Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: angelika meier

Aus-Lese #29

Die­ses Mal eine lan­ge, lan­ge Lis­te, weil ich etwas nach­läs­sig war und des­halb eini­ges nach­tra­gen muss:

Hen­drik Rost: Licht für ande­re Augen. Göt­tin­gen: Wall­stein 2013. 80 Seiten. 

Rost, LichtSchon die Wid­mung hat mich für die­sen Lyrik­band ein­ge­nom­men: „Ein Wort hin, zwei Wör­ter her – viel mehr ist es oft nicht, aber das ist die Kunst. Jamas!“ (4) heißt es dort. Genau, so ist es. 

Und Rost gelingt es, die Kunst der Dich­tung. Sei­ne rhyth­misch frei­en, unge­reim­ten Gedich­te, alle ein­zeln und von über­schau­ba­rer Län­ge, haben eine leich­te Anmut, eine schwe­ben­de Weh­mut ist ihnen eigen – so unge­fähr lässt sich ihr Ton wohl fas­sen, viel­leicht auch als Ele­ganz des Flus­ses der Spra­che und der Bil­der. Lee­re Räu­me (d.h. frei von Men­schen, ver­las­sen, aber nicht tot) schei­nen ihn zu fas­zi­nie­ren, meint man am Anfang des Ban­des. Aber das täuscht, die Men­schen tau­chen doch immer wie­der auf, als Kind, auf Bil­dern, als Dia­log­part­ner und als Tote/​Geister aus der Ver­gan­gen­heit (Brecht, Celan, Kling und vie­le ande­re wer­den auch nament­lich herbeigerufen). 

Über­haupt der Tod und die Ver­gan­gen­heit: die ster­ben­de Klar­heit, aber auch die Trau­er der Din­ger behaup­ten immer wie­der ihren Platz. So heißt es zum Bei­spiel in „Platz­ver­weis“:

Manch­mal ist die Trau­rig­keit eines Stuhls /​nicht die Trau­rig­keit, die der Stuhl /​aus­strahlt, son­dern die /​der­je­ni­gen, die auf ihm geses­sen haben /​vor Tagen, Jah­ren oder län­ger. (21)/

Das Schö­ne an Rosts Gedich­te ist immer wie­der das Sehen und Schrei­ben mit ande­ren Augen. Der Ein­fall des All­tags in die Kunst (und die (Lebens-)Philosophie), zugleich aber auch ganz deut­lich die Gegen­wart der – nicht nur lite­ra­ri­schen – Vergangenheit(en): Das zeich­net sein Werk beson­ders aus.

Flo­ri­an Voß: Daten­schat­ten Daten­strö­me Staub. Ber­lin: J. Frank 2011 (Quart­heft 28). 80 Seiten. 

Voß, DatenschattenDer Auf­takt ist gleich eine schö­ne Kon­tra­fak­tur oder Wie­der­auf­nah­me der Cel­an­schen „Todes­fu­ge“ in „Ver­fug­tes Meis­ter­stück“: Die Re-Grun­die­rung im All­tag, die Ent­mys­ti­fi­zie­rung und Ent­zau­be­rung der tota­len Meta­pher – das klappt hier ganz gut. Über­haupt fin­det sich das in vie­len Gedich­ten von Voß: Die unter­schieds­lo­se Gleich­wer­tig­keit von All­tag mit sei­nen Bana­li­tä­ten und abso­lu­ter Phan­ta­sie. Manch­mal wen­det sich das etwas arg ins pun­ki­ge und tra­shi­ge (für mei­nen Geschmack). Aber die Dop­pel­ge­sich­tig­keit – auf der einen Sei­te die hohe Spra­che mit aus­ge­sucht phan­ta­sie­vol­len Meta­phern und wil­den Bil­dern, auf der ande­ren Sei­te aber auch (bewuss­te – neh­me ich an) Platt­hei­ten und fla­che Wör­ter und Sät­ze – ste­hen neben­ein­an­der oder wer­den ein­an­der kon­fron­tiert. Oft klingt das in mei­nen Ohren dann groß und leer zugleich, also etwas prä­ten­ti­ös. Manch­mal scheint das aber auch groß­ar­tig – aber eher sel­ten, oft lässt mich das ein­fach kalt. Die­se Gegen­sät­ze bil­den oft schrof­fe, scharf­kan­ti­ge Unfäl­le, aus denen ich aber kei­ne Fun­ken schla­gen kann und die mich – wie das meis­te in die­sem Band – rat­los und unbe­tei­ligt las­sen. (Und an die binär codier­ten Sei­ten-/Buch­teil-/Ge­dicht­zah­len kann ich mich gar nicht gewöhnen …)

Nur kei­ne Panik, es ist nur /​ein Vul­kan der da raucht /​nicht der Kopf, der ist leer (Über­all Kuscheltiere)

Dou­glas Cou­p­land: Play­e­rO­ne. What Is to Beco­me of Us. A Novel in Five Hours. Lon­don: Hei­ne­mann 2010. 248 Seiten.

