Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: marlene streeruwitz

Wikipedia-Geschichtsschreibung

In ein­er Geschichtss­chrei­bung, wie Wikipedia sie vorn­immt und die Leben in ide­ol­o­gisierte Kurz­fas­sun­gen zer­hackt, wird eben jed­er Satz zum Urteil. Mar­lene Streeruwitz über Bertha von Sut­tner, 25

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  • Nor­bert Blüm: Nation­al­is­mus ist Idi­otie | Süddeutsche.de → was sind das nur für zeit­en, dass ich einen text von nor­bert blüm zum lesen empfehlen muss …

    Nation­al­is­mus ver­ste­ht etwas von Macht, Glanz und Glo­ria, weniger von Men­schlichkeit. Macht ist die Triebfed­er jed­wed­er nation­al­is­tis­ch­er Poli­tik. Warum sollte ich dem Nation­al­staat nach­trauern? Er ist ein Zwis­chen­spiel der Geschichte, wed­er gottgegeben noch naturgewach­sen.

  • Kühlschränke gibt’s bei Kater Muschi → ein net­ter text über leben und einkaufen arno schmidts in darm­stadt (1955–1958)
  • Wahlkampfro­man 2016. “So wird das Leben.” – Mar­lene Streeruwitz → “Bei der Wieder­hol­ung der Wahl zum öster­re­ichis­chen Bun­de­spräsi­den­ten ste­ht die Entschei­dung für oder gegen die Demokratie an. Mar­lene Streeruwitz erzählt in ihrem drit­ten Wahlkampfro­man was diese Entschei­dung im wirk­lichen Leben bedeutet.”
  • Jour­nal­ist: Zeit-Online-Chefredak­teur Jochen Weg­n­er: “Wir sind anders” → ein inter­es­santes und teil­weise sehr ent­lar­ven­des inter­view. matthias daniel find­et es z.b. (in einem fachmedi­um! für jour­nal­is­ten) “irre”, dass zeit-online den train­er des dfb mit ein­er nicht­nachricht (er macht weit­er) nicht als topthe­ma hat­te …

    und immer wieder wun­dern mich medien­zahlen — so “erre­icht” ze.tt ange­blich 10 % der bevölkerung in deutsch­land. das erscheint mir irre viel …

    und eine schöne bull­shit-phrase: genaue, per­son­al­isierte nutzer­dat­en sind “ein qual­i­fiziert­er Kon­takt zu vie­len Lesern”

  • Lan­guage Stuff – Google Dri­ve → irre viele (englis­chsprachige) gram­matiken irre viel­er sprachen, lei­der (in meinen stich­proben) ohne ordentliche bib­li­ographis­che nach­weise. teil­weise sprach­lehrbüch­er, teil­weise wis­senschaftliche
  • Ohne Pflug auf den Ack­er — Land­wirte passen sich dem Kli­mawan­del an | Deusch­landra­dio Kul­tur → schönes fea­ture über den umgang von (vor­wiegend bio-)landwirten in bran­den­burg mit dem sich ändern­den kli­ma und den damit ein­herge­hen­den verän­derun­gen in ihrer arbeit

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  • Was hin­ter­lässt Gün­ter Grass?: Olymp der Old Boys — taz.de — mar­lene streeruwitz blickt kri­tisch aus Gün­ter Grass und sein poli­tis­ches Engage­ment zurück:

    Wenn die soziale Gerechtigkeit am Ende doch partei­isch gedacht war. Die Moral zer­bricht an so einem Wider­spruch. Das kam wohl auch daher, dass diese Gen­er­a­tion von kri­tis­chen Söh­nen sich auf einem Olymp der Moral­ität wäh­n­ten und dort bleiben woll­ten. Aber ungestört. Statt also den Olymp zu demokratisieren, wurde die deutsche Kul­tur zu einem der vie­len old boys clubs, wie sie die Welt immer schon beherrscht­en. Solche Per­so­n­en haben viel verän­dert und am Ende dann wieder gar nicht so viel.

  • Die Geschichte offen­hal­ten (junge Welt) — ingar solty & enno stahl diag­nos­tizieren die gesellschaftliche Bedeu­tungslosigkeit der Lit­er­atur und machen Vorschläge, wie sich das ändern ließe

    Diese sozialen und ökonomis­chen Dis­so­nanzen müssen sich in der Lit­er­atur nieder­schla­gen, die mon­ströse Asym­me­trie des Lebens, Momente der Schön­heit neben Aus­brüchen atavis­tis­ch­er Grausamkeit, die Ver­strick­un­gen des einzel­nen im großen Ganzen, ger­ade wenn er oder sie sich her­auszuhal­ten sucht. Die Lit­er­atur muss sagen, was Sache ist, muss doku­men­tieren, nach­haltig auf­be­wahren und damit ankla­gen, welche Ver­heerun­gen sich ereignet haben und wer die Verur­sach­er sind

  • Mara Gen­schel: Die Erhaben­heit des Tesafilms | ZEIT ONLINE — Michael braun über die wun­der­bare und span­nende Lyrik­erin mara gen­schel
  • Mauer­fall: Sch­abows­ki-Zettel soll gestohlen wor­den sein — Poli­tik — Süddeutsche.de — Mehr als 20 Jahre lang galt der Notizzettel von Gün­ter Sch­abows­ki für die Pressekon­ferenz, die den Mauer­fall aus­löste, als ver­schollen. Dann tauchte er bei der Stiftung “Haus der Geschichte” auf. Sch­abowskis Ehe­frau erhebt schwere Vor­würfe gegen Bekan­nte.
  • Don’t make bicy­clists more vis­i­ble. Make dri­vers stop hit­ting them. — The Wash­ing­ton Post — eben weiss hat zwar die usa im blick, seine argu­mente (etwa in bezug auf die helmpflicht für rad­fahrer) lassen sich aber prob­lem­los auf europa & deutsch­land über­tra­gen:

    Effec­tive­ly, we’ve lost equal access to the pub­lic road­ways unless we’re will­ing and able to foot the hefty bill for a car. Instead, what we have is an infra­struc­ture opti­mized for pri­vate vehi­cles and a nation of sub­si­dized dri­vers who balk at the idea of sub­si­diz­ing any oth­er form of tran­sit, and who react to a park­ing tick­et as though they’ve been cru­ci­fied.

