Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: meinecke

„Wir haben unsere Kör­p­er, aber wir sind sie nicht.“ — Thomas Mei­necke, Musik, 311

„Was ist das eigentlich für eine Instanz, frage ich mich, […] die den Fluß mein­er Gedanken ord­nen will? Sich manch­mal sog­ar her­aus­nimmt, zu bes­tim­men: Hier wird jet­zt nicht weit­ergedacht. Und das dann auch durchzuset­zen ver­mag.“ — Thomas Mei­necke, Musik, 367

„Wie schwierig es doch im nach­hinein ist, jam­mere ich mein­er Schwest­er vor, die inno­v­a­tiv­en Momente, in denen sich gesellschaftliche Errun­gen­schaften sonisch, näm­lich immer zuerst in der Musik ankündi­gen, auch ihre pro­duk­tiv­en Wider­sprüche, weniger ret­ro­spek­tiv als in his­torisch zeit­genös­sis­ch­er Per­spek­tive, nachzu­vol­lziehen respek­tiv­en, in Anspielung auf mein endlich zu real­isieren­des Buch­pro­jekt, nar­ra­tiv zu rekon­stru­ieren.“ — Thomas Mei­necke, Musik, 34

feldforschung oder erzählung?

am woch­enende gele­sen: thomas mei­neck­es schmales bänd­chen feld­forschung (frank­furt am main: suhrkamp 2006). der unter­ti­tel behauptet, das seien erzäh­lun­gen. ich habe da so meine zweifel.
eigentlich war ich bish­er von mei­neck­es schrift­stel­lerischen arbeit­en immer recht ange­tan: tomboy habe ich vor eini­gen jahren mit großem vergnü­gen gele­sen, dann auch holz und The church of John F. Kennedy sehr genossen. die vor­e­in­stim­mung auf diesen band, der als &gdquo;narrativer Beitrag zur im AUgust 2006 eröffneten Aus­setlung ‘das achte feld. geschlechter, leben und begehren in der kun­st sein 1960’“ ent­stand, war also dur­chaus pos­i­tiv. den hin­ter­grund zitiere ich aus dem klap­pen­text deshalb so aus­führlich, weil er wahrschein­lich nicht ganz unwesentlich für die form des textes bzw. der elf stücke ver­ant­wortlich ist. vor allem aber, weil er so auf­fäl­lig noch ein­mal das wort „nar­ra­tiv“ bemüht. denn das ist eigentlich der knack­punkt bei diesem werk: wird hier über­haupt erzählt? ist es erzählen, wenn seit­en­lang die diskus­sion ein­er englis­chsprachi­gen mail­ingliste über drag queens und kings bzw. ihre zwis­chen­stufen und über­lagerunge und deren angemessene und kor­rek­te beze­ich­nung zitiert wird? oder ist das zitat nur fik­tion? die per­so­nen­na­men sind jeden­falls real und kön­nten auch — nach ein­er kurzen inter­net­suche — zu den entsprechen­den aus­sagen passen. eigentlich ist es aber egal, denn die wirk­lichkeit ist offen­bar nur noch der/ein/ text — und das heißt ja auch, dass wirk­lichkeit (und erst recht natür­lich mime­sis) kein kri­teri­um mehr ist. also, die frage bleibt aber auch unab­hängig von der fik­tion­al­ität dieser pas­sage: was wird hier eigentlich erzählt? natür­lich geht es um geschlecht(er), um ihrer kon­struk­tion, wahrnehmung etc. — fast hätte ich geschrieben: das übliche mei­necke-the­ma. aber noch ein­mal: ist das erzählt? es wir ja nur „be“-schrieben, nur sit­u­a­tio­nen geschildert. nur ganz sel­ten geschieht etwas, gibt es entwick­lun­gen und nur in weni­gen ansätzen gibt es so etwas wie zeit. und das scheint mir doch schon ein merk­mal von erzählen zu sein, dass zeit in irgend ein­er form anwe­send ist, eine rolle spielt. wenn über­haupt noch reste sozusagen von dem, was man geläu­fig unter erzählen fasst, zu find­en sind, sind sie ganz mei­necke-typ­isch neu­tral­isiert1: das grund­sät­zliche präsens zum beispiel. die unklarheit von gender/sex der erzählstimme — wo es sie noch gibt. zum beispiel in mis­ter gay, der rekon­struk­tion eines über­falls auf eine schwu­len­bar, bei der es natür­lich auch wieder um die ver­schwim­menden gren­zen geht: die übergänge von real­ität in fik­tion, von bericht (dessen stilmit­tel vorherrschen) zur erzäh­lung zum drehbuch, von psyschich­er „nor­mal­ität“ zu „krankheit“ usw. usf. oder, auch eine eher spezielle art des erzäh­lens: odysee, wo der text nur noch aus ein­er zeittafel und der — deu­ten­den — über­schrift beste­ht.
da ließe sich bes­timmt noch viel mehr dazu sagen. aber ob es sich lohnt? denn immer wieder dreht es sich aber — in dieser häu­fung dann auch schon sehr pen­e­trant — um die unklarheit­en des geschlechts, seine kon­struk­tio­nen, seine iden­titäten (und deren kon­struk­tio­nen)2 und so weit­er: „schon als klein­er junge war sie“ (63). wer das aber kapiert hat — und die mei­necke-leser ken­nen das ja eh’ schon -, dem ist eigentlich auch schon alles klar, was diese texte wollen. und der rest ist vor allem lang­weile.

Show 2 foot­notes

  1. ein typ­is­ch­er anfang bei mei­necke geht z.b. so: „bras­sai, unter dem ungarischen namen gyu­la halász geboren im sieben­bür­gis­chen kro­n­stadt, rumänisch brasov, wovon er sein pseu­do­nym phonetisch ableit­ete, dessen lebensweg von öster­re­ich-ungarn über deutsch­land nach frankre­ich führt, in den frühen 1930er jahren, auf seinen nok­tur­nen fotografis­chen streifzü­gen durch das soge­nan­nte geheime paris, augen­blick­lich im le mon­o­cle, ein­er, wie er sich, het­eronormiert, aus­drückt, auss­chließlich dem schö­nen geschlecht gewid­me­ten bar, in welch­er sämtliche frauen, die wirtin, sie hört auf den namen lulu de mont­par­nasse, die ander­norts leicht­bek­lei­de­ten bar- und ani­mier­mäd­chen, die kell­ner­in­nen, selb­st die garder­o­biere, män­nerklei­der tra­gen.“ (58) und das ist ger­ade ein­mal der erste absatz, es geht noch fünf seit­en so weit­er.
  2. „er brachte mir bei, was ich war, denn ich hat­te ja nie zuvor von fag hags gehört.“ (104)

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