Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: franz liszt

Taglied 11.3.2017

Yury Mar­tynov spielt die Liszt-Tran­skrip­tion der Beethoven-Sin­fonien ganz wun­der­bar. Hier ist es der vierte Satz aus der ersten Sin­fonie:

BEETHOVEN by LISZT — Sym­pho­ny No. 1 in C Major, Op. 21: IV. Ada­gio — Yury Mar­tynov

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Ins Netz gegangen (31.12.)

Ins Netz gegan­gen am 31.12.:

Taglied 21.12.2011

Ein Wiener Stre­ichquar­tett — klar, Mozart und Beethoven, nicht? Von wegen. Das radio.string.quartet.vienna spielt eher in der tra­di­tion des kro­nos-quar­tet: alles, was ihnen unter die Bögen kommt. Viel Pop- und Jaz­z­s­tan­dards (nicht ohne Grund veröf­fentlichen sie auf dem ACT-Label), aber auch ganz anderes — allerd­ings immer in eige­nen Arrange­ments, mit viel Klangspiel und vor allem Musikalität. Das macht Spaß und regt an. Zum Beispiel der fan­tastis­che Liebe­straum von Franz Liszt, auf der 2011 erschienen CD “radio­dream”:

Franz Liszt lebt

Jubiläen sind wohl nir­gends so wichtig wie in der Musik­branche. Zu jedem halb­wegs run­den Todes- und Geburt­stag wer­den die Pro­gramme geän­dert, jed­er meint, unbe­d­ingt etwas passendes aufzuführen (natür­lich aber nur, wenn es um “große” Kom­pon­is­ten geht). In die Kat­e­gorie “Jubiläumshype” passt auf den ersten Blick auch “The Liszt Project”, wie die Dop­pel-CD, die Pierre-Lau­rent Aimard — immer­hin ein­er mein­er allzeit-Lieblingspi­anis­ten — im Früh­jahr für die Deutsche Gram­mophon aufgenom­men hat.1 Aber diese zwei CDs erheben sich aus der Masse der Pflicht-Erin­nun­gen. Aus einem Grund: Pierre-Lau­rent Aimard. Der hat näm­lich (natür­lich) nicht ein­fach ein paar bekan­nte Liszt-Werke zusam­menge­sucht und aufgenom­men. Nein, er macht etwas anderes — etwas besseres: Er kon­fron­tiert einige, wenige aus­gewählte Liszt-Kom­po­si­tio­nen mit ganz viel ander­er Musik: Mit Wag­n­er (Klavier­son­ate As-Dur), mit Scri­abin und Rav­el, aber auch mit Bartók, Berg, Mes­si­aen und dem 1959 gebore­nen Mar­co Strop­pa. Und das hat ganz viel Sinn und Bedeu­tung — son­st würde er es ja nicht machen. Vor allem aber: Diese Kon­fronta­tion stellt Liszt in ganz ver­schiedene Tra­di­tion­szusam­men­hänge, zeigt — auch uner­wartete — Beziehun­gen. Und ergibt ein wun­der­bares Ganzes. Das Pro­gramm ist also — schon auf dem Papi­er — überzeu­gend. Aber das ist nicht alles.

Ich bin jeden­falls ger­ade total begeis­tert und fasziniert von dieser CD: Wahrschein­lich ist das in der Summe und im Detail eine der besten Klavier-CDs, die ich kenne (und besitze). Allein schon wegen der grandiosen Auf­nah­me­tech­nik, die dem Flügel eine unver­gle­ich­liche Präsenz ver­schafft,2 eine grandiose Detailau­flö­sung (auch im räum­lichen — jed­er Ton hat seinen eige­nen Platz!) hören lässt und ein­fach verblüf­fend real­is­tisch klingt.

