Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: brd

Ins Netz gegangen (9.12.)

Ins Netz gegan­gen am 9.12.:

  • 30. Neo­histofloxikon oder Neue Floskeln braucht das Land | Geschichte wird gemacht — achim landwehr wird grund­sät­zlich:

    Es ist eigentlich immer an der Zeit, das eigene Denken über Ver­gan­gen­heit und Geschichte mal etwas durchzuschüt­teln und auf den grund­sät­zlichen Prüf­s­tand zu stellen.

  • Who is afraid of jazz? | JazzZeitung — “Wer hätte gedacht, dass ich sog­ar Bruck­n­er ein­mal span­nen­der und frenetis­ch­er find­en würde als neuen Jazz!”
  • Essay: Schläfrig gewor­den — DIE WELT — er osteu­ropa-his­torik­er karl schlögel wider­spricht in der “welt” den ver­fassern & unterze­ich­n­ern des aufrufes “wieder krieg in europa?” — meines eracht­ens mit wichti­gen argu­menten:

    Denn in dem Aufruf ist neben vie­len All­ge­mein­plätzen, die die Eigen­schaft haben, wahr zu sein, von erstaunlichen Din­gen die Rede. So lautet der erste Satz: “Nie­mand will Krieg” – so als gäbe es noch gar keinen Krieg. Den gibt es aber. Rus­sis­che Trup­pen haben die Krim beset­zt
    […] Aber­mals ist vom “Nach­barn Rus­s­land” die Rede: Wie muss die Karte Europas im Kopf der­er ausse­hen, die so etwas von sich geben oder mit ihrer Unter­schrift in Kauf nehmen! Pein­lich – und wahrschein­lich in der Eile von den viel beschäftigten, ern­sthaften Unterze­ich­n­ern nicht zur Ken­nt­nis genom­men – die Behaup­tung, Rus­s­land sei seit dem Wiener Kongress Mit­gestal­ter der europäis­chen Staaten­welt. Das geht viel weit­er zurück, wie auch Laien wis­sen, die schon von Peter dem Großen gehört haben. Und aus­gerech­net die Heilige Allianz zu zitieren, mit der die Teilung Polens zemen­tiert, die pol­nis­chen Auf­stände niederge­wor­fen und die 1848er-Rev­o­lu­tion bekämpft wor­den ist – das passt nicht gut zur Ern­sthaftigkeit eines um den Dia­log bemüht­en Unternehmens. Vom Molo­tow-Ribben­trop-Pakt – eine zen­trale Erfahrung aller Völk­er “dazwis­chen” und im 75. Jahr der Wiederkehr des Ver­trages, der den Zweit­en Weltkrieg möglich gemacht hat – ist im Text gar nicht die Rede, ein­fach zur Seite geschoben, “ver­drängt”.

  • Was bewegt Yvan Sag­net?: Hoff­nung der Sklaven | ZEIT ONLINE -

    Arbeit­er aus dem Sudan, aus Burk­i­na Faso, aus Mali, aus fast jedem Land Afrikas. In dreck­i­gen Män­teln suchen sie vor den Müll­haufen nach Ver­w­ert­barem. Es ist, als würde man durch einen düsteren, apoka­lyp­tis­chen Roman von Cor­mac McCarthy fahren. An den Feld­we­gen, die von den Land­straßen abge­hen, ste­hen Pros­ti­tu­ierte. Rumänin­nen und Bul­gar­in­nen. So sieht es aus, das Herz der ital­ienis­chen Tomaten­pro­duk­tion.

    — fritz schaap in der zeit über den ver­such des gew­erkschafters yvan sag­net, die mis­er­ablen bedin­gun­gen der arbeit­er in ital­ien, v.a. der ern­te­helfer, zu verbessern. der sagt u.a.

    “Der Käufer muss wis­sen: Wenn er in den Super­markt geht und ein Kilo­gramm ital­ienis­che Tomat­en für achtzig Cent kauft, dann wur­den diese Tomat­en von mis­er­abel ent­lohn­ten Arbeit­ern geern­tet, die man ohne Weit­eres als mod­erne Sklaven beze­ich­nen kann.”

  • Eine wichtige Infor­ma­tion der Vere­inigten Geheim­di­en­ste — YouTube — Bet­ter no Let­ter: Eine wichtige Infor­ma­tion der Vere­inigten Geheim­di­en­ste (siehe auch: The U.S.S.A. says: BETTER NO LETTER!)
  • Union kri­tisiert Ramelow-Wahl in Thürin­gen: Ver­lo­gene Heul­susen | tagesschau.de — wow, bei der ARD & der Tagess­chau ist jemand genau­so angewidert vom Ver­hal­ten der CDU in Thürin­gen wie ich
  • Forschung: So will doch kein­er arbeit­en! | ZEIT ONLINE — Forschung: So will doch kein­er an Unis arbeit­en! — Dieses Mal mit ein­er His­torik­erin
  • Zer­schla­gen, aber im Samm­lungskon­text erschließbar: In der Bay­erischen Staats­bib­lio­thek wurde über den Ankauf des Schott-Archivs informiert | nmz — neue musikzeitung — Zer­schla­gen, aber im Samm­lungskon­text erschließbar: Die Bestände des Archivs des Schott-Ver­lages teilen sich kün­ftig auf die Staats­bib­lio­theken München und Berlin sowie sechs Forschung­sein­rich­tun­gen auf. Über den Kauf­preis wurde Stillschweigen vere­in­bart.
  • So ent­stand der Mythos der “Trüm­mer­frauen” — Poli­tik — Süddeutsche.de — die sz lässt sich von der his­torik­erin leonie tre­ber noch ein­mal erk­lären, woher die “trüm­mer­frauen” kom­men:

    Es wurde ein äußerst pos­i­tives Bild dieser Frauen ver­mit­telt: Dass sie sich frei­willig und mit Freude in die harte Arbeit stürzen und den Schutt wegräu­men, um den Wieder­auf­bau voranzutreiben. Die PR war auch enorm wichtig, weil die Trüm­mer­räumer — wie zuvor erwäh­nt — stig­ma­tisiert waren und solche schw­eren Jobs bis dahin eigentlich nicht von Frauen erledigt wer­den soll­ten. Deshalb wurde das Bild der “Trüm­mer­frau” pos­i­tiv aufge­laden mit den Stereo­typen, die wir noch heute mit dem Begriff verbinden.

  • Mainz­er Schott-Musikver­lag: His­torisches Archiv wird öffentlich zugänglich — Rhein­land-Pfalz | SWR.de — “opti­male Erschließung” = Zer­störung des Zusam­men­hangs. Schott-Musikver­lag: Archiv wird öffentlich zugänglich
  • Hat die Jugend keinen Ehrgeiz mehr? | Blog Mag­a­zin — philipp tin­gler über die gegen­wart, die kul­tur und den ehrgeiz zum glück:

    Gegen­wär­tig leben wir in ein­er Gesellschaft, die Selb­st­per­fek­tion­ierung, die Arbeit am Ich, als Selb­st­genuss pos­tuliert; ein­er der let­zten Leitwerte in der irre­duz­i­blen Vielfalt der uns allen­thal­ten umgebe­nen Kontin­gen­zkul­tur ist: Authen­tiz­ität. Dafür ste­ht auch Diane von Fürsten­berg. Die Biografie als Pro­jekt. Wenn jet­zt also plöt­zlich alle aus ihrem Leben ein Kunst­werk machen wollen, dann ist das nicht nur ein ethis­ch­er, son­dern auch ein sehr ehrgeiziger Imper­a­tiv: Lebenswel­ten und ‑for­men wer­den ambi­tion­iert durchäs­thetisiert, und das Pathos der Selb­ster­schaf­fung richtet sich auf die bei­den grossen Ziele der Post­wach­s­tums­ge­sellschaft: Spass und Glück.
    […] Wir sehen also, dass Ehrgeiz dur­chaus nicht ver­schwun­den ist, son­dern sich nur verir­rt hat.

    seine ther­a­pie ist übri­gens ziem­lich ein­fach (und wahrschein­lich gar nicht so verkehrt): selb­stironie als die “schön­ste Form der Eigen­liebe”

  • Duden | Kon­rad-Duden-Preis 2014 geht an Damaris Nübling | — Der Kon­rad-Duden-Preis 2014 geht an @DFDmainz-Projektleiterin Damaris Nübling
  • E‑Books: Wir sind die Fährten­leser der neuen Lit­er­atur — Büch­er — FAZ — elke heine­mann über die vielfalt der neuen (kleine) e‑book-ver­lage:

    Dich­tung ist längst auch dig­i­tal: Auf der Suche nach E‑Books abseits des Main­streams führt der Weg in Deutsch­land vor allem nach Berlin. Doch die engagierten Spezialver­lage haben auch spezielle Prob­leme.

  • Gen­der-Debat­te: Anschwellen­der Ekelfak­tor | ZEIT ONLINE — wun­der­bar: robin det­je rech­net gnaden­los mit den kolum­nen­het­zern #ulfhar­ald­jan­matthias aber (schade nur, dass das bei der @Zeit wieder nie­mand lesen wird und har­ald deshalb weit­er die leser­schaft vergiften darf):

    Heute tobt die Schlussstrichde­bat­te Fem­i­nis­mus. Ende: nicht abzuse­hen. Alternde Män­ner an vorder­ster Front. Hoher Unter­hal­tungswert, aber auch anschwellen­der Ekelfak­tor. Die Argu­men­ta­tion wieder faszinierend: Fem­i­nis­mus gibt es inzwis­chen doch schon so lange, das nervt, Frauen ner­ven ja immer, und die Frauen wollen offen­bar tat­säch­lich, dass wir Män­ner unser Ver­hal­ten ändern, weshalb jet­zt wir die eigentlichen Opfer sind.
    […] Und deshalb husch, husch, ihr allmän­ner­mächti­gen Diskurs­be­herrsch­er, zurück in eure Eck­kneipe. Die jet­zt lei­der von einem Gen­der-Stud­ies-Les­ben‑, Transen- und X‑trupp über­nom­men wird, und ihr schiebt für eine Weile in der Küche Abwasch­di­enst.

    Entschuldigung, aber das wird man sich als aufgek­lärter, älter­er deutsch­er Mann doch noch wün­schen dür­fen.

  • “Fem­i­nis­mus kann niemals Lifestyle sein” • Denkw­erk­statt — gabriele michal­itsch im inter­view mit eini­gen sehr richti­gen beobach­tun­gen:

    Fem­i­nis­mus kann niemals Lifestyle sein, Fem­i­nis­mus ist immer poli­tisch. Wenn die Medi­en eine solche Diskus­sion befeuern, ist das eine Form von Antifem­i­nis­mus und der Ver­such, den Begriff Fem­i­nis­mus zu vere­in­nah­men, ihm seine poli­tis­che Rel­e­vanz abzus­prechen. Fem­i­nis­mus war zudem nie män­ner­feindlich, er wurde immer auch von Män­nern mit­ge­tra­gen. Wenn, dann wen­det er sich gegen bes­timmte Konzep­tio­nen von Männlichkeit – wie auch Weib­lichkeit. Wäre dieser ange­blich neue Fem­i­nis­mus nicht Gegen­stand öffentlich­er Debat­ten, müssten wir uns erst gar nicht damit auseinan­der­set­zen – in meinen Augen ist das eine antifem­i­nis­tis­che Strate­gie.

    und später auf den punkt gebracht:

    Wenn Fem­i­nis­mus auf Kar­riere mit Kindern reduziert wird, ist das das Ende des Fem­i­nis­mus.

Ins Netz gegangen (21.10.)

Ins Netz gegan­gen am 21.10.:

  • Math­e­matik: Auswendig ler­nen und wieder vergessen | ZEIT ONLINE — ein fh-math­e­matik-pro­fes­sor verzweifelt an seinen inge­nieurstu­den­ten …
  • Über Sprache stolpern — taz.de -

    Die Gedenksteine von Gunter Dem­nig erin­nern an NS-Opfer — teil­weise in Nazi-Jar­gon. Ange­hörige sind empört, doch der Kün­stler zeigt sich unein­sichtig

  • Neu in der Wikipedia: 48 Artikel zu „1848/49“ in Deutsch­land | Achtund­vierzig — ziko van dijk hat in diesem jahr als eine art pro­jekt 48 wikipedia-artikel zur 1848er-rev­o­lu­tion geschrieben.

    Der Autor dieses Beitrags, Ziko van Dijk, hat von April bis Okto­ber 2014 achtund­vierzig Wikipedia-Artikel zur Rev­o­lu­tion von 1848/1849 geschrieben. Im Fol­gen­den beschreibt er die Her­aus­forderun­gen für einen Wikipedia-Autor und einige Grundgedanken seines Pro­jek­ts.

  • Kom­men­tar Crit­i­cal Mass: Der Ätsch-Fak­tor — Die Polizei macht die Rad­fahrer zu Robin Hoods!
  • Attac ver­liert Sta­tus der Gemein­nützigkeit | Poli­tik — Frank­furter Rund­schau — das ist irgend­wie typ­isch deutsch: wenn vere­ine sich zu sehr um das gemein­we­sen bemühen und nicht nur um ihre klien­tel, sind sie nicht mehr gemein­nützig, son­dern poli­tisch — als ob das ein wider­spruch wäre:

    Das Finan­zamt Frank­furts, wo der Bun­desvor­stand des Vere­ins sitzt, hat beschlossen, dass die Ziele von Attac nicht gemein­nützig genug seien. Vielmehr seien sie all­ge­mein­poli­tisch und damit kein­er öffentlichen Förderung würdig.

  • Wir leben von der Ver­drän­gung — Fre­i­t­ext — ingo schulze über seine per­spek­tive auf oktober/november 1989 und die fol­gen­den entwick­lun­gen:

    Für mich war der Mauer­fall eine Sen­sa­tion unter anderen. Und er hat­te nichts, abso­lut nichts mit nationalen Erwä­gun­gen zu tun. Ein Zusam­menge­hen, gar eine Vere­ini­gung von DDR und BRD? Wie sollte denn das gehen? Lach­haft!

  • CIA-Bericht: Waf­fen für Rebellen sind laut Studie wirkungs­los | ZEIT ONLINE — Was für eine Über­raschung! Das hätte ja nie­mand geah­nt!: CIA-Bericht: Waf­fen für Rebellen sind wirkungs­los
  • Pi-Top: Open-Source-Note­book zum Sel­ber­bauen | ZEIT ONLINE — coole Idee: Pi-Top — aus einem Rasp­ber­ry Pi einen Lap­top basteln
  • Zehn Jahre nach Jacques Der­ri­das Tod: Rig­orose, artis­tis­che Gedankengänge — taz.de — klaus englert zum 10. todestag jacques der­ri­das über dessen bedeu­tung, das neue denken und die der­ri­da-rezep­tion heute:

    Heute, zehn Jahre nach dem Tod Der­ri­das, der ein­mal der weltweit meistz­i­tierte Philosoph war, ist es in akademis­chen Gefilden etwas still um ihn gewor­den. Das liegt vornehm­lich daran, dass sich heil­los ver­schulte Stu­di­engänge unseres Uni­ver­sitätssys­tems nur schlecht mit seinen rig­orosen und artis­tis­chen Gedankengän­gen ver­tra­gen. Die Beschäf­ti­gung mit Jacques Der­ri­da find­et nun eher außer­halb der uni­ver­sitären Rit­uale statt.

    ich finde das ja eher schade, dass die dekon­struk­tion in den “prüf­fäch­ern” — wie er es nen­nt — nicht mehr vorkommt. daran kann man näm­lich vorzüglich denken ler­nen.

  • Start | Mapire — His­torische Karten der Hab­s­burg­er Monar­chie — schön gemacht, diese koop­er­a­tion: Mapire ermöglicht das Navigieren durch his­torisches Karten­ma­te­r­i­al die aus der Hab­s­burg­er Monar­chie stam­men. Die Karten wur­den voll­ständig dig­i­tal­isiert und geo­ref­eren­ziert űund kön­nen so mit Hil­fe aktueller Tech­nolo­gien wie Google Maps, Google Earth und Open­StreetMap im Inter­net dargestellt wer­den. Mapire hat zum Ziel das teil­weise sehr unter­schiedliche Karten­ma­te­r­i­al über eine gemein­same Schnittstelle im Inter­net zur Ver­fü­gung zu stellen.

Der “echte” Rand

In Edgar Wol­frums Die geglück­te Demokratie. Geschichte der Bun­desre­bub­lik Deutsch­land von ihren Anfän­gen bis zur Gegen­wart heißt es auf Seite 641:

Hin­sichtlich der Anti-Sys­tem­partein am echt­en und linken Rand des poli­tis­chen Spek­trums erwiesen sich Parteien­ver­bote der wehrhaften Demokratie als ein pro­bates Mit­tel, die Repub­lik zu kon­so­li­dieren.

Ich glaube, einen schöneren Flüchtigkeits­fehler habe ich bish­er noch nicht wahrgenom­men: Der “echte Rand” hat schon seine ganz eige­nen Qual­ität (ich möchte jet­zt nicht darüber spekulieren, ob — und was — uns dieser Fehler über die Ein­stel­lung oder den Stan­dort des Ver­fassers ver­rät …).

Show 1 foot­note

  1. Ich benutze die Aus­gabe der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung, Bonn 2007, die aber wohl seit­eniden­tisch ist mit der Erstau­flage bei Klett-Cot­ta, Stuttgart 2006.

Ins Netz gegangen (15.6.)

Ins Netz gegan­gen (11.6.–15.6.):

  • Peter Kurzeck zum Siebzig­sten: Leben­s­plan bis zum Lit­er­aturnobel­preis — FAZ — Andreas Platthaus find­et sehr emphatis­che Worte für seinen Geburt­stags­gruß an Peter Kurzeck:

    Es ist diese Liebe zur eige­nen Geschichte, die Kurzeck zu einem Erzäh­ler macht, der diese Beze­ich­nung wie kein Zweit­er ver­di­ent.

  • Zum 70. Geburt­stag: Ein Ständ­chen für Peter Kurzeck | hr-online.de — Ulrich Son­nen­schein rei­ht sich für den hr in die Rei­he der Grat­u­lanten zu Peter Kurzecks 70. Geburt­stag ein:

    Nun wird er schon 70 und es gibt noch so viel zu erzählen. Von Peter Kurzecks großes Roman­pro­jekt “Das alte Jahrhun­dert”, das in zwölf Büch­ern die let­zten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhun­derts auf­be­wahren soll, sind erst fünf erschienen. Und wer die Arbeitsweise von Peter Kurzeck ken­nt, schaut mit bangem Blick auf das Pro­jekt und erken­nt, dass es wahrschein­lich Frag­ment bleiben muss, so wie das Leben auch immer nur ein Frag­ment ist.

  • Ver­lage drosseln Taschen­buch-Pro­duk­tion radikal — buchre­port — Nicht nur die Telekom drosselt ihr Ange­bot, auch die Ver­lage sind dabei:

    Ein so niedriger Novitäten­pegel wie in diesem Juni wurde jeden­falls in den ver­gan­genen 20 Jahren nicht gemessen.

  • Johannes Brahms’ Bre­mer Tri­umphlied: Ver­schol­lenes Werk wieder­ent­deckt -

    Musik­wis­senschaftler der Uni­ver­sität Bre­men haben das bis­lang ver­schollen geglaubte Noten­ma­te­r­i­al der Urauf­führung des Tri­umphliedes op. 55 von Johannes Brahms im Archiv der Phil­har­monis­chen Gesellschaft Bre­men wiederge­fun­den. Anhand der his­torischen Abschriften der Chor- und Orch­ester­stim­men und im Ver­gle­ich zur bekan­nten, späteren Fas­sung des großan­gelegten Werks ist es Pro­fes­sor Ulrich Tad­day und Katrin Bock gelun­gen, die Par­ti­tur der Urauf­führung von 1871 voll­ständig zu rekon­stru­ieren.

    Das Ergeb­nis der mehrmonati­gen Forschungsar­beit über­trifft alle Erwartun­gen der Wis­senschaftler. Die Kom­po­si­tion unter­schei­det sich so sehr von der bekan­nten, späteren Fas­sung, dass es gerecht­fer­tigt ist, sie als eigen­ständi­ges Werk zu beze­ich­nen: Die Bre­mer Fas­sung des Tri­umphliedes.

  • Der Wortzerteil­er — taz.de — Jörg Mage­nau in seinem aus­führlichen Nachruf auf Wal­ter Jens:

    Jens sprach, um zu sprechen, und berauschte sich daran.

Ins Netz gegangen (25.5.)

Ins Netz gegan­gen (22.5. — 25.5.):

  • Giro d’I­talia 1988: Als starke Män­ner wein­ten — Über­sicht Nachricht­en — NZZ.ch — Die NZZ erin­nert an eine Etappe des Giro vor 25 Jahren, in der die Sportler (beina­he) im Schnee steck­en blieben und hat dazu einige Stim­men der Rad­fahrer gesam­melt — zum Beispiel Andy Hamp­sten:

    Später im Auf­stieg war’s so weit: Ich hörte auf, Gott um Hil­fe anzu­fle­hen, stattdessen über­legte ich mir, ob ich mich auf einen Deal mit dem Teufel ein­lassen sollte, falls er hier und jet­zt auf­tauchte. Eine halbe Meile vor dem Pass erhielt ich meinen Sack, der Wind blies so stark, dass ich das Velo kaum in der Spur hal­ten kon­nte. Aber hätte ich da ange­hal­ten, ich wäre wohl nie mehr wieder los­ge­fahren. (…) In der Abfahrt musste ich erst die Brem­sen von Hand enteisen. Zum Glück war es in der Höhe eine Schot­ter­strasse, auf der der Schnee nicht so schnell gefror wie auf Asphalt. Zuschauer und Mechaniker ran­nten hin und her, im Unwis­sen, ob das Ren­nen über­haupt noch im Gang war. Ein Car­rera-Mechaniker trug diesen tollen Gore­tex-Ganzkör­per­anzug – was hätte ich dafür gegeben! Ich schaute auf meine Beine, durch eine Schicht von Eis und Mas­sageöl leuchteten sie knall­rot. Ich entsch­ied, nicht wieder hinzuguck­en.

  • Grundge­setz für die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land [Doc­Patch] — Diese Web­seite ermöglicht das Nachvol­lziehen aller Verän­derun­gen am Grundge­setz für die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land seit seinem Inkraft­treten im Jahr 1949. Es enthält den voll­ständi­gen Geset­zes­text zuzüglich viel­er Infor­ma­tio­nen, die damit in Verbindung ste­hen. Somit ste­ht ein umfassendes Werk zur Ver­fü­gung, die Entwick­lung der deutschen Ver­fas­sung trans­par­enter zu machen.
  • Nachruf Sarah Kirsch: “Du bist nicht auf Erden” | Kul­tur | ZEIT ONLINE — Sarah Kirsch war eine der bedeu­tend­sten deutschen Lyrik­erin­nen. Ihr Rhyth­mus und ihr Streben nach Autonomie wer­den fehlen, schreibt der Schrift­steller Jan Kuhlbrodt.
  • Guten­berg ePub Gen­er­a­tor von Furtmeier.IT — Gen­er­a­tor — Dieser Gen­er­a­tor erzeugt aus den Spiegel Guten­berg-Büch­ern Dateien im ePub-For­mat, die Sie mit den meis­ten eBook-Read­ern prob­lem­los lesen kön­nen.

Netzfunde vom 7.5.

Meine Net­z­funde vom 7.5.:

Absurdistan in Karlsruhe: BVerfG will 90 Jahre Sperrfrist

Nicht nur für His­torik­er, auch für aufgek­lärte Bürg­er ist das eigentlich ein Und­ing: Das Bun­desver­fas­sungs­gericht möchte in seine Geschäft­sor­d­nung schreiben, dass alle Akten ein­er 90-jähri­gen Sper­rfrist unter­liegen. Das wäre natür­lich für die Zeit­geschichte ein enormer Ver­lust, wichtige Momente der deutschen Geschichte des 20. Jahrhun­derts ließen sich so erst mit wesentlich­er Ver­spä­tung unter­suchen und erforschen, bis dahin bleiben die Entschei­dun­gen des BVer­fG — die ja nicht ganz unwichtig sein kön­nen — und das Gericht selb­st eine “Black Box”. Archivalia spricht da nicht ganz zu Unrecht von “Unfähige[n] alte[n] Männer[n]”. Mal ganz abge­se­hen davon, dass das natür­lich jed­er Idee der Trans­parenz staatlichen Han­delns zuwider­läuft. Bei so viel Igno­ranz und Abschot­tung kann man nur den Kopf schüt­teln — und verzweifeln …

Verreißen

In der „Süd­deutschen Zeitung” kann man heute ein wun­der­bares Beispiel für einen Totalver­riss find­en: Jens Hacke lässt kein einziges gutes Haar an der Habil­i­ta­tion­ss­chrift von Friedrich Kießling, der die alte Bun­desre­pub­lik auf ihre/eine Ideengeschichte unter­sucht. Und Hacke bemän­gelt wirk­lich alles, was man an ein­er his­torischen Studie kri­tisieren kann: Die (fehlende) Meth­ode, die man­gel­nde Berück­sich­ti­gung neuer Lit­er­atur, die dünne und unver­ständliche Quel­lenauswahl und sog­ar den Titel. Und natür­lich die mageren Ergeb­nisse. Gründlich­er kann man einen His­torik­erkol­le­gen kann erledi­gen. Zumin­d­est nicht mit Fed­er und Tinte …

ein kleiner nachtrag zum hubert-fichte-jubiläum

„Es ergeben sich Über­schnei­dun­gen“ heißt es am Anfang der Palette. Und das ist, das klitzek­leine Hubert-Fichte-Jahr zum 20. Todestag macht es deut­lich, noch sehr unter­trieben. Im Zen­trum ste­ht natür­lich das etwas über­raschende Erscheinen des Ban­des Die zweite Schuld von Fichte selb­st. Fis­ch­er, inzwis­chen Ficht­es Hausver­lag, hat sich entschlossen, die Geschichte der Empfind­lichkeit, dieses vielköpfrige Mon­ster, mit dem Fichte sein schrift­stel­lerisches Werk krö­nen wollte, damit vorzeit­ig zum Abschluss zu brin­gen. Das bringt allerd­ings wenig Über­raschun­gen, wenig prinzip­iell Uner­wartetes. Auch die span­nende Frage, warum Fichte dieses Buch mit einem Sper­rver­merk verse­hen hat­te, hängt plöt­zlich ganz und gar in der Luft: So spek­takulär ist das alles gar nicht. Über den Zeit­punkt der Veröf­fentlichung kann man übri­gens tre­f­flich stre­it­en. Und das ist schon typ­isch für alles, was mit der Geschichte der Empfind­lichkeit zu tun hat: Defin­i­tive Klarheit­en gibt es hier im Moment fast gar keine, zu oft hat Fichte hier selb­st noch geschwankt. Auch seine Angaben zur Dauer der Sper­rfrist vari­ieren, man hätte das Buch auch guten Gewis­sens  und mit guten Argu­menten erst in 10 Jahren her­aus­brin­gen kön­nen. Davon abge­se­hen, ist Die zweite Schuld eigentlich ein unmöglich­es Buch. Und das mehrfach: Es ist ein­fach nicht fer­tig – und nir­gendswo in der Geschichte der Empfind­lichkeit fällt das so sehr auf wie hier -, es ist aber auch eine dop­pelte Zumu­tung an den Leser: Von Fichte selb­st und seit­ens der Her­aus­ge­ber.

