Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: musik Seite 3 von 4

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Aus-Lese #15

Wolf­gang Fröm­berg: Etwas Bes­se­res als die Frei­heit. Luh­mar: Hab­li­zel 2013. 202 Sei­ten.

Der Rezen­sent der taz war von Fröm­bergs zwei­tem Roman ziem­lich begeis­tert, ich nicht so sehr. Es fiel mir schwer, da über­haupt rein­zu­kom­men, in den Text über den Text über den Text: Die (Erzähl-)Ebenen ver­schwim­men hier per­ma­nent (im Roman gibt es z.B. einen Roman, der heißt wie der Roman). Das wäre ja noch kein Pro­blem (eher ein Plus­punkt), aber Fröm­bergs sprö­der Stil, sei­ne tro­cke­ne Spra­che mach­ten es mir schwer, den ver­schie­de­nen Hand­lungs­strän­gen und Figu­ren­kon­stel­la­tio­nen, die lose immer mal wie­der mit ein­an­der ver­knüpft wer­den, ohne dass das beson­ders deut­lich wird, zu fol­gen – dazu kom­men noch ver­schie­de­ne Zeit-Hand­lungs-Ebe­nen und Träu­me und Erin­ne­run­gen. Viel­leicht lag’s auch an mei­ner Lese­si­tua­ti­on – aber ich sehe nicht recht, was Fröm­berg hier eigent­lich will. Es geht irgend­wie um die Alt-68er und deren Kin­der. Der Sohn zwei­er 68er und Kom­mu­nar­den, Leo, ist so etwas wie die Zen­tral­fi­gur. Er beschäf­tigt sich ableh­nend mit der Geschich­te sei­ne Eltern, das als „Künst­ler“ ver­ar­bei­tend, sei­ne Frau/​Ex, die als „Detek­ti­vin“ zu den 68ern unter­wegs ist/​war, die aber auch schon tot sind, spielt auch eine Rol­le. Und dazu kommt noch die gesam­te neu­es­te Geschich­te Deutsch­lands und der Welt, vom Anfang des 20. Jahr­hun­derts bis in die Gegen­wart, die unbe­dingt ind en Text hin­ein gepackt wer­den muss­te. Das führt zu ent­spre­chend lan­gen Erklä­run­gen und Abschwei­fun­gen, tro­cken und zäh macht es den Text. Und wie­der mal schrei­ben alle Figu­ren: Wer­ner und sein Sohn Leo, Ursu­la und auch der extri­mis­ti­sche Akti­vist Andre­as, selbst die „Geo­lo­gin“ Vic­to­ria – da kann man schön immer dar­aus zitie­ren, ohne sich die Zita­te zu eigen machen zu müs­sen. Des­halb ist Etwas Bes­se­res als die Frei­heit auch vol­ler gewich­ti­ger Sät­ze, die als phi­lo­so­phi­sche Erkenntnisse/​Sätze/​Wahrheiten daher­kom­men, meist aber Pla­ti­tü­den sind. Und natür­lich endet das wie­der im Schrei­ben: „Vic­to­ria schloss die Augen, setz­te den Stift aufs Papier, öff­ne­te die Tür und stürz­te sich in eine neue Welt.“ (196)

Außer­dem ist das Buch ganz schlecht gesetzt: ungüns­ti­ger Sei­ten­spie­gel, schlech­ter Block­satz (teil­wei­se rich­ti­ge Löcher in den Zei­len) – das sind hand­werk­li­che Feh­ler, die beim Lesen ermü­den, vor allem weil der Text selbst nur sehr grob geglie­dert ist.

Ange­li­ka Mei­er: Stür­zen, drü­ber schla­fen. Klei­ne Geschich­ten und Stü­cke. Zürich: Dia­pha­nes 2013. 194 Sei­ten.

Sku­ri­les und Absur­des mischt sich in Mei­ers klei­nen Geschich­ten mit Gro­tes­kem und auch Lus­ti­gem: Das sind Minia­tu­ren, die unse­re ach-so-bekann­te Welt ein­fach auf den Kopf stel­len und mög­li­che Wel­ten erzäh­len. Da sich oft nur eine klei­ne Bedin­gung oder Bege­ben­heit ändert, kann man wun­der­bar sehen, was dann pas­siert – und hat erzähl­te Wel­ten, die der „Rea­li­tät“ unwahr­schein­lich glei­chen und doch ganz anders sind.