Vor allem ist die CD aber großar­tig, weil sie musikalisch begeis­tert. Und das liegt, wenn man es auf den Punkt brin­gen will, an der lebendi­gen Genauigkeit, mit der Pierre-Lau­rent Aimard arbeit­et (spie­len mag das kaum nen­nen). Ger­ade die Vernüp­fung von unge­heuer detail­ver­liebter Genauigkeit, die wirk­lich an jedem Ton bis zur Ver­vol­lkomm­nung arbeit­et, mit der agogis­chen und phrasieren­den Lebendigkeit ist Aimards Marken­ze­ichen.3

Immer wieder fasziniert mich ja seine Fähigkeit, nicht nur die for­male Gestal­tung sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene vol­lkomen im Blick zu haben, son­dern vor allem seine unmen­schlich genaue klan­gliche Dif­feren­zierung (und ihre Diszi­plin­ierung), mit der er das Ton wer­den lässt.

Ein paar High­lights bish­er: Unbe­d­ingt die vitale, fast strahlende Sonate op. 1 von Alban Berg, die trotz ihrer Konzen­tra­tion ganz ungezwun­gen und natür­lich wirkt.

Dann selb­stver­ständlich die h‑moll-Sonate von Liszt selb­st:4 Kein pianis­tis­ches Bravourstück, keine trock­ene For­mübung und auch kein Kampf musikalis­ch­er Charak­tere: Das ist aus­geglichen, aber nie blass; ver­mit­tel­nd, aber alle Seit­en und Aspek­te genau vol­lziehen. Wahrschein­lich ist es ger­ade dieser Aspekt, möglichst viel­seit­ig zu spie­len, möglichst viele Facetten eines Werkes lebendig wer­den zu lassen, ohne einige oder wenige davon zu abso­lu­tieren, der mich hier und bei dem Rest der Auf­nahme so anzieht. Das ist in der Prax­is natür­lich nie ein­fach, weil so eine umfassender Inter­pre­ta­tionsver­such oft reich­lich blass und lang­weilig wirkt und nur den Ein­druck erweckt, der Inter­pre­ta­tion wolle es um jeden Preis ver­mei­den, einen Stand­punkt zu beziehen. Davon kann hier aber keine Rede sein.

Auch die/das (?) “Tan­ga­ta manu” von Mar­co Strop­pa ist beein­druck­end: Diese Musik passt fast naht­los zwis­chen Liszts Vogel­predikt des Franz von Assisi aus den “Année de Pélèri­nage, Band II und den Wasser­spie­len der Vil­la Este (aus Band III). Das ist auch eine Form, mod­erne und zeit­genös­sis­che Musik dem Hör­er nahezubrin­gen — ganz ohne großes didak­tis­ches Klim­bim, son­dern eben ein­fach als Musik, die man als Weit­er­en­twick­lung klassischer/romantischer Mod­elle hören kann.5 Über­haupt ist der zweite Teil/die zweite CD fast ein einziger Klan­grausch, durch­weg auf höch­stem Niveau. Auch Rav­els “Jeux d’eau” sind schlicht grandios.

Was mich (wieder ein­mal) aber ziem­lich abschreckt, ist die Gstal­tung der CD. Abge­se­hen davon, dass sie über­säht ist mit Aufmerk­samkeit­shasch­ern, mit mehrern Aufk­le­bern bek­lebt, ver­steckt sie ger­ade die wichti­gen Infor­ma­tio­nen — näm­lich die Spielfolge — ziem­lich gut. Dafür sind noch ein paar nichtssagende Sätze und über­schwänglich­es Lob draufge­druckt wor­den … Immer­hin, der Kom­pon­is­ten­name ist ein biss­chen größer als der Aimards — auch keine Selb­stver­ständlichkeit, bei vie­len CDs scheint der Inter­pret heute (zumin­d­est typografisch) wichtiger zu sein als der Kom­pon­ist. Dafür aber in ein­er reich­lich selt­samen, eigentlich unapssenden Schrift …

Schade auch, dass die Deutsche Gram­mophon, die doch so stolz auf ihre Tra­di­tion ist, dem kein vernün­ftiges Bei­heft mehr spendiert: Ein klitzek­leines Inter­view mit dem Pianis­ten ist da drin — son­st nichts. Kein­er­lei mehr oder weniger ana­lytis­chen Anmerkun­gen, keine (musik-)historischen Einord­nun­gen, nichts. So kann man das Niveau auch immer wieder unter­bi­eten …

Davon mal abge­se­hen (und das merkt man beim Hören ja glück­licher­weise nicht): Eine CD zum glück­lich Wer­den. Ein­deutig.

