachts­gans – kein Wun­der, dass der gan­ze Chor da stöhnt: „heu­te gibt es alles und von allem zu viel“. Für den „Wunsch­zet­tel“ gilt das frei­lich nicht: Zu viel gibt es hier bestimmt nicht. Im Gegen­teil, das Kon­zept schreit gera­de­zu nach einer Fort­set­zung. Denn die Kom­po­si­tio­nen und Arran­ge­ments von Oli­ver Gies bie­ten nicht nur dem Publi­kum Unter­hal­tung, son­dern auch Abwechs­lung für alle vier Stim­men – die sich übri­gens, da war der Arran­geur prag­ma­tisch, mit gerin­gen (jeweils ver­merk­ten) Ände­run­gen auch auf SSAB ver­tei­len dür­fen. Das Rad wird dafür nicht neu erfun­den, aber auch mit blo­ßer akus­ti­schen Haus­manns­kost gibt sich Gies auch nicht zufrie­den: Alle Sät­ze zeich­nen sich durch ihr Ein­füh­lungs­ver­mö­gen in die jeweils eige­ne klang­li­che Gestalt aus, sind aber nie über­frach­tet mit „Ein­fäl­len“. Zumal den „Wunsch­zet­tel“ zwar sicher nicht jeder Chor vom Blatt sin­gen kön­nen wird, die tech­ni­schen Her­aus­for­de­run­gen im Gegen­teil zum klang­li­chen Ergeb­nis aber trotz­dem mäßig sind.

Oli­ver Gies: Wunsch­zet­tel. Neue Weih­nachts­lie­der für gemisch­ten Chor. Bos­se 2014. BE 495.
(zuerst erschie­nen in „Chor­zeit – Das Vokal­ma­ga­zin“, Aus­ga­be 11/​2014)

angebissen: der don-camillo-chor auf cd

Musik dazu ver­wen­den, jeman­den zu ver­füh­ren, ist kei­ne neue Idee. Das Opfer mit der Musik als Köder zur Musik zu begeh­ren, ist schon etwas unge­wöhn­li­cher. Und wenn ein Chor das dann auch noch so offen und direkt unter­nimmt wie der „Don-Camil­lo-Chor“ aus dem Münch­ner Umland, dann gehen jeder Ziel­per­son schnell die Argu­men­te für den Wider­stand aus.

Das liegt, wie ihre neu­es­te (und ers­te) CD mit dem pas­sen­den Titel „Good Bait“ beweist, zu gro­ßem Teil an der jugend­li­chen Fri­sche und dem unbän­di­gen Über­schwang, mit dem der gesam­te Chor sich auf sein Reper­toire vor­wie­gend aus Jazz und Pop stürzt. So eine frei­zü­gi­ge Freu­de teilt sich dem Hörer in jedem Moment mit, dass er mit dem größ­ten Ver­gnü­gen anbeißt.

Das Ver­gnü­gen ist aller­dings nicht nur ein Ver­dienst der Sän­ger und ihres Chor­lei­ters, der sie immer wie­der kna­ckig auf den Punkt fokus­siert. Es liegt zu einem gro­ßen Teil auch an den ange­nehm ein­falls­rei­chen Arran­ge­ments, die mehr­heit­lich vom Diri­gen­ten selbst oder aus der bewähr­ten Feder des um kei­ne Poin­te ver­le­ge­nen Oli­ver Gies stammen.

Das reicht vom feu­ri­gen „Chi­li con Car­ne“ aus dem Fun­dus der „Real Group“ über auf­ge­fri­sche Swing-Klas­si­ker bis zu – in ihren kom­ple­xen Arran­ge­ments kaum noch erkenn­ba­ren – Pop-Hits der letz­ten Jahr­zehn­te. Mit einer recht frei­en Bear­bei­tung von Brahms’ „Guten Abend, gut’ Nacht“ beweist der Don-Camil­lo-Chor dann neben­bei auch noch, dass er mehr als nur rei­ner Jazz-Pop-Chor ist: Die­se jun­gen Sän­ger und Sän­ge­rin­nen füh­len sich in vie­len Gefil­den zu Hau­se. Mit Recht. Denn „Good Bait“ ist nicht nur eine schö­ne, gelun­ge­ne Leis­tungs­schau, son­dern auch ein­fach gute Unterhaltung.

Don Camil­lo Chor: Good Bait. Spek­tral SRL4-09049, 2009.

(geschrie­ben für die neue chorzeit)

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén