Zum Schluss wurde es richtig ver­rückt. Was Zsig­mond Sza­th­máry da mit Orgel und Ton­band anstellte, war schon ganz schön abge­dreht. „Labi­al“ heißt die Kom­po­si­tion von Wil­fried Michel, mit der der Spezial­ist für zeit­genös­sis­che Orgel­musik sein Konz­ert, das die Musikhochschule im Rah­men von „Mainz-Musik“ in ihrem Orgel­saal organ­isierte, abschloss. Und da ging es wild zu: Das Ton­band knarzt, knirpst, qui­etscht, fiepst, klin­gelt, quäkt und pfeift wie ein außer Rand und Band ger­atenes Spielzeug. Die Orgel stand dem wenig nach – und war oft genug kaum von der Ton­band­musik zu unter­schei­den. Komisch bis grotesk wirk­te das häu­fig und beim ersten Hören furcht­bar wirr: Eine per­ma­nente Über­forderung – und doch zugle­ich eine Musik, die in einen Bere­ich der unbeschränk­ten Imag­i­na­tion und Ander­sar­tigkeit ent­führt. Von wegen, die Orgel ist ein lang­weiliges Instru­ment mit sta­tis­chem Klang: Hier führt sie sich auf wie ein Der­wisch.

Über­haupt hat Sza­th­máry sich gut dem Mot­to des Fes­ti­vals „Klang­far­ben“ angepasst. Wenn etwas die sechs Werke seines Konz­ertes zusam­men­hielt, dann die jew­eils neuar­tige und eigen­ständi­ge Organ­i­sa­tion von Klän­gen. Györ­gy Ligeti, der in diesem Jahr 90 gewor­den wäre, ist damit in den 1960ern berühmt gewor­den. Und sein „Volu­mi­na“ für Orgel ist ein echter Klas­sik­er der avant­gardis­tis­chen Orgel­musik, auch wenn er im Konz­ert gar nicht so oft zu hören ist. Die Vor­bere­itung der auss­chließlich grafisch notierten Par­ti­tur, die für ihre wan­deren­den und in alle Orgel­far­ben chang­ieren­den Clus­ter bekan­nt ist, ver­langt schließlich einige Arbeit und etwas Mut. Aber von Anstren­gung ist bei Sza­th­máry nichts zu merken: Im Gegen­teil, seine Ver­sion zeich­net sich ger­ade durch ihre Gelassen­heit und Abgek­lärtheit aus – von den weich geset­zten Klangflächen des Anfangs bis hin zum leise ausklin­gen­den Schluss spielt er das in der Musikhochschule mit ein­er unaufgeregten Selb­stver­ständlichkeit, der man die lange Beschäf­ti­gung mit diesem Stück und der neuen Orgel­musik über­haupt immer anhört.

Eine ähn­liche Kon­te­nance, wenn auch in ganz anderen Klän­gen, strahlen dann nur noch Hide­ki Chi­ha­ras „Due Stelle del­la sfera celeste in lon­tanan­za“ aus. Hier meint man, das Vor­bild Olivi­er Mes­si­aen noch mitzuhören, wenn sich die fast allein gelasse­nen Melo­di­en in ihrer freien, ver­track­ten Rhyth­mik weit aus­pan­nen und die Sterne der Unendlichkeit im Klang einz­u­fan­gen zu scheinen. Rou­tine und Sou­veränität bes­tim­men nicht nur hier Sza­th­márys Vor­trag – eine Ruhe freilich, die immer auch eine gewisse Dis­tanz ausstrahlt.
Das gilt in gewis­sem Maße auch für seine eigene Kom­po­si­tion „Stro­phen“, die die Orgel wieder mit ein­er vor­bere­it­eten Ein­spielung ergänzt. Von der abstrak­ten Klan­gor­gan­i­sa­tion bis zu Jahrmark­tan­klän­gen steck­en die „Stro­phen“ voller Über­raschun­gen aller Far­ben und For­men, die eine Menge Möglichkeit­en ein­fach mal durchdek­lin­ieren. Und wieder führen sie weit ins Reich der Imag­i­na­tion: Man muss sich nur der sicheren Führung Sza­th­márys über­lassen, der sein Pub­likum behütet durch eigene und fremde Klang­land­schaften leit­et – er selb­st scheint sich dort jeden­falls aus­ge­sprochen wohl zu fühlen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)