Coupland, PlayerEine „real-time novel“ hat Cou­p­land Play­e­rO­ne genannt, das als eine Art Vor­le­sung in fünf Stun­den ent­stan­den ist und dem­entspre­chend auch fünf Tei­le auf­weist. Es geht, wenig über­ra­schend bei Cou­p­land, um die Zukunft der Mensch­heit: Eine Grup­pe zufäl­lig zusam­men­ge­wür­fel­ter Men­schen gerät in einer Flug­ha­fen­bar in ein apo­ka­lyp­ti­sches Sze­na­rio, hier der Zusam­men­bruch der Ölver­sor­gung (und damit der gesam­ten Ener­gie) von einem Moment auf den ande­ren, mit den ent­spre­chen­den anar­chi­schen und gewalt­tä­ti­gen Fol­gen, die noch durch ein paar ande­re Erzähl­strän­ge, die ihre eige­ne Dyna­mik und teil­wei­se Gewalt ber­gen, über­la­gert wer­den. Das dient Cou­p­land dann dazu, sich sei­nen Lieb­lings­the­men zu wid­men: Wie sieht die Zukunft der Mensch­heit aus, wie die der Gesell­schaft? Er erzählt das hier mit per­spek­ti­vi­schem Fokus auf den ein­zel­nen Per­so­nen, dekli­niert also immer, in jeder „Stun­de“, das vor­han­de­ne Per­so­nal durch – erwei­tert um den „Play­er One“, so etwas wie eine tech­nisch-pro­gram­mier­te Iden­ti­tät einer der Cha­rak­te­re. Außer­dem ver­han­delt wer­den: Lebens­we­ge, psy­ch­ana­ly­ti­sche Deu­tun­gen und ganz stark das Pro­blem der Zeit, ihr Tem­po, ihre Linea­ri­tät, ihr Fort­schrei­ten und Anhalten …

Luke once thought time was like a river, and that it always flowed at the same speed, no mat­ter what. But now he belie­ves that time has floods, too – it sim­ply isn’t a con­stant any­mo­re. (70)
Tho­se bodies bind us to the future. They’re time-fro­zen. Tomor­row = yes­ter­day = today = the same thing, always. (110)

Wal­ter Höl­le­rer: Sys­te­me. Neue Gedich­te. Ber­lin: Lite­ra­ri­sches Col­lo­qui­um 1969. 56 Seiten.

Höllerer, SystemeÜber einen Bei­trag von Die­ter M. Gräf (Erkun­dun­gen inner­halb und außer­halb der Maschi­ne ja und nein. Neue und neu geblie­be­ne Gedich­te Wal­ter Höl­le­rers aus der Zeit der „Sys­te­me“. In: Spra­che im tech­ni­schen Zeit­al­ter, H. 203 (2012), S. 264–269) bin ich auf die­sen Gedicht­band Höl­le­rers auf­merk­sam gewor­den – den ich als Lyri­ker bis­her noch kaum kann­te, son­dern vor allem als Theo­re­ti­ker, Inter­pret und Ver­mitt­ler von Gedich­te­tem. Und das ist eine Schan­de, denn hier ver­sam­meln sich eini­ge, sogar ziem­lich vie­le aus­ge­spro­chen gute Gedich­te – auch wenn man ihnen ihre Ent­ste­hungs­zeit, die 1960er Jah­re, (inzwi­schen) in man­chen Gedan­ken und For­mu­lie­run­gen sehr deut­lich anmerkt. Aber das muss ja auch gar nicht schlecht sein …

Schon beim titel­ge­ben­den Gedicht „Sys­te­me“ kann man wun­der­bar das Moment sehen und erfah­ren, das ich an Gedich­ten so schät­ze: wie die Signi­fi­kan­ten ins Tan­zen kom­men. Höl­le­rer erreicht das hier oft durch das Mit­tel der extre­men syn­tak­ti­schen Ver­kür­zung: Tei­wei­se nur Wort­bro­cken, ein­zel­ne Wor­te ohne unmit­tel­ba­ren syn­tak­ti­schen Zusam­men­hang, die – auch in der räum­li­chen Anord­nung auf dem Papier – mit­ein­an­der in Bezie­hung tre­ten und Sinn hervorbringen.

Da steckt auch viel Technik(kritik) und Tech­ni­zi­tät drin, nicht nur im Inhalt, son­dern auch in der Spra­che und der Form (das ist wohl wenig über­ra­schend beim Grün­der der Spra­che im tech­ni­schen Zeit­al­ter …). Man­ches scheint aber auch – aus heu­ti­ger Sicht – sehr zeit­ge­bun­den bzw. typisch für die Situa­ti­on und Stim­mung der Bun­des­re­pu­blik am Ende der Sech­zi­ger. Etwa die poli­ti­schen Ele­men­te, das Moment der poli­tisch-gesell­schaft­li­chen Sys­tem­kri­tik aus/​in der Mit­te der Gesell­schaft (na gut, viel­leicht nicht ganz die dama­li­ge Mit­te). Heu­te scheint mir das nur noch im Bereich der Kapi­ta­lis­mus­kri­tik gän­gig zu sein – oder in klei­ne­ren, extre­me­ren Rand­be­rei­chen, die dann aber eher sel­ten in so „eli­tä­ren“ For­men wie die­ser Lyrik (und ihrer Ver­or­tung durch das Erschei­nen als „LCB-Edi­tio­nen“ im (Literatur-)Betrieb) sich zeigen.

Vol­ker Braun: Trotz­des­to­nichts oder Der Wen­de­hals. Frank­furt: Suhr­kamp 2000. 147 Seiten.

Ich mag Vol­ker Brauns Pro­sa eigent­lich sehr ger­ne. Die­ser schma­le Band hat mich aller­dings nicht wirk­lich über­zeu­gen oder begeis­tern kön­nen. Der titel­ge­ben­de Dia­log (der auch den meis­ten Umfang bean­sprucht) ist ziem­lich schnell ziem­lich lahm und lang­wei­lig. Vor allem lese ich da haupt­säch­lich Bana­li­tä­ten und Phra­sen aus Brauns BRD- und Wen­de-Kri­tik-Reper­toire. Dafür sind die die kur­zen Anek­do­ten, Erzäh­lun­gen aus Teil III inter­es­san­ter. In typi­scher Braun-Manier zei­gen sie mit ihrer Kon­zen­tra­ti­on auf eine Bege­ben­heit, eine cha­rak­te­ris­ti­sche Beob­ach­tung noch ein­mal sein sti­lis­ti­sches Kön­nen. Aber auch hier bleibt mir das inhalt­lich etwas arg rück­schau­end, ver­an­gen­heits­ori­en­tiert: In/​an der Gegen­wart – der Wende/​dem Umbruch (wie es bei Braun heißt) – wer­den nur die nega­ti­ven Sei­ten gezeigt und dar­ge­stellt, es weht immer etwas Weh­mut über das Schei­tern des Expe­ri­men­tes DDR durch die Sät­ze, ohne dass sich posi­ti­ve­re Zie­le oder Uto­pien zei­gen würden. 

Nach der soge­nann­ten Wen­de sah ich nur die Wen­dun­gen, und zwar der will­fäh­rigs­ten Leu­te, die sich also gleich blie­ben. (135)

Bernd Caill­oux: Gut­ge­schrie­be­ne Ver­lus­te. Roman mémoi­re. Ber­lin: Suhr­kamp 2012. 271 Seiten.

Bernd Cailloux, Gutgeschriebene VerlusteIch habe hier am Anfang einen Moment gebraucht, bis mir klar wur­de, war­um mir eini­ges bekannt vor­kam: Weil es in Figu­ren und Gesche­hen gewis­se Ähn­lich­kei­ten mit Das Geschäfts­jahr 1968/​69 von Caill­oux gibt. Unab­hän­gig von der Fra­ge, ob hier ein altern­der Autor auto­bio­gra­phisch erzählt (das scheint aber eines der Haupt­in­ter­es­sen der Rezen­sen­ten zu sein, die Deco­die­rung, Ent­schlüs­se­lung der auf­tau­chen­den Cha­rak­te­re und Ereig­nis­se) geht es in die­ser rück­bli­cken­der Ver­ge­gen­wär­ti­gung eines alte(rnde)n 68er (der damit aber auch wie­der nur am Ran­de zusam­men­hängt, weil ihn an der Bewe­gung vor allem die Dro­gen, der Sex und die Geschäf­te inter­es­sier­ten) vor allem um das Pro­blem der frag­men­tier­ten Erin­ne­rung, die sich auch im Text so nie­der­schlägt. Manch­mal fand ich das etwas müh­sam, manch­mal ist es span­nend, manch­mal aber auch etwas bemüht, doch meist aber locker und humo­rig par­lie­rend erzählt. Altern und Erin­nern – an bessere/​beste Zei­ten – sind also das The­ma, ange­rei­chert mit Pop-/li­te­ra­tur­his­to­ri­schen Arte­fak­ten. Aber so rich­tig rein­ge­fun­den habe ich nicht, mir schien, das Caill­oux hier doch arg viel Leer­lauf produziert.

Was in er im Eigen­be­darf ver­brauch­ten Zeit pas­sier­te, war nur bedingt erzäh­lens­wert – in Fil­me rein­ku­cken, Tabel­len stu­die­ren, im Netz rumkli­chen, mal was lesen, den­ken, ins­be­son­de­re den­ken, eine Pri­mär­tu­gend. (145)

Elke Naters: Lügen. Mün­chen: List 1999. 192 Seiten.