The Liszt Project. Pierre-Lau­rent Aimard spielt Bartók, Berg, Mes­si­aen, Rav­el, Scri­abin, Strop­pa, Wag­n­er und Liszt. Deutsche Gram­mophon 2011.

Show 5 foot­notes

  1. Warum das als “Pro­jekt” verkauft wird, ist mir vol­lkom­men unklar — abge­se­hen davon, dass “Pro­jekt” irgend­wie mod­ern und hip klingt (klin­gen soll). Schließlich ist das nichts anderes als die Stu­diover­sion eines erprobten Konz­ert­pro­gramms.
  2. Das ist — obwohl das Klavier ja sozusagen ein Stan­dard­instru­ment ist — alles andere als die Regel!
  3. Seine Auf­nahme der Bach­schen “Kun­st der Fuge” weist — in ganz anderem Zusam­men­hang — eben­falls genau diese Qualität(en) auf.
  4. Sehr sin­nvoll übri­gens auch, die h‑moll-Sonate an den Schluss des ersten Teils zu stellen — das Ende, die let­zten Töne, mit denen auch die erste CD auskling, wirken so ein­fach grandios …
  5. Wobei der Umstand, dass Liszt (nicht nur) hier als fast pro­to-mod­ern­er Kom­pon­ist gezeigt wird, sozusagen die andere Seite dieser Medaille ist.

Der Sommer ist Musik

Wenn schon das Wet­ter nicht mit­spielt, dann wenig­stens die Kun­st: Der Mainz­er Musik­som­mer ist wieder eröffnet:

Keine leichte Sache wird das: Von 16. bis zum 20. Jahrhun­dert reicht die Spanne, von franko-flämis­ch­er Vokalpoly­phonie bis zu spätro­man­tis­chen Chor­liedern. Das Eröff­nungskonz­ert des Mainz­er Musik­som­mers im Dom ist damit fast ein kleines Fes­ti­val in sich.

Ein­fach ist das nicht, so eine große Vielfalt in einem Konz­ertabend zusam­men­zubrin­gen und jedem einzel­nen Werk auch gerecht zu wer­den. Doch Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschft gelingt das mit dem Domkam­mer­chor richtig gut. Sich­er, die Spezial­is­ten wür­den die Chor­musik der Mainz­er Hofkapellmeis­ter wie Gabriel Plautz, Philipp Friedrich Buch­n­er oder Johann Zach schon anders sin­gen. Aber auch Bre­itschaft find­et einen guten Weg. Einen san­ften vor allem:

Immer wieder fällt in diesen litur­gis­chen Chorsätzen aus dem Renais­sance- und Barock-Mainz der weiche Chork­lang auf, den Bre­itschaft formt. Der Domkam­mer­chor und seine Solis­ten lassen den Klang förm­lich in die Domhalle fließen, ohne die Kon­trolle über die Kon­turen zu ver­lieren – und mit der Fähigkeit, immer wieder klare Akzente zu set­zen und Höhep­unk­te zu for­men.
Der Sprung in die Roman­tik ist dann freilich doch genau das: Ein Sprung. Und ein recht großer noch dazu. Zumal Franz Liszts „Präludi­um und Fuge über B‑A-C‑H“ für Orgel ja auch nicht zurück­hält mit großen Gesten, har­monis­chen Kühn­heit­en und klan­glichen Effek­ten.

