Wol­fram Malte Fues: InZwis­chen. Mit Zeich­nun­gen von Thitz. München: Allit­era Ver­lag 2014 (Lyrikedi­tion 2000). 127 Seit­en.

fues, inzwischenEin dur­chaus fein­er Lyrik­band, der mir mit seinen oft sehr lakonis­chen, auf bru­tale Kürze zusam­mengedampften Gedicht­en einige Lese­freude bere­it­ete. Fues beschreibt vor allem die Ding­haftigkeit der Welt und ihre Erschei­n­un­gen, der Gegen­stände und Zustände, Dinge und Geschehen. Sein bevorzugtes Mit­tel ist es, Beobach­tun­gen oder Tat­sachen ein­fach unver­mit­telt aufeinan­der­prallen zu lassen. Das wird auch sprach­lich immer wieder deut­lich: Fues bevorzugt Kon­traste, das schwarz-weiß, den Vorder- und Hin­ter­grund, jet­zt und früher, unten oder oben und so weite. Die wer­den oft direkt gegenübergestellt, ohne Ver­mit­tlung, ohne ein Zwis­chen. Denn genau um dieses “Zwis­chen” geht es, um den Raum, der von den Begrif­f­en so eröffnet wird. Dazu passen auch die Ver­tauschun­gen, ger­ade der Kon­trast­paare:

Ein Baum wie
eine Antenne.
Eine Antenne
wie ein Baum.
Dem­nächst
botschaften Bäume
blühen Anten­nen. (44)

Manch­mal sind Sinn und Sprache der kurzen Gedichte der­maßen verk­nappt und reduziert, dass nur noch Rät­sel bleiben — Rät­sel, die ein leeres Gerüst der Sprache zeigen, aus dem der Sinn aus­getrieben wurde ((z.b. 32). Dabei treibt ihn neben dieser Arbeit an der Sprache, die zwar reduziert, aber auch sehr konzen­tri­ert wird, ger­ade die Frage der Kausal­ität oder nur der Kor­re­spon­denz, der zeitlichen/räumlichen (sprach­lichen) Folge beson­ders um. Der Titel, das “Zwis­chen”, das ist auch in sein­er Sprache das Span­nende: Das da-/in-/-/zwis­chen in der Abfolge, der Kausal­ität, der Entwick­lung, der Kor­re­la­tion (oder auch nicht, der nur so scheinen­den …). Auf die Strichze­ich­nun­gen von Thitz hätte ich gut verzicht­en kön­nen — für mich sind das bloße — oft genug schlechte, weil banale — Illus­tra­tio­nen des im Gedicht vork­om­menden, dabei allerd­ings sehr ober­fläch­lich.

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben. Berlin: Hanser Berlin 2014. 77 Seit­en (ebook)

seethaler, ganzes lebenDen Trafikant habe ich ja mit großem Vergnü­gen und Gewinn gele­sen. Deswe­gen hat mich Ein ganzes Leben ziem­lich ent­täuscht. Meine Lek­türeno­ti­zen sind sparsam: reich­lich lahm fand ich das während des Lesen, auch erzäh­lerisch ein­fach lang­weilig und charak­ter­los. Der Text begin­nt etwas wie Stifter (auch sachen wie der am Beginn und Ende auf­tauchende Hörn­er­hannes und die sagen­hafte “Kalte Frau” weisen auf die Ver­wand­schaft hin), dann kommt noch ein biss­chen Wim­schei­der und eine gehörige Por­tion Franz Inner­hofer dazu. Seethaler erzählt ein Leben (aber ist das in irgend ein­er Hin­sicht ein ganzes? Da sind viele Lück­en …) eines Mannes, der als Waise in ein öster­re­ichis­ches Gebirgstal kommt und dort — mit Aus­nahme des Zweit­en Weltkrieges — und einem späten, ver­sick­ern­den Aus­bruchsver­such nicht her­auskommt. Dafür arbeit­et er nach seinem Beginn als land­wirtschaftlich­er Tagelöh­n­er am Einzug des Fortschritts in das Tal in Form von Seil­bah­nen mit — eines Fortschrittes, der aber min­destens so unmen­schlich ist wie das harte Leben zuvor. Das ist tat­säch­lich so klis­chee­haft und ein­fall­s­los, wie das hier klingt … Ich ver­ste­he ehrlich gesagt die Begeis­terung der Rezensen­ten nicht so ganz — das ist mir alles zu banal und zu behäbig erzählt.