  • Blitz­marathon: Rasen und witzeln — Welt — Tagesspiegel — inter­es­san­ter ver­gle­ich:

    Die Römer hiel­ten Glad­i­a­torenkämpfe, also das, was wir heute Bar­barei nen­nen, für Spiele. In ein­er späteren Zivil­i­sa­tion wird man wom­öglich auf uns zurück­blick­en und sich fra­gen, warum wir die Bar­barei auf unseren Straßen für Sport gehal­ten haben.

  • Der Wort­van­dale — taz.de — jens uthoff würdigt rolf dieter brinkmann zu seinem 75. geburt­stag:

    Brinkmann wollte die unge­filterte Wirk­lichkeit darstellen, einen unver­mit­tel­ten, ersten Ein­druck der Dinge wieder­erlan­gen und sprach­lich for­mulieren.[…] Brinkmann ist als Poet, dessen großes The­ma Ent­frem­dungser­fahrun­gen, die Wahrnehmung und das Bewusst­sein waren, noch immer aktuell: Die Medi­atisierung ist vor­angeschrit­ten; die Erfahrun­gen sind noch weniger als zu Brinkmanns Zeit­en unmit­tel­bare. Mehr noch: Die medi­ale Ver­w­er­tung des Augen­blicks muss heute stets mitgedacht wer­den, erst das Self­ie dient dazu, uns unser­er selb­st zu ver­sich­ern. Und auch sein Stram­peln und Schla­gen “gegen die Sub­jek­tver­drän­gung” (Hand­ke), gegen die Verd­inglichung und den Ver­lust natür­lich­er Lebenswel­ten spiegelt stets aktuelle men­schliche Grund­kon­flik­te oder fort­laufende Prozesse.

  • Die Gründe, bitte | law blog — udo vet­ter

    Hier sind nach wie vor die Befür­worter der Spe­icherung in der Pflicht nachzuweisen, dass eine Ein­schränkung der Bürg­er- und Frei­heit­srechte über­haupt einen Nutzen bringt, der den weit­eren Ausverkauf des Grundge­set­zes und europäis­ch­er Werte­s­tandards ver­schmerzbar erscheinen lässt.
    Wenn ich schon Verzicht üben und kün­ftig in einem anderen Staat leben soll, der mich als poten­ziell Verdächti­gen behanelt, dann möge man mir bitte plau­si­bel erk­lären, warum.

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  • Vor­rats­daten­spe­icherung: Du bist verdächtig | ZEIT ONLINE — ach, das ist doch alles so blöd, unsin­nig, ohne ver­stand und gemein — manch­mal möchte man wirk­lich aus­flip­pen. erst insze­niert sich jus­tizmin­is­ter maas als stand­hafter geg­n­er der anlass­losen überwachung namens vor­rats­daten­spe­icherung — jet­zt knickt er doch wieder ein und lässt sich halt einen neuen namen ein­fall­en. zum kotzen, das alles, diese ver­ach­tung der grun­drecht an höch­sten stellen … kai bier­mann hat dazu einen — ich weiß nicht, seinen wie viel­ten — klu­gen kom­men­tar geschrieben

    Und dann bleibt da noch die Hal­tung, die sich in dem Vorhaben zeigt. Das Grundge­setz wurde in dem Wis­sen geschaf­fen, dass die Exeku­tive prinzip­iell über­grif­fig ist, dass sie immer ver­suchen wird, ihre Bürg­er stärk­er zu überwachen. Das Grundge­setz soll die Bürg­er davor schützen, soll den Staat im Zaum hal­ten. Diverse Gerichte haben das angesichts der vie­len, vie­len Überwachungsin­stru­mente, die es längst gibt, immer wieder betont, bekräftigt, daran erin­nert. Überwachung trotz­dem aus­dehnen zu wollen, ist geschichtsvergessen und igno­rant gegenüber der Ver­fas­sung.

  • Er war kein Urvater des Pop — Rolf Dieter Brinkmann zum 75. Geburt­stag : literaturkritik.de — markus fauser erin­nert an rolf dieter brinkmann und seine lit­er­arische prä­gung, die keineswegs — wie immer noch oft angenom­men und behauptet wird — vor allem der pop war:

    Ihm war nicht zu helfen. In seinem kurzen Leben schuf er unter enormem Druck einige größere Werke. […] Seine gesamte Prosa hat­te ohne­hin mit Pop nichts zu tun und nur ein klein­er Teil sein­er Gedichte war davon angeregt. Ger­ade auch die jün­geren Stu­di­en aus der Forschung leg­en darauf Wert. Pop ste­ht nicht nur in der Lit­er­atur bis heute für ein pos­i­tives Weltver­hält­nis, für einen spielerischen Umgang mit der Real­ität und – vielle­icht am wichtig­sten – für das Hin­nehmen von Kon­sum und Kom­merz. Nichts davon passt auf Brinkmann. […] Sein Werk ste­ht vielmehr im Zeichen der nach­holen­den Mod­erne.

  • Konkur­renz zu Ama­zon: Nette Buch­händ­lerin­nen allein reichen nicht — Büch­er — FAZ — ulf erd­mann ziegler über­legt, ob nicht ver­lage, grossis­ten etc. in deutsch­land ein konkur­renz-unternehmen zu ama­zon im bere­ich des buchverkaufs/buchversands aufziehen kön­nten und/oder soll­ten
  • Gün­ter Grass: Oskar Matzerath ist eine ganze Epoche — nora bossong denkt anlässlich des todes von gün­ter grass wohltuend unaufgeregt über die rolle und die möglichkeit­en ein­er schrift­stel­lerin damals und heute nach

    Auch hat sich der Diskurs frag­men­tiert und in ver­schiedene Zuständigkeits­bere­iche aufgeteilt. Hier die Poli­tik, da die Kun­st, sprechen Sie, wenn Sie aufge­fordert wer­den und für den Rest gilt: Ruhe, set­zen. Ein Weisungsmonopol, wie es Grass innehat­te, kann heute kein Intellek­tueller mehr für sich beanspruchen und es scheint auch nicht mehr erwün­scht. Die Frage ist, ob zu viel Stille irgend­wann taub macht.

  • “House of Cards”: Die teuer­ste Seifenop­er der Welt | ZEIT ONLINE — nick­las baschek zeigt die prob­leme von “house of cards” sehr schön auf. mich stört ja daran vor allem: dieses ver­ständ­nis von poli­tik wird größ­ten­teils als real­is­tisch wahrgenom­men — und das hat, befürchte ich, doch mas­sive auswirkun­gen auf unser/das poli­tis­che han­deln in der wirk­lichkeit, die ich nicht gut find­en kann. man muss sich zum ver­gle­ich nur mal die darstel­lung des poli­tis­chen han­delns in “the west wing” anschauen, um zu sehen, wie zer­störerisch das net­flix-bild ist (und wie sehr sich das “durch­schnit­tliche” bild von poli­tik offen­bar in den let­zten jahren gewan­delt hat) …
  • Medi­en Inter­net: Die Okku­pa­tion der Pri­vat­sphäre | Kul­tur — Frank­furter Rund­schau -

    Wir gefährden die Demokratie, wenn wir die Gren­zen zwis­chen öffentlich und pri­vat aufheben, sei es mutwillig oder nach­läs­sig.

    sehr schönes gespräch mit har­ald welz­er über pri­vatheit, den nutzen und die gefahren von inno­va­tio­nen, auch dig­i­tal­en tech­niken, und die möglichkeit­en, sich dem ent­ge­gen­zustellen, das zu ändern …

  • Diese miese Krise — Nachricht­en Print — DIE WELT — Kein Geld, keine Würde. Eine griechis­che Fort­set­zungs­geschichte – mar­lene streeruwitz als nelia fehn schreibt die geschichte von “Die Reise ein­er jun­gen Anar­chistin nach Griechen­land” in einem recht selt­samen text fort
  • Wolf Won­dratschek: Best­seller, Auflage: 1 — Büch­er — FAZ — sehr selt­samer text von volk­er wei­der­mann über den meines eracht­ens ten­den­ziell über­be­w­erteten wolf won­dratschek. und das war mal ein lit­er­aturkri­tik­er! hier ist alles nur eine einzige jubelei. irgend ein his­torisch­er kon­text fehlt völ­lig: dass kun­st mäzene hat, die unter umstän­den die einzi­gen sind, die das werk ken­nen dürfen/können, ist ja nun wirk­lich nicht neu. inter­es­sant auch, wie kri­tik­los er den “mäzen” won­dratscheks porträtiert, der aus­drück­lich nicht kun­st, son­dern “den men­schen” kauft — alles sehr selt­sam. aber was soll man von einem lit­er­aturkri­tik­er hal­ten, der solche sätze schreibt: “Was für ein her­rlich­er Moment für einen Kri­tik­er: Ein Buch, das er nicht lesen kann, wird ihm vom Dichter selb­st erzählt.” — das ist ja mal wieder typ­isch: da bleibt doch nur der inhalt — aber die form, die das erst zur kun­st macht, ist doch da nicht mehr vorhan­den!

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  • “Geburt der Gegen­wart”: Wenn der Mond den Friseurter­min bes­timmt | Berlin­er Zeitung — stef­fen mar­tus hat achim landwehrs “geburt der gegen­wart” gele­sen:

    Der Düs­sel­dor­fer His­torik­er Achim Landwehr geht diesen Fra­gen bis in jene Epoche nach, als die Kalen­der die Welt eroberten. Die Vorgeschichte unser­er zeitlichen Ver­strick­ung in Ter­mine und Dat­en ist dabei nur ein Beispiel für jene „Geburt der Gegen­wart“, von der er anschaulich, anek­doten­re­ich und klug erzählt: In der Frühen Neuzeit büßte die Ver­gan­gen­heit in bes­timmten Bere­ichen ihre Autorität ein, während die Zukun­ft noch nicht als Objekt men­schlich­er Ver­fü­gung wirk­te. In ein­er Art Zwis­chen­phase dehnte sich die Gegen­wart als „Möglichkeit­sraum“ aus und bah­nte damit jenes Zeitregime an, dem wir heute unter­ste­hen.

  • Lit­er­atur­de­bat­te : Der Buch­preis ist keine Geschlecht­sumwand­lung wert — Lit­er­arische Welt — DIE WELT — mar­lene streeruwitz über den buch­preis und seine struk­turen und funk­tio­nen:

    Aber. Der Deutsche Buch­preis ist das fröh­lich­ste Beispiel, wie die qua­sire­ligiöse Ein­deutigkeit eines Mar­ketin­gin­stru­ments hergestellt wird. In ein­er kon­stru­ieren­den Vor­gangsweise wird der Börsen­vere­in selb­st zum Autor der Ver­mark­tung der Autoren und Autorin­nen im Deutschen Buch­preis.