Wun­der­bar ist auch die Erzähl­tech­nik Mei­ers, die ich schon in Heim­lich, heim­lich mich ver­giss bewun­der­te. Zum Bei­spiel die Raf­fi­nes­se der Infor­ma­ti­ons­ver­ga­be, die (meis­tens) sehr zurück­hal­tend, unauf­dring­lich, fast unmerk­lich geschieht. So kann Mei­er etwa lan­ge offen las­sen kann, ob die Erzäh­ler­stim­me weib­lich oder männ­lich ist (wenn es eben kei­ne Rol­le spielt). Eine sou­ve­rä­ne Erzähl­tech­nik, die hier oft im Dienst des Wun­derns und Ver­wun­derns steht, des Auf­merk­samm­a­chen auf die Gestalt der Welt, die wir immer wie­der als gege­ben und „nor­mal“ hin­neh­men, die ja aber oft auch ganz kon­tin­gent ist und durch­aus auch (ganz) anders sein könn­te – zum Bei­spiel so, wie Mei­er es uns hier mal vor­führt und wor­über wir dann stau­nen dür­fen oder rat­los und per­plex sein dür­fen. „Ihre Minia­tu­ren sind ver­gnüg­lich zu lesen­de Etü­den in Sar­kas­mus, alle­samt dazu geeig­net, die Zumu­tun­gen der Wirk­lich­keit auf Distanz zu hal­ten“ hat Jörg Mage­nau das in sei­ner Kri­tik genannt – und das stimmt. Auch wenn manch­mal – etwa und vor allem in den bei­den Thea­ter­stü­cken am Ende des Ban­des das Moment der Fin­ger­übung etwas arg deut­lich wird – die bei­den Tex­te hin­ter­las­sen mich etwas rat­los, vor allem Was­ser! Ele­ment! Pen­the­si­lea liest Kleist scheint mir in ers­ter Linie eine sol­che (sti­lis­ti­sche) Fin­ger­übung – aber viel­leicht über­se­he ich ein­fach den ent­schei­den­den Punkt …

Bert­hold Seli­ger: Das Geschäft mit der Musik. Ein Insi­der­be­richt. Ber­lin: Edi­ti­on Tiamat 2013. 352 Sei­ten.

Der Kon­zer­ver­an­stal­ter Seli­ger schreibt, war­um das Musik­ge­schäft (womit er in ers­ter Linie das des Pop & Rock meint) so ist, wie es ist: Ver­kom­men, kor­rupt, unbe­frie­di­gend. Eine „Streit­schrift für eine ande­re Kul­tur“ (so nennt der Klap­pen­text das) ist die­ser Bericht. Und er ist zunächst mal ernüch­ternd und des­il­lu­sio­nie­rend: Seli­ger hat vie­les zusam­men­ge­tra­gen zum Zustand der Kul­tur­in­dus­trie, des „Geschäfts mit der Musik“ – vie­les, das dem auf­merk­sa­men Zeit­ge­nos­sen durch­aus schon bekannt sein dürf­te (GEMA, Ein­kom­men, Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zes­se im Label- & Ver­lags­we­sen, Musi­ker­ga­gen, Spon­so­ring & Wer­bung), hier aber noch mal geballt und zusam­men­ge­führt, detail­liert an vie­len Bei­spie­len auf­ge­zeigt. Beson­ders beschäf­ti­gen ihn die viel­fäl­ti­gen Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zes­se im Geschäft rund um die Musik und die Fra­ge: „Doch was bedeu­tet das [die oli­ga­ri­sche Kon­zen­tra­ti­on] für die Kul­tur, was bedeu­tet das für unse­re Gesell­schaft? Was bringt unse­re Gesell­schaft vor­an? Ist es die Quo­te, die zäh­len soll, oder ist es die Qua­li­tät von Kul­tur?“ (14). Das ist nicht nur ein Vor­wurf an den ver­sa­gen­den Markt – auch wenn des­sen Neu­au­rich­tung (share­hol­der-value statt stake­hol­der-value) seit den 1980er wesent­li­cher Antrieb für den „Ver­fall“ ist, son­dern auch eine Ankla­ge an die die­se Pro­zes­se unter­stüt­zen­de will­fäh­ri­ge Poli­tik, die dem Aus­ver­kauf der Kul­tur nicht nur nichts ent­ge­gen­setzt, son­dern ihn auch vor­an­treibt und finan­zi­ell unter­stützt. Seli­ger prag­nert das als Ver­lust der Viel­falt an – und zwar eben nicht nur musi­ka­lisch, musik-intrin­sisch sozu­sa­gen, son­dern auch auf gesell­schaft­li­cher Ebe­ne.