Elfriede Jelinek: Rein Gold. Ein Bühne­nes­say. Rowohl 2013. 223 Seit­en.

jelinek, rein goldEine Art Stre­it­ge­spräch zwis­chen Wotan und Brün­hilde am Schluss des “Ring des Nibelun­gen”. Aber Gespräch ist fast schon zu viel gesagt: Die bei­den Stim­men monolo­gisierend mehr ankla­gend abwech­sel­nd auf einan­der zu oder gegen einan­der. Es geht um alles, näm­lich die gesamte Welt und ihre Geschichte. Dabei kom­men bei­de immerzu von einem zum anderen, vom Hölzchen aufs Stöckchen — manch­mal ist es der Klang bes­timmter Wörter, der den Anschluss sichert, manch­mal ein the­ma­tis­ch­er Zusam­men­hang, manch­mal ein sys­tem­a­tis­ch­er oder ein per­son­aler. Das macht das Lesen so anstren­gend und schwierig: Wie eigentlich immer bei Jelinek ist auch Rein Gold total über­frachtet. Man muss sich selb­st eine Schneise durch diese Text­land­schaft schla­gen, seinen Weg suchen und dabei so manchen Irrgang nicht in Kauf nehmen. Dafür bekommt man eine Anklage der Macht, des auf (unbe­di­en­ten) Schulden beruhen­den Kap­i­tal­is­mus, der Aus­beu­tung über­haupt, dem Ver­hält­nist von Män­nern und Frauen und dem von Töchtern und Väter im beson­deren. Das ist oft witzig, tre­f­fend und genau, manch­mal aber auch absurd und man­isch, wie hier alles — also wirk­lich Gott und die Welt, schließlich ist Wotan ja nicht irgendw­er, wie er gerne betont, und Brün­hilde natür­lich auch nicht — durch den Textwolf gedreht wird.

Ich ver­ste­he noch immer nicht, was ich sage, muß es aber sagen. (210)

Dieses ewige Texband hat mir den Zugang hier vor allem auf den ersten paar Dutzend Seit­en ziem­lich erschw­ert: Wenn man nicht reinkommt in den Rhyth­mus der Gedanken und Worte, dann bleibt man aber auch wirk­lich draußen. Die schlechte Typogra­phie macht das Lesen des unbändi­gen Textes allerd­ings auch nicht leichter und ver­sagt damit total — die unpassende Type ohne Lig­a­turen ist der Anfang, dann ist der Satzze­ichen-Clash „!,“, der oft vorkommt, erstaunlich hässlich und vor den Aus­rufe- und Frageze­ichen so viel Luft, dass man manch­mal kaum weiß, wo die hinge­hören.

Es gibt nichts vom Geld Ver­schiedenes, denn es gibt nur Geld, es gibt Ver­schiedene, aber auch von ihnen kommt nur Geld, falls sie es schon vorher hat­ten, son­st sind sie gar nicht so ver­schieden. Son­st sind sie die gle­ichen wie wir. (89f.)

Alles Geld ist nichts ohne Ware, und die Ware ist nichts als ein beschnit­ten­er Jude, unvoll­ständig, aber unbe­stre­it­bar tüchtig, immer tüchtig, das sehe ich voraus, bis auch er endet, ach, ich weiß nicht, das sage ich, ein Gott, und die Ware ist das Wun­der­bare, die Ware ist das Wun­der, die wun­der­bare Ver­mehrung von allem, nicht nur Brot und Fis­chen, Jesus auch ein Pfos­ten, klar, ver­schenkt wird nichts, der hat das gemacht, aber er war ein Dil­lo, daß er geglaubt hat, das bringt ihm was, das bringt ihm Anhänger oder wie oder was, ich seh sie nicht, ich sehe sie noch nicht, was wollte ich sagen: Also die Ware ist das wun­dertätige Mit­tel, um aus Geld, das wan­dern muß, das zu einem bes­timmten Zweck, näm­lich diesem, wan­dern muß, son­st kann man sich dafür nichts kaufen, weil dann ja oft die Waren ganz woan­ders sind als das Geld, das eben wan­dern muß, um aus Geld mehr Geld zu machen, um mehr aus sich zu machen. Um aus Geld mehr Geld zu machen. Mehr Geld zu machen und aus. (125f.)