    Das alles erfol­gt im Archilex­em (der Ver­wen­dung der männlichen Form der Beze­ich­nung, unter der die weib­liche Form mit­ge­meint ist): In den Aussendun­gen des Börsen­vere­ins gibt es nur Autoren und keine Autorin­nen. Auch das gehört zur Strate­gie der Ein­deutigkeit. Es gibt keine Geschlech­ter­dif­ferenz, sagen solche For­mulierun­gen. Stellt euch unter die männliche Form und lasst dif­feren­zierende Kinker­l­itzchen wie die geschlechterg­erechte Sprache sein. Nur in ein­deuti­gen For­mulierun­gen gelingt ein umfassendes Sprechen, in dem Büch­er verkauft wer­den kön­nen. Pop­ulis­mus wird nicht nur in Kauf genom­men. Pop­ulis­mus ist erwün­scht.

  • Ste­fan Nigge­meier | Neues von Werther: Suizid-Häu­fung nach bre­it­er Suizid-Berichter­stat­tung — nigge­meier berichtet über eine amerikanis­che studie, die indizien für den werther-effekt beobacht­en kon­nte:

    Selb­st­mord ist ansteck­end. Berichter­stat­tung über Suizide erhöht die Zahl der Suizide. Eine neue Studie aus den Vere­inigten Staat­en liefert weit­ere Indizien dafür, dass dieser soge­nan­nte „Werther-Effekt“ tat­säch­lich existiert.

  • Algo­rith­men: Fer­gu­son zer­split­tert in den sozialen Net­zw­erken | ZEIT ONLINE — gün­ter hack:

    Der derzeit­ige Umgang mit der algo­rith­mis­chen Per­son­al­isierung ist die Vol­len­dung des Neolib­er­al­is­mus auf Ebene der öffentlichen Kom­mu­nika­tion. Wenn du etwas nicht gese­hen hast, dann bist du selb­st Schuld, weil du den Algo­rith­mus von Face­book entsprechend trainiert hast oder dir die Profi-Ver­sion mit dem besseren Zugang zu den Dat­en nicht leis­ten kannst.

  • Inter­view mit Hein­er Goebbels, dem Inten­dan­ten der Ruhrtri­en­nale | Lesen was klüger macht — hol­ger pauler befragt hein­er goebbels zu seinen erfahrun­gen in und mit der ruhrtri­en­nale und vor allem der “freien szene” (und am schluss auch zu “cas­si­ber”). hein­er goebbels:

    In Deutsch­land gibt es für eine bes­timmte Liga von freien Kün­st­lerin­nen und Kün­stlern kaum Pro­duk­tion­sspiel­räume. Es gibt zwar ein weltweit einzi­gar­tiges The­ater­sys­tem, das ist allerd­ings ein­er gewis­sen Monokul­tur verpflichtet, die sich auf das Opern‑, Schauspiel‑, oder Orch­ester­reper­toire bezieht – darüber hin­aus bleiben wenige Möglichkeit­en für freie Kun­st. Diese Lücke wollte ich mit der Ruhrtri­en­nale zu schließen ver­suchen.

  • [AMA] Ich bin Ste­fan Nigge­meier. Fragt mich alles! : de_IAmA
  • Intro­duc­ing Tap­Path for Android — YouTubeIntro­duc­ing Tap­Path for Android! — eine schöne kleine app, die das leben (und sur­fen) auf einem androiden ein­fach­er und angenehmer macht

Aus-Lese #34

Joachim Lottmann: Endlich Kokain. Köln: Kiepen­heuer & Witsch 2014. 195 Seit­en (ebook)

lottmann, endlich kokainFünf Kapi­tel zwis­chen Wien und Berlin, in denen Lottmann seinen Pro­tag­o­nis­ten die Euphorie des Rauschgifts und (weniger stark aus­geprägt) den Absturz des Entzugs anhand der als über­all ver­füg­bare und über­all genutzen Mod­e­droge Kokain (der Titel macht ja kein Geheim­nis daraus) erfahren lässt. Dabei ste­ht aber nicht der Rausch im Mit­telpunkt (und am Ziel des Dro­genkon­sums), son­dern die “Neben­ef­fek­te”: Das Abnehmen, das geän­derte Sozialver­hal­ten, die anders er- und aus­gelebte Sex­u­al­ität — und das Geld. Die dur­chaus komis­chen und amüsan­ten Schilderun­gen der Erleb­nisse, die dem Helden auf dieser, nun ja, Irrfahrt begeg­nen, ergänzt Lottmann etwas moti­va­tion­s­los (und für den Text auch aus­ge­prochen fol­gen­los) sowie nicht sehr geschickt mit dem “Wis­senschaftlichen Tage­buch” des Pro­tag­o­nis­ten, dessen Ein­tra­gun­gen ganz stereo­typ mit “Liebes wis­senschaftlich­es Tage­buch,” begin­nen, die vom Erzäh­ler brav zitiert wer­den und vor allem durch ihre unglaub­würdi­ge Naiv­ität auf­fall­en. Anson­sten besticht der het­erodiegetis­che Erzäh­ler vor allem durch sein entspan­ntes, leicht dis­tanziertes Plaud­ern, das mit Sym­pa­thie für seine Haupt­fig­ur Stephan Braumer erzählt, dabei dessen Neugi­er und auch Befrem­den angesichts der „Per­ver­sio­nen“ der anderen teilend. Endlich Kokain ist aber nicht nur ein Dro­gen­ro­man — das wäre Lottmann wohl zu wenig. Zugle­ich will der Text auch noch eine Kun­st­be­trieb­ssatire sein. Das klappt so halb­wegs, ver­sandet aber in der net­ten Harm­losigkeit. Und auch eine Anti-Entwick­lungsro­man (allerd­ings mit ver­söhn­lichem Hap­py-Ende soll das noch sein. Da aber über­haupt alles nett und flock­ig bleibt, nir­gends hart (auch sprach­lich nicht), klappt das, was über den unter­halt­samen Bericht der täp­pis­chen Unternehmungen Braumers hin­aus­ge­ht, auch nur sel­ten. Bar­tels fasst das in sein­er Rezen­sion ganz gut zuam­men:

Am besten ist es, “Endlich Kokain” wie im Rausch in einem Zug zu lesen, dann ist der Spaß am aller­größten. Son­st kön­nte man leicht auf den Gedanken kom­men, schon bessere Dro­gen­ro­mane und Kun­st­be­trieb­ssatiren gele­sen zu haben.