Naters, LügenNaters zwei­ter Roman ist im Grun­de eine Varia­ti­on des ers­ten (Köni­gin­nen), aber ohne des­sen for­ma­le Stär­ken. Wie­der geht es um Freund­schaft zwi­schen Frau­en und um Bezie­hungs­dra­men. Das wird nun aber hier deut­lich ein­di­men­sio­na­ler erzählt. Die absicht­lich beschränk­te Spra­che, der schlich­te Stil – das bringt hier kaum mehr Schön­heit oder Wahr­heit her­vor. Vor­herr­schend ist dage­gen das Plät­schern: Harm­lo­se Ober­flä­chen wer­den erzählt – natür­lich absicht­lich, das schlägt sich ja auch deut­lich in Spra­che und Form nie­der -, die aber auch auf nichts (mehr) zu ver­wei­sen zu wol­len schei­nen und nur noch dem rei­nen Selbst­zweck die­nen. Das ist wenig, vor allem weil die Figu­ren blass blei­ben und eigent­lich – so weit ich das wahr­neh­me – lang­wei­lig sind. Man kann dem natür­lich zugu­te hal­ten, dass genau das gezeigt wer­den soll­te: Dass es kei­ne indi­vi­du­el­len, „span­nen­den“ Lebens­ent­wür­fe mehr gibt und dass sie sich auch nicht mehr nach den klas­si­schen Kri­te­ri­en schön oder span­nend erzäh­len las­sen. Aber das ist eine zwar wah­re, aber sehr tro­cke­ne Ein­sicht, die hier irgend­wie den Text nicht mehr trägt und rechtfertigt.

Das Leben ist banal. Mein Leben ist banal. Ich bin banal.
Das gibt mir noch eine Wei­le zu den­ken, obwohl mir gar nicht danach ist. (180)

Ange­li­ka Mei­er: Eng­land. Zürich: Dia­pha­nes 2010. 329 Seiten.

Meier, EnglandAnge­li­ka Mei­ers ers­ter Roman ist nicht ganz so groß­ar­tig wie Heim­lich heim­lich mich ver­giss, aber trotz­dem ein sehr gutes Buch. Es geht in einer reich­lich ver­rück­ten Geschich­te um eine Phi­lo­so­phin, der Witt­gen­stein erschie­nen ist und die dadurch auf die ver­ges­se­nen und ver­schol­le­nen Manu­skrip­te eines Phi­lo­so­phen des 17. Jahr­hun­derts namens Man­z­a­nil­la stößt, die in der Fol­ge ihre Lebens­auf­ga­be und ihr Lebens­werk wer­den – aller­dings mit dem Pro­blem, dass sie natür­lich eine voll­kom­men offen­kun­di­ge Fäl­schung sind. 

Wahn­sinn und Rea­li­tät ver­schwim­men in die­ser Fabel voll­kom­men, die Fra­gen, was ist wirk­lich, was ist eing­bil­det? braucht man sich kaum mehr zu stel­len – beant­wor­ten las­sen sie sich sowie­so nicht mehr. Schlaf, Geheim­nis, Traum/​Alptraum – alles geht durcheinander/​ineinander und über­kreuzt sich stän­dig in den Beein­flus­sun­gen udn Hand­lun­gen der Per­so­nen. Vor allem ist die­se Geschich­te zwi­schen Witt­gen­stein und Man­z­a­nil­la, zwi­schen Vergangenheit(en) und Gegen­war­ten aber sehr unter­halt­sam, vor allem wegen der sku­ril, aber sehr genau und lie­be­vol­le gezeich­ne­ten Figu­ren und Charakteren.
Über­haupt ist Mei­ers Roman sehr geist­reich und oft mit schwar­zem Humor gespickt, die Absur­di­tä­ten und Ver­rückt­hei­ten des (insti­tu­tio­na­li­sier­ten) Den­kens (und ins­be­son­de­re des Den­kens über Spra­che) gewitzt und geschickt auf­spie­ßend: Wun­der­bar unter­hal­tend dabei, wahr­schein­lich gera­de wegen der Häu­fung der Sku­ri­li­tä­ten, die sich selbst so abso­lut ernst neh­men können.

Sehen Sie, man­che Phi­lo­so­phen – oder wie man sie nen­nen soll – lei­den an dem, was man Pro­blem­ver­lust nen­nen kann. Es scheint Ihnen dann alles ganz ein­fach, und es schei­nen kei­ne tie­fe­ren Pro­ble­me mehr zu exis­tie­ren, die Welt wird weit und flach und ver­liert jede Tie­fe; und was sie schrei­ben, wird unend­lich seicht und tri­vi­al. (91)

Aus-Lese #15

Wolf­gang Fröm­berg: Etwas Bes­se­res als die Frei­heit. Luh­mar: Hab­li­zel 2013. 202 Seiten.

Der Rezen­sent der taz war von Fröm­bergs zwei­tem Roman ziem­lich begeis­tert, ich nicht so sehr. Es fiel mir schwer, da über­haupt rein­zu­kom­men, in den Text über den Text über den Text: Die (Erzähl-)Ebenen ver­schwim­men hier per­ma­nent (im Roman gibt es z.B. einen Roman, der heißt wie der Roman). Das wäre ja noch kein Pro­blem (eher ein Plus­punkt), aber Fröm­bergs sprö­der Stil, sei­ne tro­cke­ne Spra­che mach­ten es mir schwer, den ver­schie­de­nen Hand­lungs­strän­gen und Figu­ren­kon­stel­la­tio­nen, die lose immer mal wie­der mit ein­an­der ver­knüpft wer­den, ohne dass das beson­ders deut­lich wird, zu fol­gen – dazu kom­men noch ver­schie­de­ne Zeit-Hand­lungs-Ebe­nen und Träu­me und Erin­ne­run­gen. Viel­leicht lag’s auch an mei­ner Lese­si­tua­ti­on – aber ich sehe nicht recht, was Fröm­berg hier eigent­lich will. Es geht irgend­wie um die Alt-68er und deren Kin­der. Der Sohn zwei­er 68er und Kom­mu­nar­den, Leo, ist so etwas wie die Zen­tral­fi­gur. Er beschäf­tigt sich ableh­nend mit der Geschich­te sei­ne Eltern, das als „Künst­ler“ ver­ar­bei­tend, sei­ne Frau/​Ex, die als „Detek­ti­vin“ zu den 68ern unter­wegs ist/​war, die aber auch schon tot sind, spielt auch eine Rol­le. Und dazu kommt noch die gesam­te neu­es­te Geschich­te Deutsch­lands und der Welt, vom Anfang des 20. Jahr­hun­derts bis in die Gegen­wart, die unbe­dingt ind en Text hin­ein gepackt wer­den muss­te. Das führt zu ent­spre­chend lan­gen Erklä­run­gen und Abschwei­fun­gen, tro­cken und zäh macht es den Text. Und wie­der mal schrei­ben alle Figu­ren: Wer­ner und sein Sohn Leo, Ursu­la und auch der extri­mis­ti­sche Akti­vist Andre­as, selbst die „Geo­lo­gin“ Vic­to­ria – da kann man schön immer dar­aus zitie­ren, ohne sich die Zita­te zu eigen machen zu müs­sen. Des­halb ist Etwas Bes­se­res als die Frei­heit auch vol­ler gewich­ti­ger Sät­ze, die als phi­lo­so­phi­sche Erkenntnisse/​Sätze/​Wahrheiten daher­kom­men, meist aber Pla­ti­tü­den sind. Und natür­lich endet das wie­der im Schrei­ben: „Vic­to­ria schloss die Augen, setz­te den Stift aufs Papier, öff­ne­te die Tür und stürz­te sich in eine neue Welt.“ (196)

Außer­dem ist das Buch ganz schlecht gesetzt: ungüns­ti­ger Sei­ten­spie­gel, schlech­ter Block­satz (teil­wei­se rich­ti­ge Löcher in den Zei­len) – das sind hand­werk­li­che Feh­ler, die beim Lesen ermü­den, vor allem weil der Text selbst nur sehr grob geglie­dert ist. 

Ange­li­ka Mei­er: Stür­zen, drü­ber schla­fen. Klei­ne Geschich­ten und Stü­cke. Zürich: Dia­pha­nes 2013. 194 Seiten.

Sku­ri­les und Absur­des mischt sich in Mei­ers klei­nen Geschich­ten mit Gro­tes­kem und auch Lus­ti­gem: Das sind Minia­tu­ren, die unse­re ach-so-bekann­te Welt ein­fach auf den Kopf stel­len und mög­li­che Wel­ten erzäh­len. Da sich oft nur eine klei­ne Bedin­gung oder Bege­ben­heit ändert, kann man wun­der­bar sehen, was dann pas­siert – und hat erzähl­te Wel­ten, die der „Rea­li­tät“ unwahr­schein­lich glei­chen und doch ganz anders sind.

Wun­der­bar ist auch die Erzähl­tech­nik Mei­ers, die ich schon in Heim­lich, heim­lich mich ver­giss bewun­der­te. Zum Bei­spiel die Raf­fi­nes­se der Infor­ma­ti­ons­ver­ga­be, die (meis­tens) sehr zurück­hal­tend, unauf­dring­lich, fast unmerk­lich geschieht. So kann Mei­er etwa lan­ge offen las­sen kann, ob die Erzäh­ler­stim­me weib­lich oder männ­lich ist (wenn es eben kei­ne Rol­le spielt). Eine sou­ve­rä­ne Erzähl­tech­nik, die hier oft im Dienst des Wun­derns und Ver­wun­derns steht, des Auf­merk­samm­a­chen auf die Gestalt der Welt, die wir immer wie­der als gege­ben und „nor­mal“ hin­neh­men, die ja aber oft auch ganz kon­tin­gent ist und durch­aus auch (ganz) anders sein könn­te – zum Bei­spiel so, wie Mei­er es uns hier mal vor­führt und wor­über wir dann stau­nen dür­fen oder rat­los und per­plex sein dür­fen. „Ihre Minia­tu­ren sind ver­gnüg­lich zu lesen­de Etü­den in Sar­kas­mus, alle­samt dazu geeig­net, die Zumu­tun­gen der Wirk­lich­keit auf Distanz zu hal­ten“ hat Jörg Mage­nau das in sei­ner Kri­tik genannt – und das stimmt. Auch wenn manch­mal – etwa und vor allem in den bei­den Thea­ter­stü­cken am Ende des Ban­des das Moment der Fin­ger­übung etwas arg deut­lich wird – die bei­den Tex­te hin­ter­las­sen mich etwas rat­los, vor allem Was­ser! Ele­ment! Pen­the­si­lea liest Kleist scheint mir in ers­ter Linie eine sol­che (sti­lis­ti­sche) Fin­ger­übung – aber viel­leicht über­se­he ich ein­fach den ent­schei­den­den Punkt …

Bert­hold Seli­ger: Das Geschäft mit der Musik. Ein Insi­der­be­richt. Ber­lin: Edi­ti­on Tiamat 2013. 352 Seiten.

Der Kon­zer­ver­an­stal­ter Seli­ger schreibt, war­um das Musik­ge­schäft (womit er in ers­ter Linie das des Pop & Rock meint) so ist, wie es ist: Ver­kom­men, kor­rupt, unbe­frie­di­gend. Eine „Streit­schrift für eine ande­re Kul­tur“ (so nennt der Klap­pen­text das) ist die­ser Bericht. Und er ist zunächst mal ernüch­ternd und des­il­lu­sio­nie­rend: Seli­ger hat vie­les zusam­men­ge­tra­gen zum Zustand der Kul­tur­in­dus­trie, des „Geschäfts mit der Musik“ – vie­les, das dem auf­merk­sa­men Zeit­ge­nos­sen durch­aus schon bekannt sein dürf­te (GEMA, Ein­kom­men, Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zes­se im Label- & Ver­lags­we­sen, Musi­ker­ga­gen, Spon­so­ring & Wer­bung), hier aber noch mal geballt und zusam­men­ge­führt, detail­liert an vie­len Bei­spie­len auf­ge­zeigt. Beson­ders beschäf­ti­gen ihn die viel­fäl­ti­gen Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zes­se im Geschäft rund um die Musik und die Fra­ge: „Doch was bedeu­tet das [die oli­ga­ri­sche Kon­zen­tra­ti­on] für die Kul­tur, was bedeu­tet das für unse­re Gesell­schaft? Was bringt unse­re Gesell­schaft vor­an? Ist es die Quo­te, die zäh­len soll, oder ist es die Qua­li­tät von Kul­tur?“ (14). Das ist nicht nur ein Vor­wurf an den ver­sa­gen­den Markt – auch wenn des­sen Neu­au­rich­tung (share­hol­der-value statt stake­hol­der-value) seit den 1980er wesent­li­cher Antrieb für den „Ver­fall“ ist, son­dern auch eine Ankla­ge an die die­se Pro­zes­se unter­stüt­zen­de will­fäh­ri­ge Poli­tik, die dem Aus­ver­kauf der Kul­tur nicht nur nichts ent­ge­gen­setzt, son­dern ihn auch vor­an­treibt und finan­zi­ell unter­stützt. Seli­ger prag­nert das als Ver­lust der Viel­falt an – und zwar eben nicht nur musi­ka­lisch, musik-intrin­sisch sozu­sa­gen, son­dern auch auf gesell­schaft­li­cher Ebene.

Statt­des­sen wünscht Seli­ger sich eine Kul­tur der Dis­si­denz – markt­kon­form ist aber immer nur der Gehor­sam, wes­halb die rei­ne Markt­ori­en­tie­rung der Kul­tur (als gan­zes) scha­den muss, weil das Moment des Gegen­läu­fi­gen weg­fal­len muss (dazu gezwun­gen wird …): „Heu­te dage­gen beherrscht der Quo­ten­ter­ror unser kul­tu­rel­les Leben, ob beim öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk und Fern­se­hen, bei der staat­li­chen Film­för­de­rung oder bei unse­ren musi­ka­li­schen Frei­zeit­ver­gnü­gen. Wir leis­ten uns ein hoch­sub­ven­tio­nier­tes Kul­tur­sys­tem, unter­wer­fen es aller­dings frei­wil­lig dem Dik­tat der Quo­te. Es zählt nur, was ver­kauft.“ (20), oder: „Dis­si­denz ist in den moder­nen Geschäfts­mo­del­len der Kul­tur­in­dus­trie nicht als Mög­lich­keit vor­ge­se­hen.“ (21). Das ist kei­ne neue oder über­ra­schen­de Erkennt­nis – nicht ohne Grund ist Ador­no (mit sei­nen Arbei­ten über die Kul­tur­in­dus­trie) sein Kron­zeu­ge -, aber weil Seli­ger viel aus sei­nen lang­jäh­ri­gen Erfah­run­gen mit den ver­schie­dens­ten Musi­kern, Ver­an­stal­tern etc. erzählt, – manch­mal hat das auch ein biss­chen etwas von „Opa erzählt von frü­her“ … – ist das eine durch­aus span­nen­de und anre­gen­de Lek­tü­re. Er klagt dabei auch so ziem­lich alle Betei­lig­ten an, von der Musi­ke­rin bis zum Hörer/​Konsumenten, vom Label über Kon­zern­ver­an­stal­ter, Wer­ben­de bis zu Jour­na­lis­tin­nen oder Medi­en­ar­bei­ter. Und natür­lich auch die Poli­tik (Urhe­ber­recht! För­der­gel­der!). Er sieht das Pro­blem aber immer als eines des Sys­tems, nicht des Indi­vi­du­ums – ohne die­sem aller­dings Hand­lungs­mög­lich­keit und Ver­ant­wor­tung abzu­neh­men oder abzu­spre­chen (dafür führt er ja auch Gegen­bei­spie­le an, die sich dem Zwang zur abso­lu­ten Unter­wer­fung unter den Markt und sei­ne (schein­ba­ren) Geset­ze ver­wei­gern). Letz­lich hängt auch für ihn alles an der „Hal­tung“ des Indi­vi­du­ums: „In einer Zeit, in der das Men­schen­recht auf kul­tu­rel­le Teil­ha­be welt­weit durch mul­ti­na­tio­na­le Kon­zer­ne mas­siv gefähr­dert ist, kommt es mehr denn je dar­auf an, Hal­tung zu zei­gen.“ (348) – das ist so etwas wie der Kern, Aus­gangs- und End­punkt des Buches.