Das The­ma ist der deutsche Lit­er­aturbe­trieb – mit einem leicht eth­nol­o­gisch gefärbten Blick und der ewigen Suche suche nach den wahren Motiv­en des Han­delns entwick­elt Fichte die Szener­ie des Lit­er­arischen Col­lo­qi­ums in Berlin mit seinen Teil­nehmer, den Dozen­ten und Fichte selb­st. Das Buch trägt außer­dem den Unter­ti­tel „Abbitte an Joachim Neu­gröschel“. Und damit ist offen­bar das stärk­ste Motiv für diese Arbeit genan­nt. Denn Fichte geht es gar nicht so sehr um das LCB selb­st, son­dern viel mehr um die sich dort man­i­festieren­den Macht­struk­turen und kreuz und quer ver­laufend­en Anti- und Sym­pa­thien. Erar­beit­et und geschrieben ist das ganz offen­sichtlich aus einem Unbe­ha­gen, als Teil­nehmer in dieseSi­t­u­a­tion selb­st ver­wick­elt gewe­sen zu sein, die anlässlich ein­er Kri­tik eines Textes von Neu­gröschel durch Grass, die Fichte bedenken­los fort­set­zte, in einem sym­bol­is­chen Juden- und/oder Schwu­len­mord gipfelt. Dafür hat Fichte einige der dama­li­gen Teil­nehmer inter­viewt. Und das sind natür­lich wieder typ­is­che Fichte-Inter­views, mit ihrer beson­deren Inten­sität und dem zwar genau geführten und ges­teuert, aber sich stets kol­lo­qui­al geben­den Dia­log-Ablauf. Gesprochen hat er mit Neu­gröschel selb­st, mit Elfriede Ger­s­tel, Her­mann Peter Piwitt und Wal­ter Höllerer. Dazu kom­men immer wieder kurze Skizzen, kleine Sit­u­a­tions­beschrei­bun­gen aus Berlin und der Gruppe 47. Und am Ende noch eine frühe Fichte-Erzäh­lung, „Im Tief­stall“.

Verzweifeln kann man an diesem Buch, d.h. an sein­er äußeren Gestalt. Denn so lobenswert es ja von den Leuten bei Fis­ch­er ist, das noch zu veröf­fentlichen – hätte man das nicht gle­ich richtig machen kön­nen? Wie die gesamte Geschichte der Empfind­lichkeit ist das auch ein furcht­bar­er mis­chmasch und nicht nur völ­lig inkon­se­quent, son­dern auch unprak­tisch und dadurch fast unles­bar. Z.B. das Höllerer-Inter­view, oder bess­er gesagt die kär­glichen Reste, die Fichte noch selb­st tran­skri­biert hat­te. Im Manuskript sind die Gesprächs­fet­zen noch mit den Ini­tialen verse­hen – weil zwis­chen­durch viele Dialogteile fehlen, ist das ja nicht ger­ade ganz verkehrt. Jet­zt ste­hen da nur noch Spiegel­striche. Und spätestens nach ein paar seit­en muss man rat­en, wer ger­ade spricht – sehr müh­sam ist so etwas… Denn damit ist der zen­trale Teil des geplanten Ban­des eigentlich über­haupt nicht les­bar, ganz zu schweigen davon, dass noch zwei wichtige Inter­views ganz und gar fehlen, die hat Fichte noch nicht ein­mal geführt: Mit Oswald Wiener und HC Art­mann.

Schon deshalb wäre der Unter­ti­tel, den Fichte notiert hat, eigentlich gar nicht so schlecht gewe­sen: Frag­mente. Nun heißt der Band aber „Glossen“, eine der frag­würdi­ger­eren Her­aus­ge­ber-Entschei­dun­gen. Die zweite Schuld ist wahrschein­lich vor allem der Band der Geschichte der Empfind­lichkeit, der die Schwierigkeit­en – und lei­der eben auch die Unzulänglichkeit­en – dieser pos­tu­men Edi­tion am stärk­sten her­vorteten lässt. Nur als zwei Beispiele noch: Das unfer­tige Höllerer-Inter­view druck­en die Her­aus­ge­ber mit den Coun­ter­num­mer ab, denn: „Die Lizenz Ficht­es, eine unortho­doxe Gram­matik und Syn­tax unge­filtert zu belassen und dafür eine entsprechende informelle Inter­punk­tion einzuset­zen, machen diese zum Instru­ment, das präzise das Aus­ge­sagt über­mit­telt“ – was immer das heißen soll. Oder die abschließende Erzäh­lung „Im Tief­stall“. Die wird gedruckt nach ein­er Veröf­fentlichung von 1965, nicht nach der Form, in der sie Hubert Fichte maschi­nengeschrieben in das Manuskript einge­fügt hat­te – ohne das irgend­wie zu begrün­den.

Ähn­lich unbe­friedi­gend sind auch andere Novitäten,  z.B. die Edi­tion der Hör­w­erke bei Zweitausendeins. Immer­hin ist sie jet­zt über­haupt mal erschienen, nach lan­gen, lan­gen Verzögerun­gen. Aber auch hier wieder ist die Art der Veröf­fentlichung zumin­d­est ernüchternd, wenn nicht verärg­ernd. Davon, dass die Kom­prim­ierung auf 2 mp3-CDs wed­er der klangqual­ität noch dem Han­dling irgend­wie ent­ge­genkommt (so teuer sind doch CD-Pres­sun­gen gar nicht mehr?), die Auswahl bleibt, um es milde auszu­drück­en, unbe­friedi­gend. Fast alles wichtiges fehlt: die vie­len Hör­spiele – zu nen­nen wäre ja nur Ich würde ein oder Lohen­steins Ibrahim Bas­sa schlum­mern weit­er­hin in den Rund­funkarchiv­en — mit Aus­nahme von Gott ist ein Math­e­matik­er, das ja schon vor einiger Zeit bei sup­posée wieder zugänglich gemacht wurde. Dort gibt es ja auch schon die wirk­lich her­aus­ra­gende Fichte-Lesung im Ham­burg­er Star­club, seine Palais‑d’amour-Interviews und seine Gespräche mit Lil Picard. Das alles hat Zweitausendeins natür­lich nicht. Dafür eine Menge Rund­fun­kle­sun­gen, deren Aus­sagekraft sich in sehr engen Gren­zen bewegt. Denn die sind zwar alle­samt nicht schlecht, aber doch auch ziem­lich belan­g­los. Denn Fichte liest in der ster­ilen Atmo­sphäre des Stu­dios gewöhn­lich auch entsprechend nüchtern. Höhep­unk­te sind aber auch zu verze­ich­nen. Das Fea­ture Djem­ma el Fna, das fast schon ein Hör­spiel ist (und damit ganz typ­isch für Ficht­es ganz eige­nen umgang mit dem Medi­um Radio). Auch das kurze Hör­spiel Romy und Julius von 1973, eine rol­len­ver­tausche Ver­sion von Romeo und Julia, gehört ohne Zweifel zu den besseren arbeit­en Ficht­es. Und immer­hin ist auch San Pedro Claver dabei, das Fichte selb­st zu seinen zen­tralen Werken gezählt hat und das sich die let­zten Leben­stage des spanis­chen Jesuit­en und Mis­sion­ars in einem echt radio­pho­nen, 14stimmigen imag­inären Raum vorstellt – eine para­doxe Fig­ur, gefan­gen zwis­chen ihrer Liebe zu den Sklaven und der Ange­hörigkeit zu ein­er ver­sklaven­den Macht, der katholis­chen Kirche,  vorgestellt in ein­er Art szenis­ch­er Rit­us, den Fichte faszinierend sich­er und wirk­mächtig beherrschte.

