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Schlagwort: italien

Ins Netz gegangen (13.6.)

Ins Netz gegan­gen am 13.6.:

  • Ret­tet das Olivenöl! | Reporta­gen → eine tolle reportage über ein bak­teri­um, dass oliven­bäume tötet. und den verge­blichen kampf einiger ital­iener und der eu dage­gen. und viel ver­schwörungs­the­o­rie, irra­tional­itäten bei bauern, medi­en und jus­tiz — wun­der­bar geeignet, alles vorurteile über ital­ien zu bestäti­gen …

    Riel­li denkt nach. Zwar sieht er sich selb­st als umwelt­be­wussten Men­schen, für den die Natur zuerst kommt, doch im Fall von Xylel­la hat er sich auf die andere Seite geschla­gen. Dass die Wis­senschafter im Salen­to eben­so wie ihre über den Globus ver­streuten Kol­le­gen die Mei­n­ung vertreten, Xylel­la sei die Haup­tur­sache der Oliven­pest, überzeugt ihn: «Forsch­er stre­it­en sich meis­tens über ihre Erken­nt­nisse, doch im Fall Xylel­la sind sie sich einig.» Entsprechend kann er nicht nachvol­lziehen, dass die Men­schen im Salen­to eine ihrer wichtig­sten Einkom­men­squellen aufs Spiel set­zen, die Dro­hun­gen der lokalen Behör­den wie auch der EU ignori­eren und nichts anderes zu tun wis­sen, als alle Pläne zur Lösung der Epi­demie zu unter­laufen, abstruse The­o­rien aufzustellen und mit den Forsch­ern aus­gerech­net jene Per­so­n­en in Ver­ruf zu brin­gen, die als Einzige das Prob­lem lösen kön­nen. Das alles will ihm nicht in den Kopf, also bestellt er einen drit­ten Gin, denkt weit­er, bis sich Ella dazuset­zt, Architek­tin aus Lec­ce, die ihn von ein­er sein­er Lesun­gen ken­nt. Er erzählt, worüber er nach­denkt: «Was ist los mit diesem Land?»

    Dann, Riel­li ist längst in Bologna zurück, holt die Jus­tiz im Salen­to zu einem Schlag aus, der jede Hoff­nung zunichtemacht, das Killer­bak­teri­um Xylel­la fas­tidiosa wirk­sam zu bekämpfen, bevor es noch weit­er Rich­tung Nor­den wan­dert. Eben­so zer­schlägt sich die Hoff­nung des Forsch­ers Dona­to Boscia, dass die gegen ihn und andere Forsch­er erhobe­nen Vor­würfe fal­l­en­ge­lassen wer­den: Am 18. Dezem­ber 2015 klagt die Staat­san­waltschaft Lec­ce zehn Per­so­n­en an, sich gemäss Artikel 500 des ital­ienis­chen Strafge­set­zbuchs der «fahrläs­si­gen Ver­bre­itung ein­er Pflanzenkrankheit» schuldig gemacht zu haben, das geschützte Land­schafts­bild des Salen­to zu zer­stören, die Behör­den bel­o­gen und Urkun­den gefälscht zu haben. Neun der Angeklagten sind Forsch­er, darunter Dona­to Boscia, Sil­vio Schi­to sowie mehrere Wis­senschafter der Uni­ver­sität Bari. Der zehnte Angeklagte ist Com­mis­sario Giuseppe Sil­let­ti als Voll­streck­er der EU-Forderun­gen. Zudem beschlagnahmt die Staat­san­waltschaft sämtliche zum Fällen bes­timmten Bäume; sie dür­fen nicht angerührt wer­den, und sie ver­bi­etet den Bauern, die für die Ver­bre­itung von Xylel­la ver­ant­wortlichen Wiesen­schaumzikaden zu bekämpfen. Mit anderen Worten: Sämtliche Ver­suche, das Bak­teri­um einzudäm­men, sind zunichtegemacht.

  • Akten — Was nicht in der Welt ist | Süd­deutsche → herib­ert prantl über die wichtigkeit und notwendigkeit von akten in ein­er funk­tion­ieren­den demokratie und die wichtigkeit und notwendigkeit, diese akten nicht nur zu führen, son­dern auch angemessen zu archivieren. aus­lös­er ist ein stre­it um ille­gal dem bun­de­sarchiv nicht zur ver­fü­gung gestellte akten divers­er (spitzen)politiker, die so der forschung ganz (oder teil­weise) ent­zo­gen sind
  • The UK explained sex­u­al con­sent in the most British way pos­si­ble | YouTube → sehr schön­er klein­er zeichen­trick­film, der erk­lärt, wie ein­fach das eigentlich mit konsens/zustimmung bei sex ist
  • Pianist Igor Lev­it im inter­view: „Meine Witze wer­den langsam bess­er!“ | Tagesspiegel → igor lev­it ist nicht nur ein aus­geze­ich­neter pianist, son­dern offen­bar auch ein her­vor­ra­gen­der inter­view­part­ner (und twit­ter­er …)

Aus-Lese #3

Thomas Bern­hard: Argu­mente eines Win­ter­spaziergängers. Und ein Frag­ment zu “Frost”: Leichtlebig. Her­aus­gegeben von Raimund Fellinger und Mar­tin Huber. Berlin: Suhrkamp 2013. 147 Seit­en.

Ich glaube, das ist nur etwas für aus­ge­sproch­ene Bern­hard-Fans. Auf jeden Fall ist es inter­es­sant, solche Über­reste aus der Werk­statt des Schrift­stellers zur Ken­nt­nis nehmen zu kön­nen. Als erstes aufge­fall­en ist mir allerd­ings das feine Papi­er, das sich Suhrkamp hier geleis­tet hat ;-). Und sehr schön auch, dass die fast 30 Seit­en Typoskript von “Leichtlebig” als Fak­sim­i­le hinzuge­fügt wur­den — auch wenn sie so verklein­ert sind, dass sie wirk­lich ger­ade noch so zu lesen sind. Während “Argu­mente eines Win­ter­spaziergängers” mir noch recht unfer­tig vorkommt, wie eine frühe/erste Ver­sion erscheint, ist “Leichtlebig” schon recht weit aus­gear­beit­et — und in gewiss­er Weise schon ein typ­is­ch­er Bern­hard-Text.

Willi Jasper: Zauber­berg Riva. Berlin: Matthes & Seitz 2011. 271 Seit­en.

Willi Jasper schrieb hier eine Lit­er­aturgeschichte der eige­nen Art: Die Geschichte der Lit­er­atur und der Lit­er­at­en eines Ortes — eines realen (Riva am Gar­dasee) und eines imaginären/symbolischen (das Sana­to­ri­um). Das ist stel­len­weise eine faszinierende Mis­chung aus Lit­er­atur- und all­ge­mein­er Kul­turgeschichte der ersten bei­den Jahrzehnte des zwanzig­sten Jahrhun­derts, weil es Stränge der Geschichte zusam­men­führt, die son­st eher fern voneinan­der bleiben: Zum Beispiel vere­int dieser Ort Zauber­berg Riva neben Thomas und Hein­rich Mann auch Franz Kaf­ka, Sig­mund Freud, Her­mann Sud­er­mann, Chris­t­ian Mor­gen­stern und andere. Manch­mal hängt Jasper aber auch ein­fach in ein­er Beschrei­bung (über­haupt ist das eher deskrip­tiv als analysierend) bes­timmter Lebens­ab­schnitte bes­timmter Autoren fest — z.B. Hein­rich Mann, mit dem er sich sehr gut ausken­nt.
Natür­lich spielt auch die Neuras­the­nie eine entsprechend große Rolle — dafür, für diese “Mode”-Krankheit des frühen zwanzig­sten Jahrhun­derts, der nervlichen Erschöp­fung angesichts der rasenden Zeit und der rasenden Umstände der Mod­erne, waren die Sana­to­rien unter anderem ja ger­ade “zuständig” — als eine Art Erhol­ung­sheim, eine Aufhe­bung des gewöhn­lichen Lebens mit seinen moralis­chen und gesellschafltichen Pflicht­en und Zwän­gen, eine Zeit der (tem­porären) Befreiung und Aufhe­bung. Schade nur, dass er ger­ade dies, den eigentlichen Ort, immer wieder über län­gere Streck­en etwas aus den Augen ver­liert und dann nur noch “nor­male” Lit­er­aturgeschichte ist. Ein beein­druck­endes Panora­ma, das eben über die eigentliche Lit­er­atur hin­aus­ge­ht, aber doch nicht nur bloße Kul­turgeschichte ist, ist Zauber­berg Riva den­noch — und ger­ade darin, in seinem eige­nen Blick, aus­ge­sprochen anre­gend.

Paul Bogaert: Der Soft-Slalom. Her­aus­gegeben und über­set­zt von Chris­t­ian Fil­ips. Leu­ven u.a., rough­books 2013 (=rough­book 027). 65 Seit­en.