Statt­des­sen wünscht Seli­ger sich eine Kul­tur der Dis­si­denz – markt­kon­form ist aber immer nur der Gehor­sam, wes­halb die rei­ne Markt­ori­en­tie­rung der Kul­tur (als gan­zes) scha­den muss, weil das Moment des Gegen­läu­fi­gen weg­fal­len muss (dazu gezwun­gen wird …): „Heu­te dage­gen beherrscht der Quo­ten­ter­ror unser kul­tu­rel­les Leben, ob beim öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk und Fern­se­hen, bei der staat­li­chen Film­för­de­rung oder bei unse­ren musi­ka­li­schen Frei­zeit­ver­gnü­gen. Wir leis­ten uns ein hoch­sub­ven­tio­nier­tes Kul­tur­sys­tem, unter­wer­fen es aller­dings frei­wil­lig dem Dik­tat der Quo­te. Es zählt nur, was ver­kauft.“ (20), oder: „Dis­si­denz ist in den moder­nen Geschäfts­mo­del­len der Kul­tur­in­dus­trie nicht als Mög­lich­keit vor­ge­se­hen.“ (21). Das ist kei­ne neue oder über­ra­schen­de Erkennt­nis – nicht ohne Grund ist Ador­no (mit sei­nen Arbei­ten über die Kul­tur­in­dus­trie) sein Kron­zeu­ge -, aber weil Seli­ger viel aus sei­nen lang­jäh­ri­gen Erfah­run­gen mit den ver­schie­dens­ten Musi­kern, Ver­an­stal­tern etc. erzählt, – manch­mal hat das auch ein biss­chen etwas von „Opa erzählt von frü­her“ … – ist das eine durch­aus span­nen­de und anre­gen­de Lek­tü­re. Er klagt dabei auch so ziem­lich alle Betei­lig­ten an, von der Musi­ke­rin bis zum Hörer/​Konsumenten, vom Label über Kon­zern­ver­an­stal­ter, Wer­ben­de bis zu Jour­na­lis­tin­nen oder Medi­en­ar­bei­ter. Und natür­lich auch die Poli­tik (Urhe­ber­recht! För­der­gel­der!). Er sieht das Pro­blem aber immer als eines des Sys­tems, nicht des Indi­vi­du­ums – ohne die­sem aller­dings Hand­lungs­mög­lich­keit und Ver­ant­wor­tung abzu­neh­men oder abzu­spre­chen (dafür führt er ja auch Gegen­bei­spie­le an, die sich dem Zwang zur abso­lu­ten Unter­wer­fung unter den Markt und sei­ne (schein­ba­ren) Geset­ze ver­wei­gern). Letz­lich hängt auch für ihn alles an der „Hal­tung“ des Indi­vi­du­ums: „In einer Zeit, in der das Men­schen­recht auf kul­tu­rel­le Teil­ha­be welt­weit durch mul­ti­na­tio­na­le Kon­zer­ne mas­siv gefähr­dert ist, kommt es mehr denn je dar­auf an, Hal­tung zu zei­gen.“ (348) – das ist so etwas wie der Kern, Aus­gangs- und End­punkt des Buches.

Chris­ti­an Hwa­key: Sonet­te mit eli­sa­be­tha­ni­schem Maul­wurf. Über­tra­gen von Ulja­na Wolf. Ber­lin: hoch­roth 2010. 38 Sei­ten.

Eigent­lich ganz span­nen­de und viel­fäl­ti­ge Gedich­te, die Sonet­te von Haw­key. Die Über­tra­gung von Wolf ist eigent­lich eine Über­set­zung, die fast eine inter­li­nea­re ist – extrem nah an dem Ori­gi­nal. Das ist mal derb und ver­spielt, mal hoch­ge­mut und ordi­när zugleich – ein selt­sa­mes sic-et-non, ein Pen­deln zwi­schen den Wel­ten und Spra­chen macht die Sonet­te Haw­keys aus – und im Umschlag des Pen­dels pas­siert die Kunst, dort, wo die Spra­che glit­zert und glänzt und fun­kelt …

& they slept, sound­ly. sleep was a sound & /​they floa­ted into it – sie leg­ten sich aufs ohr & schlaf war ein laut. /​sie schweb­ten hin­ein (36÷37)

Aus-Lese #14

Noah Sow: Deutsch­land Schwarz Weiß. Der all­täg­li­che Ras­sis­mus. Mün­chen: Gold­mann 2009. 320 Sei­ten.

Deutsch­land Schwarz Weiß ist ein wich­ti­ges Buch. Wich­tig, um die vor­herr­schen­den Struk­tu­ren des Ras­sis­mus in Deutsch­land zu erken­nen und so ver­su­chen, sie zu bekämp­fen, und zu über­win­den. Sow zeigt an einer Fül­le von Bei­spie­len, wie tief ver­an­kert ras­sis­ti­sches Den­ken und Ver­hal­ten in der deut­schen Gesell­schaft ist, wie Ras­sis­mus in Deutsch­land zum All­tag gehört – weil er struk­tu­rell-gesell­schaft­lich be“gründet“ und qua­si ver­erbt wird.

Ich bin zwar nicht in jedem Detail mit ihren Wer­tun­gen ein­ver­stan­den – aber dar­um geht es auch gar nicht. Son­dern dar­um, zu erken­nen, wie sehr ras­sis­ti­sche Vor­stel­lung unser Den­ken und eben auch unser Han­deln immer wie­der immer noch prä­gen. Dafür ist Sow’s Buch her­vor­ra­gend geeig­net und soll­te fast so etwas wie Pflicht­lek­tü­re für bewuss­te Teil­neh­mer der deut­schen Gesell­schaft sein . Ich hät­te es zwar ger­ne etwas strin­gen­ter und kla­rer in Struk­tur und Spra­che, aber das ist mei­ne per­sön­li­che Prä­fe­renz. Sow bemüht sich um Umit­tel­bar­keit und Wirk­mäch­tig­keit – da hat sie wahr­schein­lich die bes­se­re und wirk­sa­me­re Stra­te­gie und Spra­che gefun­den.

Letzt­lich läuft das gan­ze auf die­sen einen Satz hin­aus: „Ras­sis­mus ist kein Schwar­zes, son­dern ein wei­ßes Pro­blem.“ (272) – das ist der zen­tra­le Punkt. Und den muss man erken­nen, bevor man etwas ändern kann.

Tho­mas Meine­cke: Ana­log. Mit Zeich­nun­gen von Michae­la Melián. Ber­lin: Ver­bre­cher 2013. 111 Sei­ten.

Das neu­e­se (schma­le) schö­ne Bänd­chen (vor allem dank der Zeich­nun­gen Meliáns) von Tho­mas Meine­cke bringt den Buch­le­sern sei­ne gesam­mel­te Kolum­nen aus dem „Groo­ve“ von 2007–2013. Ganz sym­bo­lisch auf­ge­la­den sind das natür­lich 33 – denn es geht vor­wie­gend um Plat­ten bzw. die Musik dar­auf (und auch hin und wie­der um die Unge­wiss­heit, ob eine Plat­te mit 33 oder 45 Umdre­hun­gen abzu­spie­len sei): Das sind kur­ze (oder eigent­lich sehr kur­ze) Text zur Musik über­haupt, zum DJ-Sein im Radio und im Club, und den Impli­ka­tio­nen der Pro­fes­si­on und der Musik. Fas­zi­nie­rend ist dabei immer wie­der, wie genau Meine­cke beob­ach­ten und erken­nen kann (so weit ich das zu ver­fol­gen und beur­tei­len ver­mag, nicht alles ist mir bekannt von dem Vie­len (ist nicht immer mei­ne Musik …), über das er schreibt) – und wie prä­zi­se er die­se Erkennt­nis­se in weni­ge Wor­te fasst. Zum Bei­spiel so:

  • „Respekt, dach­te ich, da macht die Nacht dann gar nicht, was sie will, son­dern was Westbam will.“ (26)
  • „Sie gera­ten ins Fach­sim­peln, und ich wür­de am liebs­ten mit­re­den, aber ich habe ja die Liner-Notes geschrie­ben.“ (38)
  • „Ich konn­te vor allem von Theo­lo­nious Monk mei­ne Augen nicht las­sen: Sei­ne mini­ma­lis­ti­sche Unru­he schien mir von uto­pi­schen Aus­ma­ßen zu sein.“ (43)
  • „Ich habe (spä­tes­tens seit Hoyers­wer­da) her­aus­ge­fun­den, dass ich eine natio­na­le Iden­ti­tät allein über den Holo­caust ent­wi­ckeln kann. (Eigent­lich bräuch­te ich gar kei­ne.)“ (85f.)
  • „Ich hat­te das Gefühl, dass lau­ter Schau­spie­le­rIn­nen (in brand­neu­en Leder­ja­cken) um mich her­um stan­den, und irgend­wo stand sicher auch Man­fred Eicher, der den sonisch anrü­chi­gen Muzak Jazz-Kata­log sei­nes ECM Labels jüngst durch Vill­a­lobos (dem ich hier mal die Ahnungs­lo­sig­keit des Spät­ge­bo­re­ren attes­tie­re) ver­edeln ließ.“ (87)
  • „Logisch bil­det das Mys­te­ri­um der Musik für Schrift­stel­ler (wie mich) einen Sehn­suchts­raum: Wo die Spra­che nur schwer hin­kommt, tut sich ein Gefühl von Frei­heit auf. (Spra­che ist ja ein Knast.) Ande­rer­seit mei­ne (von dekon­struk­ti­vis­ti­schen Femi­nis­tin­nen erlern­te) Erkennt­nis: Vor der Spra­che gibt es nichts. Auch Dis­ko ist dis­kur­siv.“ (93)
Ernst Wünsch: Sprizz bit­ter. Erzäh­lung. Wien: Sisy­phus 2009. 156 Sei­ten.

Das ist über­haupt nicht bit­ter, aber dafür ganz beson­der sprit­zig: Eine kaum zu beschrei­ben­de Erzäh­lung vol­ler Humor (weni­ger dage­gen wit­zig). Wild und aus­ufernd ist der Text, der dien Lebens­ab­schnitt eines Lang­zeit­ar­beits­lo­sen, der einen 97jährigen Thea­ter­künst­ler als Mäd­chen für alles dient. Unwahr­schein­lich und den Leser auch schon mal bedrän­gend sta­pel sich da die Ver­rückt­hei­ten. Der Rezen­sent von literaturkritik.de weist dar­auf hin, dass das zumin­dest teil­wei­se trotz sei­ner gera­de­zu phan­tas­ti­schen Gestalt durch­aus rea­le Bege­ben­hei­ten der Thea­ter­sze­ne der 1970er Jah­re beschreibt. Davon aber mal abge­se­hen, ist das ein­fach gran­di­os unter­hal­tend: Wild und unge­zähmt ist die­ser Text wie sein Sujet, frei vaga­bun­die­rend zwi­schen Exkur­sen und Fuß­no­ten, viel­schich­tig zwi­schen rea­len, irrea­len und sur­rea­len Abschnit­ten wie in einem Traum hin und her sprin­gend. Fas­zi­nie­rend und sym­pa­thisch…

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  • 1628 Wert­heim | ein his­to­rio­gra­phi­sches Blog – Robert Mei­er, Archi­var im Staats­ar­chiv Wert­heim, schreibt aus den Quel­len über die Ereig­nis­se in Wert­heim in den Jah­ren 1628 und 1629
  • Som­mer­loch­ta­ge­buch. Bad Blog goes dai­ly. | Bad Blog Of Musick – Moritz Eggert kotzt sich in das Som­mer­loch ein biss­chen aus. Lei­der ist da trotz des wun­der­ba­ren Zynis­mus viel Wah­res dran an dem, was er über Kul­tur­ab­bau, ‑kür­zun­gen und ‑ein­spa­run­gen schreibt.