Jens Dittmar: So kalt und schön. Ein Son­der­weg. Aus dem Nach­lass von Hilde­gard Klein­schmidt (Temuco/Chile) her­aus­gegeben, kom­men­tiert und mit Anmerkun­gen verse­hen von Jens Dittmar. Hohen­ems: Buch­er 2014.

dittmarEinen post­mod­er­nen Schel­men­ro­man ver­heißt der Umschlag­text. Den bekommt man allerd­ings nicht. Lesen kann man So kalt und schön am besten als Ver­such, einen solchen zu schreiben — ein Ver­such, der nicht so richtig glückt. Denn auf bei­den Ebe­nen bleibt Dittmar vor dem Ziel ste­hen: Wed­er ist das ein gelun­gener Schel­men­ro­man — die Ele­mente sind da, der Witz fehlt … -, noch kann der post­mod­erne Aspekt überzeu­gen. Der erschöpft sich näm­lich im Auf- und Vor­führen von möglichst vie­len Namen, die im Kul­turleben (vor allem im lit­er­arischen Teil) der Bun­desre­pub­lik eine Rolle spiel­ten. Das geschieht aber regelmäßig ohne beson­dere Moti­va­tion, so dass es leere Geste bleibt. Typ­isch für diese Halb­herzigkeit, die viel von dem Text durchzieht, ist die Tat­sache, dass die Her­aus­ge­ber­fik­tion den Ver­lag über­forderte oder der sie nicht mit­machen wollte und sie deshalb gle­ich auf dem Titel­blatt “zer­stört” — dann kann man sich so etwas auch gle­ich sparen. Ähn­lich­es gilt für die “Anmerkun­gen”, die bloß belan­g­los sind und willkür­lich ein paar Fak­ten im Wikipedia-Stil hinzufü­gen.

Der Erzäh­ler ist ein pen­e­trant dozieren­der Erzäh­ler, der mehr erk­lärt (und vor­führt, ger­ade an Büch­ern und Gestal­ten und Autoren) als er erzählt: “Und Andrea ver­suchte, sich das vorzustellen, aber es ging nicht.” (67) heißt es ein­mal — so ähn­lich geht es dem Leser (d.h. mir) auch.

Horst Brun­ner (Hrsg.): Von achtzehn Wachteln und dem Finken­rit­ter. Deutsche Unsinns­dich­tung des Mit­te­lal­ters und der Frühen Neuzeit. Stuttgart: Reclam 2014. 163 Seit­en.

wachtelnDieses schmale Reclam-Bänd­chen ist wun­der­bare lustige und lustvolle Lek­türe für zwis­chen­durch: Kuriosa aus der Litaturgeschichte des Mit­tel­hochdeutschen und vor allem der Frühen Neuzeit. Brun­ner schreibt im Nach­wort:

Auch im Mit­te­lal­ter und in der Frühen Neuzeit gab es Men­schen, die gern und entspan­nt gelacht haben, wed­er dacht­en sie unaus­ge­set­zt an das Jen­seits, noch an den Sinn ihrer ständis­chen Exis­tenz, noch an Rebel­lion und Aufrüher­tum. Die Texte, die ihnen gefall­en haben, kön­nen dur­chaus auch uns heute noch erfreuen. (163)

In der Tat, die Dich­tun­gen über Tiere, Unmöglichkeit­en und verkehrte Wel­ten sind erfreulich, im wahrsten Sinne des Wortes. “Das Schlau­raf­fen Landt” von Hans Sachs ist wohl der bekan­nteste Text dieser Samm­lung. Sehr schön aber auch der “Finken­rit­ter” in der Tra­di­tion des Rit­ter­ro­mans und mit Ver­wand­schaften zum Schel­men­ro­man (Chris­t­ian Reuter kön­nte sich hier dur­chaus bedi­ent haben, denkt man beim Lesen manch­mal, zum Beispiel bei der Schilderung der Geburt, die doch einige Ähn­lichkeit­en zum Schel­muff­sky aufweist). Anson­sten: Viel Umkehrung des Sinns, ohne dass immer und unbe­d­ingt neuer Sinn daraus wird und auch nicht wer­den soll — also Un-Sinn im wahrsten Sinn des Wortes. Die Mit­tel sind zum Beispiel die verkehrte Sprach­welt, in der kon­se­quent Sub­jekt und Objekt der Verse ver­tauscht wer­den. Oder ein­fach Unmöglichkeit­en der Welt, in denen immer wieder der Tri­umph der Schwachen über Starke, der Gejagten über Jäger her­vor­blitzt. Sprach­lich spie­len natür­lich auch Mit­tel der Verkehrung wie die con­tra­dic­tio in adiec­to, das Para­dox­on oder der ad absur­dum getriebene Reimzwang eine große Rolle.

Ein Beispiel aus dem anony­men “Puch von den Wachteln”, ca. 1380:

geflo­gen kam ain regen­wurm,
der hub den aller grösten sturm
mit ainem igel, der waz plos
herr diet­rich von pern schoz
durch ain alten enu­en wagen,
herr hilde­prant durchn kra­gen,
herr Ekk durch den schüzzelkreben -
Chriemhilt ver­loz da ir leben,
da plut gen mainz ran.
herr vasolt kaum entran,
des leibs er sich ver­wak.
sibentze­hen wahteln in den sak!

Mar­lene Streeruwitz: Nachkom­men.. Frank­furt: Fis­ch­er 2014. 432 Seit­en.

