Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: liebe

Ins Netz gegangen (12.10.)

Ins Netz gegan­gen am 12.10.:

  • Lit­er­atur-Nobel­preis: Georg Diez über Patrick Modi­ano und Lutz Seil­er — SPIEGEL ONLINE — georg diez hadert mit dem “ästhetis­chen und strukurellen kon­ser­vatismus der buch­branche”:

    Das ist der Hin­ter­grund, vor dem der ästhetis­che Kon­ser­vatismus eines Romans wie “Kru­so” zele­bri­ert wird und erk­lär­bar wird: der dig­i­tale, wirtschaftliche, möglicher­weise auch poli­tis­che Epochen­bruch. Dieser Roman, der Roman an sich, so wie er ger­ade definiert wird, ist damit vor allem eine Schutzbe­haup­tung der Erin­nerung.

  • Peter Kurzeck: Der Mann, der immer gear­beit­et hat — der stroem­feld-ver­lag wird/will wohl alles, was kurzeck hin­ter­lassen hat, zu geld machen. bei einem autor, der der­maßen fast man­isch kor­rigierte und verbesserte bis zum schluss, halte ich frag­ment-aus­gaben ja nur für mäßig sin­nvoll (und es ist ja nicht so, als gäbe es nicht genug kurzeck zu lesen …). aber trotz­dem freue ich mich und bin ges­pan­nt, was da noch kommt in den näch­sten jahren

    Und dann sind da noch die Notizzettel, die Kurzeck zu Mate­ri­al­samm­lun­gen zusam­mengestellt hat, mit Titeln wie „Staufen­berg II“ und „Staufen­berg III“. Sie dien­ten ihm zur Arbeit an „Kein Früh­ling“ und „Vor­abend“, zeigen aber auch, dass „Ein Som­mer, der bleibt“, das erste der erfol­gre­ichen Erzähl-Hör­büch­er, die Kurzeck seit 2007 ein­sprach, schriftliche Vorstufen gehabt hat. Mit­ten­drin ein Notizzettel, der wie der Anfang von allem anmutet: „Das Dorf ste­ht auf einem Basalt­felsen eh + je. Jet­zt soll es das Dorf wer­den (sein) + liegt unerr­e­ich­bar im Jahr 1947, im Abend.“ Unerr­e­ich­bar. Das Ver­gan­gene wieder erre­ich­bar zu machen, hat Kurzeck bis zulet­zt ver­sucht. Losse erin­nert sich an eine Bemerkung des Autors im Frank­furter Kranken­haus: „Wir hät­ten noch mehr arbeit­en müssen.“ An der Präsen­ta­tion dessen, was fer­tig gewor­den ist, arbeit­et Kurzecks Ver­lag.

  • Schat­ten­bib­lio­theken: Pira­terie oder Notwendigkeit? — sehr span­nend: In gewalti­gen, frei zugänglichen Online-Daten­banken ver­bre­it­en anonyme Betreiber wis­senschaftliche Lit­er­atur, ohne Beach­tung des Urhe­ber­recht­es. Doch die dig­i­tal­en Samm­lun­gen sind nicht nur Pira­terie, sie weisen auch auf große Ver­säum­nisse der Wis­senschaftsver­lage hin – sagt der ungarische Pira­terie-Forsch­er Balázs Bodó. Im Inter­view mit der Jour­nal­istin Miri­am Ruhen­stroth erk­lärt er, wieso die Schat­ten­bib­lio­theken in Ost- und Mit­teluropa so gefragt sind und wie das Prob­lem zu lösen wäre.
  • Mar­i­hua­na: Die selt­same Ver­fol­gung der nüchter­nen Kif­fer | ZEIT ONLINE -

    Wer kifft, gefährdet den Straßen­verkehr. Auch ohne Rausch, jed­erzeit. Das glauben zumin­d­est Behör­den. Sie entziehen selb­st nüchter­nen Taxikun­den den Führerschein. […] Behör­den haben anscheinend Gefall­en daran gefun­den, über den Umweg des Ver­wal­tungsrechts, eigen­mächtig ein biss­chen für Ord­nung unter Cannabis-Kon­sumenten zu sor­gen.

  • xkcd: The Sake of Argu­ment — xkcd über’s Argu­men­tieren: The Sake of Argu­ment
  • Adobe is Spy­ing on Users, Col­lect­ing Data on Their eBook Libraries — The Dig­i­tal Read­er — adobe spi­oniert mit dig­i­tal edi­tions 4 die nutzer aus: im klar­text (!) wer­den nicht nurin de4 geöffnete büch­er mit ihren meta­dat­en und denen der leserin über­tra­gen, son­dern de4 durch­sucht auch ohne sich das genehmi­gen zu lassen den gesamten com­put­er nach irgendwelchen ebooks (auch solchen, die nicht in de4 benutzt wer­den), um deren dat­en eben­falls an adobe zu senden. grausam.
  • Ego­is­tis­che Zweisamkeit: Ersatzre­li­gion Liebe — Men­schen — FAZ — markus gün­ther über die “ersatzre­li­gion liebe”, die sich in let­zter zeit immer mehr aus­bre­it­et (und abso­lut set­zt):

    Zu den Kol­lat­er­alschä­den der Ersatzre­li­gion Liebe gehören aber auch die vie­len Men­schen, die allein sind. Ihr Leben wird als defiz­itär wahrgenom­men. Man ver­mutet, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Dass jemand frei­willig einen anderen als den Weg in die Part­ner­schaft geht, ist schlech­ter­d­ings unver­ständlich. Dass jemand einen geeigneten Part­ner nicht gefun­den hat, gilt als sein ganz per­sön­lich­es Ver­sagen. So oder so, er hat von sein­er Umwelt besten­falls Mitleid zu erwarten.
    […] Ist der Mythos Liebe nicht wenig­stens dafür gut, den Men­schen aus seinem Ego­is­mus her­auszuführen? Ist die Sehn­sucht nach Part­ner­schaft nicht immer noch bess­er als die Selb­st­sucht? Die Antwort lautet: Diese Art der Liebe ist nur schein­bar eine Über­win­dung der eige­nen Gren­zen. In Wahrheit han­delt es sich um eine Fort­set­zung der Ich-Bezo­gen­heit mit anderen Mit­teln, denn die Triebkraft, die wirkt, ist ja, wenn man ehrlich ist, gar nicht der Wun­sch zu lieben, son­dern der, geliebt zu wer­den.

  • Deutsch­er His­torik­ertag: Die These vom Son­der­weg war ja selb­st ein­er — jür­gen kaube berichtet sehr lau­nig, pointiert (und mit gemeinen, natür­lich abso­lut fehlgeleit­eten seit­en­hieben gegen die ger­man­is­tik …) vom göt­tinger his­torik­ertag:

    Man kann ver­mut­lich lange warten, bis zum ersten Mal ein Banki­er, eine Schrift­stel­lerin oder ein Aus­län­der den His­torik­ertag eröffnet.

    Wäre es nicht an der Zeit, ein­mal zum The­ma „Ver­gan­gen­heit“ zu tagen?

    Eine sin­nvolle Ein­heit dessen, was die His­torik­er tun, die sich durch alle ihre Forschun­gen zöge, gibt es nicht. Und wenn die Göt­tinger Stich­probe nicht täuschte, dann gibt es nicht ein­mal Hauptlin­ien oder Trends.

  • Wilder Kaiser extreme on Vimeo — wohl das ver­rück­teste video, das ich in let­zter zeit sah (fahrrad­fahren kann man diesen stunt allerd­ings kaum noch nen­nen. und vernün­ftig ist natür­lich auch etwas ganz anderes …)
  • Auswüchse des Regi­ethe­aters: Oper der Beliebigkeit­en — Bühne Nachricht­en — NZZ.ch — der musik­wis­senschaftler lau­renz lüt­teken rech­net mit dem regi­ethe­ater aktueller prä­gung auf der opern­bühne ab:

    Denn die landläu­fige Behaup­tung, dass man etwas heute «so» nicht mehr machen könne, ist nicht nur tele­ol­o­gis­ch­er Unfug, sie ist überdies unlauter. In den Opern­häusern regiert näm­lich ein unange­focht­en­er Kanon, der weitaus fes­ter zemen­tiert ist als noch vor fün­fzig Jahren. So spricht gewiss nichts dage­gen, den Anteil neuer Werke zu erhöhen, aber es ist mehr als frag­würdig, die alten Werke mit immer neuen Bildern ver­meintlich «mod­ern» zu machen und sich damit behaglich im Kanon einzuricht­en. Zudem hat der Mod­erne-Begriff, der hier bedi­ent wird – das «Ver­störende», «Provozierende», «Bestürzende» –, inzwis­chen selb­st so viel Pati­na ange­set­zt, dass man ihn get­rost in die Geschichte ent­lassen sollte.

    ich bin dur­chaus geneigt, ihm da zumin­d­est in teilen zuzus­tim­men: die regie hat sich oft genug verselb­ständigt (auch wenn ich eine tota­l­ablehnung, die ich bei ihm zwis­chen den zeilen lese, nicht befür­worte). dage­gen führt er an:

    Die his­torische Ver­ant­wor­tung im Umgang mit Tex­ten der Ver­gan­gen­heit ist nichts Ent­behrlich­es, sie ist auch nicht, wie so oft behauptet, ein Relikt alt­modis­chen Philolo­gen­tums, zumal das Argu­ment für die Musik nicht gel­tend gemacht wird. Was aber nützt eine kri­tis­che Aus­gabe des «Don Gio­van­ni», wenn die Szener­ie kurz­er­hand (wie in Linz) von Sex and Crime der Pop-Stars erzählt? Texte, Par­ti­turen der Ver­gan­gen­heit bedür­fen vielmehr ein­er beson­deren Sen­si­bil­ität, denn erst, wenn es gelingt, im Ver­gan­genen das Gegen­wär­tige aufzus­püren (statt die Gegen­wart dem His­torischen ein­fach nur überzustülpen), kann sich der Rang eines Kunst­werks, auch eines musikalis­chen Büh­nenkunst­werks, bewähren.

    sein argu­ment übri­gens, statt immer wieder das selbe neu aufzufrischen öfters mal neues zu spie­len, würde ich unbe­d­ingt gerne ver­wirk­licht sehen — ich ver­ste­he die reper­toire-fix­ierung der oper eh’ nicht so ganz (die ja auch gewis­ser­maßen unhis­torisch ist — “die ent­führung aus dem serail” beispiel­sweise war kaum dazu gedacht, heute noch aufge­führt zu wer­den …)

Ins Netz gegangen (27.5.)

Ins Netz gegan­gen (25.5. — 27.5.):

  • 08. Michon und die Fak­tiz­ität des Fik­tionalen | Geschichte wird gemacht — Achim Landwehr denkt über die Fak­tiz­ität des Fik­tionalen nach — und über das “Prob­lem” der Tren­nung dieser bei­den Bere­iche:

    Die Wahrheit der Fik­tion ist abso­lut. Ein solch­er Grad an Wirk­lichkeitsverdich­tung lässt sich nicht ein­mal in der total­itärsten aller Dik­taturen erre­ichen. … Die Frage danach, wer oder was denn nun Geschichte macht, lässt sich erwartungs­gemäß auch nicht mit Blick auf die Fik­tion let­zt­gültig beant­worten. Aber wie auch immer die Antwort aus­fall­en sollte, die fik­tiv­en Geschicht­en und Fig­uren dür­fen dabei nicht vergessen wer­den.

    Inter­es­sant wird es dann, wenn die unter­schiedlichen Sphären der Wirk­lichkeit, die fak­tis­chen und die fik­tionalen, miteinan­der in Kon­takt treten und sich über­schnei­den. Denn die Fik­tio­nen sind beständig dabei, unsere Wirk­lichkeit zu verän­dern und zu infizieren: Nicht nur kommt die nicht-fik­tionale Welt in der fik­tionalen vor, eben­so wer­den fik­tionale Deu­tungsange­bote in unsere außer­fik­tionalen Lebens- und Wel­tentwürfe importiert.

  • Liebe in Wag­n­ers Opern: Was weiß Brünnhilde? | ZEIT ONLINE — Slavoj Zizek zu Wag­n­ers Opern, mit ein­er inter­es­san­ten The­o­rie (bei der ich mir nicht sich­er bin, ob sie nicht doch einiges zu viel außen vor lässt, um stim­mig sein zu kön­nen …):

    So para­dox dies klin­gen mag, sollte man fol­glich die übliche Sichtweise, beim Ring han­dle es sich um ein Epos des hero­is­chen Hei­den­tums (da seine Göt­ter nordisch-hei­d­nis­che sind), während der Par­si­fal für Wag­n­ers Chris­tian­isierung stünde, für seinen Kniefall vorm Kreuz (um mit Niet­zsche zu sprechen), umkehren: Es ist vielmehr der Ring, in dem Wag­n­er dem christlichen Glauben am näch­sten kommt, während Par­si­fal, höchst unchristlich, eine obszöne Rück­über­set­zung des Chris­ten­tums in das hei­d­nis­che Rit­u­al ein­er zyk­lis­chen Erneuerung der Frucht­barkeit durch die Wieder­erlan­gung des Königs insze­niert. Oft wird der – vielle­icht ja allzu offen­sichtliche – Umstand überse­hen, dass Wag­n­ers Ring das ulti­ma­tive paulin­is­che Kunst­werk darstellt: Sein zen­trales The­ma ist das Scheit­ern der Herrschaft des Geset­zes; und die Ver­lagerung, die die innere Span­nweite des Rings am besten zum Aus­druck bringt, ist die Ver­lagerung vom Gesetz auf die Liebe.

    Gegen Ende der Göt­ter­däm­merung geschieht mithin Fol­gen­des: Wag­n­er über­windet seine eigene, “heidnisch”-feuerbachsche Ide­olo­gie der (hetero-)sexuellen Paares­liebe als des Par­a­dig­mas der Liebe. Brünnhildes let­zte Ver­wand­lung ist die von Eros zu Agape, von der ero­tis­chen Liebe zur poli­tis­chen Liebe. Der Eros kann das Gesetz nicht wirk­lich über­winden: Er kann lediglich in punk­tueller Heftigkeit ent­flam­men, als die momen­tane Über­schre­itung des Geset­zes, Sieg­munds und Sieglin­des Feuer gle­ich, das sich sofort selb­st verzehrt. Agape hinge­gen ist das, was bleibt, nach­dem wir die Kon­se­quen­zen aus dem Scheit­ern des Eros gezo­gen haben.

schleichende begeisterung

ich höre ja, das ist eine art geständ­nis, ele­ment of crime recht gerne. ins­beson­dere seit “roman­tik” haben sie es mir immer ange­tan. ein etwas sündi­ges begehren ist das, weil ich son­st eigentlich eher etwas kom­plexere, avancierte ästhetis­che pro­gramme und konzepte schätze. aber manch­mal ist so ein biss­chen seichter pop auch nicht schlecht ;-). denn auch wenn ger­ade die texte immer wieder sehr gepriesen wer­den — im grunde bleibt es alles sehr harm­los hier.

das neueste album, “immer da wo du bist bin ich nie”, schien mir dann aber zunächst, beim ersten und zweit­en hören, doch arg platt ger­at­en. aber, das ist das gemeine bei ele­ment of crime der let­zten jahre, sie schle­ichen sich doch in die gun­st der hör­er ein. inzwis­chen hat mich auch die neue cd ziem­lich gepackt. die musik ist ja im großen und ganzen immer noch dieselbe — ein biss­chen mehr tex-mex-anklänge, aber son­st bleibt es beim bewährten sound. aber eben ziem­lich gut gemacht:  eingängige, sehr eingängige melo­di­en, nett har­mon­isiert, tight gespielt, ohne irgend jemand zum wider­spruch aufzure­gen — deutsche kon­sens­musik at it’s best … die texte, zunächst, hat­te mich ziem­lich gen­ervt: dieses bemühen um kun­stvolle naiv­ität, diese wollen um jeden preis, das aus fast jed­er zeile spricht — nervig.

the­ma­tisch ist das natür­lich extrem ein­fall­slsos — der plat­ten­ti­tel [ein fast-zitat übri­gens des ersten vers­es von del­men­horst vom mit­telpunkt der welt], zugle­ich liedti­tel #6 (auch da ohne kom­ma), ver­rät eigentlich alles. aber das ele­ment of crime vorzuw­er­fen ist unge­fähr so sin­nvoll wie den met­zger dafür anzuk­la­gen, dass er keinen käse verkauft. da sind es halt doch dann doch die “net­ten” for­mulierun­gen, die es wieder raus­reißen, die ins bewusst­sein ein­sick­ern und zunehmend zus­tim­mung und freude her­vor­rufen … aber genau auf das ein­sick­ern kommt es offen­bar an: beim ersten hören ist das nicht unbe­d­ingt auf­fäl­lig, vieles geht glatt vorüber (und je nach stim­mung ist man, d.h. bin ich, gelang­weilt oder gen­ervt). an vie­len fein­heit­en erfreut man sich erst beim x‑ten hören. und das ist wiederum ein großer vorzug der ele­ment-of-crime-musik: sie verträgt das ofte hören erstaunlich gut. weil sie, trotz ihre beschei­de­nen ästhetik und schein­baren strom­lin­ien­för­migkeit, genü­gend details dafür bietet.

inzwis­chen bin ich schon fast begeis­tert … es gibt auf jeden fall schlim­meres, als das zu mögen.

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