Domor­gan­ist Daniel Beck­mann, der in der ersten Hälfte den Chor auch schon mit Cel­listin Traudl Eutebach im Gen­er­al­bass unter­stützt hat, übern­immt die Auf­gabe, diesen Sprung auszuführen – und tut das gewandt, ohne die Boden­haf­tung zu ver­lieren. Wo andere Organ­is­ten sich gerne aus­to­ben, bevorzugt er eher gemäßigte Tem­pi und nimmt sich auch Zeit für Ruhep­unk­te – so bleibt auch in der Domakustik noch vieles erkennbar. Vor allem aber ist es seine sehr fan­tasievolle, abwech­slungsre­iche und ein­fühlsame Reg­istrie­ung, die nicht nur das Poten­zial der Orgel auskostet, son­dern auch dem Werk zur vollen Gel­tung ver­hil­ft.

Der Domkam­mer­chor nimmt das dann direkt auf: Mit drei Motet­ten von Liszt zeigt er sich in der zweit­en Konz­erthälfte deut­lich far­biger als zuvor in der Abteilung „Alte Musik“, deut­lich vielfältiger auch in Dynamik und Artiku­la­tion. Vor allem zum Schluss hin steigern sich die nach­den­klichen Innigkeit­en: Sorgsam und faszinierend detail­re­ich ent­fal­tet Bre­itschaft schon Hugo Wolfs „Geistliche Lieder“, behut­sam und bedacht lässt er ihre res­ig­na­tiv-erlöste Endzeit­stim­mung genau aus­for­men. Und mit der Motette „Schaffe in mir Gott“ von Johannes Brahms, die zumin­d­est for­mal noch ein­mal den Bogen zum Anfang des Konz­ertes schlägt, kann er das sog­ar noch ein biss­chen über­bi­eten: Mit geziel­tem Kraftein­satz, mit präzis geset­zten Höhep­unk­te und trotz aller klan­glichen Delikatesse vor allem mit viel begeis­tertem Schwung.

(geschrieben für die Mainz­er Rheinzeitung.)

Liszt zum Zweihundertsten

2011 als Jubiläum­s­jahr — sein Geburt­stag jährt sich zum 200. Mal — war der offen­sichtliche Anlass für diese Buch: Wolf­gang Döm­lings kleine Biogra­phie “Franz Liszt”. Erschienen ist das in der von mir grund­sät­zlich sehr geschätzen Rei­he “Wis­sen” des Beck-Ver­lags. Aber da passt dieses Buch kaum rein — im Gegen­satz zu anderen dort erschienen Bänd­chen hat es mich sehr ent­täuscht, obwohl es in der Taschen­buchkolumne der Süd­deutschen Zeitung sehr direkt emp­fohlen wurde. Und zwar war ich sowohl inhaltlich als auch for­mal und sprach­lich ziem­lich ent­täuscht.

Fan­gen wir mit dem pin­gelig­sten an, den For­malal­itäten: Ent­ge­gen der Rei­hen-Gepflo­gen­heit­en gibt es hier über­haupt keine vernün­fti­gen Lit­er­aturhin­weise: Döm­ling erwäh­nt den MGG-Artikel — und genau ein Buch.1 Das war’s auch schon — sehr ent­täuschend. Und auch wenig hil­fre­ich. Es gibt doch bes­timmt auch gute musik­wis­senschaftliche, werk­an­a­lytis­che Lit­er­atur zu Liszt, die dem Leser etwas weit­er­helfen kön­nte.2 Damit hängt vielle­icht auch das inhaltliche Prob­lem zusam­men … — aber dazu später noch etwas.

Sprach­lich fall­en sofort die Satz-Ungetüme oder ‑Unge­heuer auf: Döm­ling häuft näm­lich gerne in einem Satz alles an, was ihm so an Infor­ma­tion über den Weg läuft — mit unzäh­li­gen Ein­schüben, Appo­si­tio­nen, Rel­a­tivsätzen und so weit­er. Und irgend­wann, das ist bei ihm gar nicht sel­ten, ist der ursprüngliche Satz gar nicht mehr zu erken­nen. Ob der trock­ene, spröde Stil (der nur auf den let­zten Seit­en, wo es um Liszts Spätwerk geht, einige Funken schlägt) als Plus- oder Minus­punkt zu werten ist, bleibt sich­er Geschmack­sache. Ich fand es oft arg dürr.

