Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: brd

Ins Netz gegangen (9.12.)

Ins Netz gegan­gen am 9.12.:

  • 30. Neo­hi­sto­flo­xi­kon oder Neue Flos­keln braucht das Land | Geschich­te wird gemacht – achim land­wehr wird grundsätzlich:

    Es ist eigent­lich immer an der Zeit, das eige­ne Den­ken über Ver­gan­gen­heit und Geschich­te mal etwas durch­zu­schüt­teln und auf den grund­sätz­li­chen Prüf­stand zu stellen. 

  • Who is afraid of jazz? | Jazz­Zei­tung – „Wer hät­te gedacht, dass ich sogar Bruck­ner ein­mal span­nen­der und fre­ne­ti­scher fin­den wür­de als neu­en Jazz!“
  • Essay: Schläf­rig gewor­den – DIE WELT – er ost­eu­ro­pa-his­to­ri­ker karl schlö­gel wider­spricht in der „welt“ den ver­fas­sern & unter­zeich­nern des auf­ru­fes „wie­der krieg in euro­pa?“ – mei­nes erach­tens mit wich­ti­gen argumenten:

    Denn in dem Auf­ruf ist neben vie­len All­ge­mein­plät­zen, die die Eigen­schaft haben, wahr zu sein, von erstaun­li­chen Din­gen die Rede. So lau­tet der ers­te Satz: „Nie­mand will Krieg“ – so als gäbe es noch gar kei­nen Krieg. Den gibt es aber. Rus­si­sche Trup­pen haben die Krim besetzt
    […] Aber­mals ist vom „Nach­barn Russ­land“ die Rede: Wie muss die Kar­te Euro­pas im Kopf derer aus­se­hen, die so etwas von sich geben oder mit ihrer Unter­schrift in Kauf neh­men! Pein­lich – und wahr­schein­lich in der Eile von den viel beschäf­tig­ten, ernst­haf­ten Unter­zeich­nern nicht zur Kennt­nis genom­men – die Behaup­tung, Russ­land sei seit dem Wie­ner Kon­gress Mit­ge­stal­ter der euro­päi­schen Staa­ten­welt. Das geht viel wei­ter zurück, wie auch Lai­en wis­sen, die schon von Peter dem Gro­ßen gehört haben. Und aus­ge­rech­net die Hei­li­ge Alli­anz zu zitie­ren, mit der die Tei­lung Polens zemen­tiert, die pol­ni­schen Auf­stän­de nie­der­ge­wor­fen und die 1848er-Revo­lu­ti­on bekämpft wor­den ist – das passt nicht gut zur Ernst­haf­tig­keit eines um den Dia­log bemüh­ten Unter­neh­mens. Vom Molo­tow-Rib­ben­trop-Pakt – eine zen­tra­le Erfah­rung aller Völ­ker „dazwi­schen“ und im 75. Jahr der Wie­der­kehr des Ver­tra­ges, der den Zwei­ten Welt­krieg mög­lich gemacht hat – ist im Text gar nicht die Rede, ein­fach zur Sei­te gescho­ben, „ver­drängt“.

  • Was bewegt Yvan Sagnet?: Hoff­nung der Skla­ven | ZEIT ONLINE -

    Arbei­ter aus dem Sudan, aus Bur­ki­na Faso, aus Mali, aus fast jedem Land Afri­kas. In dre­cki­gen Män­teln suchen sie vor den Müll­hau­fen nach Ver­wert­ba­rem. Es ist, als wür­de man durch einen düs­te­ren, apo­ka­lyp­ti­schen Roman von Cor­mac McCar­thy fah­ren. An den Feld­we­gen, die von den Land­stra­ßen abge­hen, ste­hen Pro­sti­tu­ier­te. Rumä­nin­nen und Bul­ga­rin­nen. So sieht es aus, das Herz der ita­lie­ni­schen Tomatenproduktion.

    – fritz schaap in der zeit über den ver­such des gewerk­schaf­ters yvan sagnet, die mise­ra­blen bedin­gun­gen der arbei­ter in ita­li­en, v.a. der ern­te­hel­fer, zu ver­bes­sern. der sagt u.a.

    „Der Käu­fer muss wis­sen: Wenn er in den Super­markt geht und ein Kilo­gramm ita­lie­ni­sche Toma­ten für acht­zig Cent kauft, dann wur­den die­se Toma­ten von mise­ra­bel ent­lohn­ten Arbei­tern geern­tet, die man ohne Wei­te­res als moder­ne Skla­ven bezeich­nen kann.“

  • Eine wich­ti­ge Infor­ma­ti­on der Ver­ei­nig­ten Geheim­diens­te – You­Tube – Bet­ter no Let­ter: Eine wich­ti­ge Infor­ma­ti­on der Ver­ei­nig­ten Geheim­diens­te (sie­he auch: The U.S.S.A. says: BETTER NO LETTER!)
  • Uni­on kri­ti­siert Rame­low-Wahl in Thü­rin­gen: Ver­lo­ge­ne Heul­su­sen | tages​schau​.de – wow, bei der ARD & der Tages­schau ist jemand genau­so ange­wi­dert vom Ver­hal­ten der CDU in Thü­rin­gen wie ich
  • For­schung: So will doch kei­ner arbei­ten! | ZEIT ONLINE – For­schung: So will doch kei­ner an Unis arbei­ten! – Die­ses Mal mit einer Historikerin
  • Zer­schla­gen, aber im Samm­lungs­kon­text erschließ­bar: In der Baye­ri­schen Staats­bi­blio­thek wur­de über den Ankauf des Schott-Archivs infor­miert | nmz – neue musik­zei­tung – Zer­schla­gen, aber im Samm­lungs­kon­text erschließ­bar: Die Bestän­de des Archivs des Schott-Ver­la­ges tei­len sich künf­tig auf die Staats­bi­blio­the­ken Mün­chen und Ber­lin sowie sechs For­schungs­ein­rich­tun­gen auf. Über den Kauf­preis wur­de Still­schwei­gen vereinbart.
  • So ent­stand der Mythos der „Trüm­mer­frau­en“ – Poli­tik – Süddeutsche.de – die sz lässt sich von der his­to­ri­ke­rin leo­nie tre­ber noch ein­mal erklä­ren, woher die „trüm­mer­frau­en“ kommen:

    Es wur­de ein äußerst posi­ti­ves Bild die­ser Frau­en ver­mit­telt: Dass sie sich frei­wil­lig und mit Freu­de in die har­te Arbeit stür­zen und den Schutt weg­räu­men, um den Wie­der­auf­bau vor­an­zu­trei­ben. Die PR war auch enorm wich­tig, weil die Trüm­mer­räu­mer – wie zuvor erwähnt – stig­ma­ti­siert waren und sol­che schwe­ren Jobs bis dahin eigent­lich nicht von Frau­en erle­digt wer­den soll­ten. Des­halb wur­de das Bild der „Trüm­mer­frau“ posi­tiv auf­ge­la­den mit den Ste­reo­ty­pen, die wir noch heu­te mit dem Begriff verbinden.

  • Main­zer Schott-Musik­ver­lag: His­to­ri­sches Archiv wird öffent­lich zugäng­lich – Rhein­land-Pfalz | SWR​.de – „opti­ma­le Erschlie­ßung“ = Zer­stö­rung des Zusam­men­hangs. Schott-Musik­ver­lag: Archiv wird öffent­lich zugänglich
  • Hat die Jugend kei­nen Ehr­geiz mehr? | Blog Maga­zin – phil­ipp tin­gler über die gegen­wart, die kul­tur und den ehr­geiz zum glück:

    Gegen­wär­tig leben wir in einer Gesell­schaft, die Selbst­per­fek­tio­nie­rung, die Arbeit am Ich, als Selbst­ge­nuss pos­tu­liert; einer der letz­ten Leit­wer­te in der irre­du­zi­blen Viel­falt der uns allent­hal­ten umge­be­nen Kon­tin­genz­kul­tur ist: Authen­ti­zi­tät. Dafür steht auch Dia­ne von Fürs­ten­berg. Die Bio­gra­fie als Pro­jekt. Wenn jetzt also plötz­lich alle aus ihrem Leben ein Kunst­werk machen wol­len, dann ist das nicht nur ein ethi­scher, son­dern auch ein sehr ehr­gei­zi­ger Impe­ra­tiv: Lebens­wel­ten und ‑for­men wer­den ambi­tio­niert durch­äs­the­ti­siert, und das Pathos der Selbst­er­schaf­fung rich­tet sich auf die bei­den gros­sen Zie­le der Post­wachs­tums­ge­sell­schaft: Spass und Glück.
    […] Wir sehen also, dass Ehr­geiz durch­aus nicht ver­schwun­den ist, son­dern sich nur ver­irrt hat.

    sei­ne the­ra­pie ist übri­gens ziem­lich ein­fach (und wahr­schein­lich gar nicht so ver­kehrt): selbst­iro­nie als die „schöns­te Form der Eigenliebe“

  • Duden | Kon­rad-Duden-Preis 2014 geht an Dama­ris Nüb­ling | – Der Kon­rad-Duden-Preis 2014 geht an @DFDmainz-Projektleiterin Dama­ris Nübling
  • E‑Books: Wir sind die Fähr­ten­le­ser der neu­en Lite­ra­tur – Bücher – FAZ – elke hei­ne­mann über die viel­falt der neu­en (klei­ne) e‑book-ver­la­ge:

    Dich­tung ist längst auch digi­tal: Auf der Suche nach E‑Books abseits des Main­streams führt der Weg in Deutsch­land vor allem nach Ber­lin. Doch die enga­gier­ten Spe­zi­al­ver­la­ge haben auch spe­zi­el­le Probleme. 

  • Gen­der-Debat­te: Anschwel­len­der Ekel­fak­tor | ZEIT ONLINE – wun­der­bar: robin det­je rech­net gna­den­los mit den kolum­nen­het­zern #ulfha­rald­jan­mat­thi­as aber (scha­de nur, dass das bei der @Zeit wie­der nie­mand lesen wird und harald des­halb wei­ter die leser­schaft ver­gif­ten darf):

    Heu­te tobt die Schluss­strich­de­bat­te Femi­nis­mus. Ende: nicht abzu­se­hen. Altern­de Män­ner an vor­ders­ter Front. Hoher Unter­hal­tungs­wert, aber auch anschwel­len­der Ekel­fak­tor. Die Argu­men­ta­ti­on wie­der fas­zi­nie­rend: Femi­nis­mus gibt es inzwi­schen doch schon so lan­ge, das nervt, Frau­en ner­ven ja immer, und die Frau­en wol­len offen­bar tat­säch­lich, dass wir Män­ner unser Ver­hal­ten ändern, wes­halb jetzt wir die eigent­li­chen Opfer sind.
    […] Und des­halb husch, husch, ihr all­män­ner­mäch­ti­gen Dis­kurs­be­herr­scher, zurück in eure Eck­knei­pe. Die jetzt lei­der von einem Gen­der-Stu­dies-Les­ben‑, Tran­sen- und X‑trupp über­nom­men wird, und ihr schiebt für eine Wei­le in der Küche Abwaschdienst.

    Ent­schul­di­gung, aber das wird man sich als auf­ge­klär­ter, älte­rer deut­scher Mann doch noch wün­schen dürfen.

  • “Femi­nis­mus kann nie­mals Life­style sein” • Denk­werk­statt – gabrie­le mich­alit­sch im inter­view mit eini­gen sehr rich­ti­gen beobachtungen:

    Femi­nis­mus kann nie­mals Life­style sein, Femi­nis­mus ist immer poli­tisch. Wenn die Medi­en eine sol­che Dis­kus­si­on befeu­ern, ist das eine Form von Anti­fe­mi­nis­mus und der Ver­such, den Begriff Femi­nis­mus zu ver­ein­nah­men, ihm sei­ne poli­ti­sche Rele­vanz abzu­spre­chen. Femi­nis­mus war zudem nie män­ner­feind­lich, er wur­de immer auch von Män­nern mit­ge­tra­gen. Wenn, dann wen­det er sich gegen bestimm­te Kon­zep­tio­nen von Männ­lich­keit – wie auch Weib­lich­keit. Wäre die­ser angeb­lich neue Femi­nis­mus nicht Gegen­stand öffent­li­cher Debat­ten, müss­ten wir uns erst gar nicht damit aus­ein­an­der­set­zen – in mei­nen Augen ist das eine anti­fe­mi­nis­ti­sche Strategie.

    und spä­ter auf den punkt gebracht: 

    Wenn Femi­nis­mus auf Kar­rie­re mit Kin­dern redu­ziert wird, ist das das Ende des Feminismus.

Ins Netz gegangen (21.10.)

Ins Netz gegan­gen am 21.10.:

  • Mathe­ma­tik: Aus­wen­dig ler­nen und wie­der ver­ges­sen | ZEIT ONLINE – ein fh-mathe­ma­tik-pro­fes­sor ver­zwei­felt an sei­nen ingenieurstudenten …
  • Über Spra­che stol­pern – taz​.de -

    Die Gedenk­stei­ne von Gun­ter Dem­nig erin­nern an NS-Opfer – teil­wei­se in Nazi-Jar­gon. Ange­hö­ri­ge sind empört, doch der Künst­ler zeigt sich uneinsichtig

  • Neu in der Wiki­pe­dia: 48 Arti­kel zu „1848/​49“ in Deutsch­land | Acht­und­vier­zig – ziko van dijk hat in die­sem jahr als eine art pro­jekt 48 wiki­pe­dia-arti­kel zur 1848er-revo­lu­ti­on geschrieben.

    Der Autor die­ses Bei­trags, Ziko van Dijk, hat von April bis Okto­ber 2014 acht­und­vier­zig Wiki­pe­dia-Arti­kel zur Revo­lu­ti­on von 1848/​1849 geschrie­ben. Im Fol­gen­den beschreibt er die Her­aus­for­de­run­gen für einen Wiki­pe­dia-Autor und eini­ge Grund­ge­dan­ken sei­nes Projekts.

  • Kom­men­tar Cri­ti­cal Mass: Der Ätsch-Fak­tor – Die Poli­zei macht die Rad­fah­rer zu Robin Hoods!
  • Attac ver­liert Sta­tus der Gemein­nüt­zig­keit | Poli­tik – Frank­fur­ter Rund­schau – das ist irgend­wie typisch deutsch: wenn ver­ei­ne sich zu sehr um das gemein­we­sen bemü­hen und nicht nur um ihre kli­en­tel, sind sie nicht mehr gemein­nüt­zig, son­dern poli­tisch – als ob das ein wider­spruch wäre:

    Das Finanz­amt Frank­furts, wo der Bun­des­vor­stand des Ver­eins sitzt, hat beschlos­sen, dass die Zie­le von Attac nicht gemein­nüt­zig genug sei­en. Viel­mehr sei­en sie all­ge­mein­po­li­tisch und damit kei­ner öffent­li­chen För­de­rung würdig.

  • Wir leben von der Ver­drän­gung – Frei­text – ingo schul­ze über sei­ne per­spek­ti­ve auf oktober/​november 1989 und die fol­gen­den entwicklungen:

    Für mich war der Mau­er­fall eine Sen­sa­ti­on unter ande­ren. Und er hat­te nichts, abso­lut nichts mit natio­na­len Erwä­gun­gen zu tun. Ein Zusam­men­ge­hen, gar eine Ver­ei­ni­gung von DDR und BRD? Wie soll­te denn das gehen? Lachhaft!

  • CIA-Bericht: Waf­fen für Rebel­len sind laut Stu­die wir­kungs­los | ZEIT ONLINE – Was für eine Über­ra­schung! Das hät­te ja nie­mand geahnt!: CIA-Bericht: Waf­fen für Rebel­len sind wirkungslos
  • Pi-Top: Open-Source-Note­book zum Sel­ber­bau­en | ZEIT ONLINE – coo­le Idee: Pi-Top – aus einem Raspber­ry Pi einen Lap­top basteln
  • Zehn Jah­re nach Jac­ques Der­ri­das Tod: Rigo­ro­se, artis­ti­sche Gedan­ken­gän­ge – taz​.de – klaus eng­lert zum 10. todes­tag jac­ques der­ri­das über des­sen bedeu­tung, das neue den­ken und die der­ri­da-rezep­ti­on heute:

    Heu­te, zehn Jah­re nach dem Tod Der­ri­das, der ein­mal der welt­weit meist­zi­tier­te Phi­lo­soph war, ist es in aka­de­mi­schen Gefil­den etwas still um ihn gewor­den. Das liegt vor­nehm­lich dar­an, dass sich heil­los ver­schul­te Stu­di­en­gän­ge unse­res Uni­ver­si­täts­sys­tems nur schlecht mit sei­nen rigo­ro­sen und artis­ti­schen Gedan­ken­gän­gen ver­tra­gen. Die Beschäf­ti­gung mit Jac­ques Der­ri­da fin­det nun eher außer­halb der uni­ver­si­tä­ren Ritua­le statt. 

    ich fin­de das ja eher scha­de, dass die dekon­struk­ti­on in den „prüf­fä­chern“ – wie er es nennt – nicht mehr vor­kommt. dar­an kann man näm­lich vor­züg­lich den­ken lernen.

  • Start | Mapi­re – His­to­ri­sche Kar­ten der Habs­bur­ger Mon­ar­chie – schön gemacht, die­se koope­ra­ti­on: Mapi­re ermög­licht das Navi­gie­ren durch his­to­ri­sches Kar­ten­ma­te­ri­al die aus der Habs­bur­ger Mon­ar­chie stam­men. Die Kar­ten wur­den voll­stän­dig digi­ta­li­siert und geo­re­fe­ren­ziert űund kön­nen so mit Hil­fe aktu­el­ler Tech­no­lo­gien wie Goog­le Maps, Goog­le Earth und Open­Street­Map im Inter­net dar­ge­stellt wer­den. Mapi­re hat zum Ziel das teil­wei­se sehr unter­schied­li­che Kar­ten­ma­te­ri­al über eine gemein­sa­me Schnitt­stel­le im Inter­net zur Ver­fü­gung zu stellen.

Der „echte“ Rand

In Edgar Wolf­rums Die geglück­te Demo­kra­tie. Geschich­te der Bun­des­re­bu­blik Deutsch­land von ihren Anfän­gen bis zur Gegen­wart heißt es auf Sei­te 641:

Hin­sicht­lich der Anti-Sys­tem­par­tein am ech­ten und lin­ken Rand des poli­ti­schen Spek­trums erwie­sen sich Par­tei­en­ver­bo­te der wehr­haf­ten Demo­kra­tie als ein pro­ba­tes Mit­tel, die Repu­blik zu konsolidieren.

Ich glau­be, einen schö­ne­ren Flüch­tig­keits­feh­ler habe ich bis­her noch nicht wahr­ge­nom­men: Der „ech­te Rand“ hat schon sei­ne ganz eige­nen Qua­li­tät (ich möch­te jetzt nicht dar­über spe­ku­lie­ren, ob – und was – uns die­ser Feh­ler über die Ein­stel­lung oder den Stand­ort des Ver­fas­sers verrät …).

Show 1 footnote

  1. Ich benut­ze die Aus­ga­be der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung, Bonn 2007, die aber wohl sei­ten­iden­tisch ist mit der Erst­auf­la­ge bei Klett-Cot­ta, Stutt­gart 2006.

Ins Netz gegangen (15.6.)

Ins Netz gegan­gen (11.6.–15.6.):

  • Peter Kurz­eck zum Sieb­zigs­ten: Lebens­plan bis zum Lite­ra­tur­no­bel­preis – FAZ – Andre­as Platt­haus fin­det sehr empha­ti­sche Wor­te für sei­nen Geburts­tags­gruß an Peter Kurzeck:

    Es ist die­se Lie­be zur eige­nen Geschich­te, die Kurz­eck zu einem Erzäh­ler macht, der die­se Bezeich­nung wie kein Zwei­ter verdient.

  • Zum 70. Geburts­tag: Ein Ständ­chen für Peter Kurz­eck | hr​-online​.de – Ulrich Son­nen­schein reiht sich für den hr in die Rei­he der Gra­tu­lan­ten zu Peter Kurz­ecks 70. Geburts­tag ein:

    Nun wird er schon 70 und es gibt noch so viel zu erzäh­len. Von Peter Kurz­ecks gro­ßes Roman­pro­jekt „Das alte Jahr­hun­dert“, das in zwölf Büchern die letz­ten zwei Jahr­zehn­te des 20. Jahr­hun­derts auf­be­wah­ren soll, sind erst fünf erschie­nen. Und wer die Arbeits­wei­se von Peter Kurz­eck kennt, schaut mit ban­gem Blick auf das Pro­jekt und erkennt, dass es wahr­schein­lich Frag­ment blei­ben muss, so wie das Leben auch immer nur ein Frag­ment ist.

  • Ver­la­ge dros­seln Taschen­buch-Pro­duk­ti­on radi­kal – buch­re­port – Nicht nur die Tele­kom dros­selt ihr Ange­bot, auch die Ver­la­ge sind dabei:

    Ein so nied­ri­ger Novi­tä­ten­pe­gel wie in die­sem Juni wur­de jeden­falls in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren nicht gemessen.

  • Johan­nes Brahms’ Bre­mer Tri­um­ph­lied: Ver­schol­le­nes Werk wie­der­ent­deckt -

    Musik­wis­sen­schaft­ler der Uni­ver­si­tät Bre­men haben das bis­lang ver­schol­len geglaub­te Noten­ma­te­ri­al der Urauf­füh­rung des Tri­um­ph­lie­des op. 55 von Johan­nes Brahms im Archiv der Phil­har­mo­ni­schen Gesell­schaft Bre­men wie­der­ge­fun­den. Anhand der his­to­ri­schen Abschrif­ten der Chor- und Orches­ter­stim­men und im Ver­gleich zur bekann­ten, spä­te­ren Fas­sung des groß­an­ge­leg­ten Werks ist es Pro­fes­sor Ulrich Tad­day und Kat­rin Bock gelun­gen, die Par­ti­tur der Urauf­füh­rung von 1871 voll­stän­dig zu rekonstruieren. 

    Das Ergeb­nis der mehr­mo­na­ti­gen For­schungs­ar­beit über­trifft alle Erwar­tun­gen der Wis­sen­schaft­ler. Die Kom­po­si­ti­on unter­schei­det sich so sehr von der bekann­ten, spä­te­ren Fas­sung, dass es gerecht­fer­tigt ist, sie als eigen­stän­di­ges Werk zu bezeich­nen: Die Bre­mer Fas­sung des Triumphliedes.

  • Der Wort­zer­tei­ler – taz​.de – Jörg Mage­nau in sei­nem aus­führ­li­chen Nach­ruf auf Wal­ter Jens:

    Jens sprach, um zu spre­chen, und berausch­te sich daran.

Ins Netz gegangen (25.5.)

Ins Netz gegan­gen (22.5. – 25.5.):

  • Giro d’I­ta­lia 1988: Als star­ke Män­ner wein­ten – Über­sicht Nach­rich­ten – NZZ​.ch – Die NZZ erin­nert an eine Etap­pe des Giro vor 25 Jah­ren, in der die Sport­ler (bei­na­he) im Schnee ste­cken blie­ben und hat dazu eini­ge Stim­men der Rad­fah­rer gesam­melt – zum Bei­spiel Andy Hampsten:

    Spä­ter im Auf­stieg war’s so weit: Ich hör­te auf, Gott um Hil­fe anzu­fle­hen, statt­des­sen über­leg­te ich mir, ob ich mich auf einen Deal mit dem Teu­fel ein­las­sen soll­te, falls er hier und jetzt auf­tauch­te. Eine hal­be Mei­le vor dem Pass erhielt ich mei­nen Sack, der Wind blies so stark, dass ich das Velo kaum in der Spur hal­ten konn­te. Aber hät­te ich da ange­hal­ten, ich wäre wohl nie mehr wie­der los­ge­fah­ren. (…) In der Abfahrt muss­te ich erst die Brem­sen von Hand ent­ei­sen. Zum Glück war es in der Höhe eine Schot­ter­stras­se, auf der der Schnee nicht so schnell gefror wie auf Asphalt. Zuschau­er und Mecha­ni­ker rann­ten hin und her, im Unwis­sen, ob das Ren­nen über­haupt noch im Gang war. Ein Car­rera-Mecha­ni­ker trug die­sen tol­len Gore­tex-Ganz­kör­per­an­zug – was hät­te ich dafür gege­ben! Ich schau­te auf mei­ne Bei­ne, durch eine Schicht von Eis und Mas­sa­ge­öl leuch­te­ten sie knall­rot. Ich ent­schied, nicht wie­der hinzugucken. 

  • Grund­ge­setz für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land [Doc­Patch] – Die­se Web­sei­te ermög­licht das Nach­voll­zie­hen aller Ver­än­de­run­gen am Grund­ge­setz für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land seit sei­nem Inkraft­tre­ten im Jahr 1949. Es ent­hält den voll­stän­di­gen Geset­zes­text zuzüg­lich vie­ler Infor­ma­tio­nen, die damit in Ver­bin­dung ste­hen. Somit steht ein umfas­sen­des Werk zur Ver­fü­gung, die Ent­wick­lung der deut­schen Ver­fas­sung trans­pa­ren­ter zu machen.
  • Nach­ruf Sarah Kirsch: „Du bist nicht auf Erden“ | Kul­tur | ZEIT ONLINE – Sarah Kirsch war eine der bedeu­tends­ten deut­schen Lyri­ke­rin­nen. Ihr Rhyth­mus und ihr Stre­ben nach Auto­no­mie wer­den feh­len, schreibt der Schrift­stel­ler Jan Kuhlbrodt.
  • Guten­berg ePub Gene­ra­tor von Furt​mei​er​.IT – Gene­ra­tor – Die­ser Gene­ra­tor erzeugt aus den Spie­gel Guten­berg-Büchern Datei­en im ePub-For­mat, die Sie mit den meis­ten eBook-Rea­dern pro­blem­los lesen können.

Netzfunde vom 7.5.

Mei­ne Netz­fun­de vom 7.5.:

Absurdistan in Karlsruhe: BVerfG will 90 Jahre Sperrfrist

Nicht nur für His­to­ri­ker, auch für auf­ge­klär­te Bür­ger ist das eigent­lich ein Unding: Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt möch­te in sei­ne Geschäfts­ord­nung schrei­ben, dass alle Akten einer 90-jäh­ri­gen Sperr­frist unter­lie­gen. Das wäre natür­lich für die Zeit­ge­schich­te ein enor­mer Ver­lust, wich­ti­ge Momen­te der deut­schen Geschich­te des 20. Jahr­hun­derts lie­ßen sich so erst mit wesent­li­cher Ver­spä­tung unter­su­chen und erfor­schen, bis dahin blei­ben die Ent­schei­dun­gen des BVerfG – die ja nicht ganz unwich­tig sein kön­nen – und das Gericht selbst eine „Black Box“. Archi­va­lia spricht da nicht ganz zu Unrecht von „Unfähige[n] alte[n] Männer[n]“. Mal ganz abge­se­hen davon, dass das natür­lich jeder Idee der Trans­pa­renz staat­li­chen Han­delns zuwi­der­läuft. Bei so viel Igno­ranz und Abschot­tung kann man nur den Kopf schüt­teln – und verzweifeln …

Verreißen

In der „Süd­deut­schen Zei­tung“ kann man heu­te ein wun­der­ba­res Bei­spiel für einen Total­ver­riss fin­den: Jens Hacke lässt kein ein­zi­ges gutes Haar an der Habi­li­ta­ti­ons­schrift von Fried­rich Kieß­ling, der die alte Bun­des­re­pu­blik auf ihre/​eine Ideen­ge­schich­te unter­sucht. Und Hacke bemän­gelt wirk­lich alles, was man an einer his­to­ri­schen Stu­die kri­ti­sie­ren kann: Die (feh­len­de) Metho­de, die man­geln­de Berück­sich­ti­gung neu­er Lite­ra­tur, die dün­ne und unver­ständ­li­che Quel­len­aus­wahl und sogar den Titel. Und natür­lich die mage­ren Ergeb­nis­se. Gründ­li­cher kann man einen His­to­ri­ker­kol­le­gen kann erle­di­gen. Zumin­dest nicht mit Feder und Tinte …

ein kleiner nachtrag zum hubert-fichte-jubiläum

„Es erge­ben sich Über­schnei­dun­gen“ heißt es am Anfang der Palet­te. Und das ist, das klit­ze­klei­ne Hubert-Fich­te-Jahr zum 20. Todes­tag macht es deut­lich, noch sehr unter­trie­ben. Im Zen­trum steht natür­lich das etwas über­ra­schen­de Erschei­nen des Ban­des Die zwei­te Schuld von Fich­te selbst. Fischer, inzwi­schen Fich­tes Haus­ver­lag, hat sich ent­schlos­sen, die Geschich­te der Emp­find­lich­keit, die­ses viel­köpf­ri­ge Mons­ter, mit dem Fich­te sein schrift­stel­le­ri­sches Werk krö­nen woll­te, damit vor­zei­tig zum Abschluss zu brin­gen. Das bringt aller­dings wenig Über­ra­schun­gen, wenig prin­zi­pi­ell Uner­war­te­tes. Auch die span­nen­de Fra­ge, war­um Fich­te die­ses Buch mit einem Sperr­ver­merk ver­se­hen hat­te, hängt plötz­lich ganz und gar in der Luft: So spek­ta­ku­lär ist das alles gar nicht. Über den Zeit­punkt der Ver­öf­fent­li­chung kann man übri­gens treff­lich strei­ten. Und das ist schon typisch für alles, was mit der Geschich­te der Emp­find­lich­keit zu tun hat: Defi­ni­ti­ve Klar­hei­ten gibt es hier im Moment fast gar kei­ne, zu oft hat Fich­te hier selbst noch geschwankt. Auch sei­ne Anga­ben zur Dau­er der Sperr­frist vari­ie­ren, man hät­te das Buch auch guten Gewis­sens und mit guten Argu­men­ten erst in 10 Jah­ren her­aus­brin­gen kön­nen. Davon abge­se­hen, ist Die zwei­te Schuld eigent­lich ein unmög­li­ches Buch. Und das mehr­fach: Es ist ein­fach nicht fer­tig – und nir­gends­wo in der Geschich­te der Emp­find­lich­keit fällt das so sehr auf wie hier -, es ist aber auch eine dop­pel­te Zumu­tung an den Leser: Von Fich­te selbst und sei­tens der Herausgeber.

Das The­ma ist der deut­sche Lite­ra­tur­be­trieb – mit einem leicht eth­no­lo­gisch gefärb­ten Blick und der ewi­gen Suche suche nach den wah­ren Moti­ven des Han­delns ent­wi­ckelt Fich­te die Sze­ne­rie des Lite­ra­ri­schen Col­lo­qi­ums in Ber­lin mit sei­nen Teil­neh­mer, den Dozen­ten und Fich­te selbst. Das Buch trägt außer­dem den Unter­ti­tel „Abbit­te an Joa­chim Neu­grö­schel“. Und damit ist offen­bar das stärks­te Motiv für die­se Arbeit genannt. Denn Fich­te geht es gar nicht so sehr um das LCB selbst, son­dern viel mehr um die sich dort mani­fes­tie­ren­den Macht­struk­tu­ren und kreuz und quer ver­lau­fen­den Anti- und Sym­pa­thien. Erar­bei­tet und geschrie­ben ist das ganz offen­sicht­lich aus einem Unbe­ha­gen, als Teil­neh­mer in die­seSi­tua­ti­on selbst ver­wi­ckelt gewe­sen zu sein, die anläss­lich einer Kri­tik eines Tex­tes von Neu­grö­schel durch Grass, die Fich­te beden­ken­los fort­setz­te, in einem sym­bo­li­schen Juden- und/​oder Schwu­len­mord gip­felt. Dafür hat Fich­te eini­ge der dama­li­gen Teil­neh­mer inter­viewt. Und das sind natür­lich wie­der typi­sche Fich­te-Inter­views, mit ihrer beson­de­ren Inten­si­tät und dem zwar genau geführ­ten und gesteu­ert, aber sich stets kol­lo­quial geben­den Dia­log-Ablauf. Gespro­chen hat er mit Neu­grö­schel selbst, mit Elfrie­de Gers­tel, Her­mann Peter Piwitt und Wal­ter Höl­le­rer. Dazu kom­men immer wie­der kur­ze Skiz­zen, klei­ne Situa­ti­ons­be­schrei­bun­gen aus Ber­lin und der Grup­pe 47. Und am Ende noch eine frü­he Fich­te-Erzäh­lung, „Im Tiefstall“.

Ver­zwei­feln kann man an die­sem Buch, d.h. an sei­ner äuße­ren Gestalt. Denn so lobens­wert es ja von den Leu­ten bei Fischer ist, das noch zu ver­öf­fent­li­chen – hät­te man das nicht gleich rich­tig machen kön­nen? Wie die gesam­te Geschich­te der Emp­find­lich­keit ist das auch ein furcht­ba­rer misch­masch und nicht nur völ­lig inkon­se­quent, son­dern auch unprak­tisch und dadurch fast unles­bar. Z.B. das Höl­le­rer-Inter­view, oder bes­ser gesagt die kärg­li­chen Res­te, die Fich­te noch selbst tran­skri­biert hat­te. Im Manu­skript sind die Gesprächs­fet­zen noch mit den Initia­len ver­se­hen – weil zwi­schen­durch vie­le Dia­log­tei­le feh­len, ist das ja nicht gera­de ganz ver­kehrt. Jetzt ste­hen da nur noch Spie­gel­stri­che. Und spä­tes­tens nach ein paar sei­ten muss man raten, wer gera­de spricht – sehr müh­sam ist so etwas… Denn damit ist der zen­tra­le Teil des geplan­ten Ban­des eigent­lich über­haupt nicht les­bar, ganz zu schwei­gen davon, dass noch zwei wich­ti­ge Inter­views ganz und gar feh­len, die hat Fich­te noch nicht ein­mal geführt: Mit Oswald Wie­ner und HC Artmann.

Schon des­halb wäre der Unter­ti­tel, den Fich­te notiert hat, eigent­lich gar nicht so schlecht gewe­sen: Frag­men­te. Nun heißt der Band aber „Glos­sen“, eine der frag­wür­di­ge­re­ren Her­aus­ge­ber-Ent­schei­dun­gen. Die zwei­te Schuld ist wahr­schein­lich vor allem der Band der Geschich­te der Emp­find­lich­keit, der die Schwie­rig­kei­ten – und lei­der eben auch die Unzu­läng­lich­kei­ten – die­ser pos­tu­men Edi­ti­on am stärks­ten her­vor­te­ten lässt. Nur als zwei Bei­spie­le noch: Das unfer­ti­ge Höl­le­rer-Inter­view dru­cken die Her­aus­ge­ber mit den Coun­ter­num­mer ab, denn: „Die Lizenz Fich­tes, eine unor­tho­do­xe Gram­ma­tik und Syn­tax unge­fil­tert zu belas­sen und dafür eine ent­spre­chen­de infor­mel­le Inter­punk­ti­on ein­zu­set­zen, machen die­se zum Instru­ment, das prä­zi­se das Aus­ge­sagt über­mit­telt“ – was immer das hei­ßen soll. Oder die abschlie­ßen­de Erzäh­lung „Im Tief­stall“. Die wird gedruckt nach einer Ver­öf­fent­li­chung von 1965, nicht nach der Form, in der sie Hubert Fich­te maschi­nen­ge­schrie­ben in das Manu­skript ein­ge­fügt hat­te – ohne das irgend­wie zu begründen.

Ähn­lich unbe­frie­di­gend sind auch ande­re Novi­tä­ten, z.B. die Edi­ti­on der Hör­wer­ke bei Zwei­tau­send­eins. Immer­hin ist sie jetzt über­haupt mal erschie­nen, nach lan­gen, lan­gen Ver­zö­ge­run­gen. Aber auch hier wie­der ist die Art der Ver­öf­fent­li­chung zumin­dest ernüch­ternd, wenn nicht ver­är­gernd. Davon, dass die Kom­pri­mie­rung auf 2 mp3-CDs weder der klang­qua­li­tät noch dem Hand­ling irgend­wie ent­ge­gen­kommt (so teu­er sind doch CD-Pres­sun­gen gar nicht mehr?), die Aus­wahl bleibt, um es mil­de aus­zu­drü­cken, unbe­frie­di­gend. Fast alles wich­ti­ges fehlt: die vie­len Hör­spie­le – zu nen­nen wäre ja nur Ich wür­de ein oder Lohen­steins Ibra­him Bassa schlum­mern wei­ter­hin in den Rund­funk­ar­chi­ven – mit Aus­nah­me von Gott ist ein Mathe­ma­ti­ker, das ja schon vor eini­ger Zeit bei sup­po­sée wie­der zugäng­lich gemacht wur­de. Dort gibt es ja auch schon die wirk­lich her­aus­ra­gen­de Fich­te-Lesung im Ham­bur­ger Star­club, sei­ne Palais‑d’amour-Interviews und sei­ne Gesprä­che mit Lil Picard. Das alles hat Zwei­tau­send­eins natür­lich nicht. Dafür eine Men­ge Rund­funk­le­sun­gen, deren Aus­sa­ge­kraft sich in sehr engen Gren­zen bewegt. Denn die sind zwar alle­samt nicht schlecht, aber doch auch ziem­lich belang­los. Denn Fich­te liest in der ste­ri­len Atmo­sphä­re des Stu­di­os gewöhn­lich auch ent­spre­chend nüch­tern. Höhe­punk­te sind aber auch zu ver­zeich­nen. Das Fea­ture Djem­ma el Fna, das fast schon ein Hör­spiel ist (und damit ganz typisch für Fich­tes ganz eige­nen umgang mit dem Medi­um Radio). Auch das kur­ze Hör­spiel Romy und Juli­us von 1973, eine rol­len­ver­tau­sche Ver­si­on von Romeo und Julia, gehört ohne Zwei­fel zu den bes­se­ren arbei­ten Fich­tes. Und immer­hin ist auch San Pedro Cla­ver dabei, das Fich­te selbst zu sei­nen zen­tra­len Wer­ken gezählt hat und das sich die letz­ten Lebens­ta­ge des spa­ni­schen Jesui­ten und Mis­sio­nars in einem echt radio­pho­nen, 14stimmigen ima­gi­nä­ren Raum vor­stellt – eine para­do­xe Figur, gefan­gen zwi­schen ihrer Lie­be zu den Skla­ven und der Ange­hö­rig­keit zu einer ver­skla­ven­den Macht, der katho­li­schen Kir­che, vor­ge­stellt in einer Art sze­ni­scher Ritus, den Fich­te fas­zi­nie­rend sicher und wirk­mäch­tig beherrschte.

Es hat sich aber noch mehr getan. Schon im letz­ten jahr, 2005, war in den Ham­bur­ger Deich­tor­hal­len die „Lebens­rei­se“ von Hubert Fich­te und Leo­no­re Mau zu sehen. Das Kata­log­buch dazu schrieb Wil­fried F. Schmoel­ler – als eine Art vor­läu­fi­ge Bio­gra­phie Fich­tes. Er scheut nicht vor sei­nen Urtei­len zurück, weiß auch viel und hat eini­ges Licht in die Rei­sen Fich­tes gebracht. Nur zu Leo­no­re Mau und ihren Foto­gra­phien fällt ihm erstaun­lich wenig ein, näm­lich fast gar nichts. Dafür gibt es – bei einem als Aus­stel­lungs­ka­ta­log kon­zi­pier­ten Buch natür­lich kaum anders zu erwar­ten – eine gro­ße Aus­wahl von ihr und ande­ren Foto­gra­phen (etwa Chris­ti­an von Alvens­le­ben, der Fich­te für sein wun­der­schön kit­schi­ges Port­fo­lio 1960 einen Tag bei der Land­wirt­schafts­ar­beit in der Pro­vence beob­ach­te­te). Das hät­te ein schö­nes und ein gutes Buch wer­den kön­nen, das auch ohne die Aus­stel­lung hilf­reich und wohl­tu­end ist. Denn Schoel­ler schreckt nie vor deut­li­chen Wor­ten und eige­nen Wer­tun­gen zurück. Aber es ist doch nur eine Mogel­pa­ckung, ein Eti­ket­ten­schwin­del: Leo­no­re Mau ist eben wie­der ein­mal nur die foto­gra­fie­ren­de Dich­ter­gat­tin, die zur Illus­tra­ti­on ein paar Bil­der bei­steu­ern darf, sonst aber nach Mög­lich­keit über­haupt nicht vor­kommt. Es bleibt also doch wie­der nur Fich­tes „Lebens­rei­se“, die für Schoel­ler eher ein „Lebens­la­by­rinth“ ist (aber wer kann das nicht von sich behaup­ten?) Sei­nem „Rei­se­fahr­plan“ folgt Schoel­ler, mit aus­wer­tung der ver­streu­ten Daten, auch der Rei­se­päs­se, und stellt pflicht­ge­mäß auch die dabei ent­stan­den Bücher vor, was bei der Geschich­te der Emp­find­lich­keit zu recht kurio­sen Ein­schät­zun­gen und Ver­knap­pun­gen führt. Es hat fast den Anschein, als sei das als Vor­ar­beit, Para­li­po­me­na einer Bio­gra­phie zu ver­ste­hen – die Fra­ge ist dann nur noch, wer wagt sich als ers­tes, sei­ne Arbeit wirk­lich so zu nen­nen. Denn geschrie­ben wird sie, mehr oder weni­ger aus­führ­lich und direkt, von nahe­zu allen, die über Fich­te ver­öf­fent­li­chen. Es wäre wohl auch das nächs­te, das fol­ge­rich­ti­ge Pro­jekt – neben einer „rich­ti­gen“ Werk­aus­ga­be. Aber gera­de die wird wohl, vor allem was die Geschich­te der Emp­find­lich­keit betrifft, noch eine Wei­le Desi­de­rat bleiben.

Auch Peter Braun hat sich auf eine Rei­se bege­ben, Eine Rei­se durch das Werk von Hubert Fich­te. Das ist ein Ver­such, eine „spe­zi­fi­sche Poe­tik der Orte“ zu beob­ach­ten oder zu kon­sti­tu­ie­ren. Aber genau in die­sem Punkt bleibt die Arbeit von Braun fra­gil, schwam­mig, und unbe­stimmt: Wor­in sich denn die Orte nun genau unter­schei­den, was das „orts­ge­bun­de­ne Erzäh­len“ (43) denn nun wirk­lich aus­macht – wird kaum deut­lich. Klar, bestimm­te Din­ge passier(t)en nun ein­mal an bestimm­ten Orten. Aber ist Fich­tes Zugriff auf die Djem­ma el Fna wirk­lich kate­go­ri­al anders als der auf, sagen wir, den Gän­se­markt? Oder die Palet­te? Braun geht übri­gens noch ein Schritt­chen wei­ter als Schoel­ler und sieht den gan­zen lite­ra­ri­sche out­put gleich als „Lebens­schrei­bung“ – damit ist er dann end­gül­tig leg­timiert, das Leben und das Werk des Autors belie­big durch­ein­an­der zu wer­fen. Ent­spre­chend umstand­los springt Braun dann auch hin und her. Über­haupt ist er ein ganz gro­ßer Inte­gra­tor. Alles wird zu einem gro­ßen Buch, Leben und Werk, Roman und Inter­view, Hör­spiel und Fea­ture wird zu einem ein­zi­gen, gigan­ti­schen Werk zusam­men­ge­mixt – natür­lich hat er dabei ein klei­nes biss­chen Recht, die inter­tex­tu­el­len Bezü­ge sind ja schon bei der ers­ten Lek­tü­re über­haupt nicht zu über­se­hen. Aber er ver­liert dabei doch lei­der immer wie­der die jeweils eige­nen Qua­li­tä­ten der Tex­te aus den Augen. Zeit­li­che Struk­tu­ren der Erzäh­lun­gen Fich­tes kann Peter Braun etwa nur unzu­rei­chend, nur sehr neben­bei, über­haupt ein­mal wür­di­gen. Wenn man das so hin­ter­ein­an­der weg liest, drängt sich fast ein etwas unlieb­sa­mer Ein­druck auf: Irgend­wie bleibt ein scha­les Gefühl. Denn neu ist das nicht. Das führt bekann­te Moti­ve, Ideen, Ana­ly­sen wei­ter, aber ohne dabei wirk­lich neue Per­spek­ti­ven auf Fich­tes Wer­ke zu eröff­nen: Ein beson­de­rer Erkennt­nis­ge­winn ist hier nicht zu beob­ach­ten. Das trifft im grun­de vor allem Peter Brauns Buch – von einem Aus­stel­lungs­ka­ta­log muss man nicht unbe­dingt eigen­stän­di­ge For­schung erwar­ten. Aber auch Braun hat das bedacht und will die „Rei­se“ als Ein­füh­rung ver­stan­den sehen: „vor­ran­gi­ges Ziel […] ist es, die Schwel­le vor der eige­nen Lek­tü­re zu sen­ken.“ (16) Aber dann stellt sich natür­lich die Fra­ge: für wen bloß? Und es macht dann doch den Ein­druck, als sol­le es den geplag­ten Stu­den­ten von der Last befrei­en, Fich­te über­haupt zu lesen – die exten­si­ve, sei­ten­lan­ge Zitie­re­rei trägt da nicht unwe­sent­lich zu bei.

Wer lesen kann und das womög­lich gar selbst tut, ist dage­gen ein­deu­tig im Vor­teil – das Meis­te von dem, was Braun hier ver­sam­melt, kann, soll und muss man doch recht eigent­lich selbst ent­de­cken – es hat etwas von Vor­ver­dau­ung, wenn er aus­führ­lich und durch­aus in der Sache zutref­fend, aber letzt­lich auch über­flüs­sig für den­ken­de und ver­ste­hen­de Leser, die gan­zen Quer­ver­bin­dun­gen in Fich­tes Pro­sa auf­zu­trö­deln sucht.
Sein Blick­win­kel ist dafür natür­lich sehr stark fokus­siert (um ihn nicht ein­ge­schränkt zu nen­nen) und etwas mono­gam: Er kon­zen­triert sich auf die ein­zel­nen Orte, wo Schoel­ler mehr das Ele­ment der Rei­se, also der Bewe­gung, im Blick­feld hat: die per­ma­nen­te Ver­än­de­rung, Trans­gres­si­on, Trans­for­ma­ti­on, wie auch immer. Und er ent­deckt die­se Pro­zes­se auch in der Pro­sa Fich­tes, v.a. in der eth­no­lo­gi­schen (falls man die mal behelfs­wei­se so benen­nen darf, auch wenn es nicht ganz exakt zutrifft) natür­lich beson­ders deut­lich. Für Schoel­ler zeigt sich Fich­tes Rei­sen dabei letzt­lich nur als (mehr oder min­der) äußer­li­cher Aus­druck einer „Expe­di­ti­on nach Innen“, eines per­ma­nen­ten For­schens in nur schein­bar chao­ti­schen Sprün­gen zwi­schen Ham­burg und Bahia de Sal­va­dor, Schro­ben­hau­sen und São Luíz de Maranhão.

Allen, die das schon selbst gemerkt haben und sich immer noch näher mit Fich­te beschäf­ti­gen wol­len, sei unbe­dingt emp­foh­len: Micha­el Fischs Biblio­gra­phie, die auch gera­de in einer Neu­fas­sung erschie­nen ist. Selbst so etwas harm­lo­ses wie eine Biblio­gra­phie, die den pas­sen­den Titel Explo­si­on der For­schung führt, geht nicht ohne Tru­bel von­stat­ten, wenn es um Hubert Fich­te geht. Damals, beim Erschei­nen der ers­ten Fas­sung 1996, gab es eini­gen Wir­bel mit der Ham­bur­ger Hubert-Fich­te-Arbeits­tel­le, die auch Anspruch auf die­se Biblio­gra­phie erhob. Aber egal wie: Hilf­reich ist das schon, auch wenn die Glie­de­rung nicht immer bis ins Letz­te über­zeugt. Und doch ist sie eben genau in die­ser Form (auch) ein kla­res Zei­chen für den momen­ta­nen Umgang mit Fich­te: Die Erfor­schung scheint sich in einer Kon­so­li­die­rungs­pha­se, im Über­gang, zu befin­den: Der Autor ent­schwin­det lang­sam aber unauf­halt­sam und muss immer wie­der neu ent­deckt, d.h. ver­stan­den wer­den. Es könn­ten sich also noch ein paar mehr Über­schnei­dun­gen ergeben.

  • Hubert Fich­te: Die zwei­te Schuld. Glos­sen. (Die Geschich­te der Emp­find­lich­keit). Frankfurt/​Main: S. Fischer 2006.
  • Hubert Fich­te: Hör­wer­ke 1966–86. Hres­aus­ge­gebn von Robert Galitz, Kurt Krei­ler und Mar­tin Wein­mann. Frankfurt/​Main: Zwei­tau­send­eins 2006.
  • Wil­fried F. Schoel­ler: Hubert Fich­te und Leo­no­re Mau. Der Schrift­stel­ler und die Foto­gra­fin. Frankfurt/​Main: S. Fischer 2005.
  • Peter Braun: Eine Rei­se durch das Werk von Hubert Fich­te. Frankfurt/​Main: Fischer Taschen­buch 2005.
  • Micha­el Fisch: Hubert Fich­te – Explo­si­on der For­schung. Biblio­gra­phie zu Leben und Werk von Hubert Fich­te. Unter Berück­sich­ti­gung des Wer­kes von Leo­no­re Mau. Bie­le­feld. Ais­the­sis 2006.

(steht auch in der test­card no. 16)

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