Man könnte manchmal meinen, Skandinavien wäre musikalischer und singfreudiger als der Rest Europas. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass das nicht stimmt — auf dem CD- und Konzertmarkt bekommt man aber schnell den Eindruck. Auch bei a‑cappella-Gruppen und Pop-/Jazzchören — mit Rajaton, The Real Group, Vocal Line und eben Vocado sind ein paar dominante Vertreter im Spiel. Zu Recht natürlich, das sind alles wunderbare Musiker.
Das gilt auch für die CD “Northern Lights” von Vocado, der ersten Aufnahme des noch vergleichsweise jungen Ensembles. Sofort ins Ohr fällt beim Start der breite, füllige Sound, durchaus mit kräftiger Nachhilfe der Studiotechnik, aber noch natürlich genug. Und schnell fällt dan noch mehr auf. Die schönen, harmonischen, einfach wohltuenden Arrangements: Hier gibt es kein kein Auffallen um jeden Preis, keine Suche nach dem Außergewöhnlichen um seiner selbst willen, sondern einfach (!) schönen Sound, Wohlklang — der sich je nach Werk durchaus ändert . Mit viel Schwung eigentlich immer, sehr lebendige, atmende, pulsierende Leben. Und doch, das ist das Gelingende, oft mit ganz, ganz viel Ruhe und Gelassenheit — ohne die Spannung zu verlieren. Darin unterscheiden sich gute von mittelmäßigen Ensembles.
Wirklich gefallen haben mir die Klassikerauffrischungen wie das wunderbare entspannte (aber nie schläfrige!) “Lullaby of Birdland” zum Beispiel. Und das großartig bis großkotzerisch theatralische “My Funny Valentine” (im direkten Anschluss und direktem Kontrast), mit herrlichen klanglichen Finessen in einem glasklaren Arrangement. Nicht nur hier glaubt man kaum, dass das nur sechs Sängerinnen & Sänger sein sollen — gut, die Studiotechnik hilft ein bisschen nach. Aber trotzdem:erstaunlich rund, der Klang.
In dieser Tradition kann man sie wahrscheinlich stellen: Songs aus der Mitte. Die erzählen gerne kleine, nie besonders auffällige oder extravagante Geschichten, meist in leicht romantisch-sehnsüchtig-melancholischer Weise, ohne ganz im Schlamm des Gefühls zu versinken. So Stücke wie “Innan isen lägger sig”, eine Landschaftsidylle, sind wirklich sehr verführerisch. Und sie geben dem fülligen voluminösen Bass auch mal Gelegenheit, in den Vordergrund zu treten — kein Wunder, er hat es sich ja in die Stimme geschrieben …
Im Ganzen ist neben der technischen Perfektion (die auch durchaus überdurchschnittlich ist) auf jeden Fall beeindruckend: Die Vielfalt dieser CD. Sicher, die klangliche Varietät ist vielleicht nicht ganz mit der Rajatons zu vergleichen (aber das gilt für fast alle A‑cappella-Gruppen dieser Welt …), aber für sich gesehen ist das durchaus ausreichend. Und einfach entzückend: So etwas wie die Abschiedshymne “Empty Hearts” wärmt das Herz.
Vocado: Northern Lights. 2011.