    So unrea­lis­tisch ist das gar nicht. Nach neu­es­ten wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen wird die gesam­te klas­si­sche und zeit­ge­nös­si­sche Musik im Jahr 2100 nur noch aus einem ein­zi­gen Stück bestehen: Ravels „Bole­ro“. Die­ser läuft äußerst erfolg­reich auf der gan­zen Welt in soge­nann­ten „Bei­schlaf­au­di­to­ri­en“ (denn allein die Musik zu hören ist den Men­schen dann zu lang­wei­lig). Fol­ge­rich­tig gibt es in Deutsch­land nur noch eine ein­zi­ge Musik­hoch­schu­le (in War­ne­mün­de) in der die ca. 80 Stu­den­ten ler­nen, wie man den „Bole­ro“ spielt. Die ande­ren 80 spie­len ihn, im letz­ten ver­blie­be­nen deut­schen Orches­ter (Gevels­ber­ger Phil­lies).

  • Rüs­tungs­pro­jekt Euro Hawk: Ein Traum von einer Droh­ne | ZEIT ONLINE – Die „Zeit“ hat die Unter­la­gen der Unter­su­chungs­aus­schus­ses zum Droh­nen-Fias­ko aus­ge­wer­tet (alle 372 Akten­ord­ner lie­gen ihr vor … – und wur­den als (schlech­te) Scans in der­do­cu­ment­cloud teil­wei­se schon ver­öf­fent­licht: http://preview.tinyurl.com/drohnendok) und fängt an, die gan­ze Geschich­te zu beschrei­ben. Das geht heu­te so los:

    Das Desas­ter um die Auf­klä­rungs­droh­ne Euro Hawk war von Anfang an abseh­bar. Schon vor zehn Jah­ren kann­ten die Ver­ant­wort­li­chen alle Pro­ble­me. Doch sie woll­ten die Droh­ne.

    … und sie soll­ten sie bekom­men – nur halt, ohne damit etwas anfan­gen zu kön­nen. Und klar ist auch jetzt schon: Das Sys­tem der Beschaf­fung und das Minis­te­ri­um sind offen­bar poli­tisch nicht mehr zu steu­ern und zu kon­trol­lie­ren …

  • Über­wa­chung: NSA kann drei von vier E‑Mails mit­le­sen | ZEIT ONLINE – Die „Zeit“ weist auf einen im Wall Street Jour­nal erschie­nen Arti­kel hin, der deut­lich macht, wie weit die Mög­lich­kei­ten der NSA wirk­lich gehen:

    Die NSA kann bis zu 75 Pro­zent des Inter­net­ver­kehrs über­wa­chen, der durch die USA läuft.

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Ins Netz gegan­gen (26.6.–28.6.):

  • Trei­deln – Wie man eine Poe­tik­vor­le­sung ablehnt und trotz­dem schreibt – die Frank­fur­ter Poe­tik­vor­le­sun­gen wer­den zuneh­mend per­for­ma­tiv (und span­nend …)

    Poe­tik­vor­le­sung? Kommt nicht in Fra­ge. Ich bin doch nicht mein eige­ner Deutsch-Leis­tungs­kurs. Ohne mich.

  • Auf­stieg der Zeit­zeu­gen | Medi­en im Geschichts­un­ter­richt – Dani­el Bern­sen weist dar­auf hin, dass der Begriff „Zeitzeuge(n)“ ein recht neu­er ist – und zeigt, dass er im Deut­schen, anders als im Fran­zö­si­schen und v.a. im Eng­li­schen, eine Neu­schöp­fung der 1970er/​1980er Jah­re ist
  • Clau­dio Abba­do: Der Fluss des Gan­zen | ZEIT ONLINE – Julia Spi­no­la spricht – aus Anlass sei­nes 80. Geburts­tags – mit dem wun­der­ba­ren Clau­dio Abba­do. Und der erklärt (wie­der) mal ganz gelas­sen, was so groß­ar­tig und wich­tig an der Musik ist:

    Die Magie eines leben­di­gen musi­ka­li­schen Augen­blicks lässt sich nicht durch diri­gen­ti­sche Kom­man­dos erzwin­gen. Sie ereig­net sich, oder sie ereig­net sich eben nicht. Das ist etwas ganz Zar­tes, Fra­gi­les. Dafür muss der Diri­gent mit dem Orches­ter zunächst ein­mal eine Atmo­sphä­re der Offen­heit schaf­fen, ein wech­sel­sei­ti­ges Ver­trau­en. Dar­in besteht sei­ne Füh­rungs­ar­beit. Und man muss ler­nen, ein­an­der zuzu­hö­ren. Das Zuhö­ren ist so wich­tig. Im Leben wie in der Musik. Eine Fähig­keit, die immer mehr ver­schwin­det.
    […] Die Musik zeigt uns, dass Hören grund­sätz­lich wich­ti­ger ist als Sagen. Das gilt für das Publi­kum genau­so wie für die aus­füh­ren­den Musi­ker. Man muss sehr genau in die Musik hin­ein­lau­schen, um zu ver­ste­hen, wie sie zu spie­len ist.

Netzfunde vom 21.12. bis zum 31.12.

Mei­ne Netz­fun­de für die Zeit vom 21.12. bis zum 30.12.:

Leichtikeitslüge ganz leicht

Das Kern­ar­gu­ment von Hol­ger Nolt­ze, , ist sim­pel: „Klas­si­sche“ Musik – wie vie­le ande­re Kunst – ist kom­plex. Um sie erfolg­reich genie­ßen, ver­ste­hen, erle­ben zu kön­nen, darf die „Ver­mitt­lung“ – durch Didak­tik, Pro­jek­te, Events, Auf­füh­rung – die­se Kom­ple­xi­tät nicht – wie es ger­ne geschieht – über­mä­ßig stark redu­zie­ren, weil dadurch der Kern des Kunst­wer­kes ver­lo­ren gin­ge. Und das war’s dann auch schon – eigent­lich. Der Rest der 275 Sei­ten die­ses Buches ist auf­ge­bla­se­nes, etwas geschwät­zi­ges Hin und Her zum Stand der Bil­dung, zur Situa­ti­on des Mark­tes der Musik (ganz, ganz schlecht, die­ser Teil), zu den Medi­en und so wei­ter – ein kul­tur­kri­ti­scher Rund­um­schlag also, der aber erstaun­lich seicht bleibt, fin­de ich. Und der natür­lich sehr genau weiß, wie pro­ble­ma­tisch sol­che Gene­ral­ab­rech­nun­gen sind und des­halb stän­dig die ent­spre­chen­den Siche­run­gen ein­baut. Aber der ande­rer­seits auch wie­der nur bekann­te Ver­satz­stü­cke arran­giert und wenig selbst denkt. Und auch nie wirk­lich in die Tie­fe geht, son­dern zwar nicht an der ver­ab­scheu­ten Ober­flä­che, aber doch sehr nahe zu ihr bleibt. War­um das „das bes­te Musik­buch des Jahres,vielleicht das bes­te Musik­buch der letz­ten Jah­re über­haupt“ sein soll, wie Arno Lücker in der nmz aus­weich­lich des Schutz­um­schla­ges behaup­tet hat, erschließt sich mir nun über­haupt. Zumal es um die Musik selbst ja gar nicht (bzw. nur sehr anek­tdo­tisch am Ran­de) geht und auch gar nicht gehen soll. Wahr­schein­lich is das so ein Fall von Betriebs­blind­heit oder über­mä­ßi­gem Ver­har­ren im klei­nen Zir­kel der Musik­ver­mitt­ler, der so ein Buch so her­aus­ra­gend fin­det. Naja, zum Glück habe ich es nur aus der Biblio­thek und nicht selbst gekauft …

Hol­ger Not­ze: Die Leich­tig­keits­lü­ge. Über Musik, Medi­en und Kom­ple­xi­tät. Ham­burg: edi­ti­on Kör­ber-Stif­tung 2010.294 Sei­ten. ISBN 978−3−89684−079−0.

Musik

So muss Musik sein. Ein Geschenk des Him­mels, das die Trep­pe rauf­kriecht. —Ali­s­sa Wal­ser, Immer ich, 42

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