Chris­ti­an Hwa­key: Sonet­te mit eli­sa­be­tha­ni­schem Maul­wurf. Über­tra­gen von Ulja­na Wolf. Ber­lin: hoch­roth 2010. 38 Seiten.

Eigent­lich ganz span­nen­de und viel­fäl­ti­ge Gedich­te, die Sonet­te von Haw­key. Die Über­tra­gung von Wolf ist eigent­lich eine Über­set­zung, die fast eine inter­li­nea­re ist – extrem nah an dem Ori­gi­nal. Das ist mal derb und ver­spielt, mal hoch­ge­mut und ordi­när zugleich – ein selt­sa­mes sic-et-non, ein Pen­deln zwi­schen den Wel­ten und Spra­chen macht die Sonet­te Haw­keys aus – und im Umschlag des Pen­dels pas­siert die Kunst, dort, wo die Spra­che glit­zert und glänzt und funkelt …

& they slept, sound­ly. sleep was a sound & /​they floa­ted into it – sie leg­ten sich aufs ohr & schlaf war ein laut. /​sie schweb­ten hin­ein (36÷37)

Heimlich vergessen und bewusst werden

Angelika Meier, Heimlich, heimlich mich vergiss

Ange­li­ka Mei­er, Heim­lich, heim­lich mich vergiss

Heim­lich, heim­lich mich ver­giss ist ein Traum­ro­man, ein wun­der­ba­rer und oft auch wun­der­li­cher Text. Ich will hier gar nicht eine Deu­tung die­ses Buches ver­su­chen. Der Witz an Ange­li­ka Mei­ers Roman ist ja in mei­nen Augen gera­de, dass er sich ein­deu­ti­gen Les­ar­ten ein­deu­tig ver­schließt: Alles – und wirk­lich so ziem­lich alles, vom Anfang bis Ende – kann, darf und soll man (also der Leser) immer auch anders ver­ste­hen. Gleich unge­heu­er begeis­tert hat mich schon unmit­tel­bar wäh­rend der Lek­tü­re die Art, wie Mei­er hier die Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung gestal­tet. Sie stopft näm­lich nicht alles lehr­buch­mä­ßig in die Expo­si­ti­on, son­dern ver­teilt wesent­li­che Mit­tei­lun­gen zu Figu­ren, Kon­stel­la­tio­nen, Umstän­den, Set­ting und Hand­lung wun­der­bar öko­no­misch und qua­si-natür­lich über die gan­zen 300 Sei­ten. Oder eben auch nicht: Die Autorin unter­liegt näm­lich nicht dem Wahn, alles zu sagen und erklä­ren zu müs­sen, der die aktu­el­le Bel­le­tris­tik oft so lang­wei­lig macht. Hier ist der Leser/​die Lese­rin noch selbst gefragt. Solch ein Text hat natur­ge­mäß vie­le offe­ne Stel­len, die man – den­ke ich – ein­fach mal so ste­hen las­sen und aus­hal­ten muss. Oder als Leser selbst füllt.

