Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: einsamkeit

warum ich das laufen liebe. und den winter.

heute ist so ein tag, der das (tägliche) laufen wieder her­rlich und lohnend macht:
der schnee fällt und fällt seit dem mor­gen­grauen (der weg zum gottes­i­denst war kein großes vergnü­gen). aber sofort nach der rück­kehr vom dienst in die laufk­lam­tot­ten geschlüpft, den fore­run­ner ges­tartet und die salomon-schuhe (für den schnee) geschnürt: raus geht es, in den schnee und den win­ter­lichen wald. was schöneres gibt es für einen läufer kaum. gut, reko­rde bricht man bei diesem wet­ter nicht .… vor allem, da ich die gut 32 km von gestern noch etwas in den beinen merk­te. aber das ist bei so schönem wet­ter auch egal. ja, ich finde das wirk­li­ich aus­ge­sprochen schönes laufwet­ter. auch wenn die sonne nicht scheint. und auch, wenn es unun­ter­brochen schneit. gut, der wind hätte jet­zt nicht sein müssen — dann hätte ich nicht so viel schnee im gesicht gehabt. aber das kon­nte meine freude nicht trüben.

unter­wegs war ich auf ein­er “standard”-runde: über den buch­wald­skopf und son­nen­weg zum zirkel­berg, dann ein stück den kutschen weg hin­auf, ober­halb von erbuch durch den wald in einem großen bogen bis unge­fähr zum almen­hof und dann über den schachert ins dreisee­tal und zurück nach hause. das ist eine sehr schöne, weil sehr leere runde. nach dem ersten kilo­me­ter (mit schö­nen anstiegen) ver­schwindet man beim buch­wald­skopf im wald und lässt men­sch und ort hin­ter sich. am zirkel­berg muss man noch ein­mal kurz die straße über­queren, aber son­st ist man nur auf wald­we­gen unter­wegs. und bis zur rück­kehr ins dreisee­tal bei kilo­me­ter 13 auch meist ganz allein. nur der schluss hat dann noch ein kleines biss­chen straße — aber das ist min­i­mal.

so kann man oder ich zumin­d­est auf dieser runde ganz viel genießen. den schö­nen wald. die ab und an davon­stieben­den rehe. die zwitsch­ern­den vögel. vor allem aber die san­fte stille, die gedämpfte ruhe, die heute im schnee alles umgibt.

und dann nach 80 minuten die harte rück­kehr in die zivil­i­sa­tion: die autos brausen, die men­schen schip­pen schnee mit möglichst viel getöse, der son­ntags­brat­en duftet bis auf die straße. und man hat es eigentlich gar nicht ver­misst. aber die warme dusche genießt man dann schon.

“Ich höre keine Musik …

… mehr. Ich kann Musik nicht ertra­gen. Ich has­se Musik. Wenn man mich fragt, ist Musik ein­er der Gründe, warum alles zum Teufel geht. Jedes Mal, wenn ich Musik höre — als ich noch Musik hörte -,war mir, als müsste ich alles aufgeben. […] Musik schafft hirn­lose Einigkeit, son­st nichts. Musik ste­ht für Ver­ant­wor­tungsver­drän­gung. […] Musik ist Feigheit. Wer Musik hört, ‘ver­gisst’ auf ein­mal die unum­stößliche Tat­sache, dass er mut­tersee­le­nallein ist; und er wird es immer sein. […]

Musik dik­tiert mir einen Zus­tand, und das ist zum Kotzen. An Musik klebt der­selbe idi­o­tis­che Ruf wie an Massen­sug­ges­tion oder Rebel­lion. Und diese ganze kotzbeschissene Rezep­tion, die ist das Schlimm­ste an Musik. Ich has­se die Vorstel­lung, mich mitreißen zu lassen.” (Math­ias Fald­bakken, Macht und Rebel, 71f.)

einsamkeit und traurigkeit allerorten

so etwas gibt es wohl nur bei sibylle berg. auch ihr neuestes buch die fahrt (recht forsch und großzügig als „roman” etiket­tiert) kreist wieder um ihre ganz eige­nen the­men, die sie immer wieder neu auf­greift, neu abklopft und in ihrem lakonis­chen anti-stil vor­führt: die ein­samkeit des (post-) mod­er­nen men­schen, das altern, das bewusst­sein bzw. das bewusst-wer­den des alterns. das wirkt, in dieser manch­es mal fast mon­strös anmu­ten­den bal­lung (und dur­chaus auch ein­seit­i­gen sichtweise …) manch­es mal aus­ge­sprochen depres­siv und bedrück­end. aber sibylle berg wäre nicht sibylle berg, wenn nicht die möglichkeit des glücks doch noch ab und an irgend­wo hin­durch schim­mern würde: immer­hin ist sie auch in der fahrt mehr als nur the­o­retisch gegeben, einige aus dem reich­halti­gen fig­ure­narse­nal schaf­fen es, der sinnlosigkeit (momen­tan zumin­d­est) zu entrin­nen (wobei mir  natür­lich sofort ein ander­er titel bergs ein­fällt: ein paar leute suche das glück und lachen sich tot). aber die stärk­sten momente hat die fahrt — und das unter­schei­det sie von den bish­eri­gen büch­ern der autorin — nicht nur dann, wenn sie die sinnlosigkeit und absur­dität des urlaubens und des reisens beschreibt, son­dern in den bericht­en aus den elends­ge­bi­eten. denn das sind zweifel­los einige der berührend­sten, aufwüh­lend­sten beschrei­bun­gen des elends des lebens, die hier eingestreut sind — ger­ade im kon­trast zu den „luxus”-problemen den anderen fig­uren. ihre wirk­mächtigkeit ver­danken diese abschnitte auch der tat­sache, dass berg sie durch nichts mildert, nichts erk­lären will, son­dern nur — als qua­si geset­ztes gegen­bild — beschreibt — und damit wirkungsvoller die men­schen anklagt, die so etwas zulassen, als es jede stre­itrede ver­möchte. und das kün­st­lerisch beein­druck­ende ist dann auch noch die tat­sache, dass sich selb­st diese zunächst als mutwillige fremd­kör­p­er eingestreut erscheinen­den pas­sagen wun­der­bar in das konzept des buch­es fügen — die (verge­bliche? weil nur zufäl­lig von erfolg gekrönte?) suche nach sinn und glück im irdis­chen leben … auf jeden fall ein großar­tiges leseer­leb­nis!

gut find­et die fahrt auch kristi­na maidt-zinke in der süd­deutschen zeitung: „Mit der roman­tis­chen Vorstel­lung, dass die Men­schen in den Armut­szo­nen der Erde zufrieden­er lebten als die über­fresse­nen Abendlän­der, wird in diesem Fahrten-Buch gründlich aufgeräumt. […] DIe stärk­sten Momente ihrer Prosa aber sind nach wie vor die, in denen sie die fortschre­i­t­ende Verkom­men­heit und Abgewrack­theit des Plan­eten sowie die grassierende Unzurech­nungs­fähigkeit sein­er Bewohn­er mit der ihr eige­nen Has­s­lust aus­malt: Die Schärfe ihres schrä­gen Blicks ist unnachahm­lich.” (SZ 232, 9.10.2007, Beilage zur Frank­furter Buchmesse, S. 3)

sibylle berg: die fahrt. köln: kiepen­heuer & witsch 2007.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén