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Schlagwort: dimitri schostakowitsch

Wälder, Sonne & Hinrichtungen: Schostakowitschs Kantaten

schostakowitsch, kantatenKan­tat­en sind nicht unbe­d­ingt die Gat­tung, die man beson­ders eng mit Dmitri Schostakow­itsch verbindet. Und doch gibt es von ihm einige Exem­plare, die dur­chaus hörenswert sind. Freilich muss man bei Schostakow­itsch stets seine biographis­che und poli­tis­che Sit­u­a­tion bei der Kom­po­si­tion berück­sichti­gen. Zwei der hier aufgenomme­nen Werke sind anders über­haupt nicht zu erk­lären – wed­er dass es sie über­haupt gibt noch dass sie in dieser Form ent­standen sind.

„Über unser­er Heimat scheint die Sonne“ und „Das Lied von den Wäldern“ sind mehr oder weniger als Besän­f­ti­gungsver­suche zu ver­ste­hen, als Adresse an einen total­itären Staat, dass der Kom­pon­ist doch eigentlich ganz brav ist. Järvi kon­fron­tiert die bei­den apolo­getis­chen Kan­tat­en auf dieser rand­vollen CD mit der „Hin­rich­tung des Ste­fan Razin“, 15 Jahre später in deut­lich lib­eraleren Zeit­en ent­standen und dur­chaus als kaum vehüllte Kri­tik an der KPdSU zu lesen, ver­her­rlicht sie in der his­torischen Gestalt des Ste­fan Razin doch eine Rebel­lion gegen ein repres­sives Sys­tem.

Der Kon­trast wird hier beson­ders stark, weil Järvi bei den bei­den frühen Kan­tat­en die ursprünglichen Texte nutzt, die der Kom­pon­ist später um die direk­ten Stal­in-Huldigun­gen (im „Lied von den Wäldern“ wird er etwa als „großer Gärt­ner“ betitelt) abgemildert hat­te. Auf­grund eines Ver­bots der Schostakow­itsch-Erben durften die Texte allerd­ings nicht abge­druckt wer­den – sehr schade, denn wer kann schon so gut rus­sisch, dass er das hörend ver­fol­gen kann? Aber hören kann man den­noch eine Menge: Die aus­geze­ich­neten Chöre zum Beispiel, den sicheren Nar­va-Knaben­chor und den kraftvollen und sehr klangstarken Est­nis­chen Konz­ertchor. Begleit­et vom gut aufgelegten Est­nis­chen Nation­al-Sym­phonie-Orch­ester, dessen Schlag­w­erk wesentlich zum Gänse­haut­feel­ing beiträgt, das diese Auf­nah­men immer wieder ver­strö­men: Durch die von den ersten mächti­gen, düsteren Akko­rd­schlä­gen bis zum apotheo­tis­chen Schluss pack­ende Musik, aber auch die heute aus­ge­prochen skuril wirk­enden Texte, die man beim Hören gerne aus­blenden­den möchte.

Am leicht­esten geht das bei der „Hin­rich­tung des Ste­fan Razin“. Die wesentlich vielfältigere und span­nen­dere Ton­sprache treibt alle Beteiligten, auch den sonor-soli­den Bass Alex­ei Tanovit­s­ki, zu Höch­stleis­tun­gen. Ger­ade in op. 90 ist die Dauer­erregth­eit und per­ma­nente Freude, die ger­ade musikalisch ger­adezu platt und bar jed­er Dif­feren­zierung zu banalen Tex­ten (die im Book­let lei­der nicht abge­druckt sind) ertönt, stel­len­weise kaum ertrag­bar – Järvi nimmt das auch nicht zurück, son­dern lässt das als oppor­tunis­tis­che Musik ein­fach mal so ste­hen. Er ver­sagt sich dieser demon­stra­tiv­en Zugänglichkeit der Musik auch über­haupt nicht: Das klingt wun­der­bar großar­tig und wun­der­bar banal. Aber so ganz gibt er sich mit dieser glänzen­den Hülle eben doch nicht zufrieden: Das Brodeln unter der Ober­fläche wird bei Järvi vom Äußeren oft kaum noch in Zaum gehal­ten. Dabei verbindet er sehr geschickt und har­monisch die großen Gesten der szenisch-filmhaften Musik mit den vie­len feinen, lyrischen Details der Chorstim­men, die hier wun­der­bar lebendig strahlen. Vor allem die pralle Vital­ität und die agil-anges­pan­nte Präsenz der bei­den Chöre machen diese Auf­nahme ganz beson­ders. Das ist sich­er keine Musik, die Schostakow­itsch-Verächter zu großen Bewun­deren bekehrt, aber rotz­dem eine wichtige Facette seines reichen Oeu­vres. Zumal in ein­er so leb­haften Inter­pre­ta­tion.