Sie musste durch­set­zen, dass das ein Roman war und kein Buch und dass es richtig war, dass es Romane gab, und dass es um die Wahrheit ging. Um die vie­len Möglichkeit­en davon. (313)

streeruwitz, nachkommen.Streeruwitz schreibt weit­er an ihrem Pro­jekt zu Wahrheit und richti­gen Leben, zum Ver­hält­nis der Geschlechter, und, hier sehr deut­lich, zum Prob­lem der Aus­beu­tung. Im Gegen­satz zu so manchen Rezen­sio­nen geht es in Nachkom­men. gar nicht so sehr um den Lit­er­aturbe­trieb — das ist kein Schlüs­sel­ro­man. Der Betrieb um die Ware Buch, gemacht aus Roma­nen und anderen Tex­ten (der Unter­schied ist schon entschei­dend, für Streeruwitz und ihre Pro­tag­o­nistin Nelia Fehn), ist eigentlich nur das Set­ting, der Rah­men, vor/in dem sich das Entschei­dende abspielt.

Das Entschei­dende, um dem es in Nachkom­men. geht, ist in mein­er Lesart auch nicht das, was der Klap­pen­text ver­heißt, näm­lich “ein Roman über die Ord­nung der Gen­er­a­tio­nen”. Eigentlich — und ich finde das so deut­lich, dass es schon fast über­trieben ist ist Nachkom­men. ein Roman über Aus­beu­tung. Es geht darum zu zeigen, wie eine junge Frau (das Geschlecht ist nicht unwichtig!) das kap­i­tal­is­tis­che “Funk­tion­ieren” (ein-)übt, erken­nt und — an sich, ihren eige­nen Hand­lun­gen und denen ander­er Men­schen wie dem schmieri­gen Ver­leger, den Mäzenen, den Kri­tik­erin­nen etc — reflek­tiert und kri­tisiert. Wobei “Kri­tik” vielle­icht schon zu viel ver­spricht, näm­lich die Idee ein­er Alter­na­tive, ein­er ver­heißungsvollen Idee oder so. Darum geht es aber nicht, das weiß Nelia Fehn (die eigentlich Cor­nelia heißt) auch. Es geht aber darum, erst ein­mal zu zeigen, wie die An-/Ein­pas­sung in ein (über­mächtiges) ökonomis­ches Sys­tem funk­tion­iert und was das für Fol­gen für das Indi­vidu­um hat, wenn dieses Sys­tem (nur) nach ökonomis­chen Kri­te­rien funk­tion­iert und nicht ein sinnhaftes, men­schen­fre­undlich­es ist. Die Hand­lung — die Buch­preisz­er­e­monie, die Frank­furter Buchmesse, die Inter­views, die Trauer um die Mut­ter, die Begeg­nung mit dem absen­ten Vater — zeigt also die Aus­beu­tung auf ver­schiede­nen Ebe­nen, als Selb­st-Aus­beu­tung, als Aus­beu­tung durch den Ver­lag, durch die Medi­en, durch die Fam­i­lie, aber auch die Aus­beu­tung ander­er (etwa in Form bil­liger Abeit­skräfte, hier v.a. anhand der Tex­til­pro­duk­tion in Fer­nost, der Krise in Griechen­land etc.): Aus­beu­tung ist sozusagen ein omnipräsentes Motiv im Text. Das funk­tion­iert ger­ade deshalb so gut, weil der Roman eben keinen Ausweg zeigen will und kann: Er will das Prob­lem bewusst machen und nicht ein­fache Lösun­gen propagieren. Die Absur­dität und Kom­plex­ität und Unen­trinnbarkeit der Schlechtigkeit der Welt, die sich auch in der Gen­er­a­tio­ne­nun­gerechtigkeit spiegelt (nicht nur als ein Macht­prob­lem im direk­ten Ver­hält­nis, son­dern grund­sät­zlich!) kann der Text aufzeigen. Aber ein Schlüs­sel­ro­man des Lit­er­aturbe­triebs ist das natür­lich nicht — höch­est so, wie die Bud­den­brooks ein Schlüs­sel­ro­man des Getrei­de­han­dels sind. Es geht nicht um dem Lit­er­aturbe­trieb. Lit­er­atur ist unwichtig (gewor­den) — ger­ade das erfährt und bemerkt und zeigt die Pro­tag­o­nistin ja immer wieder: die Leere, die nur noch Betrieb und nicht mehr Lit­er­atur ist. Vor allem geht es in Nachkom­men. aber um anderes: Frauen (und Män­ner) und ihre Rollen, Gen­er­a­tio­nen, und, ganz wichtig, das Funk­tion­ieren in der kap­i­tal­is­tisch organ­isierten und durch­drun­genen Gesellschaft als ein Funk­tion­ieren (der Men­schen bzw. ihrer jew­eili­gen derzeit­i­gen Rollen) im kap­i­tal­is­tis­chen Sinne, das trotz Krise die Ver-Wer­tung, also: die Aus­nutzung nicht behin­dert. Oder anders gesagt: es geht darum, die totale Durch­dringung der kap­i­tal­is­tis­chen Nor­men in der Gesellschaft mit all ihren Bere­ichen (wie etwa der Kun­st) zu zeigen. Und das in der von Streeruwitz gewohn­ten präzisen, manch­mal harten, immer faszinieren­den Sprache.

Der Roman, so ist meine Erfahrung, gewin­nt unge­heuer, wenn man dazu sich (noch ein­mal) die Poet­ik-Vor­lesun­gen der Autorin zu Gemüte führt, die Fis­ch­er ger­ade noch ein­mal zusam­men miteinem her schwachen Inter­view her­aus­gegeben hat — da ste­ht eigentlich schon alles drin, was man zur Ästhetik und den lit­er­arischen Zie­len von Streeruwitz wis­sen muss.
Großar­tig. Wie eigentlich alles von Mar­lene Streeruwitz.