Crazy, was der Bel­gi­er Bogaert da geschaf­fen hat — das liegt ja nahe, wenn man den Über­set­zer als Lyrik­er schon ken­nt …
Der Soft-Slalom ist eine Art erzäh­len­der Gedichtzyk­lus in num­merierten Kapiteln und Einzelgedicht­en, die sehr nahe an der Prosa sind/bleiben (zumin­d­est in der deutschen Ver­sion, die flämis­che kann ich nun lei­der nicht beurteilen, auch wenn das rough­book bei­de Sprachen bietet), in sprach­lich­er Hin­sicht spielerisch und ver­spielt. Inhaltlich bleibt mir das meiste kryp­tisch — was vielle­icht nur teil­weise an den Tex­ten selb­st liegt:

Heute müssen Namen erdacht wer­den,
damit wir später einen übrig haben.
[…] Später erst, viel später, als all das neu­tral­isiert ist,
der Soft-Slalom, na, ist das was,
da umfasst mich, tauber inzwis­chen
und blind­er, super­sacht
eine Umar­mung von hin­ten

“Hast du diesen Satz ver­standen?”, heißt es ein­mal, und: “Kommt das gut? Ergreift es dich?” Das ist tat­säch­lich die Frage, die sich mir bei der Lek­türe dieser Gedichte beson­ders deut­lich stellt: Habe ich das ver­standen? Bedeutet (mir) das etwas? Doch mit­ten­drin ver­steck­en sich auch ein­fach schöne Momente hier drin (zumin­d­est ver­steck­en sie sich für mich oder vor mir .…):

Es herrscht Trubel
und mit­ten­drin bemerkst du
eine Man­i­fes­ta­tion. Fühlst du, wie
die Sit­u­a­tion
sich zu bewe­gen begin­nt?

Rain­er Stoll­mann: Die Entste­hung des Schön­heitssinns aus dem Eis. Gespräche über Geschicht­en mit Alexan­der Kluge. Berlin: Kad­mos Kul­turver­lag 2005. 154 Seit­en.

Alexan­der Kluge erk­lärt im Gespräch mit Rain­er Stoll­mann die Geschicht­en aus seinem Band “Die Lücke, die der Teufel läßt” (2003) — und zugle­ich sich selb­st und vor allem die ganze Welt. Wie immer bei Kluge-Gespräche ist das klug und meist ein­leuch­t­end, nicht sel­ten über­raschend, weil Kluge Fak­ten aus allen Wis­sens­ge­bi­eten auf unge­wohnte Verbindun­gen abklopft und auch noch Verbindun­gen sieht oder zieht, wo ich beim besten Willen keine (mehr) sehen kann. Manch­mal ist das in dem etwas besser­wis­serischen Ges­tus des Alles-Durch­schauers aber dur­chaus auch etwas ner­vend. Doch das Gefühl habe ich bei Kluge öfters …

abendlied

abend­lied, lago di como

herb­st, wenn die kas­tanien die waf­fen steck­en,
mor­gen­sterne ring­sum ver­streut am boden
liegen. in den zweigen die vogel­beeren
             prahlen mit ihrem

gift. nun ruhen sie, all die angel­hak­en
auf dem grund, die holz­boote in den schup­pen
während sich die blät­ter in rauch ver­wan­deln,
             ruhen die villen

aus von ihrem prunk, und ein saum lat­er­nen
tren­nt die prom­e­nade vom see. die leere
aut­ofähre trägt eine let­zte ladung
             licht übers wass­er.

— Jan Wag­n­er, Aus­tralien, 21

Tristano No. 6665

“Mul­ti­pler Roman in Einze­laus­gaben” ist der offzielle Unter­ti­tel dieses Büch­leins von Nan­ni Balestri­ni. Meines hat die Nr. 6665 (knapp daneben …) und ist ein­er von 109027350432000 Tristano No. 6665Roma­nen. Nun hat Balestri­ni natür­lich nicht eine solch irrsin­nige Zahl an Büch­ern geschrieben: Der Witz am “Tris­tano” ist, dass per Zufall­sal­go­rith­mus (im Com­put­er) die 20 Abschnitte für jedes der 10 Kapi­tel neu ange­ord­net weden. 1966, als Balestri­ni die Idee dazu hat­te, war das druck­tech­nisch noch nicht wirk­lich umzuset­zen — dank Dig­i­tal­druck ist das heute auch für Suhrkamp kein Prob­lem mehr. Die Entste­hung der Textblöcke ist dabei übri­gens auch schon ein Ergeb­nis kom­bi­na­torisch­er Prozesse: Balestri­ni hat aus ver­schiede­nen Quellen Sätze ent­nom­men, sie ihrer inneren Satzze­ichen beraubt und mehr oder min­der zufäl­lig gerei­ht. So viel also ganz kurz zu der Entste­hung des Romans.