Und inhaltlich? Das hängt dur­chaus wieder mit der sprach­lichen Gestal­tung zusam­men. Döm­ling gibt sich gerne etwas besser­wis­serisch, etwas pater­nal­is­tisch belehrend erzählt er den Lebensweg in groben (oft nur sehr bruch­stück­haften) Umris­sen, greift gerne mal auf das “wie bekan­nt” zurück. Dabei hat er offen­bar dur­chaus den Laien im Blick, vieles musik­fach­lich­es wird von ihm näm­lich gut und knapp erk­lärt, die fach­lichen Voraus­set­zun­gen hält er aus­ge­sprochen niedrig: Selb­st eigentlich banale Dinge wie das Transponieren oder vom-Blatt-Spie­len erk­lärt er mehrfach (aber wer eine Vir­tu­osen- & Kom­pon­is­ten­bi­ogra­phie liest, wird solch ele­mentare Sachver­hal­ten doch wohl unge­fähr parat haben …). Das sieht dann z.B. mal so aus:

 

1834 begeg­nete Liszt der Schrift­stel­lerin George Sand (nom de plume für Aurore Dude­vant), ein­er Frau, deren Klis­chee­bild in der Nach­welt, beson­ders der deutschen, recht unfre­undlich ist: als hosen­tra­gende, zigar­ren- und män­nerver­schlín­gende Emanze, die viele schlechte Romane geschrieben hat und nur als Pflegerin-Muse des unglück­lichen Chopin in Erin­nerung bleibt. (Eine der mit steter Regelmäßigkeit auf­tauchen­den Kul­turver­anstal­tun­gen in deutschen Städten heißt “Ein Win­ter auf Mal­lor­ca”, mul­ti­me­di­al gestal­tet mit ein­er Lesung aus Sands gle­ich­namigem Buch, mit Licht­bildern und mit Chopins Musik — darunter natür­lich das “Regen­tropfen-Prélude”, das freilich als solch­es nur in der pop­ulären Über­liefer­ung iden­tifizier­bar scheint …) Sand und Chopin lern­ten sich übri­gens bei Liszt ken­nen. Der Win­ter auf Mal­lor­ca 1838/1859, worunter man sich heute vielle­icht etwas “Ror­nan­tis­ches” vorstellt, war voller mehr oder weniger schreck­lich­er Erleb­nisse. (Welch selt­same Idee ja auch, mit zwei Kindern und einem Pianis­ten und Kom­pon­is­ten, Großs­tadt­men­sch und krank dazu, sich im Win­ter auf eine unwirtliche und ungastliche Insel zurück­zuziehen!) 3

 

Gut gelingt Döm­ling aber auch manch­es, vor allem die (musik-)historische Situ­ierung und Einord­nung Liszts, sein­er Konz­ert­prax­is und sein­er Kom­po­si­tio­nen. Das nimmt zar nur sehr wenig Raum ein, aber immer­hin nimmt er sich die Zeit und den Platz — gerne auch mit entsprechen­den Rück­blick­en, zu klar soll es ja nicht wer­den — zu schildern, was an Listzs Treiben Beson­der­heit oder Nor­mal­ität im 19. Jahrhun­dert war — das ist ein sehr guter Zug.

Im ganzen wirkt das aber auf mich noch arg unfer­tig, wie eine Vorstudie für ein “richtiges” Buch: Döm­ling springt fleißig hin und her, ohne das immer aus­re­ichend deut­lich zu machen, begin­nt irgend­wie immer wieder neu. Deut­lich wird das vor allem in sein­er Darstel­lung der 1830er: Liszts Konz­ertkar­riere darf hier unzäh­lige Male neu begin­nen — aber über das wie, das was und vor allem das warum erfährt man dann doch her­zlich wenig. Über­haupt, der Konz­ertkün­stler Liszt ist hier total unter­be­lichtet, ger­ade was die zeit­genös­sis­che Rezep­tion ange­ht, aber auch, was seine eigentlichen Unternehmungen bet­rifft.
Dazwis­chen, in dieser Mate­ri­al­samm­lung oder diesem Stein­bruch, ste­hen dann doch immer wieder kluge Sätze, die Ein­sicht und Ein­füh­lungsver­mö­gen ver­rat­en und den Leser wieder ver­söh­nen.4 Schade nur, dass es so wenige bleiben und dass sie so ver­streut sind. Seine Andeu­tun­gen haben aber irgend­wie Meth­ode: Das geschieht immer auf ähn­liche Weise, wie z.B. Liszts Beziehung zu Wag­n­er:

Cosi­mas detail­lierte Tage­buch­no­tate sagen dazu mehr als genug.5

Toll, dass Döm­ling das weiß. Ich hätte es auch gerne erfahren …

Mein Haupt-“Problem” bei der Lek­türe des biographis­chen Abriss­es aber: Mir scheint, er hat keine wirk­liche Deu­tung des Lebens, keine Inter­pre­ta­tion des Lebensweges — deswe­gen wirkt das so akademisch, weil er über große Teile des Textes nur die äußeren Sta­tio­nen abhan­delt, die Psy­cholo­gie des Kom­pon­is­ten aber keine (bzw. nur eine kleine) Rolle spielt. Dazu kommt dann noch eine eher ver­wun­der­liche Zurück­hal­tung, was die Beschrei­bung und/oder Analyse der Musik Liszts ange­ht — das ist oft erschreck­end und ärg­er­lich kurz, ober­fläch­lich und nichtssagend. Von einem Musik­wis­senschaftler, der sich schon länger mit Liszt beschäftigt, hätte ich ger­ade in diesem Punkt deut­lich mehr erwartet.

Also, in meinen Augen keine empfehlenswerte Biogra­phie, auch im Jubiläum­s­jahr nicht: Wer noch keine Ken­nt­nisse der Biogra­phie Liszts hat, wird sich hier­mit wohl schw­er­tun. Und warum die Süd­deutsche das empfehlenswert fand, erschloss sich mir über­haupt nicht.

Wolf­gang Döm­ling: Franz Liszt. München: Beck 2011 (Wis­sen). ISBN 978–3‑406–61195‑7. 112 Seit­en.

Show 5 foot­notes

  1. Der MGG-Artikel von Detlef Altenburg ist dur­chaus zu recht erwäh­nt, der ist schon sehr gut. Und dass Döm­ling sich bei Burg­ers Bild- und Doku­ment­band fleißig bedi­ent hat (natür­lich nur, was die Texte ange­ht, Bilder gibt es in dieser Rei­he ja nicht), merkt man im Text deut­lich.
  2. Ich kenne mich da nicht wirk­lich aus — aber Döm­ling ist ja mit Werk­analy­sen oder wenig­stens ‑beschrei­bun­gen auch ärg­er­lich extrem zurück­hal­tend.
  3. S. 34f. — so ste­ht das wirk­lich mit­ten in ein­er Liszt-Biogra­phie. Und das ist nicht die einzige der­ar­tige Stelle, solche und ähn­liche Seit­en­hiebe gibt es unzäh­lige …
  4. Zum Beispiel die weni­gen, knap­pen, aber m. E. sehr genau tre­f­fend­en Sätze zur Heimat-Idee Liszts, zu sein­er Beziehung zu Ungarn — das hätte dur­chaus Poten­zial zur Ausar­beitung gehabt …
  5. Und damit ist Döm­ling auch fast am Ende sein­er knappe Schilderung der Begeg­nung Wag­n­er-Liszt im Win­ter 1882/83, S. 100.

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