Dim­itri Schostakow­itsch: Kan­tat­en (Die Hin­rich­tung des Stepan Rasin op. 119; Über unserem Vater­land scheint die Sonne op. 90; Das Lied von den Wäldern op. 91). Eston­ian Con­cert Choir, Eston­ian Nation­al Sym­pho­ny Orches­tra, Paa­vo Järvi. Era­to 2015.
CD

(In ein­er etwas kürz­eren Ver­sion zuerst erschie­nen im Okto­ber­heft von »Chor­zeit — Das Vokal­ma­ga­zin«)

Ernsthaft gut: Doppelkonzerte im Meisterkonzert

Das Ganze ist ein Witz. Bei sein­er neun­ten Sin­fonie – aus­gerech­net der Neun­ten! — hat Schostakow­itsch es sich nicht nehmen lassen, mit allen Erwartun­gen und Tra­di­tio­nen zu spie­len. Das hing natür­lich auch mit sein­er eige­nen und der poli­tis­chen Sit­u­a­tion zusam­men – 1945 hat­te der Kom­pon­ist schon einige Erfahrung mit Stal­ins Regime und dessen Kri­tik­ern gesam­melt. Denen wollte er keine Tri­umph­musik schreiben – aber was er dann mit der Neun­ten im Herb­st ablieferte, das muss für ger­ade diese Kri­tik­er eine reine Unver­schämtheit gewe­sen sein: Die knappe halbe Stunde heit­er­er Musik trieft nur so vor Ironie. Die ganze Sin­fonie spielt mit klas­sis­chen For­men und Meth­o­d­en – bis zur Über­erfül­lung. Wahrschein­lich ist sie eine der klas­sis­chsten Sin­fonien, die im 20. Jahrhun­dert geschrieben wurde. Und ein hin­terlistiges Spiel mit den Erwartun­gen, auch des Hör­ers. Man kann das als nette, kun­stvoll gemachte Unter­hal­tung spie­len. Oder man kann, wie Mar­cus Bosch es beim 3. Meis­terkonz­ert mit der Lud­wigshafen­er Staat­sphil­har­monie in der Rhein­gold­halle machte, die abgründi­gen Seit­en her­vork­itzeln und das Absurde dieser Musik beto­nen. Bosch gelang das der­maßen gut, dass die Ironie aus jedem schö­nen Akko­rd und jedem schö­nen melodis­chen Ein­fall nur so her­vorquoll. Vor allem die Mis­chung aus unter­gründig-bohren­der Span­nung und schwungvoll-aus­ge­lassen­er Spiel­freude, die Mar­cus Bosch im Finale bis zur tänz­erischen Über­mut aus­reizte, macht­en die Neunte zu einem so wun­der­baren Hör­erleb­nis.

Dabei war Schostakow­itschs Sin­fonie eigentlich nur das Aus­rufeze­ichen am Schluss eines span­nen­den Konz­ertes. Davor stand noch der sel­tene dop­pelte Genuss eines Dop­pelkonz­ertes. Mit den Pianistin­nen Mona und Rica Bard spielte die Staat­sphil­har­monie näm­lich nicht nur ein Dop­pelkonz­ert, son­dern gle­ich zwei: von Mozart und Fran­cis Poulenc. Witz haben bei­de, aber auf jew­eils ganz eigene Art.

Poulencs 1932 kom­poniertes Konz­ert für zwei Klaviere und Orch­ester ist mit seinen raschen Sprün­gen, vielfälti­gen Wech­seln und Reich­tum an bun­ten Ein­fällen und Stilmis­chun­gen ein geschick­ter Konz­er­tauf­takt. Die zwei schlagkräfti­gen Akko­rde des Beginns sind ein dop­pel­ter Startschuss. Damit begin­nt ein Feuer­w­erk der Klang­far­ben und des Rhyth­mus — „rein­ster Poulenc“, wie der Kom­pon­ist selb­st ein­mal bemerk­te. Bei Mona und Rica Bard war das Feuer­w­erk in guten Hän­den: Sie achteten sorgsam darauf, dass auch in der Hitze des Gefechts alles mit recht­en Din­gen zug­ing – während Bosch mit dem Orch­ester ver­suchte, zumin­d­est ein biss­chen zu zün­deln.

Mozarts einziges Konz­ert für zwei Klaviere ist der Gele­gen­heit des gemein­samen Musizierens mit sein­er Schwest­er geschuldet. Das merkt man der Musik auch ganz unmit­tel­bar an: Sel­ten sind die bei­den Solopar­tien so eng und unau­flös­bar ineinan­der ver­flocht­en wie hier. Und sel­ten hört man sie so har­monisch ineinan­der gefügt wie von den Bard-Schwest­ern. Die bei­den pflegten in der Rhein­gold­halle ein sehr konzen­tri­ertes und kun­stvolles Spiel. Das dabei der augen­zwinkernde Witz Mozarts manch­mal etwas hin­te­nanste­hen musste, verzieh man ihnen gerne. Zumal das Orch­ester alles tat, die kleine Lücke zu füllen. Die Auf­gaben­teilung war dabei schnell klar: Die Staat­sphil­har­monie über­nahm die großen Gesten, die Pianistin­nen die feinsin­nige, fast kam­mer­musikalis­che Klangtüftelei. Zusam­men erk­lang so ein ern­sthaft gutes Mozart-Konz­ert, das gewis­senhaft und emo­tion­al zugle­ich war – und alles andere als ein Witz.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

sibelius und schostakowitsch im staatstheater

Es war kein reines Zuck­er­schleck­en, das zweite Sin­foniekonz­ert im Mainz­er Staat­sthe­ater. Aber dafür ein großar­tiges Erleb­nis. Und das aus vie­len Grün­den. Zum einen wäre da die Solistin, die Cel­listin Tat­jana Vas­sil­je­va. Schon die ersten Töne des hochvir­tu­osen ersten Vio­lon­cel­lo-Konz­ertes von Dim­itri Schostakow­itsch set­zten Maßstäbe, denen Tat­jana Vas­sil­je­va auch durch­weg gerecht wird. Der ganze erste Satz ist ein einziger atem­los­er Spurt, den die Russin mit gren­zw­er­tigem Druck und mit bis zum Zer­reißen anges­pan­nter Konzen­tra­tion absolviert. Über den stärk­er sin­gen­den, aber immer noch sehr fokussierten zweit­en Satz bis in die funken­sprühende Rasanz und kristallne Klarheit der Kadenz bis zur inten­siv­en Dichte des Schlusses reicht die Anspan­nung in einem einzi­gen großen Bogen.
Der zweite Grund für das beson­dere Gelin­gen des Konz­ertes war das Phil­har­monis­che Staat­sor­ch­ester. Denn die boten deut­lich mehr als übliche Rou­tine. Die klan­gliche Geschlossen­heit und ein­satzfreudi­ge Hingabe, mit der die Musik­er spiel­ten, beflügelte nicht nur Schostakow­itschs Konz­ert, son­dern auch und vor allem die vierten Sin­fonie von Jean Sibelius.
Und die führt auch schon direkt zum eigentlichen Zen­trum des Abends: Arvo Volmer. Denn vor allem an ihm lag es, dass die vierte Sin­fonie zu so einem Erfolg wurde. Ihm gelingt es näm­lich schein­bar ohne beson­dere Anstren­gung, die vie­len, nach allen Seit­en aus­greifend­en Episo­den dieser Musik immer fest zusam­men zu schweißen. Und darüber hin­aus, diese Ein­heit auch noch ganz natür­lich und organ­isch wirken zu lassen. Das ist zwar in jedem Moment sehr gut bedacht, aber nie bedächtig. Denn auch wenn er sich dur­chaus Zeit für die genau aus­gear­beit­et Ent­fal­tung der Musik und ihrer Form nimmt – lang­weilig wird das nie. Das liegt vor allem daran, die Ein­heit sein­er Inter­pre­ta­tion der inneren Logik der Sin­fonie sehr genau fol­gt. Sie behauptet nie eine heile Welt, son­dern ver­mit­telt auf verblüf­fend deut­liche und über­sichtliche Weise ganz viel: Die Erfahrun­gen und Ein­sicht­en des Kom­pon­is­ten in den Zus­tand der Welt und das Wesen der Mod­erne. Das geht weit über bloß anre­gende Unter­hal­tung hin­aus und ist alles andere als harm­lose, beliebige Kun­st – aber dafür umso lohnen­der. Vor allem, wenn es so deut­lich und überzeu­gend musiziert wird wie im Staat­sthe­ater.

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