Warum wollte sie ein gutes Ergeb­nis sein. Über­haupt. Warum wollte sie schön auss­chauen. Es ging doch darum, dass es sie gegeben hat­te. Schon immer. Und lange bevor sie so groß und dünn gewor­den war. Sie war schon immer da gewe­sen, und es hätte gle­ichgültig sein sollen, wie sie aus­sah. Über­haupt. Sie war ja erst groß und dünn gewor­den, nach­dem die Mami. Es wäre schön gewe­sen. Schön­er. Viel schön­er. Es wäre über­haupt nicht zu ver­gle­ichen gewe­sen. Sie hätte sich gewün­scht, die Mami. Ihre Muter. Sie kön­nte sie sehen. Kön­nte etwas sagen. Dazu, wie sie aus­sah. Nur sehen. Sie anschauen. Es wäre schon genug gewe­sen. Es wäre das Schön­ste gewe­sen. Und selb­st Mar­ios ver­stand das nicht. Dass das so wichtig gewe­sen wäre. Aber Mar­ios wollte, dass er das Wichtig­ste für sie war. Und sie wollte ja auch, dass Mar­ios das wollte, und sie hat­ten bald aufge­hört, darüber zu reden. Das war alles so weit innen. Das behielt sie da. Und warum fürchtete sie sich vor dem Tre­f­fen. Warum hat­te sie dieses Chaos im Bauch. Fürchtete sie sich vor diesem Mann. Dieser Mann. Er war sinn­los. Er war mehr als sinn­los. Er war nicht ein­mal ein Ersatz. (158)

Birk Mein­hardt: Brüder und Schwest­ern. Die Jahre 1973–1989. München: Hanser 2013. 700 Seit­en.

meinhardt, brüder und schwestern700 Seit­en für 16 Jahre Fam­i­liengeschichte — kurz fassen ist offen­bar nicht die Stärke von Mein­hardt. Brüder und Schwest­ern will ein bre­it erzähltes Panora­ma ein­er “Jahrhun­dert­fam­i­lie” sein (diesen Anspruch merkt man auf fast jed­er Seite), die mit Rück­blenden bis in die Zeit vor dem Zweit­en Weltkrieg zurück reicht, vor allem aber die “End­phase” der DDR im Blick hat. Dabei, das ist schon ein erstes Prob­lem, zer­fällt die Fam­i­liengeschichte aber in seriell erzählte Einzelgeschicht­en: von Willy Wer­chow, dem Druck­er und Betrieb­sleit­er, der sich durch Kom­pro­misse immer mehr der Partei- und Staat­slin­ie annähert und kom­pro­mit­tiert, sein­er Söhne Erik und vor allem Mat­ti, der sozusagen aussteigt und “bloß” Bin­nen­schif­fer wird, dafür aber einen Roman schreibt (der hier auch mit­geteilt wird), den seine ehe­ma­lige Jugend­liebe, die inzwis­chen als Lek­torin in der BRD arbeit­et, im “Wes­t­end-Ver­lag” (soll wohl Suhrkamp sein?) veröf­fentlicht, und Brit­ta, die bei einem pri­vat­en Zirkus lan­det und dort mit ein­er neuar­ti­gen Akro­batiknum­mer Furore macht. Das alles ist umständlich und weit aus­holend erzählt, ohne dass mir die Notwendigkeit dafür klar würde. Vor allem ist es im Detail manch­mal — trotz der Recherchen und dem Bemühen um his­torische Authen­tiz­ität — eher schwach und nach­läs­sig, wirkt oft unge­nau (zum Beispiel in der zeitlichen Fix­ierung). Eine Ten­denz ins All­ge­meine, zum Auswe­ichen ins irgend­wie geart­ete “Über-Zeitliche” macht sich öfters unangehm bemerk­bar. Dabei kann Mein­hardt dur­chaus erzählen und beschreiben, detail­liert und voller Fasz­i­na­tion für den eige­nen Stoff. Genauigkeit und Witz steck­en da dur­chaus drin — aber einge­bet­tet in große Län­gen und dürre Streck­en. Denn ander­er­seits ver­liert er sich immer wieder zu sehr im Detail. Es gibt ein­fach zu viel davon — und dabei wird nicht klar, warum (und wofür) das eigentlich alles notwendig sein soll, wo der Text hin­will (über die bloße Beschrei­bung hin­aus). „– wird fort­ge­set­zt –“ ste­ht auf der let­zten Seite: soll das alles denn immer noch nicht genug gewe­sen sein?

Hans-Jost Frey & Franz Josef Czernin: Sätze. Zürich, Ret­tenegg, Solothurn: rough­books 2014 (rough­book 030). 132 Seit­en.

sätzeDa hat rough­books mir wieder etwas beschert. Ein­er­seits ist das faszinierend ohne Ende, kann man sich in diesen “Sätzen” wun­der­bar ver­lieren. Ander­er­seits kann man aber auch aus dem Kopf­schüt­teln kaum noch her­aus kom­men … — ein typ­is­ches rough­book also, in gewiss­er Hin­sicht. Hans-Jost Frey und Franz Josef Czernin spie­len sich hier gegen­seit­ig Sätze zu — der jew­eils andere muss darauf reagieren, mit Sätzen, die Wörter des Aus­gangssatzes enthal­ten. Und Sätze sind hier ganz buch­stäblich zu ver­ste­hen, es geht fast nur um einzelne Sätze. Und es sind “Sätze”, also Set­zun­gen. Die sind oft axioma­tisch, spie­len immer wieder mit der Sprache, mit der Ober­fläche und ihren Bedeu­tun­gen, häufen (schein­bare) Para­dox­ien, schmeißen mit Zitat­en und Allu­sio­nen und Ver­frem­dun­gen berühmter Aus­sagen berühmter Män­ner (Kant, Hegel, Niet­zsche, Lacan, Freud, Kaf­ka und so weit­er) nur so um sich. Manch­mal verselb­ständigt sich das, dann sind die “Regeln” auch nicht mehr so wichtig. Manch­mal läuft sich das auch ein biss­chen tot. Zumin­d­est emp­fand ich das beim ersten Lesen so. Ver­mut­lich würde eine wieder­holte Lek­türe ein ganz anderes Ergeb­nis zeigen, da wären ver­meintliche Dür­restreck­en dann ver­mut­lich reich an wun­der- und wertvollen Sätzen. Davon gibt es aber immer schon genug, auch nach dem ersten Lesen find­en sich unzäh­lige Anstre­ichun­gen in meinem Exem­plar. Wieder ein Buch also, das mit ein­ma­ligem Lesen nicht ansatzweise abge­tan ist …

Voß, Flo­ri­an (Hrsg.): Weltkrieg! Gefal­l­ene Dichter 1914–1918. München: Allit­era 2014 (Lyrikedi­tion 2000). 70 Seit­en.
Anz, Thomas & Joseph Vogl (Hrsg.): Die Dichter und der Krieg. Deutsche Lyrik 1914–1918. Stuttgart: Reclam 2014. 103 Seit­en.

Zu diesen bei­den Antholo­gien mit Lyrik aus den Jahren 1914–1918, dem Weltkrieg beziehungsweise seinem Umfeld in Deutsch­land, habe ich kür­zlich schon ein paar Sätze geschrieben. Jeden­falls auch lohnende Lek­türe — und gar nicht so schw­er oder lang …

Sarah Schmidt: Eine Tonne für Frau Scholz. Berlin: Ver­brech­er 2014. 217 Seit­en.

schmidt, tonneUnd zum Schluss noch ein feines Buch aus dem vorzüglichen Ver­brech­er-Ver­lag: Eine Tonne für Frau Schulz ist ein aus­geze­ich­neter, präzise beobach­t­en­der und beschreiben­der Roman voller Witz und Esprit. Sich­er, Gat­tungs- oder gar Lit­er­aturgeschichte wird der nicht schreiben. Aber es ist vorzügliche, niveau­volle Unter­hal­tung.
Neben dem schön trock­e­nen, präzisen und unauf­dringlichen Humor der Erzäh­ler­ing hat mir auch die Gewöhn­lichkeit des Set­tings und der Per­so­n­en gut gefall­en. Das sind ganz nor­male Men­schen mit ganz nor­malen Prob­le­men und ganze nor­malen Gedanken. Dabei wird das nicht ankla­gend oder vor­führend erzählt, son­dern sehr sym­pa­thisch. Das Leben an sich reicht schon, ist schön und erfül­lend genug, da braucht es keine Beson­der­heit­en, vielle­icht auch keinen Ehrgeiz nach Indi­vid­u­al­ität oder Beson­der­heit: Das Sein reicht schon, kann auch schön sein und glück­lich machen (wenn man sich damit beschei­det, wie die Erzäh­lerin). Die titel­gebende Frau Scholz, eine alte Dame, mit der sich die Erzäh­lerin, die mit ihrer Fam­i­lie (Vater, Mut­ter, Sohn, Tochter — ganz nor­mal eben …) im gle­ichen herun­tergekomme­nen Berlin­er Miet­shaus wohnt, anfre­un­det, ver­schafft sich dann aber doch noch eine Beson­der­heit, in dem sie sich einen Sohn erfind­et, der Fluchthelfer an bzw. unter der Berlin­er Mauer war — offen­sichtlich eine Lüge, auch wenn das nie ganz ein­deutig gek­lärt wird. Unter anderem, weil sie vor dem entschei­den­den Inter­view mit der selt­sam (für die Ich-Erzäh­lerin) ziel­stre­bi­gen Tochter ein­fach so stirbt … Den Fre­undin­nen und Fre­un­den guter, niveau­voller Unter­hal­tung jeden­falls wärm­stens emp­fohlen.

Mir fehlen zwar oft eigene Worte, so viel ver­schwindet, wird absorbiert und zu häu­fig benutzt, und für vieles in mir drin habe ich über­haupt keine Wörter, noch nie gehabt, aber »Leben­squal­ität«, das gehört nicht zu mir. Ich will nur in der Küche sitzen und rauchen und weigere mich, dabei ein Lebens­ge­fühl zu entwick­eln. Ich will keinen Lebens­stan­dard, keine Lebenslust, keinen Leben­straum, keine Leben­sphiloso­phie. (39)

außer­dem:

  • Thomas Mei­necke, Looka­likes (Re-Lek­türe)
  • Hubert Fichte, Detlevs Imi­ta­tio­nen »Grünspan« (Re-Lek­türe — und immer wieder begeis­tert von diesem großen Text!)
  • Mara Gen­schel, Ref­eren­zfläche #4
  • Sprache im tech­nis­chen Zeital­ter, #210

Luxus

In Lon­don. Wo die Museen umson­st waren. Dass das ein Luxus war. Und dass alle Museen in der ganzen Welt gratis sein mussten. Son­st waren sie gar keien Museen. Dass nur ein Muse­um ein Muse­um | war, wenn es keinen Ein­tritt kostete. Dass nur in so einem Muse­um die Kunst­werke Kun­st blieben. Wenn man zahlen musste, dann musste die Kun­st gle­ich wieder etwas leis­ten. Dann wur­den die alten Mech­a­nis­men wieder einge­set­zt und Wun­scher­fül­lun­gen eingekauft. Bezahlung. Das gab den Din­gen Sinn. Den falschen Sinn, aber Sinn. Dann war die Sinnlosigkeit von Kun­st ver­loren. Und nichts blieb.

—Mar­lene Streeruwitz, Nachkom­men., S. 424f.

Glück

“Warum war sie glück­lich. War sie glück­lich. Oder war sie zufrieden. Es gab keinen Grund für bei­des. Die Welt war schreck­lich. Die Zukun­ft war schreck­lich. Es war nichts zu erwarten.”

— Mar­lene Streeruwitz, Die Schmerz­macherin, 299

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