Es hat sich aber noch mehr getan. Schon im let­zten jahr, 2005, war in den Ham­burg­er Deich­torhallen die „Leben­sreise“ von Hubert Fichte und Leonore Mau zu sehen. Das Kat­a­log­buch dazu schrieb Wil­fried F. Schmoeller – als eine Art vor­läu­fige Biogra­phie Ficht­es.  Er scheut nicht vor seinen Urteilen zurück, weiß auch viel und hat einiges Licht in die Reisen Ficht­es gebracht. Nur zu Leonore Mau und ihren Fotogra­phien fällt ihm erstaunlich wenig ein, näm­lich fast gar nichts. Dafür gibt es – bei einem als Ausstel­lungskat­a­log konzip­ierten Buch natür­lich kaum anders zu erwarten – eine große Auswahl von ihr und anderen Fotographen (etwa Chris­t­ian von Alvensleben, der Fichte für sein wun­der­schön kitschiges Port­fo­lio 1960 einen Tag bei der Land­wirtschaft­sar­beit  in der Provence beobachtete). Das hätte ein schönes und ein gutes Buch wer­den kön­nen, das auch ohne die Ausstel­lung hil­fre­ich und wohltuend ist. Denn Schoeller schreckt nie vor deut­lichen Worten und eige­nen Wer­tun­gen zurück. Aber es ist doch nur eine Mogel­pack­ung, ein Etiket­ten­schwindel: Leonore Mau ist eben wieder ein­mal nur die fotografierende Dichter­gat­tin, die zur Illus­tra­tion ein paar Bilder beis­teuern darf, son­st aber nach Möglichkeit über­haupt nicht vorkommt. Es bleibt also doch wieder nur Ficht­es „Leben­sreise“, die für Schoeller eher ein „Lebenslabyrinth“ ist (aber wer kann das nicht von sich behaupten?) Seinem „Reise­fahrplan“ fol­gt Schoeller, mit auswer­tung der ver­streuten Dat­en, auch der Reisepässe, und stellt pflicht­gemäß auch die dabei ent­standen Büch­er vor, was bei der Geschichte der Empfind­lichkeit zu recht kuriosen Ein­schätzun­gen und Verk­nap­pun­gen führt. Es hat fast den Anschein, als sei das als Vorar­beit, Par­alipom­e­na ein­er Biogra­phie zu ver­ste­hen – die Frage ist dann nur noch, wer wagt sich als erstes, seine Arbeit wirk­lich so zu nen­nen. Denn geschrieben wird sie, mehr oder weniger aus­führlich und direkt, von nahezu allen, die über Fichte veröf­fentlichen. Es wäre wohl auch das näch­ste, das fol­gerichtige Pro­jekt – neben ein­er „richti­gen“ Werkaus­gabe. Aber ger­ade die wird wohl, vor allem was die Geschichte der Empfind­lichkeit bet­rifft, noch eine Weile Desider­at bleiben.

Auch Peter Braun hat sich auf eine Reise begeben, Eine Reise durch das Werk von Hubert Fichte. Das ist ein Ver­such, eine „spez­i­fis­che Poet­ik der Orte“ zu beobacht­en oder zu kon­sti­tu­ieren. Aber genau in diesem Punkt bleibt die Arbeit von Braun frag­il, schwammig, und unbes­timmt: Worin sich denn die Orte nun genau unter­schei­den, was das „orts­ge­bun­dene Erzählen“ (43) denn nun wirk­lich aus­macht – wird kaum deut­lich. Klar, bes­timmte Dinge passier(t)en nun ein­mal an bes­timmten Orten. Aber ist Ficht­es Zugriff auf die Djem­ma el Fna wirk­lich kat­e­go­r­i­al anders als der auf, sagen wir, den Gänse­markt? Oder die Palette? Braun geht übri­gens noch ein Schrittchen weit­er als Schoeller und sieht den ganzen lit­er­arische out­put gle­ich als „Lebenss­chrei­bung“ – damit ist er dann endgültig leg­timiert, das Leben und das Werk des Autors beliebig durcheinan­der zu wer­fen. Entsprechend umstand­los springt Braun dann auch hin und her. Über­haupt ist er ein ganz großer Inte­gra­tor. Alles wird zu einem großen Buch, Leben und Werk, Roman und Inter­view, Hör­spiel und Fea­ture wird zu einem einzi­gen, gigan­tis­chen Werk zusam­mengemixt – natür­lich hat er dabei ein kleines biss­chen Recht, die inter­textuellen Bezüge sind ja schon bei der ersten Lek­türe über­haupt nicht zu überse­hen. Aber er ver­liert dabei doch lei­der immer wieder die jew­eils eige­nen Qual­itäten der Texte aus den Augen. Zeitliche Struk­turen der Erzäh­lun­gen Ficht­es kann Peter Braun etwa nur unzure­ichend, nur sehr neben­bei, über­haupt ein­mal würdi­gen. Wenn man das so hin­tere­inan­der weg liest, drängt sich fast ein etwas unlieb­samer Ein­druck auf: Irgend­wie bleibt ein schales Gefühl. Denn neu ist das nicht. Das führt bekan­nte Motive, Ideen, Analy­sen weit­er, aber ohne dabei wirk­lich neue Per­spek­tiv­en auf Ficht­es Werke zu eröff­nen: Ein beson­der­er Erken­nt­nis­gewinn ist hier nicht zu beobacht­en. Das trifft im grunde vor allem Peter Brauns Buch – von einem Ausstel­lungskat­a­log muss man nicht unbe­d­ingt eigen­ständi­ge Forschung erwarten. Aber auch Braun hat das bedacht und will die „Reise“ als Ein­führung ver­standen sehen: „vor­rangiges Ziel […] ist es, die Schwelle vor der eige­nen Lek­türe zu senken.“ (16)  Aber dann stellt sich natür­lich die Frage: für wen bloß? Und es macht dann doch den Ein­druck, als solle es den geplagten Stu­den­ten von der Last befreien, Fichte über­haupt zu lesen – die exten­sive, seit­en­lange Zitier­erei trägt da nicht unwesentlich zu bei.

Wer lesen kann und das wom­öglich gar selb­st tut, ist dage­gen ein­deutig im Vorteil – das Meiste von dem, was Braun hier ver­sam­melt, kann, soll und muss man doch recht eigentlich selb­st ent­deck­en – es hat etwas von Vorver­dau­ung, wenn er aus­führlich und dur­chaus in der Sache zutr­e­f­fend, aber let­ztlich auch über­flüs­sig für denk­ende und ver­ste­hende Leser, die ganzen Querverbindun­gen in Ficht­es Prosa aufzutrödeln sucht.
Sein Blick­winkel ist dafür natür­lich sehr stark fokussiert (um ihn nicht eingeschränkt zu nen­nen) und etwas monogam: Er konzen­tri­ert sich auf die einzel­nen Orte, wo Schoeller mehr das Ele­ment der Reise, also der Bewe­gung, im Blick­feld hat: die per­ma­nente Verän­derung, Trans­gres­sion, Trans­for­ma­tion, wie auch immer. Und er ent­deckt diese Prozesse auch in der Prosa Ficht­es, v.a. in der eth­nol­o­gis­chen (falls man die mal behelf­sweise so benen­nen darf, auch wenn es nicht ganz exakt zutrifft) natür­lich beson­ders deut­lich. Für Schoeller zeigt sich Ficht­es Reisen dabei let­ztlich nur als (mehr oder min­der) äußer­lich­er Aus­druck ein­er „Expe­di­tion nach Innen“, eines per­ma­nen­ten Forschens in nur schein­bar chao­tis­chen Sprün­gen zwis­chen Ham­burg und Bahia de Sal­vador, Schroben­hausen und São Luíz de Maran­hão.

Allen, die das schon selb­st gemerkt haben und sich immer noch näher mit Fichte beschäfti­gen wollen, sei unbe­d­ingt emp­fohlen: Michael Fischs Bib­li­ogra­phie, die auch ger­ade in ein­er Neu­fas­sung erschienen ist. Selb­st so etwas harm­los­es wie eine Bib­li­ogra­phie, die den passenden Titel Explo­sion der Forschung führt, geht nicht ohne Trubel von­stat­ten, wenn es um Hubert Fichte geht. Damals, beim Erscheinen der ersten Fas­sung 1996, gab es eini­gen Wirbel mit der Ham­burg­er Hubert-Fichte-Arbeit­stelle, die auch Anspruch auf diese Bib­li­ogra­phie erhob. Aber egal wie: Hil­fre­ich ist das schon, auch wenn die Gliederung nicht immer bis ins Let­zte überzeugt. Und doch ist sie eben genau in dieser Form (auch) ein klares Zeichen für den momen­ta­nen Umgang mit Fichte: Die Erforschung scheint sich in ein­er Kon­so­li­dierungsphase, im Über­gang,  zu befind­en: Der Autor entschwindet langsam aber unaufhalt­sam und muss immer wieder neu ent­deckt, d.h. ver­standen wer­den. Es kön­nten sich also noch ein paar mehr Über­schnei­dun­gen ergeben.

  • Hubert Fichte: Die zweite Schuld. Glossen. (Die Geschichte der Empfind­lichkeit). Frankfurt/Main: S. Fis­ch­er 2006.
  • Hubert Fichte: Hör­w­erke 1966–86. Hre­saus­gegebn von Robert Galitz, Kurt Kreil­er und Mar­tin Wein­mann. Frankfurt/Main: Zweitausendeins 2006.
  • Wil­fried F. Schoeller: Hubert Fichte und Leonore Mau. Der Schrift­steller und die Fotografin. Frankfurt/Main: S. Fis­ch­er 2005.
  • Peter Braun: Eine Reise durch das Werk von Hubert Fichte. Frankfurt/Main: Fis­ch­er Taschen­buch 2005.
  • Michael Fisch: Hubert Fichte – Explo­sion der Forschung. Bib­li­ogra­phie zu Leben und Werk von Hubert Fichte. Unter Berück­sich­ti­gung des Werkes von Leonore Mau. Biele­feld. Ais­the­sis 2006.

(ste­ht auch in der test­card no. 16)

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