Aber wor­um geht es hier eigent­lich? Das ist eine Fra­ge, die über­haupt nicht ein­fach und abschlie­ßend zu beant­wor­ten ist. Klar wird aber: Wir befin­den uns in einer zukünf­ti­gen Gesell­schaft, die wesent­lich auf der Unter­schei­dung gesund vs. krank auf­baut. Im Mit­tel­punkt des Tex­tes steht so etwas wie ein Arzt, der aller­dings eine Art Mensch-Maschi­ne ist, ohne Herz am rech­ten Fleck (das Herz wird mit dem Solar­ple­xus irgend­wie ope­ra­tiv ver­ei­nigt bei den Ärz­ten), dafür mit zusätz­li­chen Hirn­ka­pa­zi­tä­ten und einer Art zwei­ten, kon­trol­lie­ren­den Per­sön­lich­keit, dem Media­tor. Die­ser Arzt arbei­tet in einem Art Sana­to­ri­um, gegen das jenes aus dem Zau­ber­berg ein Kin­der­spiel ist – hier kommt nie­mand rein und raus, es gibt kei­ne Ein- oder Aus­gän­ge. Aber dann taucht doch irgend­wie eine ambu­lan­te Pati­en­tin auf, die sich als ehe­ma­li­ge Ehe­frau des Arz­tes ent­puppt, die ihn und sei­nen Sohn – der als Wai­se auch in die­sem Institut/​Komplex/​Geflecht lebt – dazu bringt, eine Art „Aus­bruch“ zu ver­su­chen, der aber irgend­wie auch wie­der schei­tert und im Phan­tas­ma endet – wie man über­haupt den gan­zen Text als eine Art Traum lesen kann, des­sen Traum­cha­rak­ter mit fort­schrei­ten­der Sei­ten­zahl deut­li­cher wird, ohne jedoch je expli­zit als sol­cher iden­ti­fi­zier­bar zu wer­den. Klar ist aber bald: Das ist kei­ne Rea­li­tät, die hier beschrie­ben wird. Der Traum­cha­rak­ter wird aber erst ganz kurz vor Schluss auf­ge­löst, mit dem Auf­wa­chen. Und davor gibt es auch nur weni­ge direk­te Hin­wei­se – vor allem die Unwirk­lich­keit des Erzähl­ten selbst drängt mei­ne Lek­tü­re in die­se Richtung …

Das schlägt sich auch in der Spra­che wie­der – zunächst hielt ich das für Manie­ris­mus, der Wech­sel zwi­schen Innen- und Außen­per­spek­ti­ve der Haupt­fi­gur zwi­schen zwei Sät­zen hin und her – aber das hat dann doch alles sei­nen guten Grund in der Instanz des „Media­tors“. Und auch die Klar­heit, ja Unkom­pli­ziert­heit der Syn­tax ist ein schö­ner Gegen­satz zur Fremd­heit der erzähl­ten Welt (die auch nicht wirk­lich ver­traut wird – nicht wer­den kann und soll – hoffentlich ) …

Ich kann mei­ne Fas­zi­na­ti­on hier gera­de nur schwer begrün­den und/​oder in Wor­te fas­sen – viel­leicht auch, weil mir erst im Lau­fe der Lek­tü­re auf­ge­gan­gen ist, wie gut das eigent­lich ist. Wahr­schein­lich müss­te ich es gleich noch ein­mal lesen. Die Kri­ti­ker – die das meis­tens auch (recht) gut fan­den – sind sich auch nicht so ganz einig, wor­um es in „Heim­lich, heim­lich mich ver­giss“ eigent­lich geht. Und das ist oft ein gutes Zei­chen (denn wer will schon Bücher lesen, die von Anfang an allen klar sind und alles klar machen? – Das sind in der Regel die lang­wei­li­gen Tex­te …). Oli­ver Jun­gen kon­sta­tiert zum Bei­spiel in der FAZ:

Das Zen­tral­the­ma Mei­ers ist die Neu­for­ma­tie­rung des psy­chi­schen Sys­tems, wodurch auch Ver­gan­gen­heit und Zukunft, nichts als dis­kur­si­ve Kon­struk­te, neu auf­ge­setzt wer­den. Ob sich die ver­schie­de­nen Bewusst­seins­ebe­nen, wel­che dem Leser prä­sen­tiert wer­den, in erkennt­nis­theo­re­ti­scher Hin­sicht hier­ar­chi­sie­ren las­sen, ob also ein Zustand der Wahr­heit ent­spricht oder ob es gar kein Außen gibt, bleibt selbst­re­dend offen (Oli­ver Jun­gen, FAZ)

Ulrich Rüde­nau­er in der Zeit setzt ande­re Schwerpunkte:

Die Kör­per sind hier zu Dis­kurs­ge­gen­stän­den gewor­den, aus­ge­la­ger­te Objek­te, über die in einem fremd anmu­ten­den Jar­gon gere­det, gerich­tet wird. Hier, in die­ser zukünf­ti­gen Kli­nik, die natür­lich auf unse­re immer trans­pa­ren­te­re, ver­wal­te­te Gegen­wart ver­weist, hat alles sei­ne Ordnung.

Ange­li­ka Mei­er jeden­falls hat eine hoch­kom­ple­xe lite­ra­ri­sche Welt ent­wor­fen, eine künst­li­che, vom Erzäh­ler mög­li­cher­wei­se nur fan­ta­sier­te Par­al­lel­ord­nung, die des­halb gespens­tisch und ver­wir­rend wirkt, weil sie so fern von unse­ren eige­nen Zukunfts­ängs­ten gar nicht ist. (Ulrich Rüde­nau­er, Zeit)

Ange­li­ka Mei­er: Heim­lich, heim­lich mich ver­giss. Ber­lin: Dia­pha­nes 2012. 336 Sei­ten. ISBN 978−3−03734−184−1. 22,90 Euro.

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