Matthias Nawrat: Unternehmer. Rein­bek: Rowohlt 2014. 137 Seit­en.

nawrat, unternehmerDer Schwarzwald in nicht allzu fern­er Zukun­ft: dein­dus­tri­al­isiert, aufgegeben, ver­lassen, nur noch eine Rest­bevölkerung schaut zu, wie die riesi­gen Trans­porter auf der Auto­bahn vor­bei nach Nor­den don­nern, in die Städte. Da lebt auch die klas­sis­che Fam­i­lie — Vater, Mut­ter, Tochter, Sohn — von Liba, der 13jährigen Erzäh­lerin in Nawrats kleinem, aber dur­chaus feinen Roman Unternehmer. Die Fam­i­lie, das ist der Witz, hat die Logik des Kap­i­tal­is­mus aufge­so­gen und über­nom­men, bis ins Let­zte des Fam­i­lien­lebens hinein. Die Kinder sind damit Teil des Unternehmens — eines ziem­lich dürfti­gen Restev­er­w­ert­ers, der in ver­lasse­nen Fab­riken und Kraftwerken nach Wert­stof­fen sucht. Das ist eine nicht ganz unge­fährliche Auf­gabe, der Sohn hat schon einen Arm ver­loren und wird während des Romans auch noch sein­er Beine beraubt. Nawrat führt hier also gewis­ser­maßen die neolib­er­al­is­tis­che Spielart des Kap­i­tal­is­mus nach dem Ende der Pro­duk­tion vor. Und er zeigt wun­der­bar, wie hohl die Phrasen der Ide­olo­gie (gewor­den) sind. Dazu dient ihm eine faszinierende Sprache, die — wie die Motive der Erzäh­lung — zwis­chen Naiv­ität und Raf­finiertheit, zwis­chen Spiel und tödlichem Ernst, zwis­chen Lock­er­heit und Strenge (in Ton und Satzbau gle­icher­maßen) pen­delt. Ger­ade dadurch, dass nicht alles expliziert wird, sich der Leser einiges dieser selt­samen Welt und Gesellschaft und Fam­i­lie zusam­men­reimen muss und auch oft genug auf Lück­en stößt, bleibt Unternehmer inter­es­sant. Schön auch, dass Nawrat seine Idee dann auch nicht über­mäßig auswalzt und sich mit 137 Seit­en beschei­det — mehr ist auch über­haupt nicht nötig, der Punkt ist dann schon längst klar: “Unternehmer­tum” ist eine leere Worthülle, die man noch als Spiel betreiben kann, die aber, wenn sie zur alleini­gen Ide­olo­gie gewor­den ist, die Leere ihrer selb­st vor­führt — und das Fehlen der “wahren” Werte wie Emo­tio­nen und Gefüh­le nur noch deut­lich­er wer­den lässt.

Die Garantie hier­für ist der Erfolg unser­er täglichen Arbeit. Also hängt alles vom Erfolg unser­er täglichen Arbeit ab, sagte Berti. Und diesen wiederum haben wir selb­st in der Hand, sagte ich. Es han­delt sich um einen Erfol­gskreis­lauf, den wir mit unser­er Arbeit in Bewe­gung hal­ten.

Kil­ian Jor­net: Lauf oder stirb. Das Leben eines bed­i­n­ungslosen Läufers. München: Malik 2013. 222 Seit­en.

jornet, lauf oder stirbZu diesem schö­nen und tollen Lauf­buch oder bess­er: Läufer­buch eines außeror­dentlichen Läufers habe ich drüben im Lauf­blog schon alles notwendi­ge gesagt: Viel Licht, ein biss­chen Schat­ten: Leseempfehlung für alle Ultra-Trail-Lauf-Inter­essierten.

außer­dem noch:

  • Friedrich Hölder­lin, Hype­r­i­on oder der Eremit in Griechen­land (Re-Lek­türe, weil August ist)