Das ist — aus­nahm­sweise — nicht belan­g­los, weil es sich natür­lich mas­siv im Text nieder­schlägt: Eine “nor­male” Geschichte, eine herkömm­liche Hand­lung, ein linerar­er Plot — das alles gibt es hier nicht. Wohl gibt es wiederkehrende Motive — die aber in sich und in ihrer Verknüp­fung sehr unklar bleiben. Denn alle (!) Eigen­na­men wer­den durch ein uni­verselles “C” erset­zt. Trotz­dem lassen sich eine männliche und eine weib­liche Fig­ur unter­schei­den, die miteinan­der in Beziehung treten und diese auch wieder ver­lassen (Tris­tan!). Viel ließe sich sicher­lich kon­stru­ieren. Aber das funk­tion­iert natür­lich nur bed­ingt: Zum einen ist ja jedes Buch anders, hat eine eigene “Geschichte” durch die zufäl­lige Rei­hen­folge (wie hoch wäre eigentlch die Wahrschein­lichkeit, dass da zwei Mal das gle­ich Ergeb­nis her­auskommt?), zum anderen ist der Spaß an diesem Exper­i­ment eher, zu schauen, was mit Wörtern, Sätzen, Abschnit­ten passiert — wie sich manch­mal “Sinn” ergibt, wie er sozusagen aus Verse­hen “passiert”, wie die Sig­nifikan­ten sich — im Lese­prozess des wahrnehmenden Sub­jek­ts — eben doch wieder zu einem/mehreren Sig­nifikat­en gezwun­gen sehen, wie Leser und Text danach streben, sinnhaltig zu sein. Das allerd­ings ist zwar zunächst faszinierend zu beobacht­en, wird aber auch ermü­dend. Dabei umfasst der Tris­tano ger­ade mal 120 Seit­en. Doch das reicht mehr als genü­gend aus, das Prinzip und seine Fol­gen zu ver­ste­hen, begreifen und erfahren. Und auch zu erlei­den. Denn so span­nend das nar­ra­tol­o­gisch, semi­ol­o­gisch — kurz: intellek­tuell — ist bzw. erscheint, so trock­en kann die Lek­türe wer­den: Man hängt oft sehr in der Luft, sucht beim Lesen nach sinnhalti­gen Fun­da­menten oder Hor­i­zon­ten — das ist schon inter­es­sant, das an sich selb­st zu beobacht­en. Da aber der Text/die Texte durch die Mon­tage der Sätze aus fremder Urhe­ber­schaft und unbekan­nten Kon­tex­ten (manch­mal kann man etwas erah­nen, z.B. die wieder­holten Frag­ment zu Text und Erzählthe­o­rie1) auch sprach­lich nur sehr bed­ingt faszinieren (zumin­d­est in der deutschen Über­set­zung von Peter O. Chot­je­witz) ist das let­ztlich ein eingeschränk­tes Vergnü­gen: “Als ich diese Texte las fand ich sie nicht nur bedeu­tungs­los son­dern auch ohne irgen­dein Ele­ment das sich auf das vorgegebene The­ma bezieht. Ich bin so unglück­lich daß ich am lieb­sten ster­ben möchte.”

Dafür wird man neben den 120 Seit­en “Roman” (die den für Suhrkamp aus­ge­sprochen hohen Preis von 15 Euro haben) auch noch reich­lich mit Para­tex­ten ver­sorgt: Eine Vorbe­merkung des Ver­lags, eine Notiz des Autors eine Vor­wort von Umber­to Eco (zum Ver­fahren der Kom­bi­na­torik in der Geschichte der Wis­senschaften und Kün­ste, weniger zum “Tris­tano” selb­st), einem nachgestell­ten ana­lytis­chen Vor­wort zur franzö­sis­chen Aus­gabe 1972 von Jacque­line Rist und schließlich noch eine lit­er­aturgeschichtliche Einord­nung des “Tris­tano” in die exper­i­mentelle (Prosa-)Literatur des 20. Jahrhun­derts und das Lebenswerk Balestri­nis durch Peter O. Chot­je­witz — fast mehr Para- als ‑Text also …

Nan­ni Balestri­ni: Tris­tano No. 6665 von 109027350432000 Roma­nen. Ein mul­ti­pler Roman in Einze­laus­gaben. Frank­furt am Main: Suhrkamp 2009. 120+XXXII Seit­en. ISBN 978–3‑518–12579‑3.

 

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  1. “Es wird drin­gend emp­fohlen das Buch bis zum Ende zu lesen. Je weit­er man kommt desto pack­ender wird es.”, heißt es z.B. ein­mal. Oder: “Es ist nicht nur ver­boten den nor­malen Gebrauch­swert der Sätze und ihre Eig­nung zur Kom­mu­nika­tion zu hin­ter­fra­gen sie erfahren zur gle­ichen Zeit auch eine zen­tripetale und zen­trifu­gale Beschle­u­ni­gung.”

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