Gerade ist er volljährig geworden, der Madrigalchor Kiel. Aber erlebt hat er schon einiges in seinen jungen Jahren. Und erwachsen ist er eigentlich auch schon ziemlich lange. Denn Friederike Woebcke, die den ambitionierten Kammerchor 1990 gründete und bis heute leitet, musste nicht bei Null anfangen. Mit 18 Sängern aus dem Norddeutschen Madrigalchor, der nach dem Tode Raimund Schneiders, seines langjährigen Leiters, aufgehört hatte zu existieren, begann das Abenteuer schon auf respektablem Niveau. Von dort haben der neue Chor und seine Letierin nicht nur einen soldien Grunstock Sänger geerbt, sondern vor allem auch den Namen. Denn im Grunde stimmt der ja überhaupt nicht (mehr): Auch wenn Madrigale natürlich hin und wieder auf dem Programm stehen, insbesondere bei den Advents- und Weihnachtskonzerten, ist der Kieler Madrigalchor inzwischen doch viel mehr ein Universalchor, der sich statt durch eine Konzentration auf die Renaissance-Musik eher durch sein breit gefächertes Repertoire auszeichnet.
Inzwischen ist das Ensemble allerdings auch auf die doppelte Größe angewachsen: 36 Sängerinnen und Sänger umfasst der Chor, Amateure aus Kiel und der näheren Umgebung. Und dabei soll es auch bleiben. So kommt es, dass die Chorleiterin in der glücklichen Lage ist, eine Warteliste interessierter Sänger und vor allem Sängerinnen zu führen — nur Bässe finden eigentlich immer einen Platz: “Momentan haben wir eine echte Glückssträhne”, erklärt sie, “aber das kommt eben immer in Phasen.” Diese Größe macht vieles möglich — auch umfangreichere Projekte wie barocke Oratorien und Passionen können die Nordlichter so erfolgreich aufführen.
Die Schwierigkeiten liegen dann eher auf einer anderen Ebene: Als vollkommen freier Chor – unterstützt nur von einem Förderverein – sind sie für die Finanzierung größerer Projekte immer wieder neu auf Sponsorensuche. Friederike Woebcke blickt dann auch mit ein wenig Neid auf die festen Strukturen in Süddeutschland: “Das ist sicher schon angenehm, wenn man etwa wie der Maulbronner Kammerchor fest mit der Kirche verbunden ist.” Aber selbstverständlich kann sie ihrer Lage auch einiges abgewinnen: “Andererseits sind wir bei der Programmwahl freier hier oben und brauchen keinerlei Rücksichten auf die Erwartungen unserer Träger zu nehmen.”
Immerhin gelingen den Kielern auch unter diesen Bedingungen jedes Jahr ein halbes Dutzend Projekte – seit fast zwanzig Jahren nun. In erster Linie die Chormusik der Spätromantik und der Moderne ist es, die den Madrigalchor immer wieder neu beschäftigt und für die er einen besonders ausgeprägtes Klanggespür entwickelt hat. Auch geographisch haben sie sich durchaus spezialisiert – auf den Norden Europas, insbesondere die schwedische a‑cappella-Musik des 19. und 20. Jahrhunderts ist ihre musikalische Heimat. Das hat viel mit Woebcke selbst zu tun, und mit ihrer Ausbildung. Die Dirigentin, die seit 1998 in Bremen eine Professur für Chorleitung innehat, absolvierte einen Teil ihrer Ausbildung in Stockholm. Von dort datiert auch ihre Bekanntschaft mit Eric Ericson, den nicht nur mit der Leiterin, sondern inzwischen auch mit den Sängerinnen und den Sängern des Chors inzwischen eine enge musikalische Freundschaft verbindet.
Der schwedische Altmeister war mittlerweile, vor allem in den letzten beiden Jahren, auch mehrmals zu Gast in Kiel – sowohl als Dozent als auch als Dirigent des Chores. Dabei machte der Madrigalchor auch erstmals die Erfahrung, bei einem Dirigierkurs selbst zum Instrument zu werden und jungen Dirigenten die Möglichkeit zur Erprobung zu geben. Das bedeutet zwar eine aufwendige Vorbereitung, aber auch ein spannendes Erlebnis für die beteiligten Sänger – so spannend, dass sie es 2009 im Oktober beim Nordkolleg Rendsburg (Schleswig-Holstein) noch einmal tun werden und sich wieder für einen Dirigierkurs zur Verfügung stellen werden.
Die Leiterin plant dagegen unterdessen schon das 20jährige Jubiläum in 2010 – immer nach vorne schauend. Und auch die nächste Chorreise muss organisiert werden. Schließlich gehört es beim Madrigalchor Kiel fest zum Jahresprogramm, nicht nur ein Dutzend Konzerte zu singen, sondern zumindest einen Teil davon auch im Ausland aufzuführen. Häufig führten die Wege nach Skandinavien, aber auch nach Übersee – USA, Japan, Israel und Südafrika waren wichtige Ziele dieser Mischung aus Bildungsreise, Entdeckungsfahrt und Urlaub auf dem Weg zum reifen Klang.
(geschrieben für die neue chorzeit, 1/2009)
Hans Dzieran
Kleine Korrektur:
Die Chorleiterin heißt Friederike Woebcken, Eine Chrorreise ging nicht nach Israel, sondern nach Island.
Ansonsten ein nettes Chorportrait.
Gruß
Hans Dzieran