schon seit einiger zeit verfolge ich eher staunend – vor allem ob der grandiosen naivität der argumente – die diskussion der neuro-wissenschaftler des sogenannten naturalistic turn, die den freien willen negieren (z.b. wolf singer oder jürgen roth) mit den juristen und den philosophen, die da dummerweise manchmal immer noch – ob aus überlegung oder aus tradition – anderer meinung sind bzw. sein sollten. sehr schön hat das für mich jan-philip reemtsma mal im merkur abgehandelt (hier im blog steht auch noch eine kleine zusammenfassung). heute hat der frankfurter rechtshistoriker rainer maria kiesow im feuilleton der süddeutschen (sogar als aufmacher!) über eine tagung in frankfurt berichtet, die sich eben dieser diskussion widmete. der text ist zum glück auch im netz frei zugänglich, nur mit anderer überschrift: statt „willenloser hirnapparat” heißt es online: „rechtsprechung ohne freien willen”. der text ist wunderbar: griffig geschrieben und vor allem inhaltlich ganz auf meiner linie. denn auch kiesow zweifelt einerseits an der wissenschaftlichkeit der aussage, es gebe keinen freien willen – schließlich wissen wir – auch die spezialisten – einerseits noch immer furchtbar wenig von der funktion des gehirns, ganz zu schweigen von unserem mangelnden verständnis der vorgänge. zum anderen ist es natürlich fast unmöglich, die nichtexistenz des freien willens wirklich zu beweisen. und dass das eine ziemlich erbärmliche grundlage für die abschaffung oder überarbeitung des strafrechts ist, sollte jedem denkenden menschen schnell klar sein. kiesow bringt übrigens noch eine nette pointe am schluss: wesentlich dringlicher als die reformierung des strafrechts müsste für diese abolitionisten eigentlich die entsprechende änderung des zivilrechts sein: „Mörder, Pädophile, Vergewaltiger treten nicht massenhaft in Erscheinung. In Massen schließen wir Verträge. Kaufverträge, Mietverträge, Arbeitsverträge. Ein Vertrag besteht typischerweise aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen. Welche Auswirkungen hat die ultramoderne Hirnforschung eigentlich auf das, willensmäßig betrachtet, offenkundig ebenfalls völlig altmodische Zivilrecht? Hier sind die Dimensionen ganz andere als bei ein paar Mördern. Aber Zivilrecht ist ziemlich kompliziert. Auf die Antworten des neuen Neurorechts darf man gespannt sein. Doch wir könnten natürlich das Privatrecht gleich mit abschaffen. Wo kein Wille, da kein Recht. Strafrecht ist da nur eine Fußnote. Das wär„s: Legal, illegal